Sonntag, 19. August 2012

Nordsee für Neulinge 2012 - oder: Timing ist alles!

Seit zwei Jahren biete ich im Verein eine Nordseetour an, bei der ich versuche, noch nicht so versierten und erfahrenen Paddlern die Schönheit und die Geheimnisse dieses Paddelrevieres nahe zu bringen. Im letzten Jahr wurde auf Grund der Tidenverhältnisse leider nur eine Zwei-Tage-Tour daraus. Aber dieses Jahr habe ich alles daran gesetzt, dass wir bereits am Freitag losfahren, um auch den Samstag voll nutzen zu können.

Bei der Vorbesprechung habe ich den Ablauf des Freitags kurz skizziert. Ich habe versucht, auf einen möglichst zeitigen Start zu drängen, damit wir früh in Schlüttsiel starten können und noch vor Einbruch der Dunkelheit auf Hooge ankämen. Hochwasser in Schlüttsiel wäre um 14:41 Uhr, Niedrigwasser auf Hooge um 20:59 Uhr, Sonnenuntergang um 20:52 Uhr. Meine Rechnung war, dass wir uns um 15 Uhr am Klub treffen, um 16 Uhr losfahren, um 17:45 in Schlüttsiel ankommen, um 18:45 dort lospaddeln und um 21:15 auf Hooge eintreffen. Das war ziemlich auf Kante genäht, aber ich habe es nicht deutlich gemacht und den anderen war es nicht bewusst. Die Wettervorhersage war ausgesprochen günstig - wenn man Flaute, Sonnenschein und hohe Temperaturen als Vorteil betrachtet.

Für den Freitag bestand also kein Schlupf, innerhalb dessen man hätte rangieren können. Einmal losgetreten würde der Plan abspulen und sich eine Aktion an die nächste reihen, bis man die Zelte auf Hooge errichtet. Man muss keine Entscheidung fällen, nur hinmachen.

Für den Samstag habe ich drei Möglichkeiten vorgeschlagen, was man unternehmen könnte: Zur Pallas fahren, nach Amrum paddeln oder den Norderoogsand umrunden. Auf meine Frage, was wir denn machen sollten, kam der Vorschlag: "Wir stimmen ab!". Okay, da war wohl noch nicht das volle Bewusstsein für die maßgeblichen Begleitumstände und Entscheidungskriterien entwickelt. Als Entscheidungshilfen habe ich die Gezeitenkurven und den Strömungsatlas angeboten. Um die Sache nicht zu kompliziert zu machen, war meine erste Frage, wann wir frühestens los fahren können und wann wir es spätestens müssen. Hier setzte die erste Ernüchterung ein: Der Zeitpunkt für das Losfahren bedeutete auf jeden Fall ein Aufstehen vor dem Aufwachen! Die Frage, wann wir uns spätestens auf dem Rückweg befinden müssen, war etwas schwieriger zu klären, denn der Umgang mit dem Strömungsatlas war keinem so richtig geläufig. Da sind die Zeiten alle auf Hochwasser Helgoland bezogen und das muss erst übersetzt werden in richtige Uhrzeiten. Zusätzlich lieferte ich noch weitere Aspekte, die es zwar zu berücksichtigen gilt, die man aber ohne Erfahrung noch nicht auf der Rechnung hat: Da ist die Ausgesetztheit der Tour zur Pallas, die für einen Neuling eine nicht unerhebliche Herausforderung darstellt, das Problem, dass man bei der Umrundung des Norderoogsandes auch noch Hooge umrunden muss und der nicht zu unterschätzende Querstrom im Rütergatt, mit dem man sich bei der Rückfahrt von Amrum auseinandersetzen muss. Meine Absicht, die ich mit der Vorbesprechung verfolgte, hat jedenfalls Erfolg gehabt: Die Erkenntnis, dass man bei einer Nordseetour nicht erst mal ausschlafen, gemütlich frühstücken und sich dann überlegen kann, wohin man fährt, sickerte langsam in das Bewusstsein der Teilnehmer.

