Der Mailverkehr zur Abstimmung, ob, wie und wo gepaddelt wird, verlief etwas kontrovers. Es war heftiger Wind vorausgesagt aus der bei uns üblichen Richtung, die ein Paddeln auf der Förde eher unerquicklich werden lässt. Nachdem die Nacht und der Morgen ausgesprochen stürmisch verlaufen sind, versichere ich mich noch einmal telefonisch bei Jörg, ob er seine Entscheidung nicht inzwischen schon revidiert hat. Wir verabreden uns, einen Blick vor Ort zu werfen und dann zu entscheiden.
Am Leuchtturm herrscht durchgehend Windstärke neun - von den Böen will ich gar nicht wissen, wie stark sie sind. Für die Innenförde weist das Institut für Meereskunde eine unspektakuläre Sechs aus. Aber irgendwie kann ich das kaum glauben, denn ich habe schon oft eine sechs erlebt und die Schaumkronen sehen irgendwie giftiger aus. Ein Kontrollgang zum Steg fördert unser erstes Problem zu Tage: Da ist kaum Wasser in der Förde! Die Schwimmteile der Steganlage liegen auf Grund und man könnte prima Miesmuscheln sammeln, ohne sich die Füße nass zu machen.
Ein fieser Regen hat eingesetzt, so einer, bei dem eigentlich keine Tropfen vom Himmel fallen, sondern das Wasser gleichmäßig in der Luft verteilt ist. Wir haben uns mit Trockenanzügen gewappnet und oben mit Südwestern abgedichtet. Unseren anfänglichen Kurs legen wir viel südlicher als wir müssten. Wir haben einen gehörigen Respekt vor dem strammen Wind und wollen ihm nicht genau unsere Breitseite bieten. Es weht ziemlich heftig, konstant zwar, ohne herausragende Böen, die einen umzuschubsen versuchen, aber trotzdem hängen wir sehr zur einen Seite im Boot. Die Wassertemperatur ist in den letzten Tagen zwar wieder auf etwa neun Grad gestiegen, und dennoch sind wir nicht wirklich locker. Wie so oft ist weniger die rechnerische Kombination aus Windstärke und Wellenhöhe das limitierende Element, sondern das innere Unbehagen, das durch die Gesamtheit der Bedingungen entsteht. Man kann auf einem zwanzig Zentimeter breiten Doppel-T-Träger vollkommen unbeschwert herumtanzen und -hüpfen, solange er auf dem Boden liegt. Man hätte nicht im Geringsten Bedenken, herunter zu fallen. Kragt dieser Träger aber in 200 Metern Höhe über wuselndem Verkehr aus einem Hochhaus, man würde sich panisch an das Eisen klammern und keinen einzigen Schritt wagen. Das Unbehagen löst sich erst, nachdem wir Richtung Norden abgedreht haben und mit dem Wind im Rücken in die Schwentine rauschen.
Am Schwall schäumt es ungewohnt, denn durch den niedrigen Wasserstand fällt die Schwentine über einen nun frei liegenden Absatz. Ganz und gar nicht frei liegt der Zugang zur Bootsgasse. Da ist kein Rankommen mit den Booten und wir müssen ein paar Meter vorher im Schlick aussteigen. Beim Hochtragen der Boote ramme ich mit dem Kopf gegen einen leicht aus dem Gewölbe hervorspringenden Stein, weil mir der Südwester etwas die Sicht nimmt. Die größten Gefahren beim Paddeln im Sturm lauern eben doch an Land - nicht auf dem Wasser.
Auf der Schwentine ist es leidlich geschützt, aber an manchen freien Stellen greift uns der Wind doch noch heftig an. Es sind noch nicht viele Wintergäste unter den Vögeln zu entdecken, aber immerhin können wir zwei wunderschöne Schellentenpaare aus nächster Nähe beobachten. Rhein und Main liegen in diesen Tagen fast trocken da - die Schwentine dagegen kann nicht über Wassermangel klagen. Im oberen Bereich, da wo die Wasseramsel wohnt, müssen wir hintereinander fahren und unsere Spur mit Bedacht wählen, weil die Strömung nicht von schlechten Eltern ist. Unter der Brücke vor der Oppendorfer Mühle ist das Wasser wie immer flacher, als man denkt, und ich haue mein Paddel ein paarmal heftig gegen die Steine am Grund. Ich ärgere mich jedes Mal, aber irgendwie ist ein Umdrehen vor der Brücke so etwas wie Aufgeben. Mal sehen, wieviele Kerben es in meinem Paddel noch braucht, bevor ich die Größe habe, diese Prüfung auszulassen, ohne dass mein Selbstbewusstsein eine Kerbe davonträgt.
In Gesellschaft zweier bunter Entenattrappen legen wir unsere Pause ein, die mehr eine Andacht in der Natur und im Regen ist, als ein notwendige Stärkung nach kräftezehrendem Schinden. Es sind nicht viele Paddler unterwegs heute. Genau genommen außer und nur noch der TUS-Paddler, der immer paddelt - sonst niemand. Kann am Wetter liegen. Jörg sagt, dass der Regen nach unserer Pause mal kurz aufgehört haben soll. Hab ich gar nicht gemerkt, vermutlich habe ich gerade in mein Cockpit gesehen. Kurz vor der Umsetzstelle zeigt uns eine Böe, was uns auf der Förde blüht: Ein Schaudern auf der Wasseroberfäche kommt im Zickzack auf uns zugerast und packt uns an den Paddelblättern. "Holla, halt den Knüppel fest!". Wir sind gewahrschaut! Nachdem wir uns aus dem Schlick unten an der Umsetzstelle gewühlt haben, schleichen wir und dicht an die Kaimauer geschmiegt zurück bis zum Messturm des Marinearsenals. Leider sind wir zehn Minuten zu spät, sonst hätte wir die auslaufende Oslo-Fähre für einige Sekunden als Windschutz nutzen können. So aber sind wir dem nun genau von vorne kommenden Wind vollkommen schutzlos ausgeliefert.
Es ist nur ein einziger Kilometer vom Messturm bis zu unserem Steg. Und man kann das bisschen Weg kaum Fetch nennen, der nennenswerte Wellen erzeugen könnte. Aber dieser Kilometer hatte es wirklich in sich. Wir schätzen beide die durchgehende Windstärke auf sieben, mittendrin fegen Böen über uns hinweg, die uns froh darüber sein lassen, dass sie genau von vorne kommen. Und am Ende sind wir uns einig, dass der Weg auch nicht wesentlich länger hätte sein dürfen, sonst wären wir umgekehrt, weil wir keine Fahrt mehr über Grund gemacht hätten. Diese Windstärke ist insbsondere ohne Wellen zwar kein großes Problem - aber es ist kein erquickliches Fortkommen gegen sie möglich.
Als ich am Abend die Daten von den Messgeräten des Instituts abrufe, kann ich die gemessene Sechs immer noch nicht mit den vielen anderen gemessenen Sechsen in Einklang bringen, in denen ich schon gepaddelt bin. Irgend etwas muss hier noch im Dunkeln liegen, denn auch die Diskrepanz zwischen der Neun am Leuchtturm und der Sechs hier drinnen, leuchtet mir nicht wirklich ein, denn immerhin ist der Sensor am Institut in über 50 Meter Höhe.
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