Samstag, 28. Februar 2015

Plötzlich allein (1/2)

Jörg hatte sich schon vor längerer Zeit abgemeldet, Trenk folgte am Sonntag Abend: Schlimmes Knie - vielleicht Operation. Übrig blieb ich. Was tun? Ich hatte mich so gefreut, ich hatte es so nötig, mal raus zu kommen, mal ein paar Tage frischen Wind um die Nase zu spüren - und sonst nichts.

Hartmut aus Berlin wollte gerne einspringen. Aber der konnte am Sonntag nicht und ich am Freitag nicht und ein Tag paddeln war mir zu wenig für eine Autofahrt nach MacPomm. Irgendwie war ich hin und hergerissen, lustlos und unentschieden. Aber irgendwie wollte ich auch unbedingt das reservierte Wochenende nutzen. Damit ich nicht auch noch abspringe, ging ich die Abmachung mit mir ein, am Samstag vom Klub aus in die Eckernförder Bucht zu fahren, dort auf meinem bewährten Platz an der Walddühne zu übernachten und am Sonntag wieder zurück zu fahren. Das hätte auch den Vorteil, dass ich am Freitag Abend noch in aller Ruhe meine Sachen packen könnte, denn dazu war ich bisher nicht gekommen.

Freitag Mittag geht dann der Alarm los: Marie-Theres ruft an, dass der Keller schon wieder unter Wasser steht, der Abfluss nicht tut, und Armin, den Klemptner, kann sie nicht erreichen. So verbringe ich den Abend also nicht mit Packen, sondern versuche zwischen Baumarkt und Keller pendelnd, unsere Hinterlassenschaften zu überreden, ihrem gewohnten Weg wieder mit der gebührenden Geschwindigkeit zu folgen. Selbst für Armin blieb diese Verstopfung ein Rätsel, hatte er das Rohr doch erst einen Tag zuvor mit Kamera und Fräse gängig gemacht.

Macht nix - ich kann ja Samstag packen. Wenn ich am Strand übernachten will, ist es eh nicht ratsam, allzu früh vor Ort aufzulaufen. Wegen des guten Wetters würden jede Menge Spaziergänger dort flanieren, so dass ich mein Zelt nur ungerne vor Sonnenuntergang aufbauen würde. 18 Uhr habe ich mir im Stillen als ETA gesetzt, woraus ich ohne Umschweife auf eine Abfahrtszeit von drei Uhr schließe. Irgendwann im Laufe des Vormittags dämmert es mir aber, dass es von drei bis 18 Uhr nur drei Stunden sind, und ich eigentlich kaum 30 Kilometer paddelnd in drei Stunden bewältigen kann. Trotz meiner fundierten Erfahrung, der immer wieder praktizierten Übung und den zahlreichen Vorträgen, bei denen ich noch nicht so versierten Paddlern die Grundlagen der Tourenplanung zu vermitteln versuche, bekomme ich es diesmal irgendwie nicht hin, meinen Vormittag halbwegs vernünftig zu organisieren, so dass alles mit meinen Plänen konform geht.

Schließlich ist es also halb drei, als ich dick eingepummelt im Schiff sitze und Gerrit mich am Steg beim Ablegen fotografiert. Das Wetter ist vergleichsweise versöhnlich und der Wind kommt quasi genau aus Süd - was hinten ist, und er kommt kräftig. Die Wellen vor mir sehen aus, als hätten sie es eilig, als müssten sie unbedingt und dringend aus der Förde raus. Als seien sie in Panik, überholen sie quasi ihre Vorgänger, nur um direkt darauf dasselbe Schiksal durch ihren Nachfolger zu erleiden. Ich komme schnell mit meinem vollbeladenen Boot ins Surfen. Es sind lange, schöne Surfs dabei, die mich kaum aus dem Kurs bringen. Es ist ein entspanntes Fahren. Da ist nichts, was fordert, was Aufmerksamkeit verlangt, Stress oder Anstrengung verursacht. Ich kann meinen Gedanken nachhängen.

Das wollte ich doch - allein sein auf dem Wasser mit mir und dem Meer, mit den Wind und den Wellen. Wenn ich mich umschaue, ist da tatsächlich niemand - ich bin alleine. Aber irgendwie bin ich doch nicht allein, denn alle sind sie mitgefahren: meine Eltern, mein Bruder, meine Frau - ja, und der Verein ist auch dabei. Das Leben, das ich eine Weile hinter mir lassen wollte, hat lange, klebrige Tentakeln.

