Sonntag, 26. Juli 2020

Nordsee 2020

Unser erster Termin für eine Nordseetour in diesem Jahr ist für mich einem hässlichen Gnubbel am Ellenbogen zum Opfer gefallen. Die beiden anderen Tourwilligen sind dann bei der Aussicht auf gruseliges Wetter meinem Beispiel gefolgt, Friesland Friesland sein zu lassen und sich die Sache aus dem sicheren Wohnzimmer heraus anzusehen. Aber einen neuen Termin haben wir immerhin vereinbart: am letzten Wochenende im Juli wollen wir es noch einmal versuchen!

Die Wettervorhersage ist alles andere als verlockend: am Freitag soll es mit mindestens fünf Beaufort aus Westen wehen, am Samstag dann zwar insgesamt weniger Wind sein, so dass man recht frei mit der Gestaltung des Tages umgehen könnte, aber in der Nacht zum Sonntag dann heftigster Regen fallen, der erst am späten Sonntag Nachmittag abebben soll. Dazu Wind zwischen zwölf und vierzehn Metern pro Sekunde - in schlichten Worten: sechs bis sieben Beaufort. Das mit dem Wind ist eher reizvoll, denn er würde aus  West kommen. Nur, dass wir vermutlich unser Zelt im strömenden Regen abbauen und einpacken müssten, reizt nicht so. Aber das Wasser ist warm und die Luft auch und der Strom geht mit dem Wind - wo also sollte ein Problem liegen?

Das Problem liegt auf der A7 kurz vor der Ausfahrt nach Jagel. Dort hat sich mindestens ein Fahrzeug in die linke Leitplanke gebohrt und ebenso viele in die rechte. So können wir über eine Stunde lang der Zeit beim Verstreichen zusehen. Bei solchen Gelegenheiten kommt einem die Gnadenlosigkeit, mit der die Tide ihren Plan durchzieht, besonders ungerecht vor. Zum Glück kennt Jörg auf dieser Strecke nicht nur jeden Wegweiser - sei es der nach Spinkebüll oder der nach Süderhackstedt - er kennt auch jeden Schleichweg, so dass wir die schon seit über einem Jahr existierende Schikane der Vollsperrung von Drelsdorf geschickt umfahren können. Wir holen tatsächlich ein wenig von der verlorenen Zeit wieder rein und sind nur eine Stunde später als geplant in Schlüttsiel.

Eigentlich wollten wir genau jetzt mit dem letzten auflaufendem Wasser bereits den Hafen verlassen - aber das tut nun eine andere Gruppe von sechs Paddlern. Wir sind uns sicher, dass wir sie auf Hooge wiedertreffen und es ist noch lange genug hell, dass wir nicht im Dunkeln unsere Zelte werden aufbauen müssen. Die Sachen sind zügig in den Booten verstaut und bereits nach einer dreiviertel Stunde sitzen wir mit den Spritzdecken am Süllrand befestigt in unseren Booten.

Der Wind ist nicht gar so garstig wie befürchtet, aber er steht gegenan. Dafür scheint die Sonne und die Temperaturen sind angenehm. Wir fahren am Tonnenstrich entlang - wir wollen keine großen Spierenzchen machen. Der kleine Knick in userer Spur rührt von der Tatsache, dass meine Mitfahrer eine Tonne in der Ferne für den Beginn des Langenessfahrwassers erklären. Ich bin skeptisch und sehe nach. Die Tonne weist sich als Schl.10 aus - das Langenessfahrwasser zweigt erst bei Schl.6 ab. Dieses Mal schaffen wir es auch, rechtzeitig und nachhaltig genug aus der Süderaue nach Süden ins Hoogefahrwasser abzubiegen und nicht wie sonst üblich auf der dazwischen liegenden Sandbank zu stranden. Nach bummeligen zwei und einer Viertelstunde erreichen wir den Hooger Segelhafen. Jörg und Peter paddeln durch das Betontor, ich ziehe ein schlickfreies Anlanden außen an der Mole vor.

Natürlich treffen wir die andere Truppe hier wieder. Sie sind offensichtlich gar nicht so viel früher als wir da gewesen, denn sie sind noch nicht fertig damit, ihre Zelte aufzubauen. Friedlich in der Abendsonne sitzend, bereiten wir uns ein Abendessen, bei dem jeder den anderen in Bescheidenheit übertrumpft: Ich vernichte endlich das asiatische Nudelgericht mit Ente, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum im Juni 2018 abgelaufen ist, Peter bereitet eine Art Spaghetti Carbonara zu (bei deren Vertilgung ich ihm unterstützend zur Hand gehe) und Jörg, der sonst immer eine fulminate Kochsession zelebriert, hat Kartoffelsalat mit kalten Würstchen mitgebracht. Schmeckt alles lecker!

