Sonntag, 23. August 2015

Spießer auf Tour!

Meine alljährliche Tour auf der Flensburger Förde ist vornehmlich für Leute gedacht, die mit dem Paddeln gerade angefangen haben und "weiter hinaus" wollen - vorzugsweise solche, denen ich im betreffenden Jahr in meiner Einsteigertruppe das Paddeln beigebracht habe. Die Resonanz aus dieser Zielgruppe ist aber seit jeher nur sehr verhalten, und ich werde mir überlegen, wie ich damit umgehen werde. Auch dieses Jahr sind wir eine kleine Gruppe und mit Carola ist lediglich eine einzige Teilnehmerin dabei, die neu im Geschäft ist.

Es ist durchgängig frischer Ostwind für das Wochenende angesagt, der am Sonntag seine größte Stärke entfalten soll. Die Option, den kleinen Belt gegen einen lauen Wind zu queren und dann mit frischem Rückenwind zurückzusurfen, fällt als nicht zielgruppenkompatibel aus. Auch die übliche Variante, in die Förde hinein und am Sonntag wieder heraus, bietet sich unter diesen Bedingungen nicht wirklich an. Also bleibt nur der Alsenfjord, den wir problemlos befahren können. Auch bei dieser Variante bleibt immer noch die Rückfahrt am Sonntag bei frischem Ostwind eine herausfordernde Aufgabe.

Die Packorgie am Strand von Habernis wird untermalt von einem bestialischen Gestank, der von den an den Strand angeschwemmten Algen verursacht wird. Ein Bagger mit gigantischer Schaufel ist gerade dabei, sie zusammen zu schieben, damit sie abtransportiert werden können. Die Besucher des kleinen Strandes freuen sich schon auf eine geruchsärmere Zukunft.

Die Überfahrt nach Broager ist wenig spektakular - doch halt! Normalerweise versuche ich meinen Begleitern immer nahezubringen, dass man seinen Kurs mittels Deckpeilung von Wind und Strömung unabhängig halten und damit optimal gestalten kann. Mein Erfolg damit hält sich meist in engen Grenzen. Dieses Mal habe ich die Kante der vor uns liegenden Steilküste und einem Busch mitten auf einem Hügel am Horizont als in Deckung zu haltende Objekte dafür angeboten. Das Ergebnis ist eine beeindruckend gerade verlaufende Linie unserer GPS-Spur! Geht doch!

Die ganze Zeit über hat Johanna sich schon auf den Moment gefreut, mein Gesicht zu sehen, wenn sie ihr neues Zelt aufbauen würde! Nach ihrer immer nur müde belächelten lila Lidl-Hütte hat sie sich nun ein echtes High-Tech-Zelt geleistet, das jeden eingefleischten Outdoorer mit Neid erfüllt! Ich bin beeindruckt!

Unbelastet durch Tide oder hochtrabende Pläne lassen wir es am Samstag Morgen gemütlich angehen. Der Wind ist lieblich und das Wasser liegt wunderbar blaugrün und erfrischend klar in seinem Bett. Sonderburg ist bald passiert und zeigt sich von Jahr zu Jahr moderner und mondäner - oder mondänischer? Im Sund geht eher gar kein Wind, so dass Johanna hier eher langweilig zumute ist. Wir laufen den Übernachtungsplatz in Arnkill an, um ihn zu inspizieren. Nach einer Pause mit einer kleinen Stärkung wechseln wir die Seiten und nehmen den gegenüber liegenden neuen Übernachtungsplatz in Augenschein. Der ist eindeutig spießiger als der erste, aber manchmal sind so ein richtiges Klo und fließend Wasser auch nicht zu verachten!

Wir wollen noch ein wenig das schöne Wetter nutzen, und ich biete an, dass wir vor der Nordspitze der Halbinsel zwischen Alsensund und Augustenburgfjord Rollen üben können. Carola macht ihre ersten und Johanna einige vielversprechende Versuche in dieser Richtung. Hanno zerbricht bei der Gelegenheit sein Paddel. Aber als echter Seekajaker hat er natürlich Ersatz dabei. Während für Carola der Tag voll ist und sie schon mal zu unserem spießigen Zeltplatz paddelt, fahren wir anderen noch ein Stück den Alsenfjord hinauf. Johanna braucht unbedingt noch eine Herausforderung, bevor sie diesen Tag als erfüllt ansehen kann. Wie ein junger Hund jiepert sie nach Bewegung! Der Rückenwind bläst frisch und wir machen höllisch Fahrt. Bei manchen Surfs sind wir über zehn Stundenkilometer schnell - das junge Hündchen immer vorweg! Das ändert sich, als wir umkehren und uns der Wind ins Gesicht bläst. Durch das lange und leidvolle Training meiner Tour von Göteborg nach Oslo nehme ich Gegenwind nicht mehr wirklich ernst und paddle stur meinen Stiefel runter - notfalls auch für Stunden. Trotzdem ist bemerkenswert, wie gut Johanna und Hanno mithalten. Es wird nicht mehr lange dauern, bis auch bei diesen Bedingungen jemand anders vorne fährt!

Am Sonntag müssen wir nur irgendwie wieder zurückkommen. Auch heute machen wir auf Urlaub und dehnen das Frühstück genüsslich aus. Die Strecke bis hinter Sonderburg ist aber doch von einiger Länge und Carola hat etwas Schwierigkeiten mit ihrem Handgelenk. Da sie mit ihrem Boot noch nicht wirklich intim ist und sie am Freitag einigermaßen mit Wind und Kurs gehadert hat, bin ich einigermaßen skeptisch, ob sie die Querung der Flensburger Außenförde problemlos bewältigen wird. Es gäbe die Hasenvariante, bei der wir die Bucht Vemmingbund ganz ausfahren und uns an der Steilküste von Broager entlangdrücken würden - aber das würde keine Grenzüberschreitung bedeuten und der Kämpfernatur in Carola nicht gerecht. So gehe ich den Kompromiss ein, dass wir von Sonderburg aus erst einmal ein Stück genau nach Osten paddeln, um Höhe gegen den Wind zu machen und damit einen besseren Kurs auf unser Ziel fahren zu können.

Bei der Überfahrt bleibt mir einige Male das Herz kurz stehen. Das liegt an folgendem: Die Wellen sind erklecklich, die größten erreichen so etwa einen Meter. Carola kann absolut noch nicht stützen. Und außerdem ist sie immer noch nicht glücklich mit dem Verhalten ihres Bootes bei Seitenwind. Wenn man diese drei Zutaten zusammengibt, entstehen Situationen, in denen Carola das Skeg verstellen möchte, dazu das Paddel parallel zur Bootslängsachse auf ihre Schulter legt (so dass der Wind prima in die Blätter fassen kann!) und dann eine große Welle ihr Boot verwackelt! Meiner Erwartung nach hätte sie einige Male guten Grund gehabt umzukippen! Aber Carola lässt ihr Boot bei jeder Welle ganz gelassen mit der Hüfte abwackeln, stellt ihr Skeg wunschgemäß ein, holt das Paddel wieder von der Schulter und paddelt in aller Seelenruhe weiter! Ich glaube, ich habe viel mehr Stress, weil ich die ganze Zeit versuche, immer exakt zwei Meter neben ihr zu paddeln, was bei den herrschenden Bedingungen nicht ganz einfach zu bewerkstelligen ist.

Am Strand von Habernis angekommen, hat sie eindeutig mehr Grenzen überschritten, als nur die deutsch-dänische Landesgrenze!