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Windwerte zu Pfingsten auf Hooge |
Leider liegt zwischen meinem Heimatstandort und Wilhelmshaven der Elbtunnel — und gefühlt verbringen außer mir auch alle anderen Kfz-Besitzer den Freitag vor Pfingsten auf der Autobahn. So benötige ich für die Hinfahrt über fünf Stunden! Ich fahre nie wieder Pfingsten durch den Elbtunnel!
Die übrige Truppe sitzt bereits gemütlich in der "Messe" des Vereinsheimes beieinander, als ich ankomme. Ich baue kurz mein Zelt auf und geselle mich dazu. Es sind neun Personen, die da aus allen Ecken der Republik zusammen gekommen sind. Elke und Susanne kenne ich bereits. Dann sind da noch Hannes, der wie die beiden aus Bremen kommt, Sven und Güli aus Hannover, Antje aus Unna, Martina und Ralf aus Hamburg und Christoph aus Bremerhaven.
Als erstes merke ich bei der Vorstellung, dass ich Martina bereits kenne. Ich habe an ihrem Online-Abend über Angst teilgenommen, den sie für die Salzwasser-Union ausgerichtet hat. Außerdem hat sie im Wesentlichen in der Schweiz das Seekajakfahren gelernt — bei Rene, den ich wiederum mal auf Anglesey getroffen habe. Da mir auch Christoph so bekannt vorkommt, forschen wir gemeinsam etwas nach und finden heraus, dass wir beide vor zwei Jahren am Treibgut-Seminar des BKW teilgenommen haben.
Elke präsentiert mir ihre Idee für die kommenden Tage. Das sind ambitionierte Ziele, und die Wettervorhersage hat nicht gerade liebliche Winde im Angebot. Ich bin etwas verhalten, den Plan uneingeschränkt gutzuheißen. Dafür kenne ich die Truppe zu wenig, und das Wetter ist noch etwas unsicher. So entgegne ich auf den beschwichtigenden Kommentar für die geplante Fahrt nach Baltrum: "Ist doch nur eine Stunde!" mit "Sagen wir lieber: Es sind sieben Kilometer!".
Die Teilnehmer — und damit Prüfungsaspiranten — erklären mir noch den Plan für morgen in allen Details: Mit dem Auto nach Horumer Siel, dann östlich um das Minsener Oog herum, durch das Fahrwasser nach Wangerooge zum alten Anleger und durchs Wattfahrwasser westlich des Minsener Oogs zurück nach Horumer Siel. Die Tide lässt ein Aufstehen zu christlicher Zeit und ein gemütliches Frühstück zu. So liebe ich Fahrtenplanung: einfach nur dasitzen und anhören, was andere ausgearbeitet haben 😊.Im Hafen von Horumer Siel ist einiges an Fußmarsch zu absolvieren, um Boote und Ausrüstung vom Parkplatz an einen Ort zu schaffen, wo wir ins Wasser gehen können. Leider hat der Füßling meines Trockenanzugs im Neoprenschuh eine Falte geschlagen. Mein kleiner Zeh wehrt sich wacker gegen die Angriffe der Falte — muss aber schließlich den Klügeren spielen und sich mit der Bildung einer Blase geschlagen geben.
Wir lassen die Boote südlich der Buhne an der Steinkante zu Wasser. Das ist wesentlich angenehmer als nördlich davon, wo zwar ein Sandstrand ist, dahinter aber ekliges Schlickwatt lauert. Zur unfallfreien Abwicklung bilden wir eine Kette und reichen die Boote von hinten nach vorne durch. So muss niemand mehr als nötig über die rutschigen Steine latschen.
Nachdem wir den Flachwasserbereich verlassen und in die Nähe des Fahrwassers kommen, erreicht unsere Geschwindigkeit fast durchgängig zweistellige Werte. Auch die Wellenhöhe macht dem Begriff "Seekajak-Tour" allmählich Ehre. Selbst als der Führungsauftrag von Susanne auf Christoph übertragen wird und wir eine Weile antriebslos auf der Nordsee dümpeln, weil wir erst mal neu eingenordet werden, beträgt die Geschwindigkeit immer noch 4 km/h. Fast müssen wir befürchten, viel zu früh an unserem Zielpunkt anzukommen.Aber schon bald müssen wir hinter dem Minsener Oog nach Westen einschwenken und damit gegen den Strom fahren. Während wir einschwenken, kann man an der nahen Untiefentonne wunderbar erkennen, wie wir vehement nach Norden versetzt werden. Ohne solche Referenzobjekte hat man keine Chance, seine Abdrift zu erkennen. Gut — man könnte ein GPS-Gerät benutzen, aber das wäre zu einfach.
Wir sind recht knapp hinter dem Minsener Oog abgebogen, um etwas über den Wattrücken abzukürzen. Darauf sind zwar schon weiß brechende Wellen zu erkennen, aber es sieht aus, als wenn da noch genug Wasser für uns drüber steht. Das stimmt auch für fast alle! Nur Hannes muss irgendwann erkennen, dass er sein Boot ein Stück tragen muss, wenn er nicht sechs Stunden auf das Einsetzen der nächsten Flut warten will.Die Pause auf dem Trittstein auf Wangerooge ist nicht wirklich gemütlich. Die Sonne hat sich hinter Wolken versteckt, es geht ein frischer Wind und immer wieder setzt Regen ein. Dafür kann hier jeder vorführen, was er oder sie als Wetterschutz mitführt. Es wird eine bunte Schau der Storm-Cags.
Der Rückweg ist wenig spektakulär, denn der Wind bleibt hinter der Vorhersage zurück und wir fahren durchgängig durch flaches Wasser.Für den Sonntag war eigentlich geplant, Incidence-Management im Nassau-Hafen zu üben. Da der Wind aber nicht gar so garstig werden soll, wollen wir einfach den Jadebusen nach Osten überqueren und vor Eckwarderhörne Rettungsübungen machen. Dort haben wir dann wenigstens Wind und Wellen, was ein viel realistischeres Szenario verspricht.
Jeder Teilnehmer soll einmal als Schwimmer und einmal als Retter einen assistierten Wiedereinstieg durchführen. Da uns der Wind mit Macht auf die nahe Steinschüttung drückt, muss gleichzeitig jeweils ein Dritter dafür sorgen, die beiden Agierenden vor der Kollision mit dem Ufer zu bewahren. Alle meistern die Aufgaben ohne Probleme, aber man sieht, dass sie dabei auch eine Menge lernen, denn so oft übt man das nicht unter solchen Bedingungen. Besonders der Schleppbeauftragte muss feststellen, dass es alles andere als einfach ist, hier seine Leine schnell und wirkungvoll einzusetzen.
Am Ende demonstriere ich noch mal die "Hand of God"-Technik. Dabei ist mir Martina ein williges "Opfer", die überhaupt keine Probleme damit hat, sich bewusstlos zu stellen und mit dem Kopf unter Wasser geduldig zu warten, bis ich sie wieder hochhole! Respekt! Einige der Teilnehmer wollen das danach auch noch mal üben.Auch wenn man hier durchaus durch Üben besser werden kann, wir sind uns alle einig, dass wir nicht wünschen, diese Technik einmal wirklich zu benötigen. Insbesondere das Anfahren an das Opfer dauert so lange, dass ich hoffe, dass man im Zustand der Bewusstlosigkeit besonders entspannt ist, um unter Wasser auf das Eintreffen des Retters zu warten!
Bei der Rücktour müssen wir uns gegen den Wind quer zum jetzt voll ablaufenden Wasser nach Westen kämpfen. Das beschert und einige interessante Wellen. Und man sieht an unserer GPS-Spur, wie wir mit Eintritt in das Fahrwasser deutlich nach Norden versetzt werden.Die ursprünglich angedachte zweitägige Tour nach Baltrum haben wir einvernehmlich gegen eine Fahrt nach Dangast eingetauscht — auch wenn wir dafür diesmal schon um unchristliche sieben Uhr aufstehen müssen!
