Sonntag, 10. November 2013

Lyö im Winter - ohne Hubschrauber zurück! (3/3)

Die ganze Nacht hindurch gießt es wie aus Kübeln. Im Wetterbericht von Freitag war hier und da mal ein Millimeter Regen vorgesehen - aber keinesfalls derartige Mengen. Nun, zumindest hält mein Zelt dicht. Allerdings nur soweit ich das beurteilen kann, nachdem ich drei Tage lang mehr oder minder nass ein- und ausgegangen bin, was natürlich auch seine Spuren hinterlassen hat. Aber ich will nicht klagen. Außerdem hat sich der Wind gelegt. Wenn man einen Tag mit durchgehend sieben Windstärken hinter sich hat, klingt ein solider Vierer wie ein laues Lüftchen.

Der Schuppen ist heute Morgen Gold wert. Neben dem Schutz, den er uns gewährt, so dass wir das Frühstück ungestört von den alle fünf Minuten niedergehenden Schauern einnehmen können, hat er auch unserer Wäsche die Nacht über Obdach geboten. Sie ist so gut getrocknet, wie salzwassergetränke Wäsche in kalter und feuchter Luft eben trocknet. Wir könnten schlimmer dran sein. Schließlich sind auch die Temperaturen zwar nicht zweistellig, so doch zumindest nicht frostig. Der Schuppen hat an diesem Wochenende eine Menge Geschichten zu hören bekommen. Wir sind vielleicht nicht besonders viele Kilometer gepaddelt, aber wir haben weidlich Zeit gehabt, über dies und jenes und Gott und die Welt und persönliche Sorgen, Nöte und Wünsche, Träume und Pläne zu quatschen. Auch dies ganz klar Zweck und Ziel einer Paddeltour.

Der Himmel klart immer weiter auf, während wir Müsli und Brote verdrücken. Schließlich ist der Himmel vollkommen wolkenlos, so dass unsere Zelte sogar fast trocken sind, als wir sie einpacken. Unser Auftrag für heute ist wenig spektakulär: in gerader Linie auf den Hafen von Fynshav zu. Der Wind weht wieder westlich mit leicht nördlichem Einschlag. Das Gute an dem strammen Wind von gestern ist, dass man das Lüftchen heute nicht mehr recht ernst nimmt. Unter normalen Umständen wäre das hier ein Vierer-Gegenwind, der das Fortkommen schon spürbar erschwert. Heute kommt er als ein um drei Windstärken schwächeres Lüftchen daher, gegen das man ohne große Mühe gegenan paddeln kann. Die Wellen sind gemütlich und nur wenige erreichen die ein Meter-Marke. Wir fahren eine schnurgerade Linie ohne große Schnörkel oder Pausen. In deutlich weniger als zwei Stunden sind die elf Kilometer zurückgelegt und gehen bei strahlendem Sonnenschein auf Alsen an Land.

Zum Glück hat Trenk so lange genervt, bis ich mich breitschlagen ließ, diese Tour mit ihm zu machen. Es wäre sonst eine Gelegenheit ungenutzt verstrichen, wertvolle und einmalige Erfahrungen zu machen. Diesmal waren für mich auch Erfahrungen dabei, dass ich manche Erfahrungen doch lieber nicht machen möchte. Vielleicht sind solche Erfahrungen am Ende die wertvollsten.



Samstag, 9. November 2013

Lyö im Winter - oder wie ein Südwester sagt, wo's lang geht (2/3)

Der Nachmittag fängt heute schon vor Sonnenaufgang an. Zumindest ist die Windstärke bereits vor dem Aufstehen hörbar so, wie sie erst für den frühen Nachmittag vorgesehen war. Aber so ist das mit schnell laufenden kurzen Störungen: es ist schwer vorherzusagen, wann sie denn genau eintreffen. Ich bin nicht überrascht und eigentlich ist es mir viel lieber, wenn es jetzt schon ordentlich weht und bald nachlässt, als wenn es uns trifft, während wir unterwegs oder noch übler, während wir auf dem Rückweg sind.

