Sonntag, 13. Juli 2025

Jägerschnitzel mit Pilzen und Bauernfrühstück ohne Speck

Wie schön, dass in unserem Verein Leute nachrutschen, die Touren auf der Nordsee anbieten! Bislang blieb das immer eher an mir hängen, nun haben sich Simon und Peter zusammengetan, eine Tour für Nordsee-Einsteiger zu organisieren. Peter war eigentlich schon immer in der Lage dazu, hatte aber nicht so viel damit am Hut, sich am Fahrtenprogramm des Vereins zu beteiligen. Simon ist auf dem Weg, sich in dieses Thema reinzufinden. Was für eine glückliche Kombi - und ich kann mich beruhigt zurücklehnen ;-)

Natürlich will ich selbst auch gerne mit auf die Nordsee und nach Hooge - aber es ist keine gute Idee als "alter Hase", der meint, alles besser zu wissen, sich in diesen Prozess einzumischen. Aber wenn ich gar nicht mitfahre, sondern einfach nur zum selben Zeitpunkt auch nach Hooge fahre? Da spricht doch eigentlich nichts dagegen! Jedenfalls haben Simon und Peter keine ausschließenden Bedenken geäußert. Jörg hatte vorher schon Interesse an einer "Auch-Fahrt" bekundet, und so bilden wir beide einfach eine zweite Gruppe, die am selben Tag zufällig auch nach Hooge fährt.

Während wir im Bulli vorbei an Spinkebüll und den anderen einschlägigen Metropolen Nordfrieslands nach Schlüttsiel schiggern, rätselt Jörg darüber, ob er wirklich alles dabei hat. Meine Devise ist immer: ich habe bestimmt nicht alles dabei, aber genug, um damit über die Runden zu kommen! Beim Durchgehen meiner Ausrüstung in Gedanken kommt in mir das Gefühl hoch, dass ich meinen Camping-Stuhl nicht eingepackt habe. Ich kann mich immer recht gut daran erinnern, welche Gegenstände ich beim Packvorgang in den Händen gehabt habe - der Heli-Stuhl war nicht dabei. Das ist schade, aber kein Beinbruch!

In Hafen von Schlüttsiel steht Angela schon bereit. Sie ist solo angereist, denn sie kommt nicht aus Kiel sondern aus dem tiefen Süden unseres nordischen Landes. Auf der anderen Seite des Hafens macht sich ebenfalls eine Gruppe Paddler fertig - es ist eine Tour, die Antje F. für den Hamburger LKV anbietet. Wenig später treffen auch die restlichen Kieler ein - so dass unser Vereinskontingent mit sieben Personen vollständig ist. Nur Bernhard und Bianca (die den meisten eher unter ihrem Pseudonym Isabelle bekannt ist) haben abgesagt: Bernhard musste sich kurzfristig einem heftigen Anfall von "Rücken" beugen, und Isabelle muss ihn jetzt pflegen!

Beim Umpacken unserer Ausrüstung vom Auto in die Boote fällt mir ziemlich bald mein Camping-Stuhl in die Hände. Welch Glückes Geschick! Dann kann ich doch gemütlich auf dem Deich in meinem Stuhl sitzen und den Sonnenuntergang genießen! Merkwürdig nur, dass ich mich nicht erinnern konnte, ihn eingepackt zu haben. Das klärt sich wenig später. Denn was mir nicht in die Hände kommt, ist meine Iso-Matte! Und jetzt dämmert es mir: ich hatte beim Einpacken den Stuhl für meine Matte gehalten, weil sie eine ähnliche Form und Größe haben! Wenn ich wählen könnte, würde ich lieber meinen Stuhl vergessen haben als meine Iso-Matte - aber hier kann ich nicht wählen! Das ist schade, aber auch kein Beinbruch, von dem ich mir die Tour vermiesen lasse!

Jörg und ich sind zwar als erste auf dem Wasser, aber wir wollen nicht vor den anderen losfahren. Da bei denen aber noch ein gründliches Briefing fällig ist, schließlich sind einige das erste Mal in diesem Revier, dümpeln wir eine ziemliche Weile im Hafenbecken herum. Den ersten Kilometer fahren wir noch eher hinter als vor der anderen Gruppe, aber die Verhältnisse sind unerwartet harmlos und niemand macht auch nur den Anschein, als wenn es ihm nicht geheuer ist. Irgendwann verfallen wir einfach in unser gewohntes Tempo. Wenn wir hier schon nichts beitragen können, wollen wir wenigstens nicht trödeln und damit auf Hooge möglichst komfortabel aussteigen.

Wie so oft erliegen wir auch diesmal unser laxen Navigation. Wir sind mit dem Revier so vertraut, dass wir nicht die Sorgfalt an den Tag legen, die für eine fehlerfreie Navigation notwendig wäre. Spätestens an der Tonne SA21/Ho13 müssten wir uns nämlich nach Süden den Tonnen Ho4 und Ho2 zuwenden. Dort wenden wir uns auch tatsächlich etwas nach Süden den beiden nächsten sichtbaren Tonnen zu - aber das sind SA22a und SA19a! Auf der Seekarte sieht das wie ein derber Fehler aus, aber Tonnen gegen die Sonne zu erkennen, ist nicht leicht, und wenn man zwei erwartet und zwei sieht - und die auch noch leicht südlicher als der bisherige Kurs liegen - ist man nur zu gerne bereit, die Erwartung leichtgläubig auf des Gesehene zu projizieren. Erst kurz vor der Tonne SA19a merke ich, dass wir viel zu weit nördlich und damit immer noch in der Süderaue sind. Wir hätten ab Tonne SA21/Ho13 einfach auf unseren Kompass sehen und direkt nach Süden steuern sollen - dann hätten wir auch irgendwann die beiden roten Tonnen des Hooge-Fahrwassers entdeckt! So schrammen wir knapp über das Flach zwischen der Süderaue und dem Hoogefahrwasser. Zu unserem Glück steht aber noch etwa ein halber Meter Wasser darüber. Und zum Glück sind wir mittlerweile so weit vor unseren Kameraden, dass sie uns nicht mehr sehen können. Dadurch ist zum einen sichergestellt, dass sie weiterhin glauben können, wir seien die weltbesten Navigatoren - und zum anderen besteht nicht die Gefahr, dass sie, statt selbst zu navigieren, einfach den beiden weltbesten Navigatoren nachfahren. Dann hätten sie nämlich definitiv das Problem, dass eben kein Wasser mehr über dem Flach steht!

Das Aussteigen an der Hooger Mole ist wie immer kein Vergnügen! Ich habe Angst, dass die hässlichen Austern sich einfach durch die Neoprenschuhe in meine Füße schneiden und damit der Unternehmung ein jähes Ende bereiten. Aber wir meistern die Aufgabe ohne Blutverlust.

Auf der Zeltwiese steht nur eine einzige Stoffhütte. Die Hamburger Gruppe ist also vermutlich nach Hilligenlei auf Langeness gefahren. Uns soll es recht sein. Die Bewohner der anderen Stoffhütte erkenne ich bald als Anke und Rainer E. aus Hamburg. Anke als Urgestein der Seekajak-Szene treffe ich seit vielen Jahren immer mal wieder - mal hier und
mal da.  Nachdem der Rest unserer Vereinsmitglieder eingetroffen und alle Zelte aufgebaut sind, wird emsig gekocht und gespeist. Das Wetter ist ziemlich gut, aber der konstante Wind lässt keine ausgelassene Gemütlichkeit aufkommen. So fällt die Anbetung des - zugegebenermaßen eher suboptimalen - Sonnenunterganges entsprechend kurz aus. Ich versuche, meine fehlende Iso-Matte durch irgendwelche Kleidungsstücke zu ersetzen, die ich mir unterlege...

Der Samstag beginnt mit halbherzigen Überlegungen, was man den paddeltechnisch bewerkstelligen könnte. Peter konnte gestern seine Führungsrolle beim Anlanden und Transportieren der Boote von der Mole zur Zeltwiese nicht ablegen und hat kräftig mitgeschleppt. Dass er eigentlich latent immer Problem mit "Rücken" hat, hat er zwar nicht vergessen - aber ignoriert! Das rächt sich heute morgen in Form heftiger Schmerzen, die seinen Gang wie den eines alten Mannes aussehen lassen. Paddeln fällt für ihn heute aus. Aber das muss ja nix für die anderen heißen. Die Windvorhersage ist aber eher garstig, so dass alle Optionen eine beinharte Komponente beinhalten würden - und auf der Hallig ist es ja auch sehr schön! So wird einhellig beschlossen, das Eiland genauer unter die Lupe zu nehmen und einen ausgiebigen Spaziergang darauf zu unternehmen. 