Jörg hat heute auch seinen neuen Helinox-Faltstuhl dabei, den er erst in vierzehn Tagen zum Geburtstag geschenkt bekommt! Wir besprechen kurz unsere Optionen für morgen und einigen uns darauf, um neun Uhr mit dem ablaufenden Wasser rauszufahren, Japp- und Norderoogsand zu umrunden und durch das Rummelloch-West wieder zurück zu fahren. Als Besonderheit wollen wir auf dem Rückweg westlich an Hooge vorbei fahren - weil das viel günstiger und bequemer ist.

Bevor wir am Samstag Morgen losfahren, erkundigen wir uns noch nach dem Plan der anderen Gruppe. Sie wollen um elf Uhr los und dann durchs Rummelloch nach Pellworm. Das kommt uns erst einmal fremdartig vor, aber wenn man bedenkt, dass man Pellworm überhaupt nur bei hohem Wasserstand erreicht, macht es Sinn, möglichst spät loszufahren. Dass das genau bei Niedrigwasser sein muss und man dafür in Kauf nimmt, die ganze Zeit bis zum Rummelloch gegen Wind und Strom fahren zu müssen, hätten wir jetzt nicht so entschieden, aber das obliegt ja dem eigenen Ermessen.

Jappsand ist mit dem kräftig schiebendem Strom schnell erreicht. Danach dringe ich nachdrücklich darauf, nicht der Versuchung zu erliegen, sich an der vermeintlich so leicht erkennbaren Sandkante entlang zu hangeln, sondern gegen die Intuition weit draußen zu bleiben und stramm Kurs 180 Grad zu fahren. Bisher bin ich so gut wie jedes Mal zu dicht an den Norderoogsand geraten, so dass ich am Ende immer einen gehörigen Schlenker nach Westen fahren musste, um überhaupt in den Durchlass zwischen den beiden Sänden zu gelangen.

Auch diesmal sind wir uns nicht sicher, ob wir den augenscheinlich quer vor uns liegenden Sand noch umrunden müssen, oder ob links davon eine freie Durchfahrt ist, oder ob er vielleicht sogar schon Teil des Süderoogsandes ist. Und obwohl wir schon ausgesprochen konsequent draußen geblieben sind, müssen wir zum Schluss doch noch einen Haken schlagen. Als wir an einem Sandabschnitt mit steiler Uferkante an Land gehen, stellen wir fest, dass es sich um eine Insel handelt, die direkt im Durchlass der beiden Sande liegt. Die Gegend hier verändert sich von Jahr zu Jahr so stark, dass auch meine jedes Mal gesetzten GPS-Wegpunkte allenfalls als Indiz genutzt werden können, dass der Durchlass hier in der Nähe liegen muss.

Auf der dem GPS-Track hinterlegten Seekarte sieht man, dass wir trotzdem wir schon unglaublich weit draußen gepaddelt sind, immernoch innerhalb der Robben- und Vogelschutzzone unterwegs waren. Um sich absolut korrekt zu verhalten, hätten wir bis zur Tonne ST20 rausfahren müssen, die ich mir schon für meine letzte Tour in der Seekarte markiert hatte. Von dort aus kann man dann stumpf nach Süden fahren, bis man die Durchfahrt erreicht. Aber das ist mehr als doppelt so weit draußen, wie unsere Spur angibt. Ich gehe jede Wette ein, dass das noch nie jemand beherzigt hat und bezweifle, dass das irgendeinen plausiblen Sinn ergibt. Wie wenig auch die aktuellste Seekarte die realen Verhältnisse hier wiedergibt, kann man daran erkennen, dass wir mit unserem Schlenker erst nach Westen und dann nach Osten eine Sandinsel umrundet und an der mit dem roten Ball gekennzeichneten Stelle Pause gemacht haben.

