Beim Verladen der Boote vor dem Bootshaus hegen wir leise Zweifel, ob denn tatsächlich Wind weht. Aber wir sind sicher, dass uns die Abschattung durch das hohe Gelände hinter uns wieder nur einen Streich spielt und Flaute vortäuscht. Auf dem Weg in die Probstei können wir auch schon an der Landschaft sehen, dass die Luftmassen doch hurtig übers Land huschen: Den Bäumen hängen die Zweige arg östlich und als wir zum Mittelstrand einbiegen, ficht das letzte Fitzelchen einer Fahne seinen verbissenen Kampf gegen einen zerrenden Wind. Obwohl der Kalender bereits Oktober zeigt und die Saison damit eigentlich vorüber ist, will der Schlagbaum vor dem Parkplatz doch noch zwei Euro sehen, bevor er uns passieren lässt. Geschenkt.
Ich habe heute das erste Mal seit dem vergangenen Winter wieder meinen Trockenanzug rausgekramt. Sogar meinen Helm, den ich mir letztes Jahr in Wales von Freya gekauft habe, habe ich ausgegraben. Ein erster Blick auf die Wellen ergibt leidliche Zufriedenheit: Da kann man wohl einigen Spaß haben. Das Problem, im Boot sitzend vom Strand ins Wasser zu kommen, lösen wir ganz souverän. Aber danach klatschen uns auch schon die Brecher gegen die Brust. Das ist noch nichts dramatisches, aber der Winddruck ist doch größer als erwartet. Wir verabreden, dass wir erst einmal ein Stück hinausfahren und uns etwas an die Situation gewöhnen wollen. Es herrscht ein recht anspruchsvolles Chaos aus brechenden und reflektierten Wellen, wodurch das Boot arg hin und her geschmissen wird und man gut daran tut, mit den Schenkeln druckvoll Kontakt zum Boot zu halten.
Wir fahren ein gutes Stück hinaus, aber das Wellenchaos wird nicht wesentlich besser. Immer wieder fahre ich eine steile Wellenfront hoch, schieße über ihren Kamm hinaus, so dass mein Boot vom Bug bis zum Cockpit in der Luft schwebt und knalle mit einem harten "Bamm!" auf die hinteren Wellenflanke. Die Wellen sind deutlich höher, als ich sie von Land eingeschätzt habe. Etliche erreichen locker über zwei Meter, und auch hier draußen brechen sie sich noch - mit Wucht und nicht mit niedlichen Bäckermützchen! Die Aussicht, in solchen Verhältnissen wenden und den Wellen seine Breitseite präsentieren zu müssen, ist nicht verlockend. Aber wenn wir nicht nach Ärö fahren wollen, müssen wir irgendwann die Biege machen. Ich agiere ausgesprochen aufmerksam und lege es bei der Rückfahrt erst einmal nicht darauf an, einen möglichst guten Surf zu erwischen. Ich will vornehmlich kontrolliert zurückfahren, was mir erstaunlich gut gelingt, trotz einiger Versuche der Wellen, mich umzuschubsen.
Beim nächsten Rausfahren türmen sich die Wellen noch höher - das ist schon beeindruckend. Wir fahren beide recht dicht nebeneinander, trotzdem sind die Verhältnisse hier komplett anders als zwei Meter daneben. Während ich eine besonders hohe und steile Welle ohne große Probleme überwinde, bricht sie mit voller Wucht über Jörg herein, so dass er sie rückwärts wieder herunterrutscht. Er hält im Rückwärtssurf wacker das Gleichgewicht, bis sich das Heck seines Bootes im Wellental ins Wasser bohrt und er koppeister geht. "Hmm", denke ich, "schwierig, da jetzt zu helfen." Aber es dauert nicht lange, da sehe ich schon wieder Jörgs Nasenspitze - er ist erfolgreich hochgerollt.
