Freitag, 1. November 2019

Halloween auf Drejö

Manche Einleitung könnte ich kopieren, weil sich die Ereignisse gleichen: Tour lange Monate im Voraus geplant, dann rückt das Datum näher und schließlich trudelt Trenks Absage ein. "Rüsselseuche" wie er zu sagen pflegt. Scheint ein Abo auf Ende Oktober zu haben. Vermutlich ist Trenk noch geknickter als wir. Meine Befürchtung, dass auch Peter in den Sack hauen könnte, weil so lange Funkstille aus seiner Richtung dröhnte, war aber vollkommen unbegründet: er hatte zwar auf meine Mail geantwortet, die Antwort aber nur an Jörg geschickt! Diese moderne Handy-Technik ist eben für uns alle noch Neuland.

Ich hätte für jede Absage auch Verständnis gehabt, denn die Wettervorhersage war nicht so gestrickt, dass man sich gezwungen sehen musste, auf eine Zelt- und Paddeltour zu gehen. Aber die beiden anderen waren wild entschlossen, so dass ich mir fast etwas fremd vorkam in der Rolle des Bremsers: Wir hatten durch den lutherischen Feiertag zwar vier Tage zur freien Verfügung, aber die Kälte meiner Schleimünde-Tour noch in guter Erinnerung und die Aussicht auf durchgängigen Regen ab dem dritten Tag ließen mich doch darauf drängen, dass wir uns auf die ersten zwei Tage beschränken. Zum Glück war das kein großes Problem für meine verbliebenen Mitfahrer.

Wir treffen uns am Reformationstag um zehn Uhr morgens am Klub - wo bereits eine rege Geschäftigkeit herrscht. Allerhand Paddelbegeisterte wollen ebenfalls den freien Tag für einen Ausflug ins Feuchte nutzen. Natürlich wirkt sich das Getreibe nicht günstig auf unseren Abfahrtstermin aus, denn jeder muss ja mit jedem noch kurz ein Schnäckchen halten.

Was uns allerdings wirklich nach hinten wirft, ist der Anspruch unserer dänischen Freunde, an ihrer Grenze jedem Einreisenden einzeln grimmig ins Auge blicken zu wollen, um dadurch festzustellen, ob derjenige vielleicht illegal Wildschweine im Kofferraum mit sich führt. Wir blicken wie gewohnt unschuldig zurück und werden wortlos durchgewunken.

Erst bin ich etwas irritiert, weil im Hafen von Fynshav praktisch nur deutsche PKW parken. Dann dämmert mir aber, dass heute in Hamlets Reich ja ein furznormaler Arbeitstag ist, und die Deutschen die günstige Gelegenheit des langen Wochenendes nutzen, ihre hier liegenden Segel- und Motorboote winterfest zu machen.

Um viertel nach eins gleiten wir elegant in unsere Boote - unter strahlendem Sonnenschein und bei moderaten Temperaturen. Trotz dieser lieblichen Bedingungen haben wir uns natürlich winterfest eingepummelt. Da meine Borduhr noch auf Sommerzeit eingestellt ist, bin ich auch felsenfest davon überzeugt, dass wir erst in stockdusterer Nacht unseren Zielort erreichen. Und dann wird es eine erkleckliche Zeit unserer Überfahrt schon noch so kalt sein, dass wir froh über unsere mollige Unterwäsche sein werden.

Leider ist der Wind allzu lieblich, so dass wir zwar mächtig schwitzen - aber nicht, weil wir uns so anstrengen! Nur die Hoffnung auf eisige Temperaturen, wenn die Sonne erst einmal weg ist, hält uns aufrecht. Als ich durch eine kleine Nachhilfe meiner Begleiter aber einsehen muss, dass wir praktisch noch mit dem letzten Büchsenlicht ankommen werden, ist ein guter Teil dieser Hoffnung dahin. Nun gut, wir sind harte Männer und nehmen Kummer und Rückschläge stoisch hin.

Als wir die Nordspitze von Ärö genau querab haben, machen wir Pause. Jörg hat den Eindruck, dass wir während dieser Zeit rückwärts treiben, aber tatsächlich schiebt uns der Wind immer noch mit ca. einem Stundenkilometer unserem Ziel entgegen. Dass während unserer Untätigkeit die Wellen an uns vorbeiziehen, verursacht den Eindruck, dass man in der Gegenrichtung treibt.

