Samstag, 29. Juni 2013

Ein trauriges Wochenende: Samstag (2/2)

Die Anstrengung des gestrigen Tages hat mich lange nicht einschlafen lassen. Und heute morgen tröpfelt der Regen auf mein Zelt. Nichts, was einen dazu bringt, früh aufzustehen. Als ich mich endlich senkrecht setze und sortiere, fällt mir eine nasse Stelle neben meiner Isomatte auf. Habe ich vergessen, meine Trinkflasche richtig zuzudrehen? Die Flüssigkeit schmeckt aber nicht süß. Wasser? Wo soll das herkommen. Ich forsche weiter. Da sind noch mehr nasse Stellen! Da sind richtige Seen auf dem Zeltboden! Wenn ich etwas in meinem Zelt nicht haben möchte, dann Nacktschnecken - vor allem möchte ich aber kein Wasser in meinem Zelt haben! Sogar mein Schlafsack ist nass an der Seite. Gut, es hat in der Nacht länger geregnet - aber ist das nicht genau der Grund, für den man Zelte erfunden hat? Damit das Wasser draußen bleibt? Kann ich denn nicht einfach ein Zelt haben, bei dem die Stangen nicht vom Angucken brechen und bei dem kein Wasser eindringt! Ich bin erschüttert, genervt, frustriert - und traurig.

Die nächste Zeit verbringe ich mit Nachforschungen. Ich wische den Boden trocken und achte, während ich mir das Frühstück mache, wie ein Luchs auf eventuelle "Dupps"-Geräusche, die einen herabfallenden Wassertropfen verraten. Es braucht eine ganze Reihe dieser sich nur zögerlich zu erkennen gebenden Tropfen, bevor ich mir einen Reim auf die Sache machen kann: Dort, wo das Innen- mit dem Außenzelt verspannt ist, dringt Wasser durch  die Außenhaut, hangelt sich durch den Stoff der Schlaufe an der Außenhaut, über den Ring und den Haken in den Stoff der Schaufe an der Innenhaut, durchtränkt den sie abschließenden Saum so lange, bis "Dupps" der Tropfen dann zu Boden fällt. Fehlkonstruktion! Wie kann man so etwas auf die Menschheit loslassen? Es regt mich auf, dass ein Zelt nicht mal den elementarsten an so ein Produkt gestellten Anspruch erfüllen kann. Andererseits ist mein Befund aber auch wieder beruhigend, dass nicht das gesamte Gewebe an sich wasserdurchlässig ist. Ich bin mir noch nicht schlüssig, wie ich damit umgehen werde und beschließe, dass ich mir von so einer Lapalie das Leben nicht vermiesen lassen werde.

Ich lasse mir nachdrücklich Zeit mit dem Frühstück, halte ein wenig Zwiesprache mit dem Kaninchen, das in mein Zelt blickt und will damit dem fiesen Nieselregen die Gelegenheit geben, sich zu verpieseln. Aber irgendwan dämmert mir: wenn ich mit dem Zelt-Abbauen bis zum Sonnenschein warten will, wird das nichts mehr mit heute nach Hause kommen. Also erledige ich zuerst alle Dinge, die ich noch im "trockenen" Zelt verrichten kann, wie Schlafsack einsacken, Isomatte zusammenrollen und Ausrüstung zusammenpacken. Doch irgendwann hilft es nichts mehr, ich muss raus - und das geht nur, wenn ich mir vorher die klatschnassen und kalten Paddelsachen anziehe. Das war es, was ich die ganze Zeit so sehr vor mir hergeschoben habe. Aber wat mutt, dat mutt!