Natürlich beobachten uns während der Pause wieder ein paar neugierige Seehunde. Auch eine Kegelrobbe ist dabei. Aber bisher haben wir von diesen pelzigen Torpedos noch nicht wirklich viele Exemplare gesehen. Das soll sich ändern, nachdem wir weiterfahren. Als erstes sichten wir am Südende des nördlichen Sandes eine Herde von ca. hundert Exemplaren. Wir machen gleich einen Schwenk weiter von ihnen weg, damit sie nicht beunruhigt werden und ihre Mittagspause unterbrechen müssen. Etwas nördlich davon sind einige Leute von einer Art Segelkutter an Land gegangen - aber sie nähern sich den Tieren auch nicht. Nur wenig später taucht eine ähnlich große Herde auf halbem Weg vor Pellworm auf.

Eigentlich müssten wir hier extrem langsam fahren, denn es muss ja erst noch Wasser zwischen Jappsand und Hooge einlaufen, damit wir da durchkommen. Aber der Wind kommt immer noch aus Süden und das macht es schwierig, langsam zu fahren. So dauert es dann auch gar nicht lange, bis die Wassertiefe auch für unsere kleinen Boote nicht mehr hinreicht. Als wir den ersten Schwenk nach Westen machen, steige ich extra noch mal aus meinem Boot, um im Stehen mit besserem Überblick zu sehen, dass der Nachbarpriel viel weiter mit Wasser gefüllt ist. Also fahren wir noch einmal zurück und fädeln in das nächste Rinnsal ein.

Hier geht es zwar erst deutlich weiter, aber bald wünsche ich mir die Tidensteiggeschwindigkeit von Jersey, wo das Wasser in zehn Minuten zwanzig Zentimeter steigt. Davon können wir hier nur träumen - stattdessen sitzen wir alle zehn Meter für gefühlte zwanzig Minuten auf der Stelle fest. Irgendwann sieht man, dass nun doch der Nachbarpriel, den wir vorhin extra verlassen hatten, deutlich weiter mit Wasser gefüllt ist. Also kehren wir nochmals um und fädeln wieder zurück. Eigentlich ist es auch egal, ob wir dadurch einen Umweg paddeln - Hauptsache wir haben etwas zu tun, denn mittlerweile hat Regen eingesetzt, so dass uns auch nicht mehr wirklich mollig in den Booten ist. Auch als vor uns eine quasi lückenlose Wasserfläche aufgefüllt ist, will noch keine rechte Freude aufkommen, denn die Wassertiefe ist dermaßen dürftig, dass wir immer wieder aufsetzen. Und als es dann tatsächlich spürbar tiefer wird, stellt sich heraus, dass die Strömung hier doch gegen uns läuft. Also so schlimm wie das Gestochere hier habe ich die Umrundung auf der Ostseite nicht in Erinnerung. Obwohl ich unsere erwartete Ankunftszeit schon großzügig geschätzt hatte, kommen wir auch heute eine gute Stunde später als vorhergsagt an. Einzig die Tatsache, dass das Wasser bereits so hoch aufgelaufen ist, dass wir bequem und unverschlickt über den Hafen auf die Zeltwiese fahren können, sorgt für etwas Entspannung.

Zu unserer Überraschung ist die andere Gruppe schon da. Erst vermuten wir, dass sie vielleicht gar nicht losgefahren sind, aber eine Nachfrage klärt den Sachverhalt: Sie meinten mit "Rummelloch" gar nicht die Durchfahrt zwischen den Außensänden, sondern das Fahrwasser zwischen Hooge und Pellworm. Sie sind nach Jappsand gefahren und wollten dann zwischen diesem und Hooge hindurch über das "Rummelloch" nach Pellworm. Leider sind sie noch nachhaltiger als wir am mangelnden Wasser gescheitert. Aber wenn man es recht bedenkt, war dieser Ausgang eigentlich vorhersehbar. Offensichtlich ist ihnen hier ein kleiner Planungsfehler unterlaufen.

https://naturfotografen-forum.de/o1492835-Steinw%C3%A4lzer
Bis zum Abendessen haben wir noch gut Zeit die wir gewissenhaft der Erholung widmen. Ich befestige mein Zelt noch mit einigen zusätzlichen Abspannleinen wegen des vorhergesagten starken Windes, der während der Nacht aufkommen soll. Später beobachte ich im durch das ablaufende Wasser freiwerdenden Schlick des Segelhafens mehrere Steinwälzer. Es ist das erste Mal, dass ich welche sehe, und ich musste im Nachhinein erst meinen KOSMOS-Vogelführer zu Rate ziehen, um sie identifizieren zu können.