Gestern Abend war es lau und trocken, so dass wir vor den Zelten gekocht und gegessen haben. Heute Morgen ist es eher schauerlich, und dass jeder in seinem eigenen Zelt hockt, ist doof. Aber da ist ja die Bretterbude auf der Nachbarwiese, die bis über alle Ohren vollgestopft ist mit Holzbänken. Da geht doch was. Im Nu bringen wir etwas Ordnung in das Chaos und schon haben wir eine Bank vor der Hütte stehen, die uns als Tisch dient und eine wind- und regengeschützt im Inneren, auf der wir sitzen. So kommt trotz der immer wieder niedergehenden Schauer so etwas wie Behaglichkeit auf. Wir haben ja keine großen Pläne heute - nur eben in die Helnäs-Bucht, um einen neuen Übernachtungsplatz zu erkunden. Wenn der Wind etwas abgeflaut ist. Und wie nicht anders erwartet, rauscht es schon etwas vermindert, als ich mir gemütlich die dritte Tasse Tee genehmige. Mit dem Wissen, dass je länger wir frühstücken, desto kürzer müssen wir gegen den immer schwächer werdenden Wind anpaddeln, widmen wir uns gewissenhaft dem inneren Kern unserer Unternehmung - der Entspannung!

Schließlich sind wir so entspannt, dass es uns in den Schwielen juckt und wir endlich lospaddeln wollen. Allein das vermutete Abflauen vorhin war allenfalls ein kurzes Intermezzo - keinesfalls ein Anfang vom Ende des starken Blasens. Beim Blick aufs Wasser bin ich mir nicht sicher, ob das Windstärke sechs ist. Die Frage ist aber nicht, ob es vielleicht nur eine fünf ist, sondern ob es sich nicht doch eher um eine sieben handelt. Aber die Vorhersage hatte nur maximal 13 Meter pro Sekunde betragen, also wird das schon sechs sein. Sein Boot an diesem steinigen Strand ins Schwimmen zu bekommen, ist nicht ganz einfach. Vor allem darf man nicht penibel sein, was Schrammen am Rumpf angeht. Aber wir gehen heute mit leeren Boote auf Tour, so dass es praktisch ohne Risiko ist, über die Steine zu wubbeln.

Der Wind drückt mächtig gegen die Flanke. Er weht genau aus West und unser Ziel liegt im Norden. Da die Boote leicht sind, ragen sie zudem hoch aus dem Wasser und bieten so eine gute Angriffsmöglichkeit. Es kostet einige Mühe, die Richtung so zu gestalten, wie man sie selber gerne hätte, nicht wie der Wind sie einem diktiert. Mir ist gleich beim Start durch die Brandung der Südwester verweht worden und ich habe ihn erst nur notdürftig mit einer Hand zurechtgerückt. Leider kann ich so nicht mehr sehen, wohin ich fahre oder was für Wellen gerade aus was für einer Richtung kommen. Bevor ich ihn aber wieder korrekt richten kann, muss ich erst einmal soweit von der brechenden Brandung freikommen, dass ich nicht auf die großen Steine gespült werde. Als es soweit ist, muss ich das Paddel aus der Hand legen, weil ich beide Hände brauche, um den Stopper am Kinnriemen wieder in Position zu bringen. Das dauert eigentlich nicht lange, aber doch lange genug, dass der Wind meinen Bug wieder in Richtung Verderben dreht und ich lange heftig rudern muss, um wieder auf einen gedeihlicheren Kurs zu kommen. Außerdem möchte man sein Paddel unter solchen Bedingungen nicht wirklich gerne komplett aus der Hand legen.

Leider war das Verrutschen meines Hutes doch kein singuläres Ereignis der Startphase. Der Tanka-Verschluss, der den Kinnriemen in Position halten soll, ist für diese Windstärken leider nicht (mehr) kräftig genug! Es dauert nicht lange, da flattert mir der Hut schon wieder lose am Kopf. Es ist ausgeschlossen, dass ich auf die Kopfbedeckung pfeife und ohne fahre, dafür ist es dann doch eindeutig zu kalt. Ihn nur kurz mit einer Hand dicht auf den Kopf zu ziehen, führt wieder nur dazu, dass ich außer meiner Spritzdecke nichts mehr von der Welt sehe. Die beidhändige Gegenmaßnahme krankt an der eben beschriebenen Malaise, dass ich drohe, zwischen den Steinen zu zerschellen. Es dauert nicht lange, bis mir klar ist, dass ich unter solchen Umständen die Überfahrt nach Fünen nicht machen werde, auch wenn sie nur zwei Kilometer weit ist. Ob ich sie mit einwandfrei fest sitzendem Hut machen würde, weiß ich nicht, aber das muss ich mir im Moment auch nicht überlegen. Ich teile Trenk meinen Entschluss mit. Er ist zwar nicht begeistert, aber ihm ist klar, dass das hier nicht mit Überreden zu regeln ist.

Es bleibt uns die Umrundung von Lyö. Möglicherweise sind wir die ersten, die das probieren. Jedenfalls ist mir aus der Literatur nichts derartiges bekannt. Nachdem wir den Wind achterlich haben, sind die Haftprobleme meines Südwesters wie weggeblasen und wir rauschen um die Nordspitze der Insel. Dahinter ist ruhiges Wasser, aber der Wind wird nur sehr unvollständig durch die flache Landschaft abgeschirmt. Als wir  an der Ostspitze aus dem Schutz der Insel heraustreten, erfasst er uns mit voller Wucht genau von vorne. Es ist mittlerweile deutlich Nachmittag und die "kleine Störung" zeigt immer noch keine Neigung, sich abzuschwächen. Unsere Geschwindigkeit geht immer mehr den Bach hinunter und ich frage mich ab und zu, ob wir überhaupt noch Land gewinnen gegen den brüllenden Wind. Zu allem Überfluss gehen alle naselang Regenschauer nieder. Solche, bei denen man denkt, die Tropfen sind eckig, so hart fühlen sie sich im Gesicht an. Und hatte ich schon gesagt, dass mein Hut das gar nicht witzig findet? Irgendwann in einer besonders harten Bö fliegt er mir vollends vom Kopf und als ich versuche, ihn wieder einzufangen, ist mein Boot fast komplett herumgeweht und ich weiß nicht, ob ich es noch vor dem Aufschlagen am Strand eingefangen bekomme und ob es überhaupt Sinn macht, jetzt mit aller Gewalt gegen den Wind anzukeulen, der ja eh gleich nachlassen wird... kurzum, ich suche mir entnervt eine Stelle zum Anlanden.

Natürlich gibt es keine, denn das Ufer ist vollkommen sandfrei und überall liegen koffergroße Steine herum. Aber wenn man genau hinsieht, gibt es da immer wieder dichte Algenfelder zwischen den Steinen, die Wellen und Steine abfedern und ein erstaunlich geräuscharmes Anlanden ermöglichen. Nach einer kurzen Weile hat Trenk gemerkt, dass ihm niemand mehr folgt und er kommt zurück, um auch anzulanden. Sein Versuch, in der Nähe meines Bootes an Land zu kommen, wird derart vom Winde verweht, dass er erst etwa hundert Meter weiter in Lee zum Stehen kommt. Wir sitzen etwas unentschlossen im Wind und genießen das Naturschauspiel einer komplett weiß aufgewühlten Südsee. Eine Befragung unserer GPS-Geräte verrät, dass es noch zwei Kilometer Luftlinie bis zu unserem Zeltplatz sind. Lächerliche zwei Kilometer!