Der Himmel ist herbstlich blau. Es ziehen Cirren auf, die Vorboten des schlechten Wetters, und es sind erstaunlich viele Chem-Trails zu sehen. Offensichtlich hat die Regierung ihr Programm zur Bevölkerungsreduktion intensiviert. Eine andere plausible Erklärung fällt mir nicht ein.

Nach exakt vier Stunden schrammen wir auf den Sand vor dem Shelter-Ensemble von Drejö. Das sind exakt sieben Stundenkilometer netto, wenn man die Pause abzieht, sogar 7,5. Ich bin immer wieder fasziniert, wie zügig man auch mit vollbeladenen Booten unterwegs sein kann - und dass wir diese Geschwindigkeit auch über einen Zeitraum von vier Stunden halten.

Die Inspektion der Shelter-Anlage fördert erst mal wenig Ermutigendes zu Tage: Ganz offensichtlich sind hier Handwerker zugange, denn keine der Holzhütten hat noch eine Tür, und es riecht auffällig verbrannt. Erst vermuten wir Brandstiftung, schwenken später aber um, dass irgendwelches Pech zur Konservierung der Außenschindeln diesen Geruch verursacht. Dummerweise und absolut nicht nachvollziehbar haben die Handwerker auch noch die Eingangsöffnung durch Anbringen eines Brettes so verkleinert, dass man sich beim Eintreten zwangsläufig die Birne daran stoßen muss. Aber im wesentlichen ist die Küchenhütte intakt, so dass wir unser Abendbrot darin bereiten können. Zur Erhöhung der Gemütlichkeit, bugsieren wir noch ein geeignetes Exemplar des herumlungernden Plattenmaterials vor die klaffende Türöffnung.
Zwischen fauchenden Kochern und vielen Köstlichkeiten, die jeder aus seinem Proviant zaubert, kommt herrliche Behaglichkeit auf. Die wird nur irgendwann empfindlich gestört durch eine auf der Suche nach ihrem Winterquartier irrlichternde Wespenkönigin . "Bsssssss" summt sie über unseren Köpfen herum. "Bsssss" umschwirrt sie Jörgs Nase, "Bssssss" schon sitzt sie auf meiner Hand, "Bsssss" an der Decke - und so fort. Peter hat einige entzückende rosa Teelichter mitgebracht, die verführerisch nach Himbeeren duften. "Bsssrgrmpf!" - eine herrliche Ruhe stellt sich ein!

Da auch die Schlafshelter in keinem benutzbaren Zustand sind, bauen wir in der Dunkelheit noch unsere Zelte auf und ziehen uns irgendwann in sie zurück. Eigentlich ist es wunderbar still, aber die vielen Flugzeuge zum Ausbringen der Chem-Trails verursachen einen solchen Lärm, dass ich mir schließlich doch Ohrenstöpsel reinschraube.

Es war wohl so gegen zehn Uhr, als wir uns gestern Abend in die Schlafsäcke kuschelten. Aber keiner von uns hat Schwierigkeiten, heute Morgen bis acht zu schlafen. Zum Aufwachen geht jeder zunächst einmal eigenen Verrichtungen nach. Ich begleite meinen Teller, der immer noch vom Abendessen vor Fett trieft zum Spülsaum und versuche so etwas wie einen Abwasch. Geht so mittelgut. Das Wasser ist halt arschkalt, so dass mir die Hände fast gefrieren und Spüli habe ich auch keines dabei, so dass das Fett nur wenig beeindruckt wird und ich es allenfalls zu einem gleichmäßigen Film verteilen kann, statt es zu entfernen. Danach halte ich meine Finger vor meinen Mund, um ihnen wieder Gefühl einzuhauchen. Ein Dutzend Meter von mir entfernt tritt ein dänisches Pärchen an den Strand, die beiden legen ihre Handtücher ab, die sie als einzige Bekleidungsstücke noch dabei haben und - stratzen schnurstraks in die Ostsee! Der Anblick lässt mich unmittelbar erschaudern!

Jörg hat vorher mit dem Pärchen etwa folgenden Dialog geführt, als sie über unseren Zeltplatz kamen: "Uih! Ihr zeltet hier? Ist das nicht furchtbar kalt?" "Nö. eigentlich nicht. Und ihr, wollt ihr spazieren gehen?" "Nein, wir wollen baden!" " Uih! Ist das nicht furchtbar kalt?" Es gibt halt verrückte Menschen!

