Sonntag, 5. Juli 2020

Liederschipp...

Seit vergangenem Jahr gibt es bei uns im Verein eine Gruppe, die sich weiterbilden möchte - nicht nur in Bezug auf persönliche Fertigkeiten sondern vor allem auch im Hinblick auf Anleitung und Führung von Gruppen - Leadership eben! Wir treffen uns zu "regelmäßigen" Terminen, um jedesmal ausgesuchte Themen zu üben und zu vertiefen. Leider ist es bei uns auf der Förde etwas schwieriger als in Wales oder auf Jersey schroffe Felsen, chaotische Strömungen und wilde Wellen zu finden, die anspruchsvolle Bedingungen erzeugen würden.

Als die Wettervorhersage für unseren heutigen Termin in glaubwürdige Nähe rückt, bin ich ganz entzückt:


Zwölf Meter pro Sekunde - das sind satte sechs Windstärken! Aus Westen, was bedeutet, dass vor der Spundwand des Mönkeberger Segelhafens ordentliche Klapotis zu erwarten sind! Wenigstens das würde anspruchsvolle Bedingungen hervorrufen. Und der Regen, den sie in den letzten Tagen für heute immer vorhergesagt hatten, ist in unserem anvisierten Zeitfenster auch nicht mehr vorhanden.

Voller Vorfreude fahre ich zur Bootshalle. Aber mein Blick auf die Förde auf dem Weg dorthin kann irgendwie nicht die erwarteten weißen Schaumkronen entdecken, die bei dieser Windstärke eigentlich Pflicht sind. Vermutlich wirkt hier an der Kiellinie die Windabdeckung eben noch zu stark, und ich kann nur nicht weit genug sehen, weil es - nun ja - weil es regnet. Hmm - da ist der Wettervorhersage leider nicht ganz exakt gewesen.

Da ich schon in Trockenanzug und Neoprenschuhen angereist bin, um wegen Corona die Umkleiden nicht benutzen zu müssen, kann ich erst mal die Regenrinne unseres Poloschuppens reparieren, während die anderen sich umziehen. Trotz des nicht gerade verlockenden Wetters, sind ein paar junge Leute zum Baden auf dem Steg versammelt. Vermutlich Kieler, denn das Wetter bietet alles, was man sich in Kiel unter Sommer vorstellt: steifen Wind, knapp zweistellige Lufttemperaturen und feinen Nieselregen.

Auf der Fahrt nach Mönkeberg schiebt der Wind - aber das haben wir schon heftiger erlebt. Auch hier sind keine weißen Schaumkronen zu sehen. An der Spundwand vor dem Ölberg kurz südlich des Mönkeberger Segelhafens schaukelt das Wasser eher so, dass ich gut und gerne mit meiner Anfängertruppe hier unterwegs sein könnte, als dass es begierig nach Herausforderung suchenden Paddlern irgendwelche Anreize bietet. Am Segelhafen angekommen, müssen wir zugeben, dass die Bedingungen eher an eine Flaute grenzen, als an spritzende Windstärke sechs. Nur mit gutem - mit sehr gutem Willen kann man hier Windstärke vier spüren. Was für eine Enttäuschung!

Wir machen erst einmal jeder für sich einige Übungen zum Aufwärmen. Wriggen, Rollen, hohe Stütze. Auf der Kaimauer des Mönkeberger Hafens hat sich eine Handvoll wetterfest eingepackter Schaulustiger versammelt, die auf das Einlaufen der Teilnehmer der 24-Stunden-Segel-Regatta warten. Bei dieser Regatta muss man versuchen, innerhalb von 24 Stunden in einem festgelegten Seegebiet (Kieler Bucht - "großdeutsch" erweitert) möglichst viele Seemeilen zurückzulegen. Da dürfte bei dem Wind, der die ganzen letzten Tage geherrscht hat, einiges zusammengekommen sein. Einzig die Bedingung, spätestens um exakt 11 Uhr die Ziellinie passieren zu müssen, wird wohl allzu hochtrabende Pläne dämpfen!

Während wir so vor uns hinüben, frischt der Wind überraschend schnell und deutlich auf! So hellen sich die Gesichter auf und wir bekommen doch noch ein anspruchsvolles Umfeld für unsere Übungen!

Ich muss ja unbedingt noch mal den "Cowboy"-Einstieg üben, bei dem Betzi mir letztes Mal bewiesen hat, dass man mein Boot doch alleine im Wasser schwimmend lentzen kann, ohne selbst dabei unter zu gehen. Gesagt, getan - und siehe da - ich bekomme mein Boot tatsächlich fast komplett leer! Vielleicht war das auf der Schulter platzierte Paddel der ultimative Tipp, der verhindert, dass ich mich selbst schneller unter Wasser drücke, als ich mein Boot aus selbigem heben kann. Aber das war ja nur der erste Teil dieser Einstiegsmethode. Beim zweiten Teil, bei dem man sich selbst wieder ins Cockpit manövrieren muss, habe ich auch noch Defizite, so dass ich auf halben Wege wieder ins Wasser falle. Diesen Teil werde ich mal separat im Schwimmbad üben. Solange der nicht sitzt, werde ich diese Methode im Ernstfall nicht anwenden, sondern lieber auf den bei mir verlässlich funktionierenden Unterwassereinstieg mit anschließendem Hochrollen zurückgreifen.

Das zweite Thema, das wir vertiefen wollten, war ein "All-In"-Szenario. Maditha, Lauritz und ich bilden die Kentergruppe, Betzi schaut sich das belustigt an. Zwar sind wir allesamt sicher und ohne Probleme wieder in unsere Boote zurückgekommen - aber souverän geht anders! Ich glaube, dass alle Theorie hier nur zweitrangig ist - man muss es einfach so oft üben, bis sich so etwas wie Routine einstellt. Andererseits ist dieses Thema für uns immer etwas synthetisch, weil jeder von uns sicher alleine in sein Boot zurückkommt und dies immer die erste Option wäre, die man im Ernstfall anwenden würde. Dass drei von unserem Kenntnis- und Ausbildungsstand es gleichzeitig nicht eigenständig ins Boot zurück schaffen, ist ein eher unwahrscheinliches Szenario. Trotzdem ist es gut, dies zu üben, denn "Liederschipp" heißt auch, es anderen vermitteln zu können - und dann ist es schon von Vorteil, wenn man weiß, worauf es ankommt und was die Schwierigkeiten sind.

Das Thema "ein einsamer Paddler schwimmt ohne sein Boot im Ozean" gepaart mit "ein einsames Boot treibt willenlos übers Weltmeer" stellen uns vor keine großen Probleme. Festzuhalten ist aber, dass ein "aufrecht" auf dem Wasser treibendes Boot bei den herrschenden Windgeschwindigkeiten eine beeindruckende Geschwindigkeit entwickelt! Einmal musste ich mich echt sputen, um Madithas Boot noch einzufangen, bevor es auf den vor Kitzeberg aus dem Wasser ragenden Bunkerresten zerschellt wäre. Treibt das Boot mit dem Cockpit unten im Wasser, ist es deutlich langsamer. Hat man das Boot mit der kurzen Leine eingeklinkt, ist ein Manövrieren mit diesem Verbund extrem anstrengend. Erst wenn man die kurze Leine soweit verlängert, dass das geschleppte Boot etwas frei floaten kann, sind seitliche Manöver einigermaßen problemlos möglich.

Als Fazit bleibt zweierlei: zum einen ist es ein Unterschied wie Tag und Nacht, ob die Wassertemperatur wie heute 18 Grad beträgt, oder nur 10 Grad oder weniger! Heute haben wir zwar gesehen, dass z.B. das "All-In" länglich gedauert hat, aber es war nicht dermaßen unangenehm wie bei früheren Terminen. Zum zweiten ist es einfach unerlässlich, auch vermeintlich bekannte und beherrschte Szenarien immer wieder zu praktizieren und zu üben - nur so entsteht die vorhin zitierte Routine und Souveränität. Aber wenn das Üben so viel Spaß macht wie heute, ist das nicht lästige Pflicht sondern Ansporn und Vorfreude aufs nächste Mal!

(Fotos Courtesy Bettina B.)

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