Abends wollen wir dann in den Friesenpesel gehen, um etwas zu essen. Damit unser Unterkommen dort sichergestellt ist, wollen wir uns kurz vorher telefonisch anmelden. Elke weist ihr Telefon an, beim Friesenpesel anzurufen. Wir hatten schon vorher darüber geredet, dass sich das Angebot dort über die Jahre immer weiter zum Dürftigeren hin entwickelt hat. Nun scheint die Situation aber endgültig prekär geworden zu sein: Sie hätten leider kein Personal und eine Bewirtung von neun Mäulern wäre schwierig. Aber wenn wir uns vorab auf einige wenige Gerichte verständigen könnten, könne sie wohl was vorbereiten. Lamm-Filet steht nicht zur Auswahl, nicht einmal Lamm-Frikadelle, zu dem das Filet schon vor einigen Jahre mutiert ist. Aber Jägerschnitzel mit Pilzen - und für Vegetarier Bauerfrühstück ohne Speck! Frische Luft und Betätigung darin machen hungrig - da schrumpfen die kulinarischen Ansprüche gerne mal auf ein Minimum. Wir ordern fünf Jägerschnitzel und vier mal Bauerfrühstück.

Unser Spaziergang bringt es an den Tag: Hooge ist verdammt groß! Immerhin schaffen wir genau die Hälfte einer Komplettumrundung! Auf der Hanswarft ist eine Pause mit Stärkung fällig. Hier kann man die legendäre Friesentorte ordern - eine komplexe Aufschichtung aus Mürbeteig, Blätterteig, Sahne und Pflaumenmus, an der man beim Versuch, den Verzehr einigermaßen ästhetisch zu bewerkstelligen, nur scheitern kann! Ich nehme lieber Apfelkuchen... . In den Gesprächen, bekümmert uns die Situation des Friesenpesels weiterhin. Wenn Lammfilet und nicht mal mehr Lamm-Frikadelle auf der Speisekarte stehen, kann das nichts Gutes bedeuten! Stattdessen haben sie jetzt Jägerschnitzel - das gab's früher nicht! Da ist wohl bald die letzte Luft raus! Wie schade das für Hooge wäre, wenn so ein ehemaliger Magnet seine Anziehungskraft komplett verlieren würde! 

Nach unserer Rückkehr auf die Zeltwiese sind wir vornehmlich damit beschäftigt, uns für den Besuch im Friesenpesel vorzubereiten. Dazu gehört Badengehen im durch die Springflut prall gefüllten Hafen (man kann dabei mit den Füßen im Schlick rühren!), auf der Wiese sitzen und die frisch gebadeten Füße auf den mitgebrachten Tisch legen, oder einfach dösen. Wir können noch einem Katamaran-Segler dabei zusehen, wie er in atemberaubendem Tempo die Hallig umrundet und mit vollem Karacho durch das schmale Fluttor in den Hafen brettert! Mitten im Hafenbecken springt sein mitgesegelter Sohn in voller Fahrt vom Boot! Das gefällt offensichtlich seiner Schwester so gut, dass der Katamaran mit ihr noch mal rausmuss, damit sie die Nummer mit dem Rausspringen bei voller Fahrt auch noch mal vorführen kann! Gegen Abend kommt noch die Hamburger Truppe an, die von Hilligenlei übergesetzt und ebenfalls Hooge umrundet hat.

Beim Friesenpesel nehmen wir gleich auf der Terasse Platz. Hier ist Windschutz und es ist lau genug. Prompt kommt die Bedienung an unseren Tisch und will uns Speisekarten überreichen. Wir geben uns zu erkennen, dass wir die Truppe sind, die sich angemeldet und das Essen abgestimmt hat, weil sie doch gerade kein Personal haben. "So, so. Na, wir sind ja jetzt da, da können sie ja schon mal wählen.". "Wir brauchen nicht zu wählen, weil wir ja schon mit Ihnen abgestimmt haben, dass wir fünf mal Jägerschnitzel mit Pilzen nehmen und viermal Bauernfrühstück - ohne Speck!" "Jagerschnitzel? Ich werde mal in der Küche fragen, was möglich ist." 

Der Friesenpesel in Silberstedt!
Wir sind leicht irritiert, dass sie so komplett uninformiert tut. Und außerdem sah es so aus, als wenn sie uns die ganz normale Speisekarte ohne Einschränkungen aushändigen wollte! Sehr merkwürdig alles! Bis Sven die Frage stellt: "Sind wir uns eigentlich sicher, dass wir beim richtigen Friesenpesel angerufen haben?" Ein kurzes Stutzen, ein Gelächter über die abstruse Idee - und ein kurzer Vergleich der Telefonnummer in Elkes Anrufverlauf mit der, die Peter für den Friesenpesel auf Hooge aus dem Internet gesucht hat - nun ja Hooge hat die Vorwahl 048... und nicht 046...! Ein kurzer Check: in Silberstedt gibt es noch einen Friesenpesel! Elke ruft - leicht rot angelaufen - noch mal an und entschuldigt sich mannigfaltig. "Das ist schön öfter passiert!", klingt es von der anderen Seite - und lässt mein Mitleid damit deutlich zusammenschmelzen. Wenn man das schon kennt, sollte man doch auf die Idee kommen, mal nachzufragen, ob denn wirklich der Friesenpesel in Silberstedt gemeint ist - vor allem wenn Elke heute Morgen auf die Frage "Wo sind sie denn gerade?" mit "Auf dem Campingplatz auf Hooge." geantwortet hat.

Nachdem die Situation gründlich geklärt ist, übernehmen wir die Speisekarten, studieren sie gründlich und finden alles, was das Herz begehrt. Auch das Lammfilet ist zurück auf der Liste - nur Jägerschnitzel sucht man vergeblich!

In der zweiten Nacht vermisse ich meine Iso-Matte praktisch gar nicht mehr. Ich habe mir nun zusätzlich meine mittlerweile durchgetrocknete kurze Neohose auch noch untergelegt. Unterm Strich muss ich aber zugeben, dass so eine Matte doch einen Mehrwert beisteuert und ich sie auf meine nächste Tour wieder mitnehmen werde!

Das Hochwasser am Sonntag ist erst am Nachmittag und wir können eigentlich nicht vor zwölf Uhr losfahren. Das beschert uns noch mal einen gemütlichen Vormittag, der uns aber durch einen nicht vereinbarten Nieselregen leider etwas vermieselt wird. Ich gehe zum Frühstück ins Seglerheim, wo sich auch die Hamburger Gruppe eingefunden hat. Sie diskutieren noch, ob sie bei dem herrschenden Wind überhaupt auf eigenem Kiel zurückfahren oder doch lieber die Fähre nehmen wollen. Da ist von Windstärken die Rede, die mich etwas fragend zurücklassen. Möglicherweise liegt das daran, dass der Windmesser hier die Geschwindigkeit in Knoten anzeigt. Die Werte sind dann etwa doppelt so hoch, wie die entsprechenden Werte in Meter pro Sekunde. Antje ruft mich irgendwann zur Seite, um mich nach meiner Meinung zu fragen. Ich bestätige ihre Einschätzung, dass es maximal vier Windstärken sind, was der Truppe keine wesentlichen Probleme bereiten sollte. Die Herausforderung besteht lediglich in der Tatsache, dass man zwanzig Kilometer gegen den Wind fahren muss.

Antjes Ansage an die Truppe ist super professionell: Sie schildert ihre Einschätzung ohne Beschönigung, macht aber deutlich, dass sie die Bedingungen für die Gruppe für machbar hält. Sie stellt auch drucklos die Alternativen zur Auswahl. Dass es kein Problem für sie sei, wenn alle die Fähre wählen würden, und ebensowenig, wenn nur einige sich dafür entscheiden. Jeder erhält Zeit und Gelegenheit, in sich zu horchen und frei zu äußern, wie sich das für ihn anfühlt und wofür er sich entscheidet. Am Ende wählt nur eine Person die Fähre, die aber bereits vorher körperliche Beschwerden geäußert hatte. Ich habe mir das erst still angehört und nach der Entscheidung aller noch mal angemerkt, dass ich die Aktion nicht nur für machbar halte, sondern dass ich überzeugt bin, dass alle auch Spaß daran haben und eine Menge lernen werden.