Es dauert über eine Stunde, eine Banane und ein Snikkers, bis ich einerseits soweit wieder erholt bin, dass ich mir die lächerlichen zwei Kilometer zutraue, und andererseits so hoffnungslos, dass ich nicht mehr glaube, dass diese "kurze" Störung noch mal ein Ende findet. Mittlerweile bin ich übrigens auch überzeugt, dass es sich hier tatsächlich um Windstärke sieben handelt. Bei so etwas paddelt man nicht mehr - und ich bin meinem Südwester dankbar, dass er mir die Entscheidung abgenommen hat, die Überfahrt nach Fünen zu machen. Nachdem wir dem Wind und dem Regen (wieso kann es überhaupt so heftig regnen, wenn weit und breit keine Wolke zu sehen ist?!) die letzten zwei Kilometer abgerungen haben, müssen wir unsere Boote die letzten hundert Meter noch über Land tragen. Da war eine Art Bucht mit einem kaum sichtbaren Kehrwasser, das ein vollkommen schrammenloses Anlanden ermöglicht hat. Direkt vor unserem Zeltplatz hätte sich wieder die eine oder andere Marke in den Bootsrümpfen verewigt. Es weht dermaßen stramm, dass man schon beim normalen Gehen auf festem Grund immer wieder aus dem Gleichgewicht geweht wird. Während wir triefnass unsere Boote über Land zu unserer Zeltwiese zurücktragen, begegnet uns ein Jäger, der seine Schrotflinte spazierenträgt. Er muss uns für komplett meschugge halten, sich erst bei einem derartigen Wind mit Booten aufs Wasser zu wagen und sie dann über Land zurückzutragen. Er sagt aber kein Wort.

Das Banklager leistet uns willkommene Dienste als Umkleide und Teestube. Die Sache mit den Schauern hat sich nämlich immer noch nicht erledigt. Nach einem heißen Tee und etwas Honigkuchen fühlen wir uns bereit für einen ausgiebigen Spaziergang über die Insel. Bei meiner Erkundung vor vier Wochen waren mir schon die zahlreichen Häuser aufgefallen, die bereits sichtbar dem Verfall anheimgefallen waren bzw. an denen "Til Salg" sein Schild angebracht hatte. Heute, da wir im Dunkeln durch die Straßen schlendern, fallen noch viel mehr Häuser auf, dadurch, dass nirgends ein Licht in ihnen glimmt. Erst als wir in die Nähe der Kirche kommen, werden der Ort etwas lebendiger und die Häuser heller. Der Krug am großen Feuerlöschteich ist zwar mittlerweile geschlossen, aber es gibt hier noch einen zweiten Krämer, der nun offensichtlich das Zentrum des Ortes markiert. Immerhin, solange es noch einen Kaufmannsladen gibt, gibt es auch noch Hoffnung. Übrigens gibt es auf Lyö Unmengen von Feuerlöschteichen. Entweder haben die Einwohner hier schlimme Erfahrungen mit Bränden gemacht, oder die Landschaft hat ihnen diese Teiche freiwillig präsentiert.

Als ich nach einem viel zu reichlichen Abendessen lange nicht einschlafen kann, frischt der Wind noch einmal richtig auf. Ich komme extra noch einmal aus meinem Zelt, um mir das Wasser aus der Nähe anzusehen, aber es ist bereits zu dunkel, um noch etwas deutlich erkennen zu können. Aber auch so weiß ich, dass wir morgen eher einen Hubschrauber benötigen würden, um von der Insel zu kommen, als dass wir es bei diesen Bedingungen auf eigenem Kiel riskieren würden.

Den ganzen Tag lang sieben Beaufort!


Freitag, 8. November 2013

Lyö im Winter - Überfahrt im Dunkeln (1/3)

Optimale Vorhersage! Nur ne kleine Störung am Samstag.
Trenk hat solange genervt, bis ich zugesagt hatte, mit ihm eine Nachttour im November über den Belt zu machen. Die ganze Woche über habe ich gebannt die Windvorhersage verfolgt. Am Sonntag voher sah es gar nicht gut aus - da war für den Freitag der Überfahrt konstant neun Meter pro Sekunde angesagt. An diesem Tag war ich mit Jörg bei genau der Windstärke auf der Förde unterwegs - im Hellen! Bei so etwas fahre ich nicht im Dunkeln über den Belt! Dann sah es wieder gut aus - mit moderaten Winden - und dann wieder ganz mies. Erst die letzte - und damit verlässlichste Wettervorhersage von Freitag um 12:00 Uhr brachte die Entscheidung: Wir gehen auf Fahrt!