Für den Peselbesuch haben wir uns diesmal sicherheitshalber im Voraus angemeldet - man weiß ja nicht, was man in der durch Corona so besonderen Situtation zu erwarten hat. Aber da das Wetter nicht besonders lauschig ist, sind die Tische draußen alle unbesetzt. Wir wollen es riskieren, aber ich frage lieber nach, ob man unseren Tisch drinnen frei halten kann, falls es doch zu regnen anfängt. Man kann. Leider ist die Karte ob der besonderen Umstände etwas eingedampft - und unser geliebtes Lammfilet gibt es heute nur in Form von Frikadellen. Macht nichts, wir sind hungrig und da ist auch das lecker! Leider ist die versprochene Riesenportion Kaiserschmarn mit Erdbeeren, die ich mir als Nachtisch bestellt habe, nur eine Kinderportion, aber der gröbste Hunger ist gestillt. Nach einem Kakao und einer Tasse Tee, die ich am Zelt noch zu mir nehme, geht es in die Federn.

Wie versprochen schüttet es in der Nacht wie aus Kübeln. Dazu dreht der Wind auf sieben Beaufort auf. Ich habe meine friedenstiftenden gelben Pfrömse in den Ohren und schlafe selig durch. Allein eine kleine Unachtsamkeit bekümmert mich am Morgen: weil es in der Nacht so warm war (es war ja komplett bewölkt), habe ich an beiden Seiten das Innenzelt etwas offen gelassen. Da es in meinem Zelt bei derartig heftigem und ausdauerndem Regen aber immer vom Außenzelt aufs Innenzelt tropft, liefen diese Tropfen erst das Innenzelt herunter und dann - wegen der offenen Seiten - ins Zeltinnere. Das war eine dumme Idee! Es schwimmt alles etwas um mich herum. Als erste Maßnahme setze ich mich auf meiner Isomatte aufrecht hin. "Wump!" Bei meiner Super-Duper-Exped-Iso-Luftmatratze ist mal wieder eine Rippe aufgeplatzt! So was dämliches! Da ist wieder mal ein Besuch im Reiseshop fällig!

Positiv wirkt auf meine Stimmung, dass es schon vor zehn Uhr morgens aufgehört hat zu regnen. Es ist zwar noch keine stabile Wetterlage, aber wir machen erst einmal einen großzügigen Spaziergang um den Westzipfel der Hallig. Das Wetter wird immer besser und wir sehen, dass Norderoogsand sich immer mehr zur Insel mausert, die in der katastrophalen Sturmflut 1962 untergegangene Ponswarft und einen Imker, der die flachsten Bienenstöcke aufstellt, die ich je gesehen habe.

Die andere Gruppe hat einen deutlich weiteren Heimweg von Schlüttsiel aus und will daher möglichst früh los. 13 Uhr ist die Ansage. Als wir gegen 13 Uhr von unserem Spaziergang zurück am Seglerheim eintreffen, steht die Gruppe aber immer noch in normaler Kleidung auf der Zeltwiese. Aber sie fangen an, ihre Kajaks auf die mitgebrachten Bootswagen zu schnallen. Leider gibt es dabei die eine oder andere Schwierigkeit, so dass es eine ziemliche Weile dauert, bis sie auf der anderen Seite des Hafentores ankommen. Dort müssen sie sich ja noch die Paddelklamotten anziehen, so dass sie im Endeffekt nur etwa eine dreiviertel Stunde vor uns loskommen.

Um viertel vor drei ist genug Wasser aufgelaufen, dass wir bequem von der Rampe einsetzen können. Der Wind kommt genau aus Westen - wir glauben zwar nicht, dass er auf die versprochenen vierzehn Meter pro Sekunde kommt, aber er weht kräftig. Wir sind von Anfang an recht schnell, aber es ist natürlich nicht ganz einfach, unter solchen Bedingungen einen gerade Kurs zu fahren. Da uns im Hoogefahrwasser eine Fähre entgegenkommt, wollen wir auf Nummer sicher gehen und sie nördlich passieren lassen. Aber dann dreht die Fähre nach Süden ab, so dass wir uns umentscheiden. Leider scheint der Kapitän sehr unentschlossen und ändert noch mehrmals seinen Kurs, aber wir erkennen immerhin, dass das Schiff keine große Geschwindigkeit drauf hat. Erst als wir ziemlich nahe sind, erkennen wir, dass es vor Anker liegt und einfach in der Strömung hin und her schwoit.