Die Hamburger rollern auf die Ostseite des Hafentores, wo der Weg zum Wasser kürzer und risikolos ist, unsere Truppe trägt die Boote auf der Westseite dem Wasser entgegen - und Jörg und ich wählen die Mole als Einsatzstelle. Wir beide sind zwar als erstes auf dem Wasser, aber die anderen kommen nicht wesentlich später los. Statt dem Hooge-Fahrwasser zu folgen, wollen Jörg und ich direkt und gleich in die Süderaue fahren, weil dort der meiste Strom geht - und man beim Navigieren nicht so aufpassen muss! Die Fahrt ist unspektakulär, denn der Wind erreicht nur mit einiger Mühe vier Beaufort - und aus Osten kommend, kann er auch nicht viel ausrichten und gemeine Wellen zusammenschieben. Zum Abschluss gehen wir noch auf einen Milchkaffee (Jörg) und einen Tee (ich) in das Sielrestaurant. Der Tee ist wirklich ausgesprochen lecker - aber wir müssen das Lokal bald verlassen, weil es einfach unerträglich warm darin ist.

(GPS-Tracks der Touren hier.) 

Dienstag, 10. Juni 2025

Klein ist die Seekajak-Gemeinde!

 

Windwerte zu Pfingsten auf Hooge
Eigentlich — Moment mal, hatten wir das nicht gerade?

Eine EPP-4-Prüfungsfahrt zu Pfingsten hatten Elke und ich schon im vergangenen Jahr verabredet. Hooge hätte es eigentlich sein sollen. Aber Hooge ist an diesem Pfingsten nicht gut (per Kajak) zu erreichen, der Wind dort soll nach der Vorhersage durchgängig mit sechs bis sieben Beaufort blasen. Dafür soll es fast jeden Tag regnen. Also überlegen wir noch einige Alternativen und wählen schließlich den Jadebusen als Revier und den Wilhelmshavener Kanu-Klub als Standquartier.

Leider liegt zwischen meinem Heimatstandort und Wilhelmshaven der Elbtunnel — und gefühlt verbringen außer mir auch alle anderen Kfz-Besitzer den Freitag vor Pfingsten auf der Autobahn. So benötige ich für die Hinfahrt über fünf Stunden! Ich fahre nie wieder Pfingsten durch den Elbtunnel!

Die übrige Truppe sitzt bereits gemütlich in der "Messe" des Vereinsheimes beieinander, als ich ankomme. Ich baue kurz mein Zelt auf und geselle mich dazu. Es sind neun Personen, die da aus allen Ecken der Republik zusammen gekommen sind. Elke und Susanne kenne ich bereits. Dann sind da noch Hannes, der wie die beiden aus Bremen kommt, Sven und Güli aus Hannover, Antje aus Unna, Martina und Ralf aus Hamburg und Christoph aus Bremerhaven.

Als erstes merke ich bei der Vorstellung, dass ich Martina bereits kenne. Ich habe an ihrem Online-Abend über Angst teilgenommen, den sie für die Salzwasser-Union ausgerichtet hat. Außerdem hat sie im Wesentlichen in der Schweiz das Seekajakfahren gelernt —  bei Rene, den ich wiederum mal auf Anglesey getroffen habe. Da mir auch Christoph so bekannt vorkommt, forschen wir gemeinsam etwas nach und finden heraus, dass wir beide vor zwei Jahren am Treibgut-Seminar des BKW teilgenommen haben.

Elke präsentiert mir ihre Idee für die kommenden Tage. Das sind ambitionierte Ziele, und die Wettervorhersage hat nicht gerade liebliche Winde im Angebot. Ich bin etwas verhalten, den Plan uneingeschränkt gutzuheißen. Dafür kenne ich die Truppe zu wenig, und das Wetter ist noch etwas unsicher. So entgegne ich auf den beschwichtigenden Kommentar für die geplante Fahrt nach Baltrum: "Ist doch nur eine Stunde!" mit "Sagen wir lieber: Es sind sieben Kilometer!".

Die Teilnehmer — und damit Prüfungsaspiranten — erklären mir noch den Plan für morgen in allen Details: Mit dem Auto nach Horumer Siel, dann östlich um das Minsener Oog herum, durch das Fahrwasser nach Wangerooge zum alten Anleger und durchs Wattfahrwasser westlich des Minsener Oogs zurück nach Horumer Siel. Die Tide lässt ein Aufstehen zu christlicher Zeit und ein gemütliches Frühstück zu. So liebe ich Fahrtenplanung: einfach nur dasitzen und anhören, was andere ausgearbeitet haben 😊.

Im Hafen von Horumer Siel ist einiges an Fußmarsch zu absolvieren, um Boote und Ausrüstung vom Parkplatz an einen Ort zu schaffen, wo wir ins Wasser gehen können. Leider hat der Füßling meines Trockenanzugs im Neoprenschuh eine Falte geschlagen. Mein kleiner Zeh wehrt sich wacker gegen die Angriffe der Falte — muss aber schließlich den Klügeren spielen und sich mit der Bildung einer Blase geschlagen geben.

Wir lassen die Boote südlich der Buhne an der Steinkante zu Wasser. Das ist wesentlich angenehmer als nördlich davon, wo zwar ein Sandstrand ist, dahinter aber ekliges Schlickwatt lauert. Zur unfallfreien Abwicklung bilden wir eine Kette und reichen die Boote von hinten nach vorne durch. So muss niemand mehr als nötig über die rutschigen Steine latschen.

Nachdem wir den Flachwasserbereich verlassen und in die Nähe des Fahrwassers kommen, erreicht unsere Geschwindigkeit fast durchgängig zweistellige Werte. Auch die Wellenhöhe macht dem Begriff "Seekajak-Tour" allmählich Ehre. Selbst als der Führungsauftrag von Susanne auf Christoph übertragen wird und wir eine Weile antriebslos auf der Nordsee dümpeln, weil wir erst mal neu eingenordet werden, beträgt die Geschwindigkeit immer noch 4 km/h. Fast müssen wir befürchten, viel zu früh an unserem Zielpunkt anzukommen.

Aber schon bald müssen wir hinter dem Minsener Oog nach Westen einschwenken und damit gegen den Strom fahren. Während wir einschwenken, kann man an der nahen Untiefentonne wunderbar erkennen, wie wir vehement nach Norden versetzt werden. Ohne solche Referenzobjekte hat man keine Chance, seine Abdrift zu erkennen. Gut — man könnte ein GPS-Gerät benutzen, aber das wäre zu einfach.

Wir sind recht knapp hinter dem Minsener Oog abgebogen, um etwas über den Wattrücken abzukürzen. Darauf sind zwar schon weiß brechende Wellen zu erkennen, aber es sieht aus, als wenn da noch genug Wasser für uns drüber steht. Das stimmt auch für fast alle! Nur Hannes muss irgendwann erkennen, dass er sein Boot ein Stück tragen muss, wenn er nicht sechs Stunden auf das Einsetzen der nächsten Flut warten will.

Die Pause auf dem Trittstein auf Wangerooge ist nicht wirklich gemütlich. Die Sonne hat sich hinter Wolken versteckt, es geht ein frischer Wind und immer wieder setzt Regen ein. Dafür kann hier jeder vorführen, was er oder sie als Wetterschutz mitführt. Es wird eine bunte Schau der Storm-Cags.

Der Rückweg ist wenig spektakulär, denn der Wind bleibt hinter der Vorhersage zurück und wir fahren durchgängig durch flaches Wasser. 

Für den Sonntag war eigentlich geplant, Incidence-Management im Nassau-Hafen zu üben. Da der Wind aber nicht gar so garstig werden soll, wollen wir einfach den Jadebusen nach Osten überqueren und vor Eckwarderhörne Rettungsübungen machen. Dort haben wir dann wenigstens Wind und Wellen, was ein viel realistischeres Szenario verspricht.

Jeder Teilnehmer soll einmal als Schwimmer und einmal als Retter einen assistierten Wiedereinstieg durchführen. Da uns der Wind mit Macht auf die nahe Steinschüttung drückt, muss gleichzeitig jeweils ein Dritter dafür sorgen, die beiden Agierenden vor der Kollision mit dem Ufer zu bewahren. Alle meistern die Aufgaben ohne Probleme, aber man sieht, dass sie dabei auch eine Menge lernen, denn so oft übt man das nicht unter solchen Bedingungen. Besonders der Schleppbeauftragte muss feststellen, dass es alles andere als einfach ist, hier seine Leine schnell und wirkungvoll einzusetzen.

Am Ende demonstriere ich noch mal die "Hand of God"-Technik. Dabei ist mir Martina ein williges "Opfer", die überhaupt keine Probleme damit hat, sich bewusstlos zu stellen und mit dem Kopf unter Wasser geduldig zu warten, bis ich sie wieder hochhole! Respekt! Einige der Teilnehmer wollen das danach auch noch mal üben. 

