Wenn man einen Trainer-C-Schein hat, hat man die Berechtigung, Prüfungen zum
Europäischen Paddelpass abzunehmen. Für die Stufe EPP 3 aber nur unter der zusätzlichen Bedingung, dass man selbst im Besitz der Stufe EPP 4 für die spezifische Disziplin ist. Da mir wegen persönlicher systeminterner Inkompatibilitäten leider die spezifischen Zertifikate des Deutschen Kanu-Verbandes fehlen, stellt das einen unheilbaren Mangel dar, im Verein entsprechende Kurse und Prüfungen anzubieten. Ich will aber gerne das System des EPP bei uns im Verein stärken und weiter voranbringen. Nun hatte ich also quasi den Bart in der Drehbank: wenn ich mit der Trainer-Lizenz nun schon so kurz vor dem Ziel stehe, bin ich fast gezwungen, auch noch die fehlende Prüfung zu machen😐.
Betzi, mit der zusammen ich diesen Pfad beschreite, hatte bereits eine Gelegenheit gefunden, den Mangel für sich selbst zu beseitigen. Mit Elke, der Ausbildungsleiterin vom Bremer Landeskanu-Verband, hatte ich bei der Treibgut-Veranstaltung im letzten September vereinbart, dass sie an Pfingsten eine EPP-4-Küste Prüfungsfahrt veranstaltet, an der ich teilnehmen würde.
Nun hat mich aber gewurmt, dass ich zwar nicht die explizite EPP-4-Lizenz habe, dafür aber die Seakayak-Leader Lizenz für Tidengewässer des britischen Verbandes. Und schon die Voraussetzungen dafür sind deutlich höher als die von DKV geforderten - von der Ausbildung ganz zu schweigen. Also habe ich mich an den DKV gewandt, um meine britische Lizenz als mindestens gleichwertigen Ersatz anerkennen zu lassen. Dabei wollte ich eine Anerkennung nicht nur für mich persönlich erreichen, sondern ein Bekenntnis, dass eine bestimmte britische Lizenz generell einer entsprechenden DKV-Lizenz als gleichwertig anerkannt wird. Es hat zwar fast ein halbes Jahr gedauert, aber das war eher dem bürokratischen Mechanismus geschuldet - grundsätzlich war der DKV meinem Anliegen gegenüber sehr positiv eingestellt. Am Ende entstand eine Tabelle, aus der nun jeder Inhaber einer britischen Lizenz ablesen kann, welcher deutschen Lizenz sie gleichgestellt ist!
Damit war zwar für mich die Notwendigkeit entfallen, an der Prüfungsfahrt zu Pfingsten teilzunehmen. Aber ich wollte mir doch eine Nordseetour in Nordfriesland nicht durch die Lappen gehen lassen! Elke war ganz froh, dass ich sie trotzdem begleiten wollte, denn Nordfriesland ist nicht wirklich ihr Zuhause, und sie wollte meine intime Revierkenntnis gerne nutzen.
Wir sollen um 10 Uhr abfahrtbereit in Schlüttsiel auf der Rampe stehen. Ich reise zusammen mit Maditha an. Wir haben die kürzeste Anreise - müssen aber auch schon um halb sieben losfahren, um das Soll zu erfüllen. Die Teilnehmer aus Bremen übernachten alle auf der Kirchwarft in Ockholm, Cornelia irgendwo direkt in Sielnähe.
Bei der Vorstellung geben noch alle an, dass sie am Ablegen der Prüfung interessiert sind - bis auf Marcia, die schon im Besitz dieser Qualifikation ist. Wir sind insgesamt 10 PaddlerInnen - Elke, Marcia und mich abgezogen sind das immerhin noch sieben Prüflinge - eine stattliche Gruppe. Das Packen geht erfreulich professionell und zügig vonstatten. Man sieht halt, dass man es hier mit erfahrenen Tourenpaddlern zu tun hat. Aber irgendwie will nicht bei allen alles in die Stauräume des eigenen Kajaks passen. So landen am Ende sechs Räder für Bootswagen in meinem Schiff.