Beim Frühstück weigert sich Peters Kocher beharrlich, seinen Dienst ordnungsgemäß zu tun. Da tritt immer Gas an einer Stelle aus, die nicht dafür gedacht ist. Das sieht nicht gut aus und so sind wir auf meinen Kocher angewiesen. Allerdings hat der keine geeignete Fläche, auf die man Peters Espresso-Maschine stellen könnte. So grummelt und grätzt er eine ganze Weile herum, bis wir eine Lösung finden: Es gibt einen einzigen Haken in dieser Hütte (ein genereller Mangel aller dänischen Shelter: sie bestechen durch Abwesenheit jeglicher Aufhängemöglichkeiten!). Ich platziere meinen Kocher genau unter diesem Haken, und mit dem Zwirn meiner Ahle, die ich seit dreißig Jahren mit mir führe, basteln wir eine Aufhängung, so dass die Espresso-Maschine frei schwebend über der fauchenden Flamme meines Kochers pendelt! So entspannen sich Peters Gesichtszüge zunehmend und wir laufen nicht Gefahr, die Rückreise mit einem grantigen, pausenlos grummelnden Begleiter antreten zu müssen.

Der Wind hat, wie von der Wettervorhersage versprochen, heute Nacht deutlich aufgefrischt und seine Richtung grundlegend geändert. Er bläst mit fünf bis sechs Beaufort eher aus Südost als dem vorhergesagten Südsüdost. Uns soll's recht sein. Allerdings macht er erst einmal das Einsetzen am sandigen Strand etwas schwierig. Wir versuchen, die Skegs so gut es geht ohne Verstopfung durch die Brandung zu bekommen. Aber natürlich klappt das nicht! Peters Finne ist nach dem Start so bombenfest verkeilt, dass Jörg sie nicht lösen kann und ich mit meinem Messer ran muss. Nach dem GPS-Track hat es 2min 57sec gedauert, bis ich das Teil frei bekommen habe. Das hört sich nicht viel an, aber wenn man mal versucht, drei Minuten ohne Sicht unter Wasser mit einem Messer in einem kaum zu ertastenden Skeg-Kasten rumzufummeln, ist das verdammt lange.

Peter ist heilfroh, dass sein kleiner Helfer wieder einsatzbereit ist, denn der Wind steht genau querab und ohne Skeg würde man sich hier zu Tode rudern. Die Vorhersage hatte zehn Meter pro Sekunde aufgerufen, was am oberen Ende des für die Windstärke fünf gedachten Bereichs liegt. Als wir abgelegt hatten, war das Meer auch dementsprechend weiß gesprenkelt. Allerdings frischt es immer wieder deutlich auf und weht mindestens die halbe Zeit mit eindeutigen sechs Beaufort. Ich merke das spätestens, wenn ich versuche zu fotografieren und das Paddel nur mit einer Hand halten kann. Dann ist es schwierig zu verhindern, dass der Wind es in eine ihm beliebige Richtung schlägt.

Die Wellen sind regelmäßig knapp unter einem Meter, aber natürlich viele auch darüber. Das ist deutlich interessanter als das Gleiten über glattes Wasser gestern! Wir fahren zuerst einen deutlich südlicheren Kurs als zum Erreichen unseres Zwischenziels, des Leuchtturms Skjoldnäs, notwendig gewesen wäre. Gesteuerte 240 Grad, aus denen der Wind 260 Grad macht. Dadurch kommen wir eher in den Genuss der Abdeckung durch das Ärö'sche Festland. Auf Höhe von Söby schwenken wir ein und und lassen uns nach Norden schieben.

Am Westende von Ärö gehen wir an den Kieselstrand und machen Pause. Zwar ist die Sonne die ganze Zeit bisher durch den Wolkenschleier zu sehen, aber außer ihrer Positionsmeldung schickt sie keine Wärme herunter. Entsprechend wenig gemütlich ist der Aufenthalt in der Mulde im Gras, in die wir uns gekauert haben, um dem Wind zu entgehen. Bevor wir uns wieder auf die feuchten Socken machen, joggen wir etwas am Strand entlang, um wieder in die Nähe unserer Betriebstemperatur zu kommen. Ich schnalle mir zusätzlich noch meine rote Kapuze über die krassgelbe Mütze, weil letztere nicht gesichert ist und ich die gesamte Fahrt hierher fürchten musste, dass der Wind sie mir vom Kopf weht.