Auch wenn man hier durchaus durch Üben besser werden kann, wir sind uns alle einig, dass wir nicht wünschen, diese Technik einmal wirklich zu benötigen. Insbesondere das Anfahren an das Opfer dauert so lange, dass ich hoffe, dass man im Zustand der Bewusstlosigkeit besonders entspannt ist, um unter Wasser auf das Eintreffen des Retters zu warten!

Bei der Rücktour müssen wir uns gegen den Wind quer zum jetzt voll ablaufenden Wasser nach Westen kämpfen. Das beschert und einige interessante Wellen. Und man sieht an unserer GPS-Spur, wie wir mit Eintritt in das Fahrwasser deutlich nach Norden versetzt werden.

Die ursprünglich angedachte zweitägige Tour nach Baltrum haben wir einvernehmlich gegen eine Fahrt nach Dangast eingetauscht — auch wenn wir dafür diesmal schon um unchristliche sieben Uhr aufstehen müssen!

Vom Nassauhafen aus startend ist die Herausforderung hier im wesentlichen, den Priggenweg zu finden, der einen direkt nach Dangast leitet. Hat man in ihn eingefädelt, ist es keine große Tat mehr, das Ziel zu erreichen. Allerdings muss man hin und wieder noch mal auf Ausflugsboote und die Sportschifffahrt achten. Da waren die Teilnehmer aber dermaßen achtsam, dass ich immer Schwierigkeiten hatte, das gemeldete, sich annähernde Boot überhaupt auszumachen. Der Alarm kam nämlich immer schon, wenn es sich praktisch gerade über die Kimm geschoben hatte. Mit diesem Ansatz käme ich auf der Kieler Förde nie aus dem Alarm-Modus heraus, weil einfach die Verkehrsdicht dort so viel höher ist. Aber es schadet ja nicht, wenn man frühzeitig warnt und dann alle Zeit der Welt hat, die weitere Entwicklung der Annäherung zu beobachten.

Was ich bei der Annährung an den Badestrand von Dangast beobachte, lässt mich leicht ins Grübeln kommen. Ich kann mich einfach nicht des Eindrucks erwären, dass ich da etwas Unanständiges erblicke. Nachdem Anlanden vergewissere ich mich gleich — aber mein Unglauben wird nur durch Ratlosigkeit eingetauscht: da steht tatsächlich die Skulptur eines überdimensionalen, in Stein gehauenen Phallus am Strand zwischen flanierenden Touristen und spielenden Kindern!

Als wir uns gerade nach einer durch Pflaumenkuchen versüßten Pause für das Briefing zur Rückfahrt versammelt haben, kommt eine ältere Dame auf uns zu und fragt nach unserer Herkunft. Und ob auch SaU-Mitglieder dabei sind. Mich verwundert diese Frage etwas — aber nicht mehr, als sie uns ihren Namen nennt. Sie ist die Witwe des vergangenen Jahres verstorbenen Mit-Gründers der Salzwasser-Union Wolfgang Half. Den kenne ich noch persönlich, und Christoph rückt damit heraus, dass er vor vierzig Jahren als Jugendlicher mal eine Tour mit ihm gemacht hat, bei der sie dann auch in ihrem Garten übernachtet haben.

Und weiß noch jemand etwas über die Familie Thiekötter? Mit denen sind die Halfs früher oft auf Tour gegangen. Nein, niemand weiß etwas über das Schiksal der Thiekötters — aber Güli hat irgendwann das Boot von Frau Thiekötter gekauft und ist hier damit unterwegs!

Frau Half hat so viel zu erzählen und freut sich sehr, dass "junge" Menschen den geliebten Sport weiter betreiben und pflegen, dass darüber einige Zeit ins plattdeutsche Land streicht. Unser eingeteilter Fahrtenleiter für die Rückfahrt wird wegen des ablaufenden Wassers langsam nervös und möchte sein Briefing beginnen. Aber die paar Minuten Verzögerung für so eine liebe Begegnung müssen auch auf Tidengewässern drin sein! 

Wie auf der Hinfahrt machen wir auch jetzt Gebrauch von unserem geringen Tiefgang und folgen dem wild mäandernden Priggenweg nicht von Anfang an. Stattdessen kürzen wir gehörig ab und fädeln erst später in seine Gasse ein. Der Wind frischt auf und kommt nun aus West-Süd-West. Zu meiner Freude lässt der Fahrtenleiter Hannes den Priggenweg irgendwann Priggenweg sein und schwenkt aus ihm heraus. Dadurch gewinnen wir Höhe gegen den Wind, den wir bald durch einen deutlichen Schwenk nach Osten quasi in Rückenwind verwandeln. Ich nutze das gleich, um den einen oder anderen Surf zu genießen.

Je näher wir dem mit einer senkrechten Spundwand befestigten Ufer kommen, desto stärker machen sich die dadurch verursachten Reflexionswellen bemerkbar. Ich glaube nicht, dass Hannes dieser Effekt bewusst war, aber ich bin ihm dankbar, dass er die Gruppe da mitten hinein führt. Dieses "Kopfsteinpflaster des Meeres" ist für mich immer eine Quelle für großen Spaß! Und die Gruppe hat ein weiteres Mal die Gelegenheit, ihre große paddlerische Kompetenz unter Beweis zu stellen — niemand hat auch nur ansatzweise einen angespannten Gesichtsausdruck! Hätte ich anfangs gewusst, welches paddlerische Vermögen in der Gruppe versammelt ist, wäre ich nicht so verhalten gewesen, als Elke mir ihre Planung unterbreitet hat!

Bei der abschließenden Besprechung über die EPP-Würdigkeit der Teilnehmer stellt sich noch heraus, dass ich Antjes Mann auch kenne: mit ihm habe ich vor zwei Jahren eine gute Woche auf Jersey verbracht. Er war der Kandidat, der während meiner Prüfung zum Sea Kayak Leader aus seinem Boot gefallen ist, weil eine gigantische Welle es gegen einen Felsen katapultiert und dann senkrecht gestellt hat. Mit der nächsten Welle flog dann sein leeres Boot in hohem Bogen über den Felsen durch die Luft. So etwas vergisst man nicht!

Wenn man sich die vielen Querverbindungen zwischen den beteiligten Menschen vor Augen hält, die sich auf dieser Tour offenbart haben, dann muss man konstatieren, dass die Welt des Seekajak-Fahrens aus einer überschaubaren Gemeinde gebildet wird.

(GPS-Tracks der Touren hier.)


Sonntag, 1. Juni 2025

Himmelfahrt in der Südsee

Eigentlich... 

Ja eigentlich. Wenn man mal überlegt, wieviel im Leben "eigentlich" ganz anders hätte laufen sollen, könnte man meinen, dass man gar keine wirkliche Kontrolle über den Lauf seines eigenes Lebens hat. Stattdessen passiert immer irgend etwas "eigentlich" gar nicht gewolltes, was sich dann aber in der Summe "mein Leben" nennt.

Eigentlich hätte ich also Pfingsten mit Elke zusammen eine ausgeschriebene Tour durch die Dänische Südsee führen sollen. Aber da gab es zu wenig Meldungen, so dass sie abgesagt werden musste. Aber sowohl für Elke als auch für mich stand fest, dass wir ein fürs Paddeln freigeräumtes Wochenende nicht so leicht aus der Hand geben würden. Elke fragte kurzerhand bei sich im Verein nach Interessenten für eine Begleitung, und ich hab Jörg gefragt. Der war auch gleich begeistert, musste dann aber wegen eines Trauerfalls in der Familie doch zurückziehen.

Die Bremer reisen bereits am Mittwoch vor Himmelfahrt an und übernachten auf dem Zeltplatz Naldmose - ich komme Donnerstag Morgen, wähle den Segelhafen von Fynshav als Startort und parke mein Auto dort. Ich versuchen noch, jemanden zu finden, dem ich irgendeine Parkgebühr aufdrücken kann - aber da ist niemand. 

Elke kontaktiere ich per Funkgerät und erfahre, dass sie und ihre Gruppe etwa zur gleichen Zeit wie ich auf dem Wasser sein werden. Weil mir beim Packen im windstillen Hafen so bärig warm geworden ist, starte ich zuerst ohne Paddeljacke, lege sie aber noch bevor ich den Fährhafen passiere an. 

Direkt danach sehe ich die Gruppe, es sind sieben Paddler. Elke und Frauke kenne ich bereits, und ich freue mich, sie wiederzusehen. Der Plan ist, bis zum Ostende von Avernakö zu fahren und vorher kurz auf Lyö Pause zu machen. Der Wind weht eher lustlos aus westlicher Richtung - mit so zwei bis drei Beaufort. Wie so häufig leider deutlich weniger als anfangs versprochen.

