Sonntag, 23. Juni 2013

"Alles muss raus!"

Nachdem ich in den letzten Wochen eher Rekorde im Langsam- und Kurzstreckenfahren aufgestellt habe, wollte ich mich am vergangenen Mittwoch mal wieder etwas verausgaben und bis zur Glockentonne fahren. Jörg wollte mit, aber da zwischen ihm und mir nicht wirklich ausgemacht ist, wer denn die Bremse ist, konnte das meinem Verlangen nach sportlicher Betätigung keinen Abbruch tun. Schön in Schwung und mit meinem Vorhaben in Einklang zischten wir durch das Wasser vor dem Zeltplatz Korügen, als ein finsteres Grummeln vom Himmel grollte. Da war aber nichts von Gewitter zu sehen. Jäh abgebremst drucksten wir eine Weile unschlüssig herum zwischen unserem Auftrag: "Wenn man das Donnern hört, ist es an der Zeit, an Land zu gehen." und dem brennenden Wunsch, das rote Bimmelding zu umrunden. Weil aber am Himmel so gar kein Anzeichen für ein richtige Gewitter zu erkennen war, einigten wir uns schließlich darauf, dass es vielleicht nur ein Bluff war und wir bis zum zweiten Grollen weiterfahren wollten. Gesagt, getan und das zweite Grollen ließ natürlich nicht lange auf sich warten. Damit war der Drops gelutscht, das mit dem Verausgaben würde heute nichts mehr werden.

Meiner Schwiegermutter habe ich heute Morgen erzählt, dass ich seit Pfingsten nicht mehr "gepaddelt" bin. Das gab eine große Portion Mitleid. Ihr den Unterschied zwischen "Paddeln" und "Paddeln" zu erklären, hab ich mir lieber nicht die Mühe gemacht - das ist tatsächlich schwer zu verstehen. Aber heute wollte ich endlich mal wieder "Paddeln" - und da waren meine Begleiter Jörg und Sabine genau die richtigen. Die Vorhersage hatte einigen Wind aus Süden im Köcher, der uns auch gleich erfasst. Außerdem ist sofort klar, dass wir nicht alleine auf der Förde sein werden. Es herrscht schließlich gerade Kieler Woche und die Traditionssegler müssen jede Tour wahrnehmen, die sie ergattern können. Wegen des regen Verkehrs - und des frischen Windes - ist die Förde wie aufgeregt: Es laufen Wellen über ihre Oberfläche, wie ich sie sonst gar nicht kenne. Alles sehr verwirrend, wenn man nach Urhebern für dieses Chaos sucht - aber es macht Spaß.

Spaß macht auch das Fahren mit Rückenwind. Wir sind höllenschnell und können die kleinen Wellen gut mitnehmen. Wir überholen diverse Traditionssegler, die teils mit Motor, teils schüchtern ein paar Segelchen gesetzt haben. Es ist etwas abwechslungsreicher, wenn so viele Boote und Schiffe unterwegs sind - man muss doch hin und wieder mal ausweichen, aber alle sind aufmerksam genug, dass keine Probleme entstehen. Ich gebe mich wild entschlossen, um bei meinen Mitfahrern gar nicht erst Zweifel daran hochkommen zu lassen, dass wir bis zu Glockentonne wollen. Aber als wir nach nicht einmal 40 Minuten bereits das Ehrenmal in Möltenort passiert haben, können sie kaum ernsthaft ein vorzeitiges Umdrehen in Erwägung ziehen.

Da uns klar ist, dass wir auf der Rückfahrt einiges mehr werden tun müssen und dabei froh sein können, wenn wir dann noch die halbe Geschwindigkeit erreichen, fangen wir schon mal an, etwas zu jammern. Später - mit den zusammengebissenen Zähnen - werden wir nicht mehr so gut jammern können, und die anderen werden es auch nicht hören, weil uns der Wind dann um die Ohren pfeift! Also wird das schon mal hier erledigt, und es erleichtert die Sache ungemein.

Die Glockentonne erreichen wir in absoluter Rekordzeit: Eine Stunde, 6 Minuten. Das macht eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 9,05 Stundenkilometern. Die wohlverdiente Pause wollen wir lieber im Windschutz bei Möltenort verbringen. Die Strecke bis dahin beträgt vier Kilometer, für die wir etwa 40 Minuten benötigen, was die Ziffern für die Geschindigkeit etwas anders anordnet: 5,9! Mit exakt derselben Durchnittsgeschwindigkeit legen wir auch die restlichen 6,5 Kilometer bis zum heimischen Steg zurück. Allerdings variiert der Gegenwind hier doch etwas stärker. Unter den immer mal wieder aufziehenden, schwarzen Wolken, die ihr Wasser nicht halten können, bläst es deutlich frischer. Als sich zwischendrin mal blauer Himmel zeigt und die Sonne uns wärmt, ist es fast angenehm ruhig.


Dummerweise ist das meteorologische Timing aber ausgesprochen unglücklich gewählt. Zwischen Tirpitzhafen und Seebadeanstalt findet eine Marinekutter-Regatta statt, an der eine große Zahl dieser ebenso seetüchtigen wie behäbigen Schiffen teilnimmt. Unsere Route geht leider mitten durch ihr Wettkampfgebiet. Weil die Kutter keine große Höhe am Wind gehen können, müssen sie recht häufig wenden, um überhaupt die nächste Regattatonne gegen den Wind erreichen zu können. Nun ist es keine einfache Aufgabe, mit einem Paddelboot gegen einen frischen Wind kollisionsfrei durch ein Feld von mehreren Dutzend schlingernder Marinekutter zu manövrieren, die alle naselang auch noch die Segel rumwerfen und damit erneut auf Kollisionskurs gehen. Vollends zum Abenteuer wird unsere Unternehmung durch die Tatsache, dass just in dieser Situation der Wind derart aufbriest, dass wir kaum noch gegen ihn an kommen, und dass ein Wolkenbruch herniedergeht, der das Wasser zum Kochen bringt. Jörg als Brillenträger sieht gar nichts mehr und ist darauf angewiesen, sich dicht an mich zu klemmen und zu hoffen, dass ich ihn nicht in die Irre leite. In so einer Lage ist es unbeschreiblich beruhigend zu wissen, dass die Mitpaddler, mit denen man unterwegs ist, nicht überfordert sind und auch ohne Fürsorge klar kommen.

Die Tour hat gehalten, was ich mir von ihr versprochen hatte: Ich habe endlich mal wieder richtig  reinhauen können. Ich muss zugeben, dass ich die anderen dadurch vielleicht etwas gehetzt habe, aber ich weiß, wem ich das zugemutet habe! Nach der Tour sind wir alle eher positiv überrascht, dass wir nicht so fertig sind, wie wir das Recht hätten zu sein. Aber als ich mich zu Hause auf das Sofa lege, schlafe ich fast unverzüglich ein. Das lag mit Sicherheit an der anstrengenden Fahrt mit dem Fahrrad nach Hause!

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen