Sonntag, 15. März 2020

Schleimünde in den Zeiten von Corona

Schon in den letzten Jahren kam, von Trenk getriggert, immer mal wieder die Idee auf, einmal im Winter das Lotsenhaus in Schleimünde zu mieten und mit einer Gruppe dort ein Wellness-Wochenende zu verbringen. Letztlich ist das immer an der komplizierten und auch teuren Mietprozedur gescheitert, die die Lighthouse-Foundation aufgestellt hatte, damit nicht jeder Hans und Franz sich hier einmieten kann. Seit 2018 ist die Insel aber an die Schleswiger Werkstätten verpachtet, die den Vorgang wesentlich unkomplizierter gemacht haben.

Die Erkundung der Voraussetzungen und Kosten verlief überaus ermutigend, und bald war eine stattliche Gruppe Interessierter und ein gemeinsamer Termin gefunden. Am Freitag, den 13. März sollte es losgehen und bis Sonntag drauf dauern.

Zwischenzeitlich gab es im Vorfeld noch eine kleine Irritation, weil unserem Traum von Ruhe und Abgeschiedenheit die Absicht einer mehr als doppelt so großen zweiten Gruppe entgegenstand, das Etablissement zur gleichen Zeit bevölkern zu wollen. Niemand von uns kannte das Gebäude von innen, und wir fürchteten schon ein beengtes Drüber und Drunter bei der großen Anzahl von Gästen. Erst ein Blick in den Grundriss und weitere Abstimmung mit der anderen Gruppe bescherte uns die Gewissheit, dass wir ein Stockwerk für uns alleine haben und damit unser Traum unbeschadet ausgelebt werden könnte.

Nach einem wettertechnisch unterirdischen Februar mit einer Niederschlagsmenge von 270% des langjährigen Mittels versprach die Vorhersage für unser Wochenende eine einigermaßen versöhnliche Mischung aus Wind, Wolken und sogar Sonne. Allerdings war für den Rückweg ziemlich ungnädiger Gegenwind mit Stärke sechs vorhergesagt. Sei's drum.

Weil ich eine so lange Zeit aus der Welt sein würde und die momentan so unklare Lage zur Corona-Ausbreitung in nächster Zeit Fragen der Vereinsmitglieder erwarten lässt, schreibe ich noch kurz vor der Abfahrt eine Mail an den Vorstand mit der Bitte, darüber nachzudenken, wie wir uns als Verein dazu aufstellen.

Die Hinfahrt wird in Teilgruppen durchgeführt, Andreas vom TSV Klausdorf will schon früh am Freitag alleine anreisen, Peter, Jörg, Axel und ich so ungefähr zum Mittag losfahren und Anja, Elke und Norbert später nachkommen. Trenk wird dann am Samstag anreisen - immerhin kommt er überhaupt!

In Kappeln sind die Heringsangler voll in Aktion. Es sind zwar noch nicht übermäßig viele, die an der Kaimauer im Hafen stehen, aber die haben alle ihre großen Eimer voll mit glitzernden Silberfischen. Peter und ich gönnen uns nach der Ankunft erst mal ein warmes Fischbrötchen.

Am südlichen Beginn der Klappbrücke ist eine prima Einsetzstelle - sogar einen Slip haben die hier, der allerdings von einem PKW mit Trailer blockiert wird. Der Fahrer ist gerade mit dem Angelboot unterwegs. Hier verläuft die Schlei noch in Nord-Süd-Richtung, so dass der kräftige Westwind anfangs nicht wirklich zu unserm Vorteil wirkt. Aber schon bald biegt die Schlei nach Osten, und wir haben Schub genau von achtern. Natürlich ist es hier nicht wirklich tief, so dass sich keine hohen Wellen aufbauen können, aber wir haben konstant sechs Beaufort und die ermöglichen uns immer wieder wirklich lange Surfs. Meinem GPS-Logger entsprechend beträgt unsere Geschwindigkeit oft deutlich über 15 Stundenkilometer! Für die fast acht Kilometer bis zur Lotseninsel benötigen wir genau eine Stunde.

Andreas ist schon eingetroffen und begrüßt uns. Er hat sein Zelt wie gewohnt auf der Zeltwiese aufgebaut - wo es allerdings genau gar keinen Windschutz gibt. Das wuchernde Rosengebüsch, hinter dem man sich sonst einigermaßen verschanzen konnte, haben sie komplett gerodet. Unterm Strich eine gute Idee - aber im Moment pfeift es doch ziemlich, so dass man sich fast nach ihm sehnt. Immerhin gibt es dafür gerade keine Mücken! Auch Peter und ich wollen zelten, und wir beschließen, unsere Hütten im Vorgarten des Lotsenhauses aufzubauen. Hier ist der Wind durch den Staudruck des Gebäudes deutlich geringer.


