Optimale Vorhersage! Nur ne kleine Störung am Samstag. |
Bei der Vorbereitung im Hafen von Fynshav wollen einige Passanten es nicht recht glauben, dass wir jetzt noch los wollen, denn es wird ja bereits dunkel. Aber wir können auf unsere gesammelten Beleuchtungsmittel verweisen und sie einigermaßen beruhigen. Es ist das erste Mal, dass ich mein Toplicht auf meinen Südwester montiere und eigentlich auch das erste Mal, dass ich eine echte Nachtfahrt so vollkommen ab vom Ufer mache. Ich bin wirklich gespannt und freue mich darauf. Mein GPS-Gerät habe ich griffbereit in der Schwimmweste, der Zielort ist einprogrammiert und auf der Nase habe ich meine Brille, damit ich überhaupt eine Chance habe, es während der Fahrt ablesen zu können. Der Übernachtungsplatz auf Lyö ist einprogrammiert, die Peilung vorher bestimmt, denn im Dunkeln sind die Navigationmöglichkeiten noch weiter eingeschränkt als bei einer Nebelfahrt. Eigentlich dürfte Nebel im Dunkeln überhaupt gar kein Problem sein, weil man ja eh schon wegen der Dunkelheit nichts sieht. Unsere Kompasse haben wir mit Knicklichtern beleuchtet. Meines fungiert gleichzeitig als Positionslicht für mein Boot, Trenk hat noch ein Extra-Licht montiert, weil er das über dem Kompass fast vollständig mit undurchsichtigem Klebeband umwickelt hat, damit es auch wirklich nur den Kompass beleuchtet.
Die Frage mit der Schleppleine ist diesmal einfach zu klären. Da eh nur maximal einer schleppen könnte, lasse ich meine im Auto und wir beschränken uns auf Trenks Schleppgeschirr.
Es herrscht Südwind - drei bis vier. Das ist lieblich, führt aber natürlich trotzdem zu etwas Abdrift. Also legen wir unseren zu steuernden Kurs auf "irgendwie mittig zwischen 60 und 90 Grad". Diese beiden Werte sind auf dem Kompass wenigstens einigermaßen gut zu erkennen. Ich kann zwar nicht sehen, welche der dickeren Markierungen die 60 und welche die 90 Grad-Marke ist, aber ich kann die 0 von der 60 unterscheiden und die 120 von der 90 - also kann eigentlich nichts schief gehen. Man sieht kaum Navigationslichter in dieser Gegend - bis auf den legendären Leuchtturm Skjoldnäs an der Nordspitze von Ärö. Außerdem ist da noch ein festes Licht irgendwo auf der Südspitze von Fünen. Es bildet mit dem Leuchtturm etwa einen Winkel von 120 Grad, so dass wir auch die Möglichkeit haben, uns etwa mittig in diesem Dreieck zu halten. Es ist einfach sehr viel leichter, sich Fixpunkte in weiter Ferne zu suchen und sich an denen zu orientieren, als fortwährend auf den Kompass blicken zu müssen, der eh nur mit Schwierigkeiten abzulesen ist. Die Wellen laufen ziemlich genau quer zu unserer Fahrtrichtung, sind aber eigentlich kein wirkliches Problem. Allerdings sollte man vegetativ schon einigermaßen gefestigt sein, denn man sieht sie nicht heranrollen und mit zunehmender Entfernung vom Land werden sie natürlich auch größer. Doch sie bleiben im Wesentlichen unter einem Meter Höhe und nur selten klatscht uns brechender Schaum vor die Brust.
Nach einiger Zeit bemerkt Trenk, dass das Wasser leuchtet, nachdem man es mit dem Paddel umgerührt hat. Später leuchtet auch die schäumende Gischt, die am Boot entsteht, wenn sein Bug die Wellen teilt. Es ist eine ganz zauberhafte Stimmung - dunkel aber lau, still aber rauschend, entrückt und doch wirklich. Hier ist niemand - nur wir und die Wellen. Vergessen, gemieden, ja gefürchtet. Alles gehört uns - die Zeit, der Raum, die Nacht und das Meer. Wir sind so weit fort - und doch direkt vor unserer Haustür!
