Vom legendären Ruf der Hagener Au hatte ich schon viel und oft gehört - aber ich bin sie noch nie gepaddelt. Heute sollte meine erste "Schweinebach"-Tour sein. Der Name hat seinen Ursprung nicht etwa im wüsten Charakter des Flusses - oder sagen wir ehrlicherweise: des Baches - sondern in der Tatsache, dass sich das Erscheinungsbild der Tourteilnehmer gegen Ende der Fahrt dem der namensgebenden Kreatur annähert.
Als vom Hörensagen erfahrener Kleinflussfahrer hatte ich meine Einhandklappsäge eingepackt, um alle unerwünschten Hemm- und Hindernisse aus dem Wege zu räumen. Was also sollte sich mir in den Weg stellen wollen?
Das erste Mal musste ich schlucken, als Sabine sich an der Einsetzstelle oben am Hang in ihr Boot setzte, ein paarmal kurz nach vorne juckelte und schwungvoll, elegant und spritzend ins Wasser schoss. Als eingefleischter Seekajakfahrer habe ich eine eingebaute Aversion gegen Situationen, in denen der Bug meines Bootes tief ins Wasser getaucht ist, während das Heck noch hoch auf Land liegt. Da aber auch Jörg und Piet und die andere Sabine diese Art des "Einsetzen" für das Natürlichste der Welt hielten, konnte ich mir ja keine Blöße geben und sah mich gezwungen, es ihnen gleich zu tun. "Ich kann ja ganz gut stützen!", hab ich mir gesagt, um mich zu beruhigen, dass ich schon nicht koppeister ins kalte Wasser gehen würde. Wie ich bei noch zahlreichen folgenden Gelegenheiten dieser Art feststellen konnte, verhalten sich Wildwasserboote bei dieser Prozedur spürbar anders als Seekajaks! Gutmütiger eben!
Sieben Kilometer sollte die Entfernung bis zum Zielort betragen. Mit der Strömung kann das ja wohl kaum mehr als eine Stunde dauern - dachte ich. Aber als Jörg sagte: "In drei Stunden können wir das gut schaffen!", dachte ich schon, dass es die eine oder andere Situation geben könnte, die unser Fortkommen bremsen würde.
Die ließ auch gar nicht lange auf sich warten. Wir waren noch keine fünf Minuten in den Booten, da mussten wir sie auch schon wieder verlassen, weil ein solider Baumstamm quer lag. Mit meiner Säge hätte ich gegen ihn ausgesehen, wie ein Bauarbeiter, der versucht, mit einem Teelöffel eine Baugrube auszuheben. Ein Kilo Sprengstoff hätte gute Dienste geleistet, hatte ich aber nicht dabei. Nun gut, ich wollte eh noch mal überprüfen, ob es wirklich so schwer ist, meine Spritzdecke wieder über den Süllrand zu bekommen. Da ich diese Aktion im Laufe der Tour ein gutes Dutzend Mal exerziert habe, kann ich mit Fug und Recht sagen: ja, es ist tatsächlich so schwer!
Die zu meisternden Hindernisse lassen sich in mehrere, klar voneinander trennbare Kategorien einteilen.
Da ist als erstes die gemeine Unterfahrung zu nennen. Ein Hindernis liegt in einer gewissen Höhe quer über dem Bach und lässt noch "genügend" Spielraum für den Paddler, sich mit seinem Boot unten hindurch zu zwängen. Natürlich gibt es bei dieser Kategorie ein kontinuierliches Spektrum der lichten Durchfahrtshöhe von "naja, ich leg' mal den Kopf zur Seite" bis zu "vielleicht ist es besser, wir gehen lieber drüber, statt drunter durch!". In jedem Falle ist eine gute Beweglichkeit gefragt, damit man nicht doch noch im letzten Moment mit der Nase an einem hervorstehenden Zweig hängenbleibt. Genauso wichtig ist bei niedrig und schräge ins Wasser gleitenden Hindernissen eine ausgereifte Technik, sich unter ihnen hindurch zu hangeln - und dabei auch das Paddel mit zu bekommen! In kritischen Situationen bräuchte man das Paddel nämlich eigentlich quer zum Boot, um ein Umkippen stützend zu verhindern. Aber damit bleibt man zwangsläufig an den Ästen und Zweigen oder gleich am Haupthindernis hängen. Auch das Festhalten mit den Armen ist nicht die Rettung schlechthin, denn das Boot unter einem will der Strömung folgen und hält nicht freiwillig an. Diese komplexe Aufgabe hat mich an einem Hindernis dieser Kategorie leider derart überfordert, so dass es mich komplett unter Wasser gedrückt hat. Zum Glück war ich aber grimmig entschlossen, nicht auszusteigen, und irgendwie habe ich es dann doch geschafft, Boot und Besatzung wieder in die richtige vertikale Reihenfolge zu bringen - aber meine Mütze war nass!