Das Fertigmachen an der Bootshalle, die Fahrt nach Schlüttsiel sowie das Packen dort verliefen ausgesprochen konzentriert, zielgerichtet und zügig. So konnten wir unsere Boote bereits vor 18 Uhr einsetzen - genau so rechtzeitig, dass wir bequem an der gerade aus dem Wasser aufgetauchten Betonkante einsteigen konnten. Eine andere Gruppe von Paddlern aus Hamburg, von denen bereits einige Teilnehmer am Packen waren, als wir ankamen, benötigte etwas länger und hatte es vermutlich nicht mehr so bequem wie wir.

Die Überfahrt nach Hooge war gemütlich und unspektakulär. Ich las von Zeit zu Zeit die Geschwindigkeit von meinem GPS ab - zum Erstaunen der meisten näherten wir uns unserem Bestimmungsort mit fast ständig mehr als 10 Stundenkilometern. An einer roten Fahrwassertonne nahe Hooge ließ ich die Gruppe anhalten und gab die Aufgabe, die gegenüberliegende grüne Tonne an der stromauf liegenden Seite zu passieren. Dadurch, dass man die Insel hinter der Tonne sah, konnte man gut sehen, ob man seitlich versetzt wurde und den korrekten Vorhaltewinkel für die Seilfähre sehr einfach bestimmen. Durch diese kleine Einlage entstand ein viel besseres Gefühl dafür, mit welcher Macht die Süderaue hier strömt, als wenn wir immer nur genau in Richtung des Tidenstromes gefahren wären.

Durch unser gutes Vorankommen erreichten wir den Leitdamm vor dem Hooger Segelhafen bereits vor halb neun. Das war absolut die letzte Möglichkeit, die Steine des Dammes noch direkt aus dem Boot heraus zu erreichen. So konnten wir wenigstens einigermaßen vom Schlick verschont Boote und Ausrüstung auf den Zeltplatz schaffen. Die Hamburger Truppe ist ca. eine halbe Stunde später eingetroffen. Drei von ihnen sind noch direkt ausgestiegen, hüfttief im Schlick versunken, hingefallen und sahen aus, wie direkt aus einem Moorbad gezogen. Die übrigen Teilnehmer haben es vorgezogen, fünf Meter von der rettenden aber unerreichbaren Insel in ihren Booten sitzend auf das Steigen des Wassers zu warten, um dann in ziemlicher Dunkelheit auf den glitschigen Steinen mit den schweren Booten zu balancieren. Übrigens ist Sven beim Tragen der Boote mit seinem Fuß abgerutscht, in ein Loch getreten und hat sich das Gelenk arg gequetscht. Zum Glück hat ihn das nicht beim Paddeln behindert, nur beim Gehen hatte er noch mehrere Tage lang Schmerzen.

Meine Ansage für Sonnabend war es, um 7 Uhr in den Boote zu sitzen - und um fünf Minuten vor sieben sitzen alle abfahrbereit in ihren Booten! Es ist etwa dreieinhalb Stunden nach Hochwassser und das Einsteigen ist noch einigermaßen gut möglich. Letztlich habe ich selbst entschieden, dass wir heute die einfachste der drei Möglichkeiten wahrnehmen: Wir fahren zum Kniepsand nach Amrum. An der Nordspitze des Jappsandes kann man schön das unterschiedliche Aussehen der Wasseroberfläche bei unterschiedlich tiefem Wasser studieren. Ich gehe hier kurz an Land, denn stehend hat man einen deutlich besseren Überblick über die Verhältnisse hier. Tatsächlich tritt bald genau n der Stelle, für die ich es vorausgsagt habe, eine Sandbank zu Tage.
Unser Ziel ist bereits klar zu erkennen und es scheint ein Klacks zu sein, es auch zu erreichen. Der Strom ist zu einem guten Teil mit uns, er versetzt uns nur etwas nach Südwesten. Zu meiner Überraschung halten die vorne fahrenden Paddler aber weiter vor als es für unseren Kurs notwendig wäre - ein für den Normalpaddler völlig unübliches Verhalten. Es liegt mit großer Wahrscheinlichkeit daran, dass alle mehr oder minder auf "Amrum" zuhalten - während wir eigentlich um die Südspitze des Kniepsandes herum müssen, die zwar viel weiter südlich liegt, im Gegensatz zu "Amrum" aber kaum zu sehen ist.

Der Kniepsand ist unsere Basis für eine lange und entspannte Pause. Interessiert beobachten wir eine kleine Gruppe Nudisten, die nach einem Bad in der Nordsee ausdauernd Yoga-Übungen macht. Wir sind beeindruckt von dem gewaltigen Sonnenschirm, den Reinhard aus seinem Boot zaubert und der hier majestätisch seinen Schatten wirft. Ich habe mein Tarp dabei und obwohl die Sonne nicht wirklich derart brezelt, dass es nötig wäre, baue ich es auf. Wenn ich es schon mitnehme, will ich es wenigstens auch einmal einsetzen. Leider steigt das Wasser während unserer Pause doch so hoch, dass unsere Boote fortgespült werden würden, und so  müssen wir sie grummelnd ein Stück weiter den Strand hoch schleppen.

Etwa um 12 Uhr treten wir den Rückweg an. Ich habe mir vorgenommen, genau mit Hochwasser auf Hooge einzulaufen und das ist gegen 15 Uhr. Natürlich haben wir dadurch einen ordentlichen Strom im Rütergatt quer zu unserer Fahrtrichtung. Eine gute Gelegenheit, das Bewusstsein dafür zu schärfen und den Umgang damit zu üben. Als wir eine grün-rote Fahrwassertonne passieren, liegt eine gute Meile entfernt links eine rote Tonne fast genau querab von uns in der Gegend. Etwas weiter südlich davon, aber immer noch mehr als 45 Grad gegen unsere Vorausrichtung liegt die dazugehörige grüne Tonne. Wir sind nicht besonders schnell und der Strom versetzt uns mit beträchtlicher Geschwindigkeit, so dass ich sogar etwas Sorge habe, ob wir die Süderaue überhaupt wie geplant erreichen. Als ich die Devise ausgebe, dass wir die links momentan noch querab liegende rote Tonne links liegen lassen müssen - und wenn wir es schaffen auch noch die dazuhörige grüne, sehe ich, dass niemand sich vorstellen kann, dass wir das eventuell nicht schaffen könnten. Schließlich zeigt unsere Vorausrichtung ja deutlich an beiden Tonne vorbei. Wir fahren eine Zeitlang mit unvermindertem Tempo in immer die gleiche Richtung, bis ich die Aufmerksamkeit der Gruppe auf die vorhin passierte grün-rote Fahrwassertonne lenke. Sie liegt immer noch genau rechts querab, obwohl wir schon eine erkleckliche Zeit von ihr wegpaddeln. Erst jetzt wird allen bewusst, wie stark die Strömung geht und wie sehr wir versetzt werden. Wir schaffen es gerade, die rote Tonne links liegen zu lassen, bei der grünen haben wir nicht den Hauch einer Chance! Aber mit Erreichen dieses Tonnenpaares ist das meiste geschafft und der Strom drückt nun mehr in die Süderaue hinein.
Um 14 Uhr,also eigentlich etwas zu früh, fahren wir in den Segelhafen von Hooge hinein und steigen direkt aus den Booten auf die Zeltwiese. Hier ist erstmal ein ausgiebiges Bad im mit warmen Wasser randvollen Hafen fällig. Der sehr hohe Anleger direkt neben unseren Zelten eignet sich ideal zum Verbessern der Arschbombentechnik. Der Tag ist noch lang und wir genießen die Sonne und die Wärme - jeder auf seine Weise. Und natürlich ist heute das Salzlamm fällig! Gegen Abend marschieren wir zum Friesenpesel, wo wir die Bedienung mit unserem kaum zu stillenden Appetit beeindrucken: Wir haben noch gar nicht angefangen, da gehen wir schon auf das Angebot ein, Bratkartoffeln nachordern zu können.


Die Rücktour an Sonntag ist insofern spektakulär, als dass extreme Flaute bei tropischen Temperaturen herrscht. Die Boote gleiten auf dem glatten Wasser dahin, wie Jim Knopfs Dampfer über das Zellophanmeer in der Augsburger Puppenkiste. Irgendwann ist Birke so heiß, dass sie sich vor Gröde entschließt, mitten in der Nordsee schwimmen zu gehen. Das bringt eine willkommene Abkühlung. Genau um zwei Uhr läuft mein Boot über die soeben überflutete Kante der Kaimauer in Schlüttsiel. Eine Tour mit perfektem Timing!

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