Der Morgen beginnt so trübe wie der Abend gestern geendet hat. Die Windvorhersage hatte einen schwachen Wind aus südwestlicher Richtung angekündigt und Recht bekommen. Um viertel nach elf verlasse ich die Lotseninsel - und: Ja, die Giftbude hat wieder geöffnet! Entgegen meiner gestrigen Strategie, werde ich heute dicht unter Land bleiben, um seine Abdeckung gegen den Wind etwas auszunutzen. Ich bin noch nicht lange auf dem Wasser, da verdunkelt sich der Himmel über Schwansen bedrohlich und verstärkt die trübsinnige Stimmung noch. Es dauert keine zehn Minuten und ich paddele durch dicke Regentropfen.

Der Schauer ist von unerwartet kurzer Dauer - und überrascht stelle ich fest, dass der Wind eine leicht nördliche Komponente bekommen hat. Zuerst schiebe ich das noch auf eine Ablenkung durch den Küstenverlauf, aber irgendwann muss ich erkennen, dass der Durchzug der Regenfront eine durchgreifende Wetteränderung darstellte. Der schwache Wind hat nicht nur komplett seine Richtung geändert, sondern ist auch zu unerwarteter Frische aufgebrist. So beschließe ich, ab Damp wieder den direkten Kurs auf mein Ziel zu wählen und Schutz und Trost der Küste aufzugeben. Heute sind mehr Segler als gestern unterwegs. Einige sind schneller als ich, aber mit einem liefere ich mir über eine Stunde lang ein totes Rennen. Da ich immer wieder tolle Surfs mitnehmen kann, bin ich wirklich höllenschnell und der Segler kommt und kommt nicht an mich ran. Doch irgendwann brist der Wind noch mehr auf, so dass der Segler schneller wird - und ich langsamer!
Bei der erster Spitze bin ich noch recht dicht unter Land, so dass für wirklich große Wellen der Fetch nicht hinreicht. Bei der zweiten Spitze bin ich weit draußen auf See - und die Wellenhöhe übersteigt einen Meter!




Augenblicklich ist das Meer um mich herum voller weißer Schaumkronen. Es ist ein unglaublich krasser Unterschied in den Verhältnissen: Vor dem Auffrischen war alles Spaß, ich habe die Wellen nach Belieben kontrolliert, habe keine Pause gemacht, weil ich keine brauchte und wollte und war mit über acht Stundenkilometern unterwegs. Nun rauscht und schwellt es so gewaltig, dass ich fast mehr nach hinten sehe als nach vorne. Surfen ist nun kein erstrebenswerter Zustand mehr sondern nur ein manchmal nicht zu vermeidendes Risiko. Pause machen ist nun nicht mehr möglich, weil man das Paddel nicht aus der Hand legen kann. Ich bin wieder im Konzentrationsmodus. Meine Geschwindigkeit ist auf sechseinhalb Stundenkilometer eingedampft. Günstiger Weise hat es mich genau an der maximalen Entfernung von allen erreichbaren Küsten erwischt: Schwansen, das gegen den Wind eh nicht erreichbar wäre, liegt genau wie der Dänische Wohld etwa sechs Kilometer weit entfernt. Damit ich nicht unnötig lange in dieser präkären Situation verweile, lege ich meinen Kurs südlicher, direkt auf die Küste zu.

"Wenn du einen fernen Horizont hast, ist die Wellenhöhe unter einem Meter. Hast du einen nahen Horizont
Hohe Wellen kann man schlecht fotografieren!
und siehst im Wellental nur noch die Wellenkämme, ist die Wellenhöhe über einen Meter." Leider rollen immer wieder Wellen von hinten an mich heran, die mir nicht nur den fernen Horizont nehmen, sondern sogar den Blick auf die mittlerweile schon recht hohe Steilküste. Wenn es einer Welle von einem Meter Höhe in den Kopf kommt, mich nach vorne zu spülen, dann tut sie das - egal wie unangenehm mir das im Moment ist. Das einzige, was ich tun kann, ist, auf die Qualität meiner Stütztechnik zu vertrauen - und sie immer im richtigen Moment auf der richtigen Seite anzuwenden! Wenn ich es recht betrachte, sind dies noch forderndere Bedingungen, als ich sie gestern erlebt habe. Für den Fall, dass ich die Querung nach Ärö gewagt, mich dann auf den heute Morgen herrschenden und für den ganzen Tag vorhergesagten schwachen Wind verlassen und mich auf den Rückweg gemacht hätte - ich hätte ein echtes Problem gehabt! Ein nachträglicher Blick auf die am Leuchtturm gemessene Windgeschwindigkeit zeigt, dass es Windstärke sechs ist, die mir hier das Leben schwer macht - und dass man bei so einem Wind besser nicht allein auf weite See geht!