Die erste Inspektion des Hauses löst mittelschwere Begeisterung aus! Wir haben nicht nur eine sondern sogar zwei Etagen für uns! Jeder kann sein eigenes Zimmer beziehen - und wir haben immer noch ein Ankleide- und Telefonierzimmer übrig! Die Einrichtung lässt nichts zu Mäkeln übrig und die Aussicht ist grandios!

Den Nachmittag verbringen wir mit wohlfühlen - und damit die ständig eintrudelnden Nachrichten zur Corona-Krise zu lesen und zu kommentieren. Es ist unglaublich, was für eine Dynamik sich darin entfaltet. Während Peter und ich unsere Hütten im pfeifenden Wind aufbauen, fangen die anderen an, das Gemüse zu schnibbeln für die Kartoffel-Kohlsuppe. Zum, Glück verfügt die komplett und recht modern ausgestattete Küche über anstaltskompatible Kochtöpfe! Wir nehmen uns den größten und machen ihn bis oben hin voll. Die Suppe schmeckt ganz wunderbar, so dass ich mir drei große Teller davon gönnen muss - aber es bleibt immer noch ein guter Teil übrig. Das werden wir morgen regeln. Anja hat circa zwei Dutzend Würstchen besorgt, die dem ganzen eine pikante Note verleihen.

Ein letzter Spaziergang über die dunkle Insel lässt uns den wunderschönen Sternenhimmel bewundern. Dann zieht sich jeder in sein Zimmer oder Zelt zurück.

Gegen Morgen bekomme ich etwas kalte Füße. Es ist aber nicht so arg, dass ich mich aufraffen könnte, etwas an meiner Zudeckung umzuorganisieren. Dadurch würde ich nur final wach werden, was den Genuss der Idylle empfindlich mindern würde. Gegen acht Uhr habe ich dann aber genug Idylle gemuckelt und komme aus dem Zelt. Die Sonne scheint - aber die Welt ist weiß! Es war heute Nacht minus vier Grad! Hätte man sich denken können, bei der Wetterlage und dem wunderschönen Sternenhimmel!

Frühstück im Warmen an einem richtigen Tisch, Einsteigen in trockene Paddelklamotten - was für ein Luxus! Wir wollen heute eine kleine Paddeltour machen und als erstes Olpenitz ansehen. Ich war schon viele Jahre nicht mehr da. Schöner geworden ist es immer noch nicht, aber es sind deutlich mehr Häuser aus dem Boden gewachsen. Und nicht nur aus dem Boden: da ist mittlerweile ein kompletter Hafen mit Hausbooten gefüllt! Schwimmende Ferienwohnungen, die man bei Novasol mieten kann. Sieht ein bisschen nach Waterworld aus.

Der klare Sternenhimmel hat neben dem strammen Frost auch zur Folge, dass die Sonne heute ungehemmt aus einem makellos blauen Firmament herabstrahlt. Wir haben alle zum ersten Mal in diesem Jahr Sonnenmilch aufgetragen. Nach der Runde durch den alten Militärhafen schippern wir zurück in die Schlei nach Maasholm. Dort machen wir eine ausgiebige Pause bei der Kirche. Leider habe ich nach den drei Tellern Kartoffelsuppe mit vermutlich vier Würstchen immer noch keinen rechten Hunger, so dass mein Butterbrot mit nur einer kleinen Bissstelle mit mir zusammen die Heimreise antritt. Ich fahre noch zusammen mit Andreas ein Stück gegen den aufgefrischten Wind auf die offene Ostsee hinaus, um auf dem Rückweg etwas in den Wellen surfen zu können. Aber die Wellen taugen nicht zum Surfen, man kommt einfach nicht ins Gleiten.

Am späten Nachmittag suche ich die Ostsee nach Norden hin aufmerksam ab. Ich bin mir relativ sicher, dass Trenk von Falshöft her kommen wird, denn so kann er morgen mit Rückenwind zurückschweben. Da ist aber nichts zu sehen. Als ich daraufhin die Schlei absuche, erkenne ich in weiter Ferne zwar keinen Paddler, aber untrügliche, rhythmische Lichtreflexe, wie sie typischer Weise von auf- und abtauchenden Paddelblättern im Zusammenspiel mit der Sonne verursacht werden. Auch er muss erst noch bis zur Ansteuertonne auf die Ostsee rausfahren, um auf der Rücktour festzustellen, dass man in diesen Wellen nicht surfen kann.

Andreas hat sich verwundert darüber geäußert, dass das Wasser beim Duschen kalt war. Und auch ich finde, dass es heute deutlich fußkälter im Haus ist als gestern. Zum Glück kennt Trenk sich einigermaßen mit den Gegebenheiten der Heizungsanlage aus. Schnell ist festgestellt, dass sie tatsächlich ausgefallen ist. Wie man die mit Pellets gespeiste Anlage wieder in Schwung bekommt, wissen wir alle nicht, aber im gemeinsamen Brainstorming stellen wir geeignete Hypothesen auf. Grillanzünder bräuchten wir, aber bei den kleinen noch vorhandenen Restmengen davon sind alle brennbaren Stoffe derart ausgedünstet, dass sie unter Einwirkung meines Feuerzeuges nur noch schwarz werden, aber nicht mehr selbst brennen. So halte ich einfach mein Feuerzeug, das in Wirklichkeit eine Art Mini-Schweißbrenner ist, direkt auf die Pellets. Und siehe da: sie fangen an zu glühen und die Anlage kommt wieder in Schwung. Leider musste ich für die Aktion so tief in den Brennraum kriechen, dass ich hinterher aussehe wie Aschenputtel. Was tut man nicht alles für seine Kumpels, damit sie in einem warmen Gebäude schlafen können - während man selbst im Zelt übernachtet ;-)

Peter hat zwanzig frische Eier in seinem Boot mitgenommen - Kaiserschmarrn will er daraus für uns machen. Das ist eine echt langwierige Aufgabe, der er sich stoisch und mit großer Hingabe widmet. Heraus kommen lecker luftige Fladen, die super-leckere Rosinen umschließen, die (zur Desinfektion) vorher lange in Rum gelagert wurden!

Außerdem steht heute noch Sauna auf dem Programm. Einige genehmigen sich gleich mehrere Gänge hintereinander und sitzen danach mit hochrotem Kopf am Tisch. Meins ist das ja nicht so. Ich freu mich lieber aufs Abendessen. Es soll irgendetwas Asiatisches geben mit Hühnerfleisch und Kokos. Ich opfere mich, zuerst die restliche Kartoffelsuppe zu vernichten. Danach mache ich mich über das Asiatische her. Eigentlich sehr lecker - aber ich bin leider nicht würzfest! Die Schärfe treibt mir derart die Tränen in die Augen, dass ich nach der rettenden Milch greifen muss.

Auch heute sind die Messenger aller Handys wieder voll von Nachrichten über die Corona-Front. Auch Elisabet, die Mama von Poldi, schickt uns eine besorgte Warnung.

Die Nacht auf Sonntag ist bewölkt und nicht entfernt so kalt wie die vorherige. Es ist, wie vorhergesagt, windig. Das hat den unschätzbaren Vorteil, dass das Zelt vollkommen trocken ist, bevor wir es einpacken. Für den Tag heute ist nichts weiter vorgesehen, als den Rückweg aufrecht zu meistern. Nach einem ausgiebigem Frühstück sind wir um elf in den Booten - und schon wieder in über Nacht getrocknete Klamotten gestiegen! Da könnte ich mich dran gewöhnen!

Der Wind kommt der Vorhersage gemäß genau aus Süden. Anja, Elke und Norbert müssen nur bis Maasholm und fahren einen eigenen Kurs. Wir anderen versuchen, möglichst dicht am Südufer noch etwas Windschutz zu ergattern. Da ist eine Stelle, die mir schon auf der Herfahrt aufgefallen ist, wo das Wasser so flach wird, dass der Grund sogar trocken fällt. Aus der Ferne sieht es aus, als wenn es in der Mitte einen Durchlass gibt, auf den steuere ich zu. Zwar muss ich mich zwei, dreimal mit den Händen vom Boden abstoßen, aber ich komme problemlos durch. Axel, der mir hinterher gefahren ist, steigt aber aus und zieht sein Boot über das Flach. Das dauert ein Weilchen, so dass mein Kalkül, die gewonnene Höhe gegen den Wind nicht aufzugeben, nicht mehr wirklich Sinn macht. Die anderen haben das Flach weiter nördlich umfahren.

Dort, wo die Schlei stramm nach Süden abknickt, habe ich heftigen Gegenwind erwartet. Aber der hat längst nicht die angekündigte Stärke, so dass wir relativ entspannt die Einsetzstelle in Kappeln erreichen. Der Lotseninsel-Verantwortliche der Schleswiger Werkstätten kommt kurz vorbei, um den Schlüssel zurück zu erhalten. Wir sollen ruhig Werbung dafür machen, dass Wassersportler die Einrichtung nutzen. Das sei hiermit geschehen!


Das Nachdenken darüber, ob und welche Aktivitäten der Verein in der Corona-Krise noch durchführt, hat sich im Verlauf der vergangenen drei Tage komplett von selbst erledigt! Die Welt in die wir zurückkommen, ist eine komplett andere, als die, aus der wir losgefahren sind.