Eine etwas diffuse Erscheinung hat die nächste Kategorie: Ich will sie mit "Gestrüpp" betiteln. Eine vermittelbare Befahrenstechnik gibt es hier eigentlich nicht, am ehesten noch "Augen zu und durch!". Meine mitgeführte Klappsäge erwies sich nicht als das geeignete Mittel, hier für Linderung zu sorgen. Auch das vorhin erwähnte Dynamit käme nur als zweite Wahl in Betracht, zumal man es auch gar nicht in ausreichender Menge hätte mitführen können, ohne sein Boot zu versenken. Auf meiner nächsten Tour dieser Art hätte ich eine Rosenschere im Holster - und eine Skibrille im Gesicht! So gerüstet wären Hindernisse dieser Kategorie kaum der Erwähnung wert, man könnte sich auf die auch nicht triviale Aufgabe konzentrieren, sein Paddel und seine Mütze in erreichbarer Nähe zum Boot zu halten.
Als vorletztes ist da noch die einfachste Kategorie, die sich aber leider von der letzten, nämlich der hoffnungslosen Kategorie nur sehr schwer unterscheiden lässt. Offensichtlich nicht nur von mir als Anfänger, sonst hätten die anderen sich nicht mehrfach in der Einordnung solcher Hindernisse vertan. Die noch nicht hoffnungslose Kategorie stellt sich als totale Verblockung des Fahrwassers durch einen oder mehrere mehr oder weniger starke Bäume, Äste, Steine oder sonstige Widernisse dar, die aber nicht allzu hoch aus dem Wasser ragen. Mit energischer Kompromisslosigkeit und ordentlich Schmackes kommt man meist recht unproblematisch über sie hinweg. Manchmal muss ein nachträgliches Juckeln, Rudern mit den Armen und Zerren an knapp erreichbaren Zweigen ein Übriges tun.
Das verräterische an diesen Hindernissen ist eben das Kriterium "nicht allzu hoch"! Ein mickriger Zentimeter zu viel, kein knapp erreichbarer Zweig in der Nähe - und schon befinden wir uns in der letzten Kategorie, in der hoffnungslosen. Manchmal muss man offensichtlich einige Zeit mit seinem Boot aussichtslos auf dem Hindernis sitzen, bis man sich zur richtigen Einordnung durchringen kann. An Demut gewachsen puhlt man sich aus dem Schiff, schleift es durch den seitlichen Sumpf und kämpft den verbissenen Kampf: Allein gegen die Spritzdecke!
Nach sieben Kilometern - oder drei Stunden später - bin ich ein anderer Mensch: Äußerlich mache ich dem Titel der Tour alle Ehre. Innerlich bin ich gereift und gefestigt: Außer einer Schramme am rechten Zeigefinger und einer nassen Mütze habe ich die schäumenden Wasser der Hagener Au unversehrt überlebt!
Eine kurzweilige Tour - so ganz anders als meine sonstigen Unternehmungen - zusammen mit vier wunderschönen Menschen!
Samstag, 22. Januar 2011
Samstag, 8. Januar 2011
"Vom Eise befreit..."?
Zur Sicherheit habe ich heute meinen Dachgepäckträger mitgenommen, denn wenn wir am Steg wieder nicht ins Wasser kommen, wollen wir uns ein Fleckchen suchen, wo wir unsere Boote einsetzen können. Aber ich traue meinen Augen kaum: da ist nicht das geringste Stückchen Eis zu sehen, das unser Vorhaben verhindern könnte. Noch etwas ist kaum zu glauben: die ganze Woche verfolge ich nun schon den Wetterbericht für den heutigen Samstag. Bis zur Zeitung heute morgen waren sich alle einig, dass es zwar warm und erklecklich windig sein würde, dass uns aber auch dunkle Wolken und eine Menge Regen begleiten würden. Uns waren diese Randbedingungen egal, aber die Wirklichkeit straft die Vorhersage eh Lügen: der Himmel ist strahlend blau mit ein paar weißen Wolken, und die Sonne entfaltet eine wärmende Kraft.
Uns steht der Sinn nach ausgiebigem Paddeln, daher fahren wir nicht in die Schwentine, wo wir uns der Wintertour des TSV hätten anschließen können, die in einem geselligen Angrillen kulminieren würde. Statt dessen fahren wir Richtung 30 Grad, wie Norbert es ausdrückt. Er ist etwas später gekommen und würde uns gerne nachher auf der Förde treffen. Ich glaube, dass er "30 Grad nördlicher Breite" meint, aber er korrigiert mich: "Kompasskurs!" Letztlich kommt aber beides auf dasselbe heraus.
Mit dem Wind im Rücken sind wir im Nu bei der Glockentonne, aber es ist uns schon bewußt, dass die Rückfahrt nicht ganz so entspannt vonstatten gehen wird. Die Pause legen wir auf die "gefühlte" Mitte der Tour, die etwa nach einem Drittel der geometrischen Länge der Rücktour erreicht ist. Auf dem Weg gabeln wir Norbert auf, der mit uns zusammen zurück fährt. Am Kurstrand von Möltenort ist der Restschnee zu einer festen Eisdecke zusammengeschmolzen, auf der es so glatt ist, dass man kaum stehen kann. Die Pausenbank an der Promenade zu erreichen, ist daher heute der gefährlichste Teil der Tour.
Einem älteren Ehepaar müssen wir ausführlich erklären, warum es nicht zu kalt ist, bei diesem Wetter mit einem Paddelboot auf der Förde zu fahren. Die Wassertemperatur beträgt knapp ein halbes Grad und ich hatte gleich nach dem Einstetzen meine Hände einmal für zehn Sekunden ins Wasser gehalten. Das kostete schon einige Überwindung, dann nach fünf Sekunden fängt es an weh zu tun und nach zehn Sekunden wird der Schmerz bereits heftig. Aber mit der intensiven Bewegung und so dick eingepummelt, wie wir sind, war uns am Anfang natürlich wieder viel zu warm. Mittlerweile geht es, denn der Wind bläst uns immerhin mit Stärke fünf ins Gesicht. Es ist schon erstaunlich, dass man am Anfang immer wieder denkt: "Hätte ich doch bloß nicht so viel angezogen!" und gegen Ende: "Gut, dass ich nicht weniger angezogen habe! Sonst hätte ich erbärmlich gefroren!".
Die Stärkung und das Verschnaufen waren notwendig, aber trotzdem fahren die Boote nicht von alleine gegen den Wind. Dreimal müssen wir anhalten und einen ausführlichen Klönschnack mit entgegenkommenden Paddlern halten - das bringt uns auch nicht nach vorne. Aber ich finde es schön, dass das Winterpaddeln auf der Förde im Laufe der Jahre zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist. Direkt vor dem Düsternbrooker Hafen löst sich auch das Rätsel mit dem verschwundenen Eis: Es treibt als riesige Scholle mitten im Wasser! Jörg fährt direkt drauf zu und sagt: "Da fahre ich durch!", rudert dann aber ziemlich bald ziemlich kleinlaut zurück. Die Eisscholle ist etwa zehn Zentimeter dick, aber sehr porös und weich. Man kommt mit dem Boot kaum hinauf, würde oben einbrechen, hat keine Möglichkeit, das Eis mit dem Paddel zu durchstechen und Rollen steht außer Frage. Da ist Rückzug schon die einzig vernünftige Option.
Am Steg ziehe ich mir kurz die Neoprenhaube über den Kopf und mache die obligatorische Abschlussrolle. Der größte Effekt davon ist, dass ich jedesmal ungemein beruhigt bin, wie undramatisch das von der Kälte her ist und dass ich problemlos wieder hoch komme. Als ich Jörg später mit dem Auto nach Hause fahre, setzt der für den ganzen Tag vorhergesagte Regen ein.
Sonntag, 2. Januar 2011
Kein Paddeln!
Wie erwartet ist die Förde in der Zwischenzeit zugefroren. Wir hatten etwas die Hoffnung gehegt, dass es heute möglich sein könnte, aufs Wasser zu kommen und uns verabredet. Für den Fall, dass am Klub kein Reinkommen möglich sein sollte, wollte Jörg seine Dachgepäckträger mitbringen und wir uns dann eine geeignete Stelle suchen, wo wir in Wasser kämen. Die erste Bedingung war erfüllt - vom Steg bis hinter die Tonne 5 war das Wasser solide gefroren. Es zeichnete sich im Eis die einsame Spur eines verbissenen Paddlers ab, der sich mit der Situation nicht abfinden wollte und sich irgendwie über die Eisfläche ins Wasser bugsiert hat. Das ist bestimmt spaßig, aber wir wollten uns das heute nicht geben. Die Chance, an der Kante ins Wasser zu kippen, ist erheblich und diejenige nach der Rückkehr auch wieder aus dem Wasser aufs Eis zurück zu kommen, liegt nicht bei 100%. Da die zweite Option nicht zum Tragen kommen konnte, weil Jörg seinen Wagen nicht aus der Parklücke bekam, in der er ihn die Witterung die letzten Wochen genüsslich festgefroren hat, haben wir unsere Zusammenkunft in Jörgs neue Wohnung verlegt und uns bei Tee und Keksen der Planung künftiger Unternehmungen hingegeben.
Abonnieren
Posts (Atom)