Irgendwann habe ich alle Angriffe so weit abgewehrt, dass ich mich nahe genug am Ufer befinde, um meinen Kurs wieder auf Bülk zu drehen. Ich lasse einige hundert Meter Spiel bis zum Strand aus Angst vor den im flachen Wasser brechenden Wellen. Sollten auf den letzten Metern alle Stricke reißen, würde vermutlich mein Boot erheblichen Bruch erleiden, aber ich würde auf jeden Fall lebend ans Land gespült werden. Vor Bülk ist das Meer voll von Sportsegelbooten, die die letzten Wettkämpfe der Kieler Woche ausfechten. Nach fast vier Stunden Fahrt - ohne Pause, ohne Essen und ohne Trinken, dafür aber mit pausenlosem, kräftezehrendem Einsatz - läuft mein Bug durch die letzten Meter glatten Wassers knirschend auf den Strand vor Bülk. Als erstes verdrücke ich meine Käsestulle, die ich mir heute Morgen geschmiert habe!


Alle Bilder hier.

Freitag, 28. Juni 2013

Ein trauriges Wochenende: Freitag (1/2)

Das letzte Wochenende im Juni ist traditionell als Tourenwochenende der vier Unerschrockenen reserviert. Zwei hatten schon bei der Jahresplanung lange vorher ihre Teilnahme absagen müssen. Aber einer blieb übrig - genug um eine solide Paddelgruppe zu formen. In der Vorfreude auf die erste Nordseetour des Jahres hatte ich schon die Tide studiert, Tourenmöglichkeiten erwogen und verworfen und mich auf ein sonniges Wochenende mit leckerem Lamm im Friesenpesel gefreut. Die entsprechende Tour im letzten Jahr war überschrieben mit "Manchmal kommt es anders..." - so auch dieses Jahr. Die eine Hälfte der verbliebenen Paddelgruppe musste einem familiären Termin Folge leisten - auf der Nordsee zwar, aber ohne Paddelboot. Die andere Hälfte blieb zurück - ohne Auto und ohne rechten Plan.

Da die Querung von Bülk nach Ärö immer noch offen steht, habe ich mir die Verwirklichung dieses Vorhaben als Ziel gesetzt. Das würde ohne Auto gehen - eine Mitfahrgelegenheit bis Bülk würde sich schon finden lassen. Auf das passende Wetter müsste ich einfach hoffen. So galt in den Tagen davor mein banger Blick ständig der Windvorhersage. Die von Mittwoch, der man schon eine gewisse Realitätsnähe zumessen kann, zeigte nahezu optimale Verhältnisse: Freitag Wind genau aus Süd mit fünf Metern pro Sekunde gegen Abend nachlassend. Samstag den gesamten Tag über um fünf Meter pro Sekunde aus West - was zwar Gegenwind für die Rückfahrt hieße, bei dem es aber durchaus zu schaffen wäre, Schleimünde zu erreichen. Und Sonntag dann sogar nordwestliche Winde, die mich von Schleimünde wieder nach Hause schieben würden.