Fast genau in unserer Vorausrichtung taucht ein fleißig blinkendes Licht auf. Das eignet sich prima zum Anvisieren. Noch besser ist aber der Fixstern, der nun genau darüber steht. Wir wählen ihn als bequemen Anhaltspunkt. Leider zeigt sich bald, dass das fleißig blinkende Lichtlein und der Fixstern auseinander driften. Wir lassen das fleißige Lichtlein Lichtlein sein und vertrauen der fixen Idee, dass Fixsterne fix stehen bleiben. Als unser Stern aber anfängt, Geräusche zu machen und außer seinem weißen nun auch noch ein rotes, blinkendes Licht zeigt, wenden wir uns doch reumütig wieder unserem fleißigen Lichtlein zu.
Alles, was auf Lyö Licht zeigen und uns den Weg weisen könnte, liegt hinter dem Hügel und ist aus unserer Position nicht sichtbar. Wir haben nicht wirklich Bedenken, dass wir unser Ziel verpassen könnten, denn es herrscht Halbmond und die Wolkendecke ist nicht komplett geschlossen. Zwar haben wir unsere GPS-Geräte eingeschaltet dabei, aber wir wollen sie für die Überfahrt nicht benutzen. Erst auf den letzten paar hundert Metern, wenn es darum geht, den genauen Platz zum Anlanden zu finden, werden wir sie zu Hilfe nehmen. Die Insel sehen wir erst, als wir nur noch gute anderthalb Kilometer von ihr entfernt sind. Wobei "sehen" die Sache nicht wirklich trifft, wir haben eher eine dunkle Ahnung, dass das tiefschwarze da Land sein muss. Wir haben reichlich vorgehalten und können nun einen kleinen Moment die Früchte genießen und etwas auf den wohlwollend schiebenden Wellen surfen.
Auf den letzten paar Metern stelle ich uns noch selber ein Bein. Ich betreibe mein GPS-Gerät immer so, dass der Vorauspfeil nicht auf das Ziel zeigt, sondern in die Richtung, in die ich fahren muss, um mein Ziel zu erreichen. Diese beiden Richtungen sind nur dann identisch, wenn es keine Winddrift und keinen Strom gibt. Ansonsten ist die Richtung, in die man fahren muss, eigentlich der interessantere Wert. Aber wenn man davon gut haben will, muss man Fahrt machen und am besten auch nennenswert weit vom Ziel entfernt sein. Wenn man in unmittelbarer Nähe zum Ziel willenlos auf dem Wasser umhertreibt, zeigt mein Pfeil schon mal in eine komplett widersinnige Richtung. Vollkommen logisch - wenn man drüber nachdenkt! Aber soweit lasse ich es nicht kommen, sondern locke Trenk 150 Meter vor dem Ziel um 150 Meter in die falsche Richtung. Erst als wir dort kurz an Land gehen und ich meine Käsestulle vertilge (ich hatte seit dem Mittag nichts mehr gegessen), kehren Verstand und Einsicht zurück. So haben wir uns immerhin nochmal 150 Meter Gelegenheit zum Surfen erarbeitet. Trotz Trenks beeindruckendem Scheinwerfer und meinem in alle Richtungen blendenden Topplicht können wir beim besten Willen den kleinen, aus grünen Plastikkisten handgemachten Hafen nicht entdecken. Trotzdem gehen wir punktgenau am geplanten Ort an Land.
Wir sind ganz beseelt von dem beeindruckenden Erlebnis und auch ein bisschen stolz, alles so selbstverständlich gemeistert zu haben. Beschwingt bereiten wir unsere Heimstatt, sowie das Abendmahl. Trenk verteilt seines allerdings in einem breiten Streifen in meinem Zelteingang, weil ihm der volle Topf mit den Nudeln in einem unbedachten Moment aus der Hand springt. Irgendwo in den Tiefen meiner Essensvorräte klingelt mein Handy. Ja, wir sind gut angekommen, nein, es herrschte nicht viel Wind und morgen soll auch wenig Wind sein - bis auf eine kleine Störung am Nachmittag.
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