Es dauert keine zwei Stunden, bis ich Bülk passiere. Das sind immerhin 15 Kilometer, ich bin durch den Rückenwind und die vielen, ausgedehnten Surfs unglaublich schnell. So kann ich vielleicht doch noch vor Einbruch der Dunkelheit mein Ziel erreichen. Wies mein Kurs bisher mit beeindruckender Geradlinigkeit genau nach Norden, so schwenkt er nun um 45 Grad nach Westen. Zusammen mit dem Steilufer heißt das erst einmal quasi Windstille. Ab dem nächsten Knick der Küstenlinie vor Dänisch-Nienhof weht mir dann ein leichtes Lüftchen bis zu meinem Ziel entgegen. Es sind immer wieder Spaziergänger am Strand unterwegs. Sie sind recht klein und ich bin mir nicht sicher, ob sie mich überhaupt wahrnehmen, denn ich fahre zwischen zwei- und dreihundert Meter weit draußen. Aber alle Fußgänger, die in meine Richtung gehen, hänge ich nach kürzer Zeit ab. Ich bin also immer noch mit guter Geschwindigkeit unterwegs.

Um die militärische Versuchsanlage vor Surendorf mache ich einen weiten Bogen - weiter als er sein müsste. Danach fahre ich wieder dichter ans Ufer, denn ich weiß nicht mehr so ganz genau, wo mein Zielzeltplatz liegt, und die Sonne ist auch schon unter gegangen. Ich habe mir eine Stelle am Ufer ausgeguckt, von der ich felsenfest überzeugt bin, dass sie mein Ziel ist. Aber als ich den Strand abschreite, sieht das ganz und gar nicht nach dem aus, was ich erwartet hatte. Eine Weile zweifele ich, ob sich die Uferlinie hier vielleicht nur stark verändert hat und man den Zaun um das Naturschutzgebiet der Walddüne näher ans Wasser verlegt hat. Aber dann beschließe ich, dass ich einfach gehörig zu weit gefahren bin.


Ich treidele mein Boot etwas zurück, damit ich es nicht unnötig weit durch den Sand ziehen muss, zum Ersatzzeltplatz, den ich mir ausgesucht habe. Die ganze Arie, meine Siebensachen aus dem Boot zu holen, das Zelt aufzubauen, das Boot nachzuholen und mich umzuziehen, dauert eine Ewigkeit. Natürlich bin ich müde von der langen Fahrt, aber mehr noch bremst mich die Kälte. Zwar friere ich nicht im Geringsten, aber Temperatur liegt nur wenig über dem Gefrierpunkt und lässt meine Bewegungen in Zeitlupe ablaufen. Alleine meinen Bootswagen zusammenzubauen, das Boot darauf zu stellen und vor allem den Spanngurt mit kalten Fingern im Dunkeln durch die Ösen am Wagen zu fädeln, dauert mindestens zehn mal so lange, wie gewöhnlich. Immerhin habe ich Glück, denn es herrscht Halbmond und der erhellt die Szenerie immerhin soweit, dass ich alles einigermaßen auch ohne Stirnlampe erkennen kann. Über eine Stunde brauche ich vom Moment des Anlandens, bis ich mich endlich in mein Zelt zurückziehen und die nassen Paddelklamotten ausziehen kann.

Ich habe gut zu Mittag gegessen, daher brauche ich meinen Kocher nur, um mir erst einen heißen Kakao und dann einen heißen Tee zu kochen. Die beiden brauche ich aber dringend, um wieder Leben in meine kalten Glieder zu bekommen. Den Tee ohne Honig - ist ja Fastenzeit. Luftmatraze aufpumpen, die nassen Sachen verstauen, das Boot für die Nacht fertig machen, Brote schmieren, essen - und eben Tee kochen. Alles bedarf hoher Konzentration und geht ausgesprochen langsam. Und immer darauf achten, wo man den Löffel oder den Kochergriff hingelegt hat. Und trotzdem bin ich immer am Suchen. Ich bin so beschäftigt mit elementaren Notwendigkeiten und Erledigungen, dass ich alle Hände voll zu tun habe. Und niemand ist da, der mir helfen kann. Niemand? Alle, die vorhin mitgefahren sind, sind mittlerweile zurückgeblieben. Hier bin ich wirklich alleine und nur mit meinem eigenen Sein beschäftigt. Und draußen scheint wunderschön der Mond.