Bei einer anderen Gelegenheit habe ich nicht so viel Erfolg. Auch ich werde von einem so großen Brecher in die Waagerechte gelegt und kann mich nur ein Weilchen halten, bis ein zweiter, querlaufender Brecher mich endgültig unter Wasser drückt. Dort wirbelt es furchtbar und ist ziemlich braun und luftdurchsetzt. Ich mühe mich zwar, eine Rolle hinzubekommen, aber das hier ist anspruchsvoll und ich habe nicht viel Übung in solchen Verhältnissen. Es lässt sich nicht leicht feststellen, wo oben ist und meine Versuche enden alle unterhalb der Sauerstoffzone. Aussteigen. Bitter im ersten Moment aber unabwendbar. Ich schwimme etwa fünfzig Meter nördlich und ebensoweit westlich der Steinmole, der mein erster, ängstlich suchender Blick gilt, als ich wieder an der Wasseroberfläche bin. Da der Wind aus Nordwest kommt, bin ich mir sicher, dass ich problemlos an der Mole vorbei an den Strand treiben werde. Aber ich erkenne schnell, dass eine heftige Strömung quer zum Strand nach Osten geht und ich es definitiv nicht schaffen werde. Ich mache mir Gedanken, wie ich es vermeiden soll, auf die Felsen gespült zu werden und wie ich mein Boot in einem Stück erhalten kann. Jörg ist inzwischen bei mir, aber es ist schwierig, unter diesen Umständen mit einer Einstiegsaktion anzufangen, wenn wir wissen, dass wir vermutlich mittendrin mit der Mole kollidieren werden. Ich erkenne recht bald, dass die Strömung so stark ist, dass ich nicht einmal auf die Mole gespült werde, sondern an ihr vorbei. Zuerst beruhigt es mich, um mir dann gleich wieder Sorgen zu machen, denn direkt neben der Mole sind die größten Brecher, die ich eigentlich nicht schwimmend erleben wollte. Nachdem sicher ist, dass ich die Steine nicht touchieren werde, habe ich mich hinten an mein Boot gehängt und arbeite mich schwimmend, treibend vorwärts. Nachdem ich mich und die Situation wieder einigermaßen unter Kontrolle habe, sage ich mir: "Das ist die Herausforderung!" und probiere einen Unterwassereinstieg. Ich bin nicht panisch und gut genug sortiert, dass ich mich bewusst richtig zu den Wellen postiere. Das Hochrollen klappt sehr gut, eigentlich zu gut, denn der Schwung, die nächste brechende Welle und das volle Cockpit sorgen dafür, dass ich gleich wieder auf der anderen Seite hineinfalle. Nu ist nix mehr mit richtig zur Welle! Aber grimmig entschlossen rolle ich trotzdem wieder hoch. Ein Boot mit geflutetem Cockpit ist allerdings nicht unbedingt leichter aufrecht zu halten oder zu mänövrieren. Trotzdem schaffe ich es ohne weitere Kenterung bis ans Ufer. Das war anstrengend!
Beim Fotograferen muss man das Paddel loslassen. Das kribbelt! |
Bei einem Surf reißt es mich dann wieder rein. ein erster Rollversuch wird von der nächsten lauernden Welle zunichte gemacht. Mein zweiter Versuch ist ein Rohrkrepierer und für einen dritten reicht die Luft nicht mehr. Das ist, was mich heute am meisten überrascht: wie wenig Luft man unter solchen Umständen hat. Normalerweise hätte ich gesagt, dass ich mindestens ein halbe Minute unter Wasser agieren kann, bis ich an die Luft muss. Aber wenn man schon über Wasser vollkommen aus der Puste ist, dann hat man unter Wasser nicht mehr die Muße, sich bei einem Fehlversuch erst einmal zu sammeln, irgendwelche Lehrsätze aus der Erinnerung zu kramen und es dann noch einmal in Ruhe zu versuchen. Aber diese Erkenntnis ruft keinen Frust in mir hoch - im Gegenteil: Das Ganze war eine wertvolle Erfahrung und ich würde viel drum geben, wenn wir so etwas öfter veranstalten könnte. Denn - wie formuliert Jörg es so treffend: "Üben übt!".
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