Vom Nassauhafen aus startend ist die Herausforderung hier im wesentlichen, den Priggenweg zu finden, der einen direkt nach Dangast leitet. Hat man in ihn eingefädelt, ist es keine große Tat mehr, das Ziel zu erreichen. Allerdings muss man hin und wieder noch mal auf Ausflugsboote und die Sportschifffahrt achten. Da waren die Teilnehmer aber dermaßen achtsam, dass ich immer Schwierigkeiten hatte, das gemeldete, sich annähernde Boot überhaupt auszumachen. Der Alarm kam nämlich immer schon, wenn es sich praktisch gerade über die Kimm geschoben hatte. Mit diesem Ansatz käme ich auf der Kieler Förde nie aus dem Alarm-Modus heraus, weil einfach die Verkehrsdicht dort so viel höher ist. Aber es schadet ja nicht, wenn man frühzeitig warnt und dann alle Zeit der Welt hat, die weitere Entwicklung der Annäherung zu beobachten.
Was ich bei der Annährung an den Badestrand von Dangast beobachte, lässt mich leicht ins Grübeln kommen. Ich kann mich einfach nicht des Eindrucks erwären, dass ich da etwas Unanständiges erblicke. Nachdem Anlanden vergewissere ich mich gleich — aber mein Unglauben wird nur durch Ratlosigkeit eingetauscht: da steht tatsächlich die Skulptur eines überdimensionalen, in Stein gehauenen Phallus am Strand zwischen flanierenden Touristen und spielenden Kindern!Und weiß noch jemand etwas über die Familie Thiekötter? Mit denen sind die Halfs früher oft auf Tour gegangen. Nein, niemand weiß etwas über das Schiksal der Thiekötters — aber Güli hat irgendwann das Boot von Frau Thiekötter gekauft und ist hier damit unterwegs!
Frau Half hat so viel zu erzählen und freut sich sehr, dass "junge" Menschen den geliebten Sport weiter betreiben und pflegen, dass darüber einige Zeit ins plattdeutsche Land streicht. Unser eingeteilter Fahrtenleiter für die Rückfahrt wird wegen des ablaufenden Wassers langsam nervös und möchte sein Briefing beginnen. Aber die paar Minuten Verzögerung für so eine liebe Begegnung müssen auch auf Tidengewässern drin sein!
Wie auf der Hinfahrt machen wir auch jetzt Gebrauch von unserem geringen Tiefgang und folgen dem wild mäandernden Priggenweg nicht von Anfang an. Stattdessen kürzen wir gehörig ab und fädeln erst später in seine Gasse ein. Der Wind frischt auf und kommt nun aus West-Süd-West. Zu meiner Freude lässt der Fahrtenleiter Hannes den Priggenweg irgendwann Priggenweg sein und schwenkt aus ihm heraus. Dadurch gewinnen wir Höhe gegen den Wind, den wir bald durch einen deutlichen Schwenk nach Osten quasi in Rückenwind verwandeln. Ich nutze das gleich, um den einen oder anderen Surf zu genießen.Je näher wir dem mit einer senkrechten Spundwand befestigten Ufer kommen, desto stärker machen sich die dadurch verursachten Reflexionswellen bemerkbar. Ich glaube nicht, dass Hannes dieser Effekt bewusst war, aber ich bin ihm dankbar, dass er die Gruppe da mitten hinein führt. Dieses "Kopfsteinpflaster des Meeres" ist für mich immer eine Quelle für großen Spaß! Und die Gruppe hat ein weiteres Mal die Gelegenheit, ihre große paddlerische Kompetenz unter Beweis zu stellen — niemand hat auch nur ansatzweise einen angespannten Gesichtsausdruck! Hätte ich anfangs gewusst, welches paddlerische Vermögen in der Gruppe versammelt ist, wäre ich nicht so verhalten gewesen, als Elke mir ihre Planung unterbreitet hat!
Bei der abschließenden Besprechung über die EPP-Würdigkeit der Teilnehmer stellt sich noch heraus, dass ich Antjes Mann auch kenne: mit ihm habe ich vor zwei Jahren eine gute Woche auf Jersey verbracht. Er war der Kandidat, der während meiner Prüfung zum Sea Kayak Leader aus seinem Boot gefallen ist, weil eine gigantische Welle es gegen einen Felsen katapultiert und dann senkrecht gestellt hat. Mit der nächsten Welle flog dann sein leeres Boot in hohem Bogen über den Felsen durch die Luft. So etwas vergisst man nicht!
Wenn man sich die vielen Querverbindungen zwischen den beteiligten Menschen vor Augen hält, die sich auf dieser Tour offenbart haben, dann muss man konstatieren, dass die Welt des Seekajak-Fahrens aus einer überschaubaren Gemeinde gebildet wird.