Sonntag, 29. September 2019

Fahrt ohne Wiederkehr 2019

Im vergangenen Jahr musste die Dämmertour nach Schönberg ausfallen, weil es Gerdi sehr schlecht ging. Dass Ingrid eindringlich darum gebeten hat, diese Tradition auch fortzusetzen, obwohl Gerdi nicht mehr bei uns ist, hat mich sehr gefreut, und ich bin der Bitte gerne nachgekommen. Die Rückmeldungen waren überraschend sparsam, so dass ich mir keine allzu großen Sorgen machen musste, dass wir die Kapazität von Ingrids Wohnzimmer sprengen würden. Aber ich habe nichts gegen eine gemütliche Fahrt im intimen Kreis von sechs Teilnehmern.

Die Sache mit der logistischen Organisation der Rückfahrt ist immer etwas aufwendig, aber letztlich nicht wirklich kompliziert. Allerdings hat die Stadt diesmal alles daran gesetzt, mich daran zu hindern, rechtzeitig zum Treffzeitpunkt am Klub zu erscheinen: Im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 30. Jubiläum der Deutschen Wiedervereinigung waren alle Straßen, die ich hätte nehmen können, gesperrt. Letztlich habe ich mein Auto irgendwo in der Reventlou-Allee geparkt und bin die letzten fünfhundert Meter mit meiner Paddelkiste unterm Arm zu Fuß zum Klub gelatscht. Die anderen kamen von Süden und hatten mehr Glück mit dem Durchkommen. Auch um die drei Autos dann aus Kiel rauszuwinden, müssen wir uns einiger Verbotsübertretungen bedienen, weil wir sonst nie zum Ziel gekommen wären. Dafür lässt sich bei der Rückfahrt der grimmig dreinblickende Wächter an der Absperrung in Sichtweite vor unserem Vereinsgelände überraschend schnell überreden, uns Durchlass zu gewähren.

Die Boote werden sorgfältig mit unterschiedlichen Ausführungen von Leuchtmitteln geschmückt und (fast) pünktlich um 17 Uhr legen wir ab in Richtung Norden. Als erstes müssen wir uns durch ein Feld von Segelyachten kämpfen, die offensichtlich an einer Regatta teilnehmen. Im Eifer des Gefechts hat eine Yacht ihren Spinnacker falsch herum montiert! Funktioniert aber auch so!

Das Wasser der Förde ist heute unheimlich braun. Eine Folge des vielen Regens der vergangenen Tage. Aber entgegen der Wettervorhersage von gestern hat bis jetzt den ganzen Tag die Sonne geschienen. Allerdings ist nach der heutigen Vorhersage für den späteren Abend doch noch ergiebiger Regen angekündigt. Der Wind kommt erstaunlich südlich und schiebt uns mit frischen fünf Beaufort aus der Förde heraus.

Nördlich des Friedrichsorter Leuchtturms habe ich ordentliche Wellen erwartet, aber komischerweise sind sie hier kleiner als in der Heikendorfer Bucht. Der Himmel hat sich mittlerweile ziemlich zugezogen und ich versuche verzweifelt, die Glockentonne auszumachen. Es sind unheimlich viele Tonnen zu sehen, die da eigentlich gar nicht hingehören, aber die Glockentonne ist nicht darunter. Des Rätsels Lösung ist, dass mal wieder ein umfangreiches Sperrgebiet eingerichtet wurde, in dem der Meeresgrund nach unguten Hinterlassenschaften aus dem Krieg abgesucht wird. Dort, wo normalerweise unsere klingelnde Wendemarke liegt, dümpelt nun eine rot gestreifte, gelbe Sperrgebietstonne rum.

Die Yacht birgt gerade den Kite-Surfer
- die Stena tuckert nach Schweden
Meine Vorgabe war, die Ansteuertonne Marina Wendtorf um 19 Uhr zu erreichen - also genau bei Sonnenuntergang. Trotz fünfminutiger Verspätung unserer Abfahrt erreichen wir die Tonne bereits zwanzig vor sieben - dem Südwind sei Dank! Schon aus einiger Entfernung fällt uns ein Kite-Surfer auf, der verzweifelt versucht, gegen den ablandigen Wind ans rettende Ufer zurück zu kommen. Allein - er schafft es nicht. Aus mir unerfindlichen Gründen läuft noch eine Segelyacht aus dem Hafen der Marina aus und nähert sich dem Surfer. In einer komplizierten Aktion werden er und sein Kite vom Wasser geborgen. An Bord wird der offensichtlich deutlich ausgekühlte Sportler erst einmal versorgt. Gut, dass die Yacht ihn aufgenommen hat - sonst hätten wir unseren Plan ändern müssen!

Im Hintergrund die krass beleuchtete Aida (Foto: Mona)
Ab hier lasse ich Zweiergruppen bilden und weise eindringlich darauf hin, dass wir uns ab nun ständig gegenseitig im Auge behalten müssen. Es wird auch rapide dunkler und unsere unterschiedlichen Beleuchtungsstrategien sind unterschiedlich geeignet. Basti fährt ein grell leuchtendes Navi-Light auf dem Heck mit sich herum, dass dermaßen blendet, dass niemand neben ihm fahren will. Die kleinen Armreifen-Knicklichter taugen nichts, sie sind einfach viel zu schwach, so dass man sie schon nach wenigen Metern Entfernung nicht mehr sieht. Am besten ist noch Monas Beleuchtung: sie hat ihr Navi-Light auf den Kopf geschnallt - aber die Kapuze darüber! So wird das Licht genau so weit gedimmt, dass es nicht mehr blendet, man sie aber trotzdem prima sehen kann.

Obwohl wir nach der Pause an der Ansteuertonne deutlich langsamer unterwegs sind, sind wir bereits um halb neun am Strand zwischen der 13. und 14. Laterne. Der Regen, der quasi mit dem Sonnenuntergang eingesetzt hatte, hatte in der Zwischenzeit ausgesetzt - nur um genau jetzt wieder anzufangen! Zum Glück gibt es hinterm Deich ein Toilettenhäuschen, das wir nutzen, um uns in trockene Kleider zu schmeißen. Die Kleider bleiben allerdings nicht wirklich trocken, weil das Verstauen der Boote auf mein Auto seeehr lange dauert - und der Regen seeehr ergiebig ist. So muss ich Ingrid um ein Handtuch bitten, das ich mir unterlegen kann, um nicht ihre schönen Polsterstühle zu ruinieren.

Ingrid freut sich sichtlich, dass es geklappt hat mit dem Besuch und sie mal wieder "junge" Leute in der Bude hat. Um diese Jahreszeit tanzt in Schönberg nicht unbedingt der Bär und sie ist meist recht alleine in dem Haus. Sie versorgt uns mit Unmengen leckeren und heißen Tees - wir steuern Bienenstich und Negerküsse bei. Es wird wild geschnattert über dies und das und vor allem übers Paddeln, und Mona und Ingrid stellen fest, dass sie gemeinsame Bekannte in Hamburg haben. Als wir uns nach elf auf den Heimweg machen, haben wir die Einladung im Gepäck, nächstes Jahr wiederkommen zu dürfen. Das will ich gerne in Angriff nehmen!