Über den flachen Sänden steht eine interessante Welle, die ich sehr genieße. Aus den Bemerkungen meiner Mitpaddler schließe ich später, dass sie nicht ganz so begeistert sind von diesem Chaos. Okay, müssen wir nächstes Mal den Kurs vielleicht besser abstimmen. In den tieferen Prielen sind die Wellen regelmäßiger und wir können einige schöne Surfs genießen. Was für ein Spaß bei warmen Wasser mit Wind und Wellen im Rücken nach Hause zu fliegen! Nach genau zwei Stunden laufen wir über die Rampe des Anlegers in Schlüttsiel. Die andere Gruppe packt noch ihre Sachen vorm Segelsteg. Sie fahren im Endeffekt immerhin zwei Minuten vor uns los.



GPS-Daten der Tour: Nordsee 2020

Sonntag, 5. Juli 2020

Liederschipp...

Seit vergangenem Jahr gibt es bei uns im Verein eine Gruppe, die sich weiterbilden möchte - nicht nur in Bezug auf persönliche Fertigkeiten sondern vor allem auch im Hinblick auf Anleitung und Führung von Gruppen - Leadership eben! Wir treffen uns zu "regelmäßigen" Terminen, um jedesmal ausgesuchte Themen zu üben und zu vertiefen. Leider ist es bei uns auf der Förde etwas schwieriger als in Wales oder auf Jersey schroffe Felsen, chaotische Strömungen und wilde Wellen zu finden, die anspruchsvolle Bedingungen erzeugen würden.

Als die Wettervorhersage für unseren heutigen Termin in glaubwürdige Nähe rückt, bin ich ganz entzückt:


Zwölf Meter pro Sekunde - das sind satte sechs Windstärken! Aus Westen, was bedeutet, dass vor der Spundwand des Mönkeberger Segelhafens ordentliche Klapotis zu erwarten sind! Wenigstens das würde anspruchsvolle Bedingungen hervorrufen. Und der Regen, den sie in den letzten Tagen für heute immer vorhergesagt hatten, ist in unserem anvisierten Zeitfenster auch nicht mehr vorhanden.

Voller Vorfreude fahre ich zur Bootshalle. Aber mein Blick auf die Förde auf dem Weg dorthin kann irgendwie nicht die erwarteten weißen Schaumkronen entdecken, die bei dieser Windstärke eigentlich Pflicht sind. Vermutlich wirkt hier an der Kiellinie die Windabdeckung eben noch zu stark, und ich kann nur nicht weit genug sehen, weil es - nun ja - weil es regnet. Hmm - da ist der Wettervorhersage leider nicht ganz exakt gewesen.

Da ich schon in Trockenanzug und Neoprenschuhen angereist bin, um wegen Corona die Umkleiden nicht benutzen zu müssen, kann ich erst mal die Regenrinne unseres Poloschuppens reparieren, während die anderen sich umziehen. Trotz des nicht gerade verlockenden Wetters, sind ein paar junge Leute zum Baden auf dem Steg versammelt. Vermutlich Kieler, denn das Wetter bietet alles, was man sich in Kiel unter Sommer vorstellt: steifen Wind, knapp zweistellige Lufttemperaturen und feinen Nieselregen.

Auf der Fahrt nach Mönkeberg schiebt der Wind - aber das haben wir schon heftiger erlebt. Auch hier sind keine weißen Schaumkronen zu sehen. An der Spundwand vor dem Ölberg kurz südlich des Mönkeberger Segelhafens schaukelt das Wasser eher so, dass ich gut und gerne mit meiner Anfängertruppe hier unterwegs sein könnte, als dass es begierig nach Herausforderung suchenden Paddlern irgendwelche Anreize bietet. Am Segelhafen angekommen, müssen wir zugeben, dass die Bedingungen eher an eine Flaute grenzen, als an spritzende Windstärke sechs. Nur mit gutem - mit sehr gutem Willen kann man hier Windstärke vier spüren. Was für eine Enttäuschung!

Wir machen erst einmal jeder für sich einige Übungen zum Aufwärmen. Wriggen, Rollen, hohe Stütze. Auf der Kaimauer des Mönkeberger Hafens hat sich eine Handvoll wetterfest eingepackter Schaulustiger versammelt, die auf das Einlaufen der Teilnehmer der 24-Stunden-Segel-Regatta warten. Bei dieser Regatta muss man versuchen, innerhalb von 24 Stunden in einem festgelegten Seegebiet (Kieler Bucht - "großdeutsch" erweitert) möglichst viele Seemeilen zurückzulegen. Da dürfte bei dem Wind, der die ganzen letzten Tage geherrscht hat, einiges zusammengekommen sein. Einzig die Bedingung, spätestens um exakt 11 Uhr die Ziellinie passieren zu müssen, wird wohl allzu hochtrabende Pläne dämpfen!