Leider schwoll mit jeder weiteren Vorhersage die Windgeschwindigkeit an allen Tagen an und auch die Richtungen entwickelten sich nicht günstig. Ich war hin und her gerissen und schon drauf und dran, die Tour ganz abzublasen. Aber ich konnte es nicht gut annehmen, ein freigeräumtes Wochenende mit der Aussicht, Zeit auf dem Wasser, im Zelt und an der frischen Luft zu verbringen, so vollkommen drein zu geben. Schließlich entschloss ich mich zu einer "kleinen" Lösung: Freitag am frühen Nachmittag in Bülk starten, nach Schleimünde fahren und am Samstag denselben Weg wieder zurück. Das würde alles deutlich entspannen und mir bliebe immer noch eine anspruchsvolle Tour.

Eigentlich ist mein Zeitplan auch ganz luftig gestrickt, denn ich bin früh von der Arbeit zu Hause und habe meine Sachen weitestgehend gepackt. Birke soll mich kurz zum Leuchtturm bringen und los könnte es gehen. Aber Birke ist heute so von Traurigkeit übermannt, weil ihr lieber Schatz gestern nach Kanada entschwunden ist und erst in zehn langen Monaten zurück sein würde, dass an "kurz mal mit dem Auto bringen" nicht zu denken ist - unsere Scheibenwischer wirken eben nur außen. Und wenn ich Schleimünde erst im Dunkel erreichen würde - so wichtig ist es nun auch wieder nicht. Schließlich findet Marie-Theres aber noch Zeit, mich zu bringen.

Mein Gepäck ist übersichtlich und entsprechend schnell verstaut. Fünf Uhr hatte ich als spätest möglichen Starttermin angesehen, es ist zwanzig Minuten früher, als ich im Boot sitze und anfange, Wasser hinter mich zu schaufeln. Ich habe keine Seekarte dabei, mein Ziel ist ca. dreißig Kilometer Luftlinie entfernt und natürlich nicht zu sehen. Aber ich habe eine gute Ahnung, wo es liegen muss und einen Kompass, der mich leiten wird. Ich glaube immer wieder mal, das Erlenwäldchen sehen zu können, muss diese Erkenntnis aber jedes mal kassieren. Die Sicht ist ziemlich trübe und man kann nicht wirklich gut sehen. Trotzdem ist meine Spur fast deckungsgleich mit der von vor sechs Wochen, als ich mit Peter genau diegleiche Strecke gefahren bin. Ich bin erstaunt, wie gut meine gute Ahnung von der Lage des Ziels mich leitet (ja, ja - zusammen mit dem Kompass!).

Der Wind ist nicht ohne. Als Marie-Theres mich bei der Abfahrt nach der Stärke fragte, habe ich ohne zu zögern "Fünf." geantwortet. Das ist nicht übertrieben und nachdem die Wellen unter Landabdeckung noch ganz niedlich und spaßig waren, erfordern sie zunehmend mehr Aufmerksamkeit. Ich lasse die Versuche, die Wellen abzusurfen, ziemlich bald bleiben und fahre mit erhöhter Aufmerksamkeit. Ich muss einige Male deutlich stützen, damit es mich nicht umdrückt. Ein-zweimal passiert es mir, dass ich mich mit dem Paddelblatt in der Welle vertüddele und einen gehörigen Schrecken bekomme. Es ist beileibe kein ausgelassenes Genießen der Gegebenheiten, sondern ein sehr bewusstes und konzentriertes: "Hier machst du besser keinen Fehler!". Hinzu kommt, dass entgegen dem sonnigen Himmelfahrtstag vor sechs Wochen, als diese Gegend mit Segelyachten dicht gespickt war, heute kaum ein Schiff zu sehen ist. Irgendwann erkenne ich in recht großer Entfernung einen DGzRS-Kreuzer und hoffe, dass er mich nicht sieht. Das ist wohl auch so, denn die See ist voller weißer Schaumkronen und ein einsamer Paddler alleine auf solch hoher See- daran wären sie nicht vorbeigefahren, ohne wenigstens nach dem Befinden zu fragen. Schließlich haben sie damals schon ihr Boot beigedreht, als wir noch dicht vor Bülk waren und gen Kieler Leuchtturm fahren wollten. Ohne Signalraketen würde mich hier nie einer finden.

