Dieses Jahr scheint das Jahr des spontanen Peters zu sein! Hatten wir nicht schon die Tour zu Pfingsten eigentlich zu dritt geplant und Peter schweren Herzens außen vor gelassen, weil er für unsere hochtrabenden Pläne nicht das Maß an Vorbereitung leisten konnte, das notwendig gewesen wäre? Und hatte nicht Peter sich spontan und auf die letzten Tage entschlossen, mich als einziger zu begleiten, nachdem die beiden anderen durch Schiksal und böse Mächte aus dem Rennen geworfen wurden? Ja und ja und hatte er. Und die Dinge ähneln sich, denn auch für die zweite große Unternehmung, für die wir fast ein Jahr im Voraus den Termin festgenagelt hatten, könnte die Überschrift lauten "Manchmal kommt es anders...". Und auch diesmal entschließt sich Peter kurzfristig, mich bei einer Tour um Samsö herum zu begleiten. Ich bin froh, dass er zugesagt hat, denn neues Land zu entdecken, ist zu zweit viel schöner als alleine.
Ich bin aber auch etwas in Sorge, dass ich ihn überredet habe, denn die Tage vor dem Termin ist das Wetter alles andere als geeignet, in einem den Wunsch und das Verlangen zu wecken, vier Tage lang mit Zelt und Schlafsack am nasskalten Busen der Natur zu verbringen. Auch die Vorhersage lässt nichts Gutes ahnen und als ich am Freitag von der Arbeit nach Hause fahre, ist mir eigentlich klar, dass Skagerak und Samsö bei dem vorhergesagten Wind und den herrschenden Luft- und Wassertemperaturen keine wirklich ernstgemeinte Ansage sein kann. Nur will ich meinen so lange gehegten Plan, eine ausgedehnte Paddeltour zu machen, nicht abhaken, und da mir keine geeignete Alternative einfällt, halte ich vorerst weiter am Unhaltbaren fest. Aber die Seekarten, die ich auf dem letzten Drücker von Jens bekommen habe, knicke ich erst einmal noch nicht.
Ich bin so beschäftigt, meine Siebensachen zusammenzupacken, dass ich auch gar keine Zeit habe, über Alternativen nachzudenken, als Peter mich anruft, um das Absehbare und Erwartete auszusprechen: "Samsö is nich!" Aber Peter wäre nicht Peter, wenn er es bei einem Abblasen belassen würde. Auch er muss raus und will die eingeplante und freigekämpfte Zeit nutzen. Und er hat einen Vorschlag: Zischland, Fingst und Rügen - oder so. Da war ich vor zwanzig Jahren das letzte Mal - mit einer schwangeren Frau, die mit ihrem dicken Bauch gerade eben noch durch die Luke unseres Faltbootes passte. Das war ganz nett und ich hätte Lust, mir das Gebiet mal wieder anzusehen. Wir fantasieren etwas von Sauna und Standquartier und besiegeln, dass alles bleibt, wie abgesprochen: Viertel nach zehn am Bootshaus, Sachen packen und drei Stunden Autofahrt - nur die Richtung würde leicht anders sein: Osten statt Norden!
In Segeberg leisten wir uns eine verpasste Autobahnausfahrt - keine große Sache. Ich erwähne das hier nur, weil es wirklich ungewöhnlich ist für uns beide. Wir sind darauf gedrillt, in navigatorischen Belangen äußerste Aufmerksamkeit walten zu lassen, immer anderthalb Augen darauf gerichtet zu haben, wo wir gerade sind und welchen Kurs wir als nächstes steuern müssen. Wäre das nicht so, könnten wir unmöglich so anspruchsvolle Touren unternehmen.
Im Auto werden alle verfügbaren Karten studiert, Einsetzstellen erwogen, Übernachtungsplätze ins Auge gefasst und Tourverläufe diskutiert. Peter kennt sich bereits gut aus hier und hat viele Ideen. Ich bin eher interessiert und zu jeder Schandtat bereit als eine große Hilfe, eigene Vorschläge zu machen. So entsteht der Plan, von Zingst aus den Bahrter Binnenbodden zu bepaddeln und dann eventuell in einem kleinen Häfchen gegenüber von Rügen zu übernachten. Aus Zingst wird später Pruchten, denn das liegt günstiger und dafür müssen wir nicht ganz so weit fahren.