Bei der Vorbereitung im Hafen von Fynshav wollen einige Passanten es nicht recht glauben, dass wir jetzt noch los wollen, denn es wird ja bereits dunkel. Aber wir können auf unsere gesammelten Beleuchtungsmittel verweisen und sie einigermaßen beruhigen. Es ist das erste Mal, dass ich mein Toplicht auf meinen Südwester montiere und eigentlich auch das erste Mal, dass ich eine echte Nachtfahrt so vollkommen ab vom Ufer mache. Ich bin wirklich gespannt und freue mich darauf. Mein GPS-Gerät habe ich griffbereit in der Schwimmweste, der Zielort ist einprogrammiert und auf der Nase habe ich meine Brille, damit ich überhaupt eine Chance habe, es während der Fahrt ablesen zu können. Der Übernachtungsplatz auf Lyö ist einprogrammiert, die Peilung vorher bestimmt, denn im Dunkeln sind die Navigationmöglichkeiten noch weiter eingeschränkt als bei einer Nebelfahrt. Eigentlich dürfte Nebel im Dunkeln überhaupt gar kein Problem sein, weil man ja eh schon wegen der Dunkelheit nichts sieht. Unsere Kompasse haben wir mit Knicklichtern beleuchtet. Meines fungiert gleichzeitig als Positionslicht für mein Boot, Trenk hat noch ein Extra-Licht montiert, weil er das über dem Kompass fast vollständig mit undurchsichtigem Klebeband umwickelt hat, damit es auch wirklich nur den Kompass beleuchtet.

Die Frage mit der Schleppleine ist diesmal einfach zu klären. Da eh nur maximal einer schleppen könnte, lasse ich meine im Auto und wir beschränken uns auf Trenks Schleppgeschirr.

Es herrscht Südwind - drei bis vier. Das ist lieblich, führt aber natürlich trotzdem zu etwas Abdrift. Also legen wir unseren zu steuernden Kurs auf "irgendwie mittig zwischen 60 und 90 Grad". Diese beiden Werte sind auf dem Kompass wenigstens einigermaßen gut zu erkennen. Ich kann zwar nicht sehen, welche der dickeren Markierungen die 60 und welche die 90 Grad-Marke ist, aber ich kann die 0 von der 60 unterscheiden und die 120 von der 90 - also kann eigentlich nichts schief gehen. Man sieht kaum Navigationslichter in dieser Gegend - bis auf den legendären Leuchtturm Skjoldnäs an der Nordspitze von Ärö. Außerdem ist da noch ein festes Licht irgendwo auf der Südspitze von Fünen. Es bildet mit dem Leuchtturm etwa einen Winkel von 120 Grad, so dass wir auch die Möglichkeit haben, uns etwa mittig in diesem Dreieck zu halten. Es ist einfach sehr viel leichter, sich Fixpunkte in weiter Ferne zu suchen und sich an denen zu orientieren, als fortwährend auf den Kompass blicken zu müssen, der eh nur mit Schwierigkeiten abzulesen ist. Die Wellen laufen ziemlich genau quer zu unserer Fahrtrichtung, sind aber eigentlich kein wirkliches Problem. Allerdings sollte man vegetativ schon einigermaßen gefestigt sein, denn man sieht sie nicht heranrollen und mit zunehmender Entfernung vom Land werden sie natürlich auch größer. Doch sie bleiben im Wesentlichen unter einem Meter Höhe und nur selten klatscht uns brechender Schaum vor die Brust.

Nach einiger Zeit bemerkt Trenk, dass das Wasser leuchtet, nachdem man es mit dem Paddel umgerührt hat. Später leuchtet auch die schäumende Gischt, die am Boot entsteht, wenn sein Bug die Wellen teilt. Es ist eine ganz zauberhafte Stimmung - dunkel aber lau, still aber rauschend, entrückt und doch wirklich. Hier ist niemand - nur wir und die Wellen. Vergessen, gemieden, ja gefürchtet. Alles gehört uns - die Zeit, der Raum, die Nacht und das Meer. Wir sind so weit fort - und doch direkt vor unserer Haustür!

Fast genau in unserer Vorausrichtung taucht ein fleißig blinkendes Licht auf. Das eignet sich prima zum Anvisieren. Noch besser ist aber der Fixstern, der nun genau darüber steht. Wir wählen ihn als bequemen Anhaltspunkt. Leider zeigt sich bald, dass das fleißig blinkende Lichtlein und der Fixstern auseinander driften. Wir lassen das fleißige Lichtlein Lichtlein sein und vertrauen der fixen Idee, dass Fixsterne fix stehen bleiben. Als unser Stern aber anfängt, Geräusche zu machen und außer seinem weißen nun auch noch ein rotes, blinkendes Licht zeigt, wenden wir uns doch reumütig wieder unserem fleißigen Lichtlein zu.

Alles, was auf Lyö Licht zeigen und uns den Weg weisen könnte, liegt hinter dem Hügel und ist aus unserer Position nicht sichtbar. Wir haben nicht wirklich Bedenken, dass wir unser Ziel verpassen könnten, denn es herrscht Halbmond und die Wolkendecke ist nicht komplett geschlossen. Zwar haben wir unsere GPS-Geräte eingeschaltet dabei, aber wir wollen sie für die Überfahrt nicht benutzen. Erst auf den letzten paar hundert Metern, wenn es darum geht, den genauen Platz zum Anlanden zu finden, werden wir sie zu Hilfe nehmen. Die Insel sehen wir erst, als wir nur noch gute anderthalb Kilometer von ihr entfernt sind. Wobei "sehen" die Sache nicht wirklich trifft, wir haben eher eine dunkle Ahnung, dass das tiefschwarze da Land sein muss. Wir haben reichlich vorgehalten und können nun einen kleinen Moment die Früchte genießen und etwas auf den wohlwollend schiebenden Wellen surfen.

Auf den letzten paar Metern stelle ich uns noch selber ein Bein. Ich betreibe mein GPS-Gerät immer so, dass der Vorauspfeil nicht auf das Ziel zeigt, sondern in die Richtung, in die ich fahren muss, um mein Ziel zu erreichen. Diese beiden Richtungen sind nur dann identisch, wenn es keine Winddrift und keinen Strom gibt. Ansonsten ist die Richtung, in die man fahren muss, eigentlich der interessantere Wert. Aber wenn man davon gut haben will, muss man Fahrt machen und am besten auch nennenswert weit vom Ziel entfernt sein. Wenn man in unmittelbarer Nähe zum Ziel willenlos auf dem Wasser umhertreibt, zeigt mein Pfeil schon mal in eine komplett widersinnige Richtung. Vollkommen logisch - wenn man drüber nachdenkt! Aber soweit lasse ich es nicht kommen, sondern locke Trenk 150 Meter vor dem Ziel um 150 Meter in die falsche Richtung. Erst als wir dort kurz an Land gehen und ich meine Käsestulle vertilge (ich hatte seit dem Mittag nichts mehr gegessen), kehren Verstand und Einsicht zurück. So haben wir uns immerhin nochmal 150 Meter Gelegenheit zum Surfen erarbeitet. Trotz Trenks beeindruckendem Scheinwerfer und meinem in alle Richtungen blendenden Topplicht können wir beim besten Willen den kleinen, aus grünen Plastikkisten handgemachten Hafen nicht entdecken. Trotzdem gehen wir punktgenau am geplanten Ort an Land.

Wir sind ganz beseelt von dem beeindruckenden Erlebnis und auch ein bisschen stolz, alles so selbstverständlich gemeistert zu haben. Beschwingt bereiten wir unsere Heimstatt, sowie das Abendmahl.  Trenk verteilt seines allerdings in einem breiten Streifen in meinem Zelteingang, weil ihm der volle Topf mit den Nudeln in einem unbedachten Moment aus der Hand springt. Irgendwo in den Tiefen meiner Essensvorräte klingelt mein Handy. Ja, wir sind gut angekommen, nein, es herrschte nicht viel Wind und morgen soll auch wenig Wind sein - bis auf eine kleine Störung am Nachmittag.