Die Wetterbedingungen sind enttäuschend lieblich. Hatte die Vorhersage noch vor Kurzem Wind mit fünf bis sechs Beaufort aus Osten versprochen, kräuseln jetzt maximal drei Windstärken die Oberfläche der Nordsee. Da kann nicht wirklich Spaß geschweige denn Stress aufkommen, aber das entspannt die Sache mit der Navigation für die Aspiranten natürlich erheblich. Auf dem Weg werden immer mal wieder kleine Fragen gestellt oder Erläuterungen gegeben. Auch kleine Übungen sind dabei, wie das Fahren eine Seilfähre genau quer zum Strom zwischen zwei recht dicht beieinander liegenden Tonnen. Pelworm dient als fixer Hintergrund, um festzustellen, wie stark die Abdrift ist und wie weit man vorhalten muss. Kurz vor Hooge gibt es noch die erste Gelegenheit, die Beherrschung des Pflichtelements "Rolle links und rechts" zu demonstrieren. Ich bin etwas überrascht, wie lang und umfangreich die Vorbereitung bei einigen dafür ist. Im Ernstfall wird es die Zeit nicht geben, vorher noch die Nasenklammer aufzusetzen, das Paddel zu wechseln oder das Deck aufzuräumen. Unter "Routine" fällt das meines Erachtens eher nicht.
Durch die mannigfachen Unterbrechungen und weil wir auch sonst eher nicht hurtig unterwegs waren, haben wir fast vier Stunden bis zum Zeltplatz gebraucht. Aber da wir ja sogar vor Hochwasser losgekommen sind, steht das Wasser vor Hooge immer noch so hoch, dass wir fast bis zur Steinschüttung fahren können. Wir landen gleich östlich vom Hafeneingang an, die Erfahrungen aus dem vergangenen Jahr und die Warnung von Stan am vergangenen Mittwoch sind mir noch zu gegenwärtig, so dass ich lieber den längeren aber sicheren Weg wähle. Ich hatte Elke ja im Vorfeld auch gebeten, alle anzuweisen, dass sie einen Bootswagen benötigen.
Den Rest des Tages verbringen wir im Wesentlichen damit auszuruhen, das schöne Wetter zu genießen und das Abendessen zuzubereiten. Die Infrastruktur auf der Hallig leidet etwas darunter, dass die Abwasserleitung nicht richtig funktioniert. So haben wir nur eine Toilette zur Verfügung und es wird gebeten nicht mehr als einmal am Tag(!) zu duschen. Ich bespreche mich in der Zwischenzeit mit Elke, was wir morgen auf den Plan setzen. Wir wollen in zwei Gruppen a fünf Personen fahren. Erst gegen den auflaufenden Strom zur Nordspitze von Jappsand, dann genau quer zu ihm, um zur Tonne SA10 zu kommen und dann nach Hilligenley zu fahren. Von dort ein Stück das Langenessfahrwasser hoch und schließlich zurück zu unserem Basislager auf Hooge. Nach dem Abendessen eröffnen wir unseren Vorhaben den anderen, die einen detaillierten Plan ausarbeiten sollen, wie man das realisieren kann.
Die Pläne der beiden Gruppen unterscheiden sich nicht wesentlich, was nicht verwundert. Als wir uns am nächsten Tag gegen das auflaufende Wasser nach Westen zu Nordspitze von Jappsand vorarbeiten, meiden wir das tiefe Fahrwasser des Priels vor Hooge und fahren dicht die Hallig geschmiegt über das flache Wasser der Wattflächen. Hier geht eine deutlich geringere Strömung. Wir kommen mit fünf bis sechs Stundenkilometern voran, nur unbedeutend langsamer als komplett ohne Stromeinfluss.
An der Nordspitze von Jappsand steigen wir kurz aus, um das weitere Vorgehen festzulegen. Da sich die Teilnehmer hier nicht wirklich auskennen, fällt es ihnen erwartungsgemäß etwas schwer, die relevanten Tonnen zu finden und sie dann auch eindeutig zu identifizieren. Wenn man aber innerlich einen Schritt zurück geht, liegen nur zwei Tonnen innerhalb des Erwartungssektors für die Tonne SA10. Das ist einmal die rot-grüne Tonne SA10 selbst und die grüne Tonne SA7. Und selbst für den Fall, dass man die "falsche" der beiden Tonnen ansteuert, ist man auf der sicheren Seite, weil man ohne einen großen Umweg gefahren zu haben und ohne Probleme zur SA10 kommt.
Frauke, die die Aufgabe hat, die Gruppe zu führen, wählt die SA7 als Zwischenziel und gibt einen Kompasskurs an, der einen üppig gestalteten Vorhaltewinkel beinhaltet. Sie merkt sehr bald selbst, dass das zu viel des Guten ist und korrigiert ihn. Es folgen noch diverse Korrekturen, die unterm Strich eine recht gerade Spur zum Zwischenziel ergeben. Die Technik, bei der herrschenden hervorragenden Sicht, das anzupeilende Objekt konstant mit einem ausgezeichneten Referenzobjekt am Horizont in Deckung zu halten, ist in der Gruppe noch eher fremd. Von hier zur SA10 zu kommen, ist ein leichtes — das Erreichen des Anlegers von Hilligenlei nicht der Rede wert. Als Verantwortlicher für eine Gruppe ist man beim Anlanden am besten dort positioniert, wo das größte Risiko lauert und man am besten eingreifen kann. Wo das in diesem Fall gewesen wäre, ist allen Beteiligten bei der Nachbesprechung unmittelbar einleuchtend.
Nach der Pause soll Haye die Gruppe das Langenessfahrwasser entlang führen, bis wir spätestens an seinem Ende einen Schwenk nach Süden machen und zu unserer Zeltwiese zurückkehren werden. Auf dieser Strecke soll es einen unerwarteten Zwischenfall geben. Dazu instruiere ich Conelia, dass sie auf ein Zeichen von mir hin kentern soll. Maditha sage ich, dass sie, sobald Haye die Kenterung von Conelia erkannt und auf seine Reaktion eingeleitet hat, ebenfalls kentern und ihrem Boot einen Schubs geben soll, damit es von Wind vertrieben wird. Nach einer Weile fällt mir noch ein, dass ich auch Marcia noch instruieren muss, damit sie als erfahrene Paddlerin und EPP4-Inhaberin die Dinge nicht selbst in die Hand nimmt. Ich erkläre ihr, dass die von nun an auf das Niveau einer EPP2-Paddlerin zurückgestuft ist.
Kurz vor Erreichen der Tonne L20 gebe ich das Zeichen. Haye reagiert blitzschnell und souverän. Als Maditha ebenfalls kentert, erfasst er auch diese Situation und erkennt, dass er nicht beide Probleme eigenhändig bearbeiten kann. Er bittet Marcia, sich um Maditha zu kümmern. Er fragt sie sogar, ob sie mit dem Umgang dieser Situation vertraut ist. Natürlich ist sie das! Aber gemäß meiner Rückstufung gibt sie zu bedenken, dass sie das zwar schon mal geübt habe, aber nur im Schwimmbad! "Versuch es einfach.", ermuntert Haye sie. Leider ging mein Kalkül, dass der Wind Madithas leeres Boot wegwehen würde, so gar nicht auf — es weht leider genau gar kein Wind 😐. Während der gesamten Rettungsaktion, die etwa 15 Minuten gedauert hat, sind wir durch das mittlerweile wieder schwach ablaufende Wasser 500 Meter zurückgetrieben worden. Nachdem alle wieder betriebsbereit in ihrem Booten sitzen, soll Maditha uns zurück führen. Das ist in Anbetracht der Verhältnisse, der kompletten Abwesenheit von Wind und Madithas Souveränität bei der Navigation kein Problem.
Es ist gar nicht so leicht, sich eine sinnvolle Tour auszudenken, weil die Lage der Tide an diesem Wochenende alles andere als ideal ist. Meine Abstimmung mit Elke für den kommenden Tag resultiert in der Aufgabe, Hooge im Uhrzeigersinn zu umrunden. Währenddessen sollen dann noch mal ein paar Paddeltechniken demonstriert werden. Elke und ich tauschen dabei die Gruppen. Zur Umsetzung fahren wir zuerst genau nach Osten bis zum Priggenfahrwasser, das in das Rummelloch führt. Südlich von Hooge trifft das auflaufende Wasser auf die Hallig und muss sich entscheiden, ob es sie links oder rechts herum umfließt. Es gibt also einen Punkt, an dem die Stromrichtung von Ost auf West umspringt. Ich versuche, den Teilnehmern zu vermitteln, wie sie feststellen können, in welche Richtung die Strömung zieht. Wenn man sich zwei hintereinander liegende Objekte auf der Hallig sucht und sieht, wie sich sich relativ zueinander bewegen, hat man ein sicheres Indiz, in welche Richtung die Strömung geht. Es braucht einige Gewöhnung, aber schließlich erkennen alle das Prinzip dieser Technik.
Am Nordende von Jappsand geht es an Land. Das Wasser im Flach davor hat sage und schreibe eine Temperatur von 22 Grad! Einige nutzen das, um wahlweise Rolle zu üben oder zu baden. Ein recht kleiner Seehund nähert sich uns und geht vollkommen ohne Scheu direkt bei unseren Booten an Land. Ich habe das Gefühl, dass er nicht ganz gesund ist.
Die beiden Gruppen sollen im Wettbewerb gegeneinander ein "All-In" ausführen. Sieger ist, wer als erster zurück an Land ist und dort den Notruf absetzt. Die Gruppen sind bei einzelnen Elementen im Ablauf sehr unterschiedlich schnell, aber am Ende setzen beide den Notruf und wenige Sekunden nacheinander ab. Ich würde sagen, beide Gruppen haben bei der Übung zusätzliche Sicherheit im Umgang damit gewonnen! An Land angekommen, eröffne ich ihnen, dass einer meiner Lukendecken verloren gegangen ist und sie sich etwas überlegen müssen. Auch das stellt für die Teilnehmer keine unlösbare Aufgabe dar. Ich bin überrascht, wie gut sie ausgerüstet sind und finde mein Boot nur wenig später perfekt abgeschottet vor. Ich fahre damit problemlos und mit trockenem Schott zurück nach Hooge.
Für Dienstag, den Tag der Rückreise, ist heftiger Wind aus Osten angesagt. Es ist nicht ganz klar, ob wir bei den zu erwartenden Verhältnissen auf eigenem Kiel zurückfahren können. Wir wollen die Entscheidung erst mit der Vorhersage am Tag selbst fällen. Ich stehe sehr früh auf, um mir ein Bild zu machen. Es sieht für mich durchaus machbar aus, würde aber wenigstens anstrengend werden. Ich verabrede mit Elke, dass wir der Gruppe sagen, dass wir alle mit der Fähre zurück fahren werden. Wenn dann jemand von sich aus sagt, dass er aber unbedingt paddeln möchte, würde ich ihn begleiten. Ich möchte aber nicht im vorhinein anbieten, dass ich mitkommen würde, wenn jemand paddeln möchte. Wie erwartet, will Maditha unbedingt paddeln! Dafür bin ich ihr sehr dankbar!
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Maditha und ich auf der Rückfahrt, von der Fähre aus fotografiert. |
Ostwind und auflaufendes Wasser bedeuten Wind gegen Strom, was Garant für interessante Wellen ist. Sie sind nicht wirklich groß, so um einen halben Meter, Fetch und Wassertiefe geben halt nicht mehr her, aber sie sind steil und machen Spaß! Und es macht Spaß, Maditha neben sich zu haben, die ständig ein seliges Grinsen im Gesicht hat. Was mich beeindruckt, ist, dass sie in diesem Chaos an den Schlüsselstellen immer wieder seelenruhig auf die Karte sieht, um unsere Position und die weitere Richtung zu bestimmen! Wir benötigen keine drei Stunden für die gesamte Strecke. Das sind 7 km/h — was nichts anderes bedeutet, als dass sich die Effekte der unterstützenden Strömung und des hindernden Windes gegenseitig genau aufgehoben haben.
Meine Karriere während dieser Tour verlief steil — vom zu prüfenden Kandidaten, über begleitenden Ortskundigen zum Assistenten der Prüferin. Ich habe das nicht angestrebt und möchte mich auch gar nicht weiter in diese Richtung bewegen — aber es hat mir Spaß gemacht. Insbesondere das innere Wollen der Teilnehmer hat mich begeistert und natürlich auch ihre je eigene Kompetenz. Es ist ein grundsätzlich anderes Gefühl, Paddler mit intrinsischem Antrieb zu führen, als wenn die Teilnehmer eigentlich "nur mit" sind. Und es ist schön zu sehen, dass es andere gibt, die sich der Weitergabe ihres Wissens an Dritte verschrieben haben.