Als ich die süd-westliche Begrenzungstonne des Schießgebietes passiere, weiß ich, dass ich nicht mehr weit von meinem Ziel entfernt bin. Ich bin total überrascht und begeistert, dass ich so schnell hier angekommen bin. Aber zu irgendetwas muss der stramme Wind ja schließlich gut sein. Laut GPS habe ich gute 27 Kilometer in drei und einer Viertelstunde zurückgelegt. Das setzen wir doch erst mal als Standard! Solo ist das vermutlich schwer zu unterbieten. Mit Partner, wenn man nicht gar so viel bremsen und sich konzentrieren muss, vielleicht schon.

Alle Bilder hier.

Sonntag, 23. Juni 2013

"Alles muss raus!"

Nachdem ich in den letzten Wochen eher Rekorde im Langsam- und Kurzstreckenfahren aufgestellt habe, wollte ich mich am vergangenen Mittwoch mal wieder etwas verausgaben und bis zur Glockentonne fahren. Jörg wollte mit, aber da zwischen ihm und mir nicht wirklich ausgemacht ist, wer denn die Bremse ist, konnte das meinem Verlangen nach sportlicher Betätigung keinen Abbruch tun. Schön in Schwung und mit meinem Vorhaben in Einklang zischten wir durch das Wasser vor dem Zeltplatz Korügen, als ein finsteres Grummeln vom Himmel grollte. Da war aber nichts von Gewitter zu sehen. Jäh abgebremst drucksten wir eine Weile unschlüssig herum zwischen unserem Auftrag: "Wenn man das Donnern hört, ist es an der Zeit, an Land zu gehen." und dem brennenden Wunsch, das rote Bimmelding zu umrunden. Weil aber am Himmel so gar kein Anzeichen für ein richtige Gewitter zu erkennen war, einigten wir uns schließlich darauf, dass es vielleicht nur ein Bluff war und wir bis zum zweiten Grollen weiterfahren wollten. Gesagt, getan und das zweite Grollen ließ natürlich nicht lange auf sich warten. Damit war der Drops gelutscht, das mit dem Verausgaben würde heute nichts mehr werden.

Meiner Schwiegermutter habe ich heute Morgen erzählt, dass ich seit Pfingsten nicht mehr "gepaddelt" bin. Das gab eine große Portion Mitleid. Ihr den Unterschied zwischen "Paddeln" und "Paddeln" zu erklären, hab ich mir lieber nicht die Mühe gemacht - das ist tatsächlich schwer zu verstehen. Aber heute wollte ich endlich mal wieder "Paddeln" - und da waren meine Begleiter Jörg und Sabine genau die richtigen. Die Vorhersage hatte einigen Wind aus Süden im Köcher, der uns auch gleich erfasst. Außerdem ist sofort klar, dass wir nicht alleine auf der Förde sein werden. Es herrscht schließlich gerade Kieler Woche und die Traditionssegler müssen jede Tour wahrnehmen, die sie ergattern können. Wegen des regen Verkehrs - und des frischen Windes - ist die Förde wie aufgeregt: Es laufen Wellen über ihre Oberfläche, wie ich sie sonst gar nicht kenne. Alles sehr verwirrend, wenn man nach Urhebern für dieses Chaos sucht - aber es macht Spaß.

Spaß macht auch das Fahren mit Rückenwind. Wir sind höllenschnell und können die kleinen Wellen gut mitnehmen. Wir überholen diverse Traditionssegler, die teils mit Motor, teils schüchtern ein paar Segelchen gesetzt haben. Es ist etwas abwechslungsreicher, wenn so viele Boote und Schiffe unterwegs sind - man muss doch hin und wieder mal ausweichen, aber alle sind aufmerksam genug, dass keine Probleme entstehen. Ich gebe mich wild entschlossen, um bei meinen Mitfahrern gar nicht erst Zweifel daran hochkommen zu lassen, dass wir bis zu Glockentonne wollen. Aber als wir nach nicht einmal 40 Minuten bereits das Ehrenmal in Möltenort passiert haben, können sie kaum ernsthaft ein vorzeitiges Umdrehen in Erwägung ziehen.

Da uns klar ist, dass wir auf der Rückfahrt einiges mehr werden tun müssen und dabei froh sein können, wenn wir dann noch die halbe Geschwindigkeit erreichen, fangen wir schon mal an, etwas zu jammern. Später - mit den zusammengebissenen Zähnen - werden wir nicht mehr so gut jammern können, und die anderen werden es auch nicht hören, weil uns der Wind dann um die Ohren pfeift! Also wird das schon mal hier erledigt, und es erleichtert die Sache ungemein.

Die Glockentonne erreichen wir in absoluter Rekordzeit: Eine Stunde, 6 Minuten. Das macht eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 9,05 Stundenkilometern. Die wohlverdiente Pause wollen wir lieber im Windschutz bei Möltenort verbringen. Die Strecke bis dahin beträgt vier Kilometer, für die wir etwa 40 Minuten benötigen, was die Ziffern für die Geschindigkeit etwas anders anordnet: 5,9! Mit exakt derselben Durchnittsgeschwindigkeit legen wir auch die restlichen 6,5 Kilometer bis zum heimischen Steg zurück. Allerdings variiert der Gegenwind hier doch etwas stärker. Unter den immer mal wieder aufziehenden, schwarzen Wolken, die ihr Wasser nicht halten können, bläst es deutlich frischer. Als sich zwischendrin mal blauer Himmel zeigt und die Sonne uns wärmt, ist es fast angenehm ruhig.


Dummerweise ist das meteorologische Timing aber ausgesprochen unglücklich gewählt. Zwischen Tirpitzhafen und Seebadeanstalt findet eine Marinekutter-Regatta statt, an der eine große Zahl dieser ebenso seetüchtigen wie behäbigen Schiffen teilnimmt. Unsere Route geht leider mitten durch ihr Wettkampfgebiet. Weil die Kutter keine große Höhe am Wind gehen können, müssen sie recht häufig wenden, um überhaupt die nächste Regattatonne gegen den Wind erreichen zu können. Nun ist es keine einfache Aufgabe, mit einem Paddelboot gegen einen frischen Wind kollisionsfrei durch ein Feld von mehreren Dutzend schlingernder Marinekutter zu manövrieren, die alle naselang auch noch die Segel rumwerfen und damit erneut auf Kollisionskurs gehen. Vollends zum Abenteuer wird unsere Unternehmung durch die Tatsache, dass just in dieser Situation der Wind derart aufbriest, dass wir kaum noch gegen ihn an kommen, und dass ein Wolkenbruch herniedergeht, der das Wasser zum Kochen bringt. Jörg als Brillenträger sieht gar nichts mehr und ist darauf angewiesen, sich dicht an mich zu klemmen und zu hoffen, dass ich ihn nicht in die Irre leite. In so einer Lage ist es unbeschreiblich beruhigend zu wissen, dass die Mitpaddler, mit denen man unterwegs ist, nicht überfordert sind und auch ohne Fürsorge klar kommen.

Die Tour hat gehalten, was ich mir von ihr versprochen hatte: Ich habe endlich mal wieder richtig  reinhauen können. Ich muss zugeben, dass ich die anderen dadurch vielleicht etwas gehetzt habe, aber ich weiß, wem ich das zugemutet habe! Nach der Tour sind wir alle eher positiv überrascht, dass wir nicht so fertig sind, wie wir das Recht hätten zu sein. Aber als ich mich zu Hause auf das Sofa lege, schlafe ich fast unverzüglich ein. Das lag mit Sicherheit an der anstrengenden Fahrt mit dem Fahrrad nach Hause!