Während unserer Pause ist die 100% elektrische "Ellen" an uns vorübergezogen. Die Fähre will wie wir nach Fynshav. An ihr können wir beobachten, wie sie gefährlich stampft und rollt, was auf richtig große Wellen deutet. Die lassen auch gar nicht lange auf sich warten. Schon bald nach unserer Abfahrt pflügen wir durch Wasserberge, die deutlich höher sind als die, die uns eben zwischen den Inseln begegnet sind. Wir legen unseren Kurs am Anfang auf genau West - also 270 Grad. Wind und Wellen machen daraus allerdings 283. Wären wir konsequent bei diesem Kurs geblieben, wären wir sage und schreibe 550 Meter nördlich der Hafeneinfahrt gelandet. Das finde ich schon ganz ordentlich navigiert! Allerdings entschließen wir uns doch, etwas rigoroser vorzuhalten, als wir den Ort deutlich ausmachen können.

Große Wellen kann man nicht fotografieren!
Ich überlege die ganze Zeit über, ob es nicht eine gute Gelegenheit wäre, hier und unter solchen Bedingungen einmal eine Rettungsübung zu versuchen. Aber so unbeweglich, wie man in den dicken Klamotten und bei den niedrigen Temperaturen ist, finde ich das Risiko für zu hoch. Andererseits denke ich, dass wir ja schließlich unter solchen Bedingungen fahren, und da wir nicht unter allen Umständen davon ausgehen können, dass nichts passiert, müssen wir sicher sein, dass wir eine Rettungsübung erfolgreich abschließen würden. Bei diesen Überlegungen ärgere ich mich auch die Krätze, dass ich mein Funkgerät und auch sonst keine Seenotmunition mitgenommen habe. Wäre Trenk mitgewesen, hätte ich es natürlich eingepackt, allein schon um uns gegenseitig anfunken  zu können, aber so - was soll ich da mit dem Gerät? Und bei der kompetenten Begleitung sind die Raketen doch eh überflüssig. Das stimmt alles, ist aber trotzdem hochgradig unprofessionell, und das ärgert mich.


Einen knappen Kilometer vor der Küste ändern wir unseren Kurs wieder deutlich nach Norden, so dass wir direkt auf die Hafeneinfahrt zuhalten. Damit haben wir die Wellen wieder genau achterlich, das reizt zum Surfen. Aber ein vollbeladenes Boot ins Surfen zu bekommen, ist leider mörderisch anstrengend, besonders am Ende einer durchaus fordernden Tour. Und so trudeln wir eher gemächlich unserem Endziel entgegen. Der angekündigte Wetterumschwung tritt gerade ein: es fängt an zu regnen.

Kleiner Schlenker kurz vor dem Ziel
Keine fünfhundert Meter vor der Hafeneinfahrt signalisiert mir mein peripheres Radar Alarm: Aus den Augenwinkeln sehe ich Peter umkippen! Ich rufe laut, um auch Jörg zu stoppen. Peter versucht noch dreimal, die Situation durch Rollen  wieder zu entschärfen, aber ich sehe, dass seine Position im Boot nicht optimal ist und weiß, dass die Chancen auf Erfolg gering sind. Jörg und ich nehmen ihn in die Mitte und bevor wir uns versehen, sitzt er wieder im Cockpit. Allerdings in Gesellschaft von so viel Ostseewasser, dass sein Süllrand bündig mit der Oberfläche des Kleinen Beltes abschließt. Gemeinsam versuchen wir, sein Cockpit wieder leer zu bekommen. Erschwert wird das dadurch, dass Peters Deckspumpe nicht einsatzbereit ist. So müssen wir die Spritzdecke offen halten, um mit meiner Pumpe zu arbeiten. Zum Glück hatte Peter aber sein Käsebrot in einer großen Tupperdose im Cockpit deponiert, so dass wir die Dose auch zum Schöpfen benutzen können. Derweil schwimmt das Käsebrot einträchtig mit der Cabanossi zwischen seinen Beinen herum. Zwar kommen immer wieder Schwälle von Wasser rein, aber wir schaffen es, den Füllstand so zu erniedrigen, dass Peter wieder ohne Unterstützung die restlichen 400 Meter paddeln kann.

Glücklich an Land
Hinterher war er eigentlich eher erleichtert über das Missgeschick (von dem er gar nicht weiß, wie es passiert ist). Das Wasser war gar nicht so kalt wie befürchtet, und die Funktionsfähigkeit der Hände blieb problemlos erhalten. Aber trotzdem hat der Zwischenfall uns nochmal gezeigt, dass auch unter alten Hasen nie auszuschließen ist, dass es zu einer Kenterung kommt. Umso wichtiger, dann geeignete Signalmittel dabei zu haben!