Während wir so vor uns hinüben, frischt der Wind überraschend schnell und deutlich auf! So hellen sich die Gesichter auf und wir bekommen doch noch ein anspruchsvolles Umfeld für unsere Übungen!

Ich muss ja unbedingt noch mal den "Cowboy"-Einstieg üben, bei dem Betzi mir letztes Mal bewiesen hat, dass man mein Boot doch alleine im Wasser schwimmend lentzen kann, ohne selbst dabei unter zu gehen. Gesagt, getan - und siehe da - ich bekomme mein Boot tatsächlich fast komplett leer! Vielleicht war das auf der Schulter platzierte Paddel der ultimative Tipp, der verhindert, dass ich mich selbst schneller unter Wasser drücke, als ich mein Boot aus selbigem heben kann. Aber das war ja nur der erste Teil dieser Einstiegsmethode. Beim zweiten Teil, bei dem man sich selbst wieder ins Cockpit manövrieren muss, habe ich auch noch Defizite, so dass ich auf halben Wege wieder ins Wasser falle. Diesen Teil werde ich mal separat im Schwimmbad üben. Solange der nicht sitzt, werde ich diese Methode im Ernstfall nicht anwenden, sondern lieber auf den bei mir verlässlich funktionierenden Unterwassereinstieg mit anschließendem Hochrollen zurückgreifen.

Das zweite Thema, das wir vertiefen wollten, war ein "All-In"-Szenario. Maditha, Lauritz und ich bilden die Kentergruppe, Betzi schaut sich das belustigt an. Zwar sind wir allesamt sicher und ohne Probleme wieder in unsere Boote zurückgekommen - aber souverän geht anders! Ich glaube, dass alle Theorie hier nur zweitrangig ist - man muss es einfach so oft üben, bis sich so etwas wie Routine einstellt. Andererseits ist dieses Thema für uns immer etwas synthetisch, weil jeder von uns sicher alleine in sein Boot zurückkommt und dies immer die erste Option wäre, die man im Ernstfall anwenden würde. Dass drei von unserem Kenntnis- und Ausbildungsstand es gleichzeitig nicht eigenständig ins Boot zurück schaffen, ist ein eher unwahrscheinliches Szenario. Trotzdem ist es gut, dies zu üben, denn "Liederschipp" heißt auch, es anderen vermitteln zu können - und dann ist es schon von Vorteil, wenn man weiß, worauf es ankommt und was die Schwierigkeiten sind.

Das Thema "ein einsamer Paddler schwimmt ohne sein Boot im Ozean" gepaart mit "ein einsames Boot treibt willenlos übers Weltmeer" stellen uns vor keine großen Probleme. Festzuhalten ist aber, dass ein "aufrecht" auf dem Wasser treibendes Boot bei den herrschenden Windgeschwindigkeiten eine beeindruckende Geschwindigkeit entwickelt! Einmal musste ich mich echt sputen, um Madithas Boot noch einzufangen, bevor es auf den vor Kitzeberg aus dem Wasser ragenden Bunkerresten zerschellt wäre. Treibt das Boot mit dem Cockpit unten im Wasser, ist es deutlich langsamer. Hat man das Boot mit der kurzen Leine eingeklinkt, ist ein Manövrieren mit diesem Verbund extrem anstrengend. Erst wenn man die kurze Leine soweit verlängert, dass das geschleppte Boot etwas frei floaten kann, sind seitliche Manöver einigermaßen problemlos möglich.

Als Fazit bleibt zweierlei: zum einen ist es ein Unterschied wie Tag und Nacht, ob die Wassertemperatur wie heute 18 Grad beträgt, oder nur 10 Grad oder weniger! Heute haben wir zwar gesehen, dass z.B. das "All-In" länglich gedauert hat, aber es war nicht dermaßen unangenehm wie bei früheren Terminen. Zum zweiten ist es einfach unerlässlich, auch vermeintlich bekannte und beherrschte Szenarien immer wieder zu praktizieren und zu üben - nur so entsteht die vorhin zitierte Routine und Souveränität. Aber wenn das Üben so viel Spaß macht wie heute, ist das nicht lästige Pflicht sondern Ansporn und Vorfreude aufs nächste Mal!

(Fotos Courtesy Bettina B.)