Wir haben uns für Trockenanzüge entschieden, denn schließlich ist Herbst und Wasser und Luft sind nicht mehr wirklich mollig. Wir rechnen mit durchwachsenem Wetter und wollen gewappnet sein. Zwar müssen wir für vier Tage Proviant und Ausrüstung in unsere Boote zwängen, aber das bereitet keinem von uns übermäßige Mühen, denn unsere Kajaks haben nicht die knappen Maße, bei denen Askese keine Frage der Einstellung sondern eine schlichte Notwendigkeit wäre. Peter hat sich nach der ernüchternden Erfahrung auf Amrum sogar große Räder für seinen Bootswagen besorgt - er will sich nicht noch einmal von mir abhängen lassen beim Schleppen über Sand!
Wir sind kaum auf dem Wasser, da fliegen schon die ersten Kraniche über uns hinweg. Das Wasser heißt hier "Strom" und ist die großzügige Mündung eines kleinen Flüsschens. Es weht ein spürbarer Wind aus Westen, der uns vorantreibt. Als wir in den "richtigen" Bodden laufen, lernen wir gleich eine seiner wesentlichen Eigenschaften kennen: Bodden sind flach! So flach, dass man sogar mit einem Kajak auflaufen kann. Aber zum Glück sind die flachen Stellen hier allesamt mit Schwänen markiert, so dass man sie schon von weitem erkennen kann. Allerdings muss man doch den einen oder anderen Umweg fahren, was man manchmal erst einsieht, nachdem man eine Weile lang eine gehörige Heckwelle hinter sich hergezogen hat, die die ganze Energie verbraucht, die in tiefem Wasser in Geschwindigkeit umgesetzt worden wäre.
Anfangs ziehe ich noch zweimal meinen Südwester auf, muss ihn aber jeweils nach fünf Minuten wieder verstauen, weil es weder regnet noch kalt genug ist, dass sein Einsatz gerechtfertigt wäre. Je weiter der Abend gedeiht, desto mehr reißt der Himmel auf. Eine ungewöhnliche Milde macht sich breit in Licht und Luft und entfaltet Wirkung im Gemüt. Aus dem Horizont quellen stoßweise unerschöpfliche Mengen Kraniche hervor, die direkt und niedrig und trötend über uns hinweg segeln. Die sinkende Sonne lässt ihre grauen Körper in warmem Rosa leuchten. Wir sind sprachlos über diese fast unwirklich anmutende Szene: Allein auf weiter Flur - oder besser: auf flachem Bodden - treiben wir von einem freundlichen Wind geschoben unter weißen Wolken über grünes Wasser, am Himmel eilen die Kraniche ihren Schlafplätzen zu, Gänseschwärme huschen an uns vorbei, im Wald neben uns geht ein Hirsch spazieren. Am Ufer sind von Zeit zu Zeit Beobachtungshütten zu sehen, in denen Vogelfreunde sich ihre Hintern plattsitzen, um eventuell und kurzzeitig mal einen Blick durch ihre meterlangen Teleskope auf einen Kranich werfen zu können - und wir werden von diesen scheuen Tieren fast umgeflogen! Ich liebe das Paddeln!
Um viertel vor sieben ist die Sonne endgültig hinter dem Horizont versunken und es wird rapide dunkler. Zum Glück sind wir nicht mehr weit von unserem Etappenziel entfernt, aber als wir das schmale Fahrwasser vor dem Hafen überqueren wollen, müssen wir noch einmal anhalten, um einen mit Höchstgeschwindigkeit heranrauschenden Motorboot die Vorfahrt zu lassen. So schnell fahrende Objekte sind wir von der Förde einfach nicht gewohnt. Der Hafenmeister von Barhöft macht um 19:00 s.t. Feierabend - als Akademiker sind wir leider erst um 19:00 c.t. eingetroffen. Geschenkt. Dann melden wir uns eben morgen an - und pinkeln so lange in den Wald. Wir ziehen uns bald in unsere Nylon-Hütten zurück, denn wir sind einigermaßen müde - von der Tour und vom Leben davor. Peter gibt bald schnurrende Geräusche von sich, ich zelebriere noch die obligaten Tour-Tortellinis und kuschele mich dann auch in meine Daunen.
Alle Fotos der Tour...
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen