Freitag, 28. Juni 2013

Ein trauriges Wochenende: Freitag (1/2)

Das letzte Wochenende im Juni ist traditionell als Tourenwochenende der vier Unerschrockenen reserviert. Zwei hatten schon bei der Jahresplanung lange vorher ihre Teilnahme absagen müssen. Aber einer blieb übrig - genug um eine solide Paddelgruppe zu formen. In der Vorfreude auf die erste Nordseetour des Jahres hatte ich schon die Tide studiert, Tourenmöglichkeiten erwogen und verworfen und mich auf ein sonniges Wochenende mit leckerem Lamm im Friesenpesel gefreut. Die entsprechende Tour im letzten Jahr war überschrieben mit "Manchmal kommt es anders..." - so auch dieses Jahr. Die eine Hälfte der verbliebenen Paddelgruppe musste einem familiären Termin Folge leisten - auf der Nordsee zwar, aber ohne Paddelboot. Die andere Hälfte blieb zurück - ohne Auto und ohne rechten Plan.

Da die Querung von Bülk nach Ärö immer noch offen steht, habe ich mir die Verwirklichung dieses Vorhaben als Ziel gesetzt. Das würde ohne Auto gehen - eine Mitfahrgelegenheit bis Bülk würde sich schon finden lassen. Auf das passende Wetter müsste ich einfach hoffen. So galt in den Tagen davor mein banger Blick ständig der Windvorhersage. Die von Mittwoch, der man schon eine gewisse Realitätsnähe zumessen kann, zeigte nahezu optimale Verhältnisse: Freitag Wind genau aus Süd mit fünf Metern pro Sekunde gegen Abend nachlassend. Samstag den gesamten Tag über um fünf Meter pro Sekunde aus West - was zwar Gegenwind für die Rückfahrt hieße, bei dem es aber durchaus zu schaffen wäre, Schleimünde zu erreichen. Und Sonntag dann sogar nordwestliche Winde, die mich von Schleimünde wieder nach Hause schieben würden.

Leider schwoll mit jeder weiteren Vorhersage die Windgeschwindigkeit an allen Tagen an und auch die Richtungen entwickelten sich nicht günstig. Ich war hin und her gerissen und schon drauf und dran, die Tour ganz abzublasen. Aber ich konnte es nicht gut annehmen, ein freigeräumtes Wochenende mit der Aussicht, Zeit auf dem Wasser, im Zelt und an der frischen Luft zu verbringen, so vollkommen drein zu geben. Schließlich entschloss ich mich zu einer "kleinen" Lösung: Freitag am frühen Nachmittag in Bülk starten, nach Schleimünde fahren und am Samstag denselben Weg wieder zurück. Das würde alles deutlich entspannen und mir bliebe immer noch eine anspruchsvolle Tour.

Eigentlich ist mein Zeitplan auch ganz luftig gestrickt, denn ich bin früh von der Arbeit zu Hause und habe meine Sachen weitestgehend gepackt. Birke soll mich kurz zum Leuchtturm bringen und los könnte es gehen. Aber Birke ist heute so von Traurigkeit übermannt, weil ihr lieber Schatz gestern nach Kanada entschwunden ist und erst in zehn langen Monaten zurück sein würde, dass an "kurz mal mit dem Auto bringen" nicht zu denken ist - unsere Scheibenwischer wirken eben nur außen. Und wenn ich Schleimünde erst im Dunkel erreichen würde - so wichtig ist es nun auch wieder nicht. Schließlich findet Marie-Theres aber noch Zeit, mich zu bringen.

Mein Gepäck ist übersichtlich und entsprechend schnell verstaut. Fünf Uhr hatte ich als spätest möglichen Starttermin angesehen, es ist zwanzig Minuten früher, als ich im Boot sitze und anfange, Wasser hinter mich zu schaufeln. Ich habe keine Seekarte dabei, mein Ziel ist ca. dreißig Kilometer Luftlinie entfernt und natürlich nicht zu sehen. Aber ich habe eine gute Ahnung, wo es liegen muss und einen Kompass, der mich leiten wird. Ich glaube immer wieder mal, das Erlenwäldchen sehen zu können, muss diese Erkenntnis aber jedes mal kassieren. Die Sicht ist ziemlich trübe und man kann nicht wirklich gut sehen. Trotzdem ist meine Spur fast deckungsgleich mit der von vor sechs Wochen, als ich mit Peter genau diegleiche Strecke gefahren bin. Ich bin erstaunt, wie gut meine gute Ahnung von der Lage des Ziels mich leitet (ja, ja - zusammen mit dem Kompass!).

Der Wind ist nicht ohne. Als Marie-Theres mich bei der Abfahrt nach der Stärke fragte, habe ich ohne zu zögern "Fünf." geantwortet. Das ist nicht übertrieben und nachdem die Wellen unter Landabdeckung noch ganz niedlich und spaßig waren, erfordern sie zunehmend mehr Aufmerksamkeit. Ich lasse die Versuche, die Wellen abzusurfen, ziemlich bald bleiben und fahre mit erhöhter Aufmerksamkeit. Ich muss einige Male deutlich stützen, damit es mich nicht umdrückt. Ein-zweimal passiert es mir, dass ich mich mit dem Paddelblatt in der Welle vertüddele und einen gehörigen Schrecken bekomme. Es ist beileibe kein ausgelassenes Genießen der Gegebenheiten, sondern ein sehr bewusstes und konzentriertes: "Hier machst du besser keinen Fehler!". Hinzu kommt, dass entgegen dem sonnigen Himmelfahrtstag vor sechs Wochen, als diese Gegend mit Segelyachten dicht gespickt war, heute kaum ein Schiff zu sehen ist. Irgendwann erkenne ich in recht großer Entfernung einen DGzRS-Kreuzer und hoffe, dass er mich nicht sieht. Das ist wohl auch so, denn die See ist voller weißer Schaumkronen und ein einsamer Paddler alleine auf solch hoher See- daran wären sie nicht vorbeigefahren, ohne wenigstens nach dem Befinden zu fragen. Schließlich haben sie damals schon ihr Boot beigedreht, als wir noch dicht vor Bülk waren und gen Kieler Leuchtturm fahren wollten. Ohne Signalraketen würde mich hier nie einer finden.

Als ich die süd-westliche Begrenzungstonne des Schießgebietes passiere, weiß ich, dass ich nicht mehr weit von meinem Ziel entfernt bin. Ich bin total überrascht und begeistert, dass ich so schnell hier angekommen bin. Aber zu irgendetwas muss der stramme Wind ja schließlich gut sein. Laut GPS habe ich gute 27 Kilometer in drei und einer Viertelstunde zurückgelegt. Das setzen wir doch erst mal als Standard! Solo ist das vermutlich schwer zu unterbieten. Mit Partner, wenn man nicht gar so viel bremsen und sich konzentrieren muss, vielleicht schon.

Alle Bilder hier.

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