Während unserer Pause auf Lyö zeigt sich ein wunderschöner Halo, der die Sonne zu 360 Grad umschließt. Einen so vollständigen Halo mit einem so großen Radius habe ich tatsächlich noch nie gesehen. 

Beim Vorbeifahren an Avernakö muss ich feststellen, dass die Küstenlinie eine enorme Anziehungskraft auf Paddler ausübt - während ich eher geneigt bin, in gerader Linie auf das Ziel zu fahren, schmiegen sich die anderen recht dicht ans Ufer. Früher habe ich das auch getan, aber mittlerweile hat das Ufer seine Anziehungskraft auf mich verloren. Ich habe ein Segel dabei und bringe es hier zum Einsatz. Im Wesentlichen, um immer mal wieder den Umgang damit zu üben. Der Wind ist nicht wirklich so, dass man ohne Paddelunterstützung auskäme, aber so besteht auch keine Gefahr, dass mich das Segel den anderen davonzieht.

Unser erster Übernachtungsplatz ist der primitive Zeltplatz am Ostende von  Avernakö. Ich denke kurz nach, wann ich hier das erste Mal übernachtet habe - und muss feststellen, dass das genau 30 Jahre her ist. Da waren einige Teilnehmer dieser Tour knapp geboren! Am Himmel schieben sich bizarre Wolkenfetzen zusammen, was für baldigen Niederschlag spricht. Der ereilt uns auch tatsächlich, als wir unser Abendessen bereiten und einnehmen wollen. Aber er ist nicht so massiv, dass er uns von unserem Vorhaben abbringt. Außer uns bevölkern nur noch zwei junge Dänen in einem skurrilen Spitzzelt den Platz. Aber die genügen sich selbst und sind nicht besonders an Kontaktaufnahme interessiert. 

Vor der ehemals legendären Toilette sind die Büsche in den vergangenen 30 Jahren leider so hoch gewachsen, dass man bei Verrichtung seines Geschäftes leider keinen Meerblick mehr genießen kann. Trotzdem ist es eine Wohltat, so ein Örtchen zur Verfügung zu haben. Man könnte vielleicht noch eine zweite Tisch-Bank-Kombi aufstellen, denn der Platz ist groß genug und wird häufig auch von größeren Gruppen genutzt.

Das Wetter am nächsten Tag ist trocken, leidlich warm und bietet etwas Wind - aus westlicher Richtung. Auch wenn es paradox klingt, aber er kommt uns quasi entgegen, denn wir wollen nach Osten - nach Skarö. Das ist nur ein knappes Dutzend Kilometer entfernt und mit der Unterstützung des Windes sind die schnell zurückgelegt. Manchesmal kommt mancher sogar ins Surfen!

Leider müssen wir im den langen Sandhaken von Skarö herum und dann praktisch gegen den Wind in den Hafen einlaufen. Hier sieht man doch, dass Gegenwindpaddeln bei den meisten nicht zur Lieblingsdisziplin gehört und man froh ist, dass es nur eine recht kurze Strecke ist. Während wir uns auf den Strand östlich des Fähranlegers zuarbeiten, kreuzt ein Schweinswal unseren Weg.

Die beiden Trolley, die der Camping-Platz von Skarö zur Verfügung stellt, leisten uns wertvolle Dienste. Es sind immerhin gute zweihundert Meter vom Strand bis zur Zeltwiese, und mit den Gefährten kann man die vollbeladenen Boote im Handumdrehen dorthin rollern. Ich bin immer wieder angetan davon, wie gut in Schuss und in Stand alles auf dem Campingplatz ist. Der Rasen ist gemäht, der alte Toilettenwagen durch zwei moderne Container ersetzt und der umgebaute Schweinestall - ein Traum! Kühlschrank, Kamin, Herd, jede Menge Bänke und Tische und eine prima Rundumsicht nach draußen. Und alles picobello sauber! Hier kann man notfalls den Weltuntergang abwettern! Lediglich der Preis ist gestiegen und beträgt nun 150 Kronen pro Nase und Nacht. Aber das ist m.E. durchaus angemessen, früher war er eher zu billig!

Weil ein knappes Dutzend Kilometer kein Programm für den ganzen Tag bieten, müssen wir noch etwas unternehmen. Als erstes ist ein Gang zum Cafe fällig, wo es das weltberühmte Skaröer Eis gibt. Das ist wirklich oberlecker - auch wenn sie leider die Sorte Malagga nicht führen! Danach müssen wir die Kirche besuchen, dann zum Südstrand und schließlich den Westteil der Insel umrunden. Das ist nicht ganz einfach, und man muss etwas über glibschige Steine klettern, so dass einige den Expeditionsteil der Tour über eine Wiese umgehen. Beide Gruppen treffen sich dann am Badestrand am Westkapp der Insel. 

Hier ist ein Erfrischungsbad fällig. Ich kann leider nicht mit ins Wasser, weil ich den Vorgang von Land aus fotographieren muss. Man kann halt nicht alles haben im Leben! Zurück im Schweinestall kochen wir komfortabel auf dem Herd mit dem zur Verfügung stehenden Kochgeschirr. Für die Getränke gibt es heißes Wasser aus einem Wasserkocher - was für ein Luxus! Ich werfe meine zwölf mitgebrachten Eierpfannkuchen auf dem Markt - und da sich einige etwas zurückhalten, ist für jeden auch genug da. Zum Abwaschen gibt es heißes Wasser aus dem Boiler - was für ein Luxus! Das einzige Manko hier: im Gras auf der Zeltwiese wohnen Zecken🙁!

Am heutigen Samstag wollen wir bis zum Segelhafen am Westende von Avernakö fahren, um am Sonntag dann von dort aus zurück nach Fynshav zu paddeln. Zum Glück herrscht heute praktisch Flaute, so dass wir das mit der Gegenwindfestigkeit nicht weiter prüfen müssen.

Die kleine Sandinsel Fläskholm passieren wir nördlich. Im flachen Wasser davor sehe ich in der Ferne das Wasser weiß spritzen. Erst denke ich, dass da ein wirklich großer Fisch in zu flaches Wasser gekommen ist und nun zurückrudert. Aber dann taucht ein Seehund auf, der keck zu uns rüberschaut, nur um gleich wieder unterzutauchen und weiter das Wasser umzupflügen. Vermutlich scheucht der damit Krebse und Fische auf - oder er ist einfach ausgeflippt, und es macht ihm Spaß.

Am traumhaften Sandstrand am Nordostende von Avernakö ist eine Pause und wieder ein Erfrischungsbad fällig. Ich muss leider wieder fotographieren... Vom Schweinswal, der hier seine Runden dreht, habe ich aber leider kein Bild gemacht.

Im Hafen von Avernakö ist dann die nächste Pause mit Kaffee und Kuchen fällig. Pause, weil wir uns mittlerweile überlegt haben, dass es klüger ist, heute doch noch ein Stückchen weiter zu fahren. Der Wind soll morgen relativ früh recht ungünstig für eine Querung des Kleinen Beltes werden. Die Bedingungen heute sind aber super günstig, um noch weiter bis Lyö zu fahren.

Die Wettervorhersage für Sonntag sagt erst mäßige Winde aus südwestlicher Richtung voraus, die dann etwa um 11 Uhr deutlich auffrischen und auf West drehen sollen. Das kommt uns diesmal entgegen im Sinne von "von vorne"!. Wir könnten hier die Gegenwindfestigkeit ausbauen - oder sehr früh starten. Wir optieren für sehr früh starten. Dafür sind wir bereits vor sieben Uhr (in Worten: 7 Uhr!) aufgestanden und wild entschlossen, um neun Uhr fertig in den Booten auf dem Wasser zu schwimmen. Wir schaffen sogar Viertel vor Neun! Wenn es nicht die massiven Steine am Strand, das doch etwas bewegte Wasser und einen damit verbundenen etwas komplexeren Startvorgang gegeben hätte, hätten wir sogar halb neun geschafft!

Draußen auf dem Belt geht tatsächlich etwas Seegang. Es ist nichts schlimmes, aber die Gruppe ist eher selten bei solchen Verhältnissen unterwegs und die Bedingungen nicht gewohnt. Aber bis auf das Gefühl, dass es sich ungewohnt anfühlt, hat niemand ein Problem damit - aber alle haben Spaß daran!

Pünktlich, wie der Wetterbericht es vorhergesagt hat, setzt etwa einen Kilometer vor dem Ziel stärkerer Wind ein, der uns genau ins Gesicht steht. Unsere Geschwindigkeit fällt dadurch auf gute drei Ka-Em-Ha zurück. Wären wir heute Morgen von Avernakö gestartet, hätten wir den ganzen Tag für die Rückfahrt benötigt! Und wir hätten richtig arbeiten müssen! Vielleicht wäre wir sogar nie angekommen! So kann sich die Gruppe bei ihrer Fahrtenleitung Elke bedanken, dass sie so umsichtig agiert hat. Dadurch bleibt uns auch noch Gelegenheit, den Tag und die gesamte Tour bei Kaffee und einem leckeren Stück Kuchen in einer gemütlichen Ecke des Zeltplatzes Naldmose ausklingen zu lassen

GPS-Daten der Tour.

Sonntag, 14. Juli 2024

Endlich Lofoten!


Ich war auf den Lofoten — nachdem ich Jahrzehnte lang davon geträumt habe! Vor Jahren hatte ich schon mal eine konkrete Planung angesetzt, das Projekt aber als nicht lohnend wieder verworfen, weil der Anteil der Reisezeit — wenn man in Summe nur 14 Tage Zeit für die Unternehmung aufbringen kann — inakzeptabel hoch sein würde. Zwei Jahre bevor ich in Rente gehen würde, kam es mir wieder in den Sinn — und als Rentner hat man ja alle Zeit der Welt!

Dieses Jahr war es dann soweit, und natürlich habe ich meine Erlebnisse und Erfahrungen dabei auch "zu Papier" gebracht. Da es aber eine recht besondere und vergleichsweise umfangreiche Unternehmung war, habe ich ihr ein eigenes Format spendiert. Interessierte finden meine Ausführungen in einem eigenen Winkel meiner Blog-Seite. Viel Vergnügen beim Lesen!

Montag, 27. Mai 2024

Komod im Boot nach Birkholm

(Text von Angela)

Das Fazit vorweg: Besser hätte es nicht sein können. Alles passte. Vier Tage mit super Wetter, einem tollen Team und einer Inselwelt, die schöner nicht sein könnte und fast direkt vor unserer Haustür liegt.

Freitag, 24.05.24: KVK bis Drejø

Wir treffen uns mittags am KVK, laden die Boote auf drei Autos und machen uns auf den Weg nach Fyn: Mathias, Johann, Sophia, Magda, Doris und Angela. Wir fahren 283 km zu unserer Einstiegsstelle, dem Svelmø Landingsplads. Einer langen Autofahrt folgt eine Inselidylle, es ist kaum zu glauben. Boote packen und los geht´s. Wir sitzen im Boot und die Entschleunigung setzt ein. Nach 12,3 km erreichen wir den Shelterplatz auf Drejø. Boote auspacken, Zelte aufbauen, kochen. Ihr kennt das Spiel. Auf dieser kurzen Tour bekommen die weniger Erfahrenen schon den ersten Eindruck über die Schwierigkeiten der Navigation. Aber auch die passenden Lösungen. Der Sonnenuntergang ist atemberaubend.

Sonnabend, 25.05.24: Drejø bis Birkholm

Wir erkunden Drejø zu Fuß und werden noch eingeladen, die Badebrücke mit aufzubauen und zu begießen. Leider haben wir keine Zeit, wir wollen weiter. Zelte abbauen, Boote packen… Auf dem Weg nach Birkholm machen wir Halt auf Hjertø, kundschaften die Bedingungen für eine mögliche Übernachtung dort aus und begegnen einer Unke. Nach 11,2 km erreichen wir Birkholm. Dort kann man im Hafen zelten und die Einrichtungen dort nutzen. Im Dorf gibt es sogar eine Dusche (5-Kronen-Stücke erforderlich) und Kühltruhen, aus denen man rund um die Uhr Eis und Brötchen kaufen kann. Der Sonnenuntergang ist gigantisch.

Sonntag, 26.05.24: Birkholm bis Avernakø

Das Frühstück wird gekrönt von Pfannkuchen, die Mathias mitgebracht hat. Weiter geht es nach Avernakø. Auf dem Weg geht es wieder um Navigation und die Einordnung der Mini-Inseln, die wir passieren. Wie sehen sie auf der Karte aus, wie in echt? Uns erwischt zwischendurch ein kleiner Regenschauer aus einem faszinierenden Wolkenhimmel und lässt Millionen Perlen auf das Wasser fallen. Wir sehen Robben! Wir treffen auf zwei Rettungsringe der CAROLINE S., Sophia und Mathias bergen sie. Mit dieser zusätzlichen Sicherheit erreichen wir nach 14,5 km einen Strand auf Avernakø, dem man vom Wasser aus nicht ansehen kann, dass dahinter eine Zeltwiese liegt. Eine traumhafte Bucht, die wir direkt zum Baden nutzen. Und hier sehen wir auch endlich den einzigen Schweinswal dieser Tour. Diesmal bleiben wir beim Zelten nicht allein, eine Gruppe holländischer Paddlerinnen und Paddler kommt nach uns an. Fasziniert beobachten wir, wie ordentlich sie ihre Boote am Strand nebeneinanderlegen und bringen dann auch etwas Ordnung in unser Chaos. Avernakø ist ein bisschen größer, auf unserer Erkundungstour finden wir eine Fischräucherei und einen Fahrradverleih im Sportboothafen. Der Sonnenuntergang wird wunderbar.

Montag, 27.05.24: Avernakø bis Svelmø Landingsplads

Auch am letzten Tag können wir die Zelte trocken abbauen, das Packen der Boote ist mittlerweile für alle Routine geworden. Die letzte Etappe ist kurz, nur 5,16 km. Wir genießen jeden Paddelschlag bei bestem Wetter.

Daten und Fakten:

Highlights der Tier- und Pflanzenwelt: Seeadler, Robben, Schweinswal, Riesenschwäne (wurden beim Näherkommen immer kleiner..), Wasservögel, Seegraswiesen.

Lektionen: Weniger Klamotten einpacken/ Wäscheklammern mitnehmen oder Leine nutzen, bei der man die Wäschestücke zwischenklemmen kann/ Navigation muss gelernt und geübt werden (Nord-Süd-Schwächen sind gar nicht so selten), Karten studieren hilft bei der Orientierung/ Stuhl und Tisch werden nicht unbedingt benötigt (Picknickbänke meist vorhanden)/ kleinere Packeinheiten wählen/ ein gutes Kopfkissen ist viel wert/ auf Hjertø steht nur eine Windmühle.

Schön war es auch zu sehen, was andere mithaben, welche nützlichen Ausrüstungsgegenstände es gibt und wie man den Speiseplan lecker und abwechslungsreich gestaltet. Das Boot kann ein Kühlschrank sein!

Mathias hat als navigatorischer Begleiter jeden Tag neue Aufgaben gestellt, jeden Tag führte ein anderes Team die Gruppe und wir haben festgestellt, wie wertvoll es ist, diese Verantwortung zu übernehmen. Annahmen bei der Einschätzung der Umgebung werden dann möglicherweise durch die Realität korrigiert.

Da unsere Tagesetappen nicht lang und wir schneller waren als gedacht, hatten wir viel Zeit zum Genießen. Johann als Frühstaufsteher nutzte die Zeit zum Zeichnen und erschuf kleine Kunstwerke, die die Stimmungen in der Umgebung perfekt einfingen.

Tusind tak Sydfynske Øhav!


Dienstag, 21. Mai 2024

Wer A sagt, muss auch B sagen...

Wenn man einen Trainer-C-Schein hat, hat man die Berechtigung, Prüfungen zum Europäischen Paddelpass abzunehmen. Für die Stufe EPP 3 aber nur unter der zusätzlichen Bedingung, dass man selbst im Besitz der Stufe EPP 4 für die spezifische Disziplin ist. Da mir wegen persönlicher systeminterner Inkompatibilitäten leider die spezifischen Zertifikate des Deutschen Kanu-Verbandes fehlen, stellt das einen unheilbaren Mangel dar, im Verein entsprechende Kurse und Prüfungen anzubieten. Ich will aber gerne das System des EPP bei uns im Verein stärken und weiter voranbringen. Nun hatte ich also quasi den Bart in der Drehbank: wenn ich mit der Trainer-Lizenz nun schon so kurz vor dem Ziel stehe, bin ich fast gezwungen, auch noch die fehlende Prüfung zu machen😐.

Betzi, mit der zusammen ich diesen Pfad beschreite, hatte bereits eine Gelegenheit gefunden, den Mangel für sich selbst zu beseitigen. Mit Elke, der Ausbildungsleiterin vom Bremer Landeskanu-Verband, hatte ich bei der Treibgut-Veranstaltung im letzten September vereinbart, dass sie an Pfingsten eine EPP-4-Küste Prüfungsfahrt veranstaltet, an der ich teilnehmen würde.

