Ich sitze auf der Heizung in der Küche und sehe aus dem Fenster auf die Straße. Ich warte auf Jörg. Der hat vorhin angerufen, um die Details unserer heutigen Paddeltour mit mir abzusprechen. Seine Stimme hörte sich genau so an, als wenn er auf alles andere Lust hätte, als eine Paddeltour bei Minusgraden und schneidend kaltem Ostwind zu machen. Aber er hat keine Chance abzusagen: Vor ein paar Wochen hatte er wegen des Wetters rumgememmt und dass es doch doof sei, bei so einem Sch...wetter aufs Wasser zu gehen - und dann schien nachher die Sonne und es tat ihm selber leid! Heute bin ich hart geblieben - aber nachdem ich eben draußen war, um mein Boot vorzubereiten, bin ich mir jetzt nicht mehr sicher, ob ich nicht lieber doch hättte weich werden sollen! Marie-Theres sagt eins ums andere Mal: "Bei dem Wetter aufs Wassser?" und schüttelt sich dann immer.
Warum tue ich mir so etwas eigentlich immer wieder an? Ich weiß, dass es
kalt ist, dass es anstrengend ist und ungemütlich, dass es nass ist und
auch nicht ungefährlich. Aber ich weiß auch, dass ich mich, wenn ich
dann draußen auf dem Wasser bin, großartig fühle. Ich empfinde es als
ein königliches Privileg, bei solchem Wetter und solchen Bedingungen mit
einem Boot auf dem Wasser sein zu können, mich körperlich zu betätigen,
an der Natur zu sein - und das Ganze mit einem ebenso kundigen wie
liebenswerten Partner zu teilen. Und wenn man dann in diesen so
garstigen Bedingungen steckt, stellt sich heraus, dass sie sich gar
nicht so garstig anfühlen, wie sich die Phantasie das vorstellt.
Wir setzen unsere Boote wieder in Bülk ein. Angesichts des
unerbittlichen Windes, den wir im Bereich von vier Windstärken erwartet
haben, wobei wir allerdings vergessen haben, dass wir uns hier nicht
mehr in der Innenförde befinden, und so beim Anblick der Strander Bucht
noch mal eine Windstärke mehr spendieren müssen - im Angesicht also
dieses Windes haben wir uns entschlossen, nach Eckernförde durchzufahren
und uns dort abholen zu lassen. Ich konnte Birke dafür gewinnen, uns um
drei dort abzuholen. Das Einsetzen am Strand ist nicht ganz einfach,
obwohl wir unsere Boote schon ganz dicht an die Mole getragen haben, wo
die brechenden Wellen am kleinsten sind. Ich bekomme eine gute Ladung
Wasser ins Cockpit, bevor ich es schaffe, die Spritzdecke zu schließen.
Und ich bin noch gar nicht am Molenkopf vorbei, da bricht mir schon die
erste Welle gegen die Brust. Das kann ja heiter werden. Aufgrund unserer
längeren Paddelpause und weil man im Winter eh nicht so geschmeidig im
Boot sitzt, erfordern die Wellen unsere erhöhte Aufmerksamkeit. Wir
umfahren die Buhnen am Leuchtturm in respektvollem Abstand, um ja nicht
in die sich dort brechenden Wellen zu geraten.
Der Wind weht den ganzen Tag über konstant aus Ost-Süd-Ost und auf dem Stück bis Krusendorf haben die Wellen den freien Fetch von Fehmarn bis hierher zurückgelegt. Entsprechend hoch türmen sie sich. Wenn Jörg und ich gleichzeitig in unterschiedliche Wellentäler tauchen, sieht man nicht mal mehr die Zipfelmütze des anderen. Die kleinen Wellen haben einen halben, die großen bis einen Meter Höhe. Es ist durchaus Konzentration vonnöten, und es war gut, dass wir niemanden sonst mitgenommen haben, denn es braucht ein gerüttelt Maß an Kaltblütigkeit, hier nicht den Mut zu verlieren.
Es sind Unmengen von Wasservögeln unterwegs, viele Eiderdaunenproduzenten, Spießenten, Schellenten und tausende von diesen schwarzen Dingern, von denen wir nicht recht wissen, was sie sind. "Samtenten" schlägt Jörg vor und wir werden es weiter untersuchen. Teilweise fliegen sie so weit von uns entfernt auf, dass wir unmöglich der Grund dafür sein können. Und wenn - einmal die Woche aufgescheucht zu werden, muss drin sein! Irgendwann schwimmt so ein puscheliger Korken keine zwanzig Meter entfernt von mir im Wasser. Ich weiß genau, dass ich ihn kenne, komme aber so schnell nicht drauf. Ein späterer Blick in meine Kosmos-Vogelwelt entlarvt ihn eindeutig als meinen ersten Tordalk, den ich hier angetroffen habe! Wenn nicht allleine so eine Begegnung schon die Inkaufnahme all der Kälte, der Nässe und der Anstrengung aufwiegt!
Wir fahren teilweise recht weit draußen, denn immer wieder sind Sandbänke vor dem Ufer, über denen sich die Wellen brechen. Wir wollen lieber keine Experimente machen und auf Nummer Sicher gehen. Daher unterlasse ich es auch, Fotos zu machen, auch wenn ich den Aparat wie immer griffbereit an der Schwimmweste befestigt habe. Bei Grönwohld queren wir kurz die Brandungszone, wobei ich Jörg eben noch darauf hinweisen will, dass wir aufpassen müssen, nicht zu kollidieren, aber mitten im Satz hinterlässt meine Bootsspitze schon einen roten Striemen an Jörgs Bug. Zwischen Sandbank und Ufer versuchen wir, eine Pause zu machen, heißen Tee zu trinken und etwas zu essen. Das ist nicht wirklich gemütlich, denn natürlich ist das Wasser auch hier noch "bewegt". Mittlerweile hat auch Schneefall eingesetzt. Mit unseren kalten Fingern schaffen wir es nicht, Jörgs Tupperdose aus der Arretierung hinter seinem Sitz zu fummeln, so dass er mit einem von meinen Riegeln Vorlieb nehmen muss.
Der weitere Weg nach Eck-Town ist klar vorgegeben: Immer gerade aus - nicht ganz 270 Grad. Aber es ist doch noch verdammt weit und um unsere Schätzung für eine Ankunft um drei Uhr einhalten zu können, hätten wir keine Pause machen dürfen. So muss Birke halt eine Viertelstunde warten, bis sie uns am Strand in Empfang nehmen kann. Die Landung ist trotz Brandung relativ harmlos, aber einmal aus unserem wärmenden Cockpit geschmissen, wird uns im pfeifenden Wind schnell kalt. Spätestens beim Entfernen des bei der Landung eingedrungenen Wassers streichen die Gefühlsnerven die Segel, so dass das Einfädeln der Spanngurte für den Dachgepäckträger eine echte Herausforderung wird.
Wir verschwenden keine große Zeit uns umzuziehen, ich setze mich mit
Spritzdecke und Weihnachtsmütze hinter das Lenkrad und wir fahren zurück
nach Bülk. Die Heizung stellen wir auf 25 Grad!