Nun hat mich aber gewurmt, dass ich zwar nicht die explizite EPP-4-Lizenz habe, dafür aber die Seakayak-Leader Lizenz für Tidengewässer des britischen Verbandes. Und schon die Voraussetzungen dafür sind deutlich höher als die von DKV geforderten - von der Ausbildung ganz zu schweigen. Also habe ich mich an den DKV gewandt, um meine britische Lizenz als mindestens gleichwertigen Ersatz anerkennen zu lassen. Dabei wollte ich eine Anerkennung nicht nur für mich persönlich erreichen, sondern ein Bekenntnis, dass eine bestimmte britische Lizenz generell einer entsprechenden DKV-Lizenz als gleichwertig anerkannt wird. Es hat zwar fast ein halbes Jahr gedauert, aber das war eher dem bürokratischen Mechanismus geschuldet - grundsätzlich war der DKV meinem Anliegen gegenüber sehr positiv eingestellt. Am Ende entstand eine Tabelle, aus der nun jeder Inhaber einer britischen Lizenz ablesen kann, welcher deutschen Lizenz sie gleichgestellt ist!

Damit war zwar für mich die Notwendigkeit entfallen, an der Prüfungsfahrt zu Pfingsten teilzunehmen. Aber ich wollte mir doch eine Nordseetour in Nordfriesland nicht durch die Lappen gehen lassen! Elke war ganz froh, dass ich sie trotzdem begleiten wollte, denn Nordfriesland ist nicht wirklich ihr Zuhause, und sie wollte meine intime Revierkenntnis gerne nutzen.

Wir sollen um 10 Uhr abfahrtbereit in Schlüttsiel auf der Rampe stehen. Ich reise zusammen mit Maditha an. Wir haben die kürzeste  Anreise - müssen aber auch schon um halb sieben losfahren, um das Soll zu erfüllen. Die Teilnehmer aus Bremen übernachten alle auf der Kirchwarft in Ockholm, Cornelia irgendwo direkt in Sielnähe.

Bei der Vorstellung geben noch alle an, dass sie am Ablegen der Prüfung interessiert sind - bis auf Marcia, die schon im Besitz dieser Qualifikation ist. Wir sind insgesamt 10 PaddlerInnen - Elke, Marcia und mich abgezogen sind das immerhin noch sieben Prüflinge - eine stattliche Gruppe. Das Packen geht erfreulich professionell und zügig vonstatten. Man sieht halt, dass man es hier mit erfahrenen Tourenpaddlern zu tun hat. Aber irgendwie will nicht bei allen alles in die Stauräume des eigenen Kajaks passen. So landen am Ende sechs Räder für Bootswagen in meinem Schiff.

Die Wetterbedingungen sind enttäuschend lieblich. Hatte die Vorhersage noch vor Kurzem Wind mit fünf bis sechs Beaufort aus Osten versprochen, kräuseln jetzt maximal drei Windstärken die Oberfläche der Nordsee. Da kann nicht wirklich Spaß geschweige denn Stress aufkommen, aber das entspannt die Sache mit der Navigation für die Aspiranten natürlich erheblich. Auf dem Weg werden immer mal wieder kleine Fragen gestellt oder Erläuterungen gegeben. Auch kleine Übungen sind dabei, wie das Fahren eine Seilfähre genau quer zum Strom zwischen zwei recht dicht beieinander liegenden Tonnen. Pelworm dient als fixer Hintergrund, um festzustellen, wie stark die Abdrift ist und wie weit man vorhalten muss. Kurz vor Hooge gibt es noch die erste Gelegenheit, die Beherrschung des Pflichtelements "Rolle links und rechts" zu demonstrieren. Ich bin etwas überrascht, wie lang und umfangreich die Vorbereitung bei einigen dafür ist. Im Ernstfall wird es die Zeit nicht geben, vorher noch die Nasenklammer aufzusetzen, das Paddel zu wechseln oder das Deck aufzuräumen. Unter "Routine" fällt das meines Erachtens eher nicht.

Durch die mannigfachen Unterbrechungen und weil wir auch sonst eher nicht hurtig unterwegs waren, haben wir fast vier Stunden bis zum Zeltplatz gebraucht. Aber da wir ja sogar vor Hochwasser losgekommen sind, steht das Wasser vor Hooge immer noch so hoch, dass wir fast bis zur Steinschüttung fahren können. Wir landen gleich östlich vom Hafeneingang an, die Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr und die Warnung von Stan am vergangenen Mittwoch sind mir noch zu gegenwärtig, so dass ich lieber den längeren aber sicheren Weg wähle. Ich hatte Elke ja im Vorfeld auch gebeten, alle anzuweisen, dass sie einen Bootswagen benötigen.

Den Rest des Tages verbringen wir im Wesentlichen damit auszuruhen, das schöne Wetter zu genießen und das Abendessen zuzubereiten. Die Infrastruktur auf der Hallig leidet etwas darunter, dass die Abwasserleitung nicht richtig funktioniert. So haben wir nur eine Toilette zur Verfügung und es wird gebeten nicht mehr als einmal am Tag(!) zu duschen. Ich bespreche mich in der Zwischenzeit mit Elke, was wir morgen auf den Plan setzen. Wir wollen in zwei Gruppen a fünf Personen fahren. Erst gegen den auflaufenden Strom zur Nordspitze von Jappsand, dann genau quer zu ihm, um zur Tonne SA10 zu kommen und dann nach Hilligenley zu fahren. Von dort ein Stück das Langenessfahrwasser hoch und schließlich zurück zu unserem Basislager auf Hooge. Nach dem Abendessen eröffnen wir unseren Vorhaben den anderen, die einen detaillierten Plan ausarbeiten sollen, wie man das realisieren kann.

Die Pläne der beiden Gruppen unterscheiden sich nicht wesentlich, was nicht verwundert. Als wir uns am nächsten Tag gegen das auflaufende Wasser nach Westen zu Nordspitze von Jappsand vorarbeiten, meiden wir das tiefe  Fahrwasser des Priels vor Hooge und fahren dicht die Hallig geschmiegt über das flache Wasser der Wattflächen. Hier geht eine deutlich geringere Strömung. Wir kommen mit fünf bis sechs Stundenkilometern voran, nur unbedeutend langsamer als komplett ohne Stromeinfluss.

An der Nordspitze von Jappsand steigen wir kurz aus, um das weitere Vorgehen festzulegen. Da sich die Teilnehmer hier nicht wirklich auskennen, fällt es ihnen erwartungsgemäß etwas schwer, die relevanten Tonnen zu finden und sie dann auch eindeutig zu identifizieren. Wenn man aber innerlich einen Schritt zurück geht, liegen nur zwei Tonnen innerhalb des Erwartungssektors für die Tonne SA10. Das ist einmal die rot-grüne Tonne SA10 selbst und die grüne Tonne SA7. Und selbst für den Fall, dass man die "falsche" der beiden Tonnen ansteuert, ist man auf der sicheren Seite, weil man ohne einen großen Umweg gefahren zu haben und ohne Probleme zur SA10 kommt.

Frauke, die die Aufgabe hat, die Gruppe zu führen, wählt die SA7 als Zwischenziel und gibt einen Kompasskurs an, der einen üppig gestalteten Vorhaltewinkel beinhaltet. Sie merkt sehr bald selbst, dass das zu viel des Guten ist und korrigiert ihn. Es folgen noch diverse Korrekturen, die unterm Strich eine recht gerade Spur zum Zwischenziel ergeben. Die Technik, bei der herrschenden hervorragenden Sicht, das anzupeilende Objekt konstant mit einem ausgezeichneten Referenzobjekt am Horizont in Deckung zu halten, ist in der Gruppe noch eher fremd. Von hier zur SA10 zu kommen, ist ein leichtes — das Erreichen des Anlegers von Hilligenlei nicht der Rede wert. Als Verantwortlicher für eine Gruppe ist man beim Anlanden am besten dort positioniert, wo das größte Risiko lauert und man am besten eingreifen kann. Wo das in diesem Fall gewesen wäre, ist allen Beteiligten bei der Nachbesprechung unmittelbar einleuchtend.

Nach der Pause soll Haye die Gruppe das Langenessfahrwasser entlang führen, bis wir spätestens an seinem Ende einen Schwenk nach Süden machen und zu unserer Zeltwiese zurückkehren werden. Auf dieser Strecke soll es einen unerwarteten Zwischenfall geben. Dazu instruiere ich Conelia, dass sie auf ein Zeichen von mir hin kentern soll. Maditha sage ich, dass sie, sobald Haye die Kenterung von Conelia erkannt und auf seine Reaktion eingeleitet hat, ebenfalls kentern und ihrem Boot einen Schubs geben soll, damit es von Wind vertrieben wird. Nach einer Weile fällt mir noch ein, dass ich auch Marcia noch instruieren muss, damit sie als erfahrene Paddlerin und EPP4-Inhaberin die Dinge nicht selbst in die Hand nimmt. Ich erkläre ihr, dass die von nun an auf das Niveau einer EPP2-Paddlerin zurückgestuft ist.

Kurz vor Erreichen der Tonne L20 gebe ich das Zeichen. Haye reagiert blitzschnell und souverän. Als Maditha ebenfalls kentert, erfasst er auch diese Situation und erkennt, dass er nicht beide Probleme eigenhändig bearbeiten kann. Er bittet Marcia, sich um Maditha zu kümmern. Er fragt sie sogar, ob sie mit dem Umgang dieser Situation vertraut ist. Natürlich ist sie das! Aber gemäß meiner Rückstufung gibt sie zu bedenken, dass sie das zwar schon mal geübt habe, aber nur im Schwimmbad! "Versuch es einfach.", ermuntert Haye sie. Leider ging mein Kalkül, dass der Wind Madithas leeres Boot wegwehen würde, so gar nicht auf — es weht leider genau gar kein Wind 😐. Während der gesamten Rettungsaktion, die etwa 15 Minuten gedauert hat, sind wir durch das mittlerweile wieder schwach ablaufende Wasser 500 Meter zurückgetrieben worden. Nachdem alle wieder betriebsbereit in ihrem Booten sitzen, soll Maditha uns zurück führen. Das ist in Anbetracht der Verhältnisse, der kompletten Abwesenheit von Wind und Madithas Souveränität bei der Navigation kein Problem.

Es ist gar nicht so leicht, sich eine sinnvolle Tour auszudenken, weil die Lage der Tide an diesem Wochenende alles andere als ideal ist. Meine Abstimmung mit Elke für den kommenden Tag resultiert in der Aufgabe, Hooge im Uhrzeigersinn zu umrunden. Währenddessen sollen dann noch mal ein paar Paddeltechniken demonstriert werden. Elke und ich tauschen dabei die Gruppen. Zur Umsetzung fahren wir zuerst genau nach Osten bis zum Priggenfahrwasser, das in das Rummelloch führt. Südlich von Hooge trifft das auflaufende Wasser auf die Hallig und muss sich entscheiden, ob es sie links oder rechts herum umfließt. Es gibt also einen Punkt, an dem die Stromrichtung von Ost auf West umspringt. Ich versuche, den Teilnehmern zu vermitteln, wie sie feststellen können, in welche Richtung die Strömung zieht. Wenn man sich zwei hintereinander liegende Objekte auf der Hallig sucht und sieht, wie sich sich relativ zueinander bewegen, hat man ein sicheres Indiz, in welche Richtung die Strömung geht. Es braucht einige Gewöhnung, aber schließlich erkennen alle das Prinzip dieser Technik.

Am Nordende von Jappsand geht es an Land. Das Wasser im Flach davor hat sage und schreibe eine Temperatur von 22 Grad! Einige nutzen das, um wahlweise Rolle zu üben oder zu baden. Ein recht kleiner Seehund nähert sich uns und geht vollkommen ohne Scheu direkt bei unseren Booten an Land. Ich habe das Gefühl, dass er nicht ganz gesund ist.

Die beiden Gruppen sollen im Wettbewerb gegeneinander ein "All-In" ausführen. Sieger ist, wer als erster zurück an Land ist und dort den Notruf absetzt. Die Gruppen sind bei einzelnen Elementen im Ablauf sehr unterschiedlich schnell, aber am Ende setzen beide den Notruf und wenige Sekunden nacheinander ab. Ich würde sagen, beide Gruppen haben bei der Übung zusätzliche Sicherheit im Umgang damit gewonnen! An Land angekommen, eröffne ich ihnen, dass einer meiner Lukendecken verloren gegangen ist und sie sich etwas überlegen müssen. Auch das stellt für die Teilnehmer keine unlösbare Aufgabe dar. Ich bin überrascht, wie gut sie ausgerüstet sind und finde mein Boot nur wenig später perfekt abgeschottet vor. Ich fahre damit problemlos und mit trockenem Schott zurück nach Hooge.

Für Dienstag, den Tag der Rückreise, ist heftiger Wind aus Osten angesagt. Es ist nicht ganz klar, ob wir bei den zu erwartenden Verhältnissen auf eigenem Kiel zurückfahren können. Wir wollen die Entscheidung erst mit der Vorhersage am Tag selbst fällen. Ich stehe sehr früh auf, um mir ein Bild zu machen. Es sieht für mich durchaus machbar aus, würde aber wenigstens anstrengend werden. Ich verabrede mit Elke, dass wir der Gruppe sagen, dass wir alle mit der Fähre zurück fahren werden. Wenn dann jemand von sich aus sagt, dass er aber unbedingt paddeln möchte, würde ich ihn begleiten. Ich möchte aber nicht im vorhinein anbieten, dass ich mitkommen würde, wenn jemand paddeln möchte. Wie erwartet, will Maditha unbedingt paddeln! Dafür bin ich ihr sehr dankbar!

Maditha und ich auf der Rückfahrt, 
von der Fähre aus fotografiert.
Ostwind und auflaufendes Wasser bedeuten Wind gegen Strom, was Garant für interessante Wellen ist. Sie sind nicht wirklich groß, so um einen halben Meter, Fetch und Wassertiefe geben halt nicht mehr her, aber sie sind steil und machen Spaß! Und es macht Spaß, Maditha neben sich zu haben, die ständig ein seliges Grinsen im Gesicht hat. Was mich beeindruckt, ist, dass sie in diesem Chaos an den Schlüsselstellen immer wieder seelenruhig auf die Karte sieht, um unsere Position und die weitere Richtung zu bestimmen! Wir benötigen keine drei Stunden für die gesamte Strecke. Das sind 7 km/h —  was nichts anderes bedeutet, als dass sich die Effekte der unterstützenden Strömung und des hindernden Windes gegenseitig genau aufgehoben haben.

Meine Karriere während dieser Tour verlief steil — vom zu prüfenden Kandidaten, über begleitenden Ortskundigen zum Assistenten der Prüferin. Ich habe das nicht angestrebt und möchte mich auch gar nicht weiter in diese Richtung bewegen — aber es hat mir Spaß gemacht. Insbesondere das innere Wollen der Teilnehmer hat mich begeistert und natürlich auch ihre je eigene Kompetenz. Es ist ein grundsätzlich anderes Gefühl, Paddler mit intrinsischem Antrieb zu führen, als wenn die Teilnehmer eigentlich "nur mit" sind. Und es ist schön zu sehen, dass es andere gibt, die sich der Weitergabe ihres Wissens an Dritte verschrieben haben.

Samstag, 28. Oktober 2023

Nach dem Sturm...

Am Tag nach der Vereinstour im März 2020 nach Schleimünde brach die Corona-Pandemie über Deutschland herein. Eine Woche nach unserer diesjährigen Tour verwüstete eine Jahrhundertflut das geliebte Kleinod. Ich hoffe, dass die Dinge jeweils nur über eine reine Koinzidenz zusammenhängen - und nicht über eine Kausalität!

Die Sturmflut hat unfassbare Schäden an Gebäuden, der Infrastruktur aber auch an der Landschaft selbst hinterlassen. Für alle Liebhaber dieses einzigartigen Fleckchens Erde ist das ein schwerer Schock. Wir hoffen, dass es in einer gemeinsamen Anstrengung möglich ist, den Ort wieder so aufzubauen, dass er weiterhin Begegnung, Erholung und Zuflucht ermöglichen kann.

Die Lighthose Fundation hat ein Spendenkonto eingerichtet, das dazu dienen soll, die Lotseninsel wieder herzurichten:

Förde Sparkasse
Kontoinhaber: Lighthouse Foundation
IBAN DE36 2105  0170 1003 9417 52
BIC: NOLADE21KIE
Lotseninsel Schleimünde

Seezeichen "Baumgruppe"

Das ist wohl das Ende des
Seezeichens "Baumgruppe"

14.10.2023: Gemütlich an die Flutmauer gelehnt

Eine Woche später: Findlinge weg,
Bohlenweg weg, Flutmauer weg.

14.10.2023

Eine Woche später:
Flaggenmasten weg, Weg zugeschwemmt.