Sonntag, 6. Oktober 2013

Südsee bei Gegenwind: Nachbetrachtungen (4/4)

Natürlich war es ein Wagnis, einen recht unerfahrenen Paddler auf eine absehbar anspruchsvolle Unternehmung mitzunehmen. Aber wie soll man Erfahrungen sammeln, wenn man keine macht? Unterm Strich gesehen war die Unternehmung für alle Beteiligten ein Erfolg: Sie hat Spaß gemacht und wir haben alle dazugelernt.

Es gibt einiges, was ich gelernt habe: In dem Moment, in dem ich im Hafen von Mommark meine Ausrüstung umgepackt habe, weil ich den Trim meines Bootes besser gestalten wollte, hätte ich Olav darauf aufmerksam machen müssen, dass ein schlechter Trim einem den letzten Nerv rauben kann, und dass ein schlechter Trim bei genau diesen Bedingungen gnadenlos enttarnt wird.

Meine Nachfrage bei Trenk, ob er seine Schleppleine am Mann trägt, war von vorn herein feige. Natürlich habe ich in dem Moment nicht im Traum daran gedacht, dass wir eine Leine benötigen würden. Aber meine Erfahrung besagt, dass Unvorhergesehenes generell unvorhergesehen passiert und daher habe ich mir eben mit der Frage ein Alibi besorgen wollen. Professionell ist das nicht. Das nächste Mal binde ich mir die Leine wieder gleich um.

Jemanden in solchen Bedingungen fast zweieinhalb Stunden lang zu schleppen, schaffen nicht viele Paddler. Trenk kann so etwas, aber es wäre klüger gewesen, wenn wir uns abgewechselt hätten. Zwar hat Trenk nicht im Mindesten geschwächelt oder auch nur eine Andeutung gemacht, dass er abgelöst werden möchte. Aber ich hätte eine Ablösung anbieten sollen, dann hätte ihm am Folgetag vielleicht das Handgelenk auch nicht geschmerzt.

Der Zeitpunkt für die Entscheidung war goldrichtig und die Entscheidung selbst auch. Bis zu dem Moment, in dem es Olav nachhaltig aus der Richtung geworfen und er so erkennbar Mühe hatte, sie wieder zu finden, lief alles vollkommen problemlos - bis auf die Kleinigkeit, dass wir nicht ganz den optimalen Kurs fuhren. Auch danach war Olav noch absolut Herr der Lage. Aber er musste sich sehr anstrengen, auf Kurs zu bleiben, und es wäre mit zunehmender Erschöpfung nicht besser geworden. Er hätte durchaus bis Ärö durchhalten können. Aber die Chancen waren unter fifty-fifty. Es hätte noch sehr lange gedauert, bis er nicht mehr gekonnt hätte und wir ihn hätten schleppen müssen. Aber jemanden zu schleppen, der nicht mehr kann, ist nicht klug, und wenn es dazu kommt, ist voher etwas schief gelaufen. Es war also genau der Zeitpunkt zu handeln. So konnte Olav den größten Teil des Vortriebes noch selbst leisten und Trenk musste nur seinem Bug die Richtung vorgeben. Wenn er nicht mehr gekonnt hätte, wäre er zwangsläufig irgendwann über Bord gegangen, hätte große Mühe gehabt, wieder einzusteigen, ich hätte ihn dann stützen und Trenk zwei Paddler gegen den starken Wind schleppen müssen. Das wäre vielleicht sogar für Trenk zu viel des Guten gewesen.

Auch wenn Olav im wesentlichen selbst gepaddelt ist, die Belastung, die eine fast die gesamte Zeit durchs Wasser gezogene Schleppleine zusammen mit den ruckartigen Straffungen auf den ziehenden Paddler ausübt, ist erheblich. Es ist eine gute Übung, so etwas einmal in anspruchsvollen Bedingungen über Zeitraum, der länger als fünf Minuten ist, zu praktizieren. Dass Trenk es fast zweieinhalb Stunden ohne Murren durchgehalten hat, hat meinen hohen Respekt.

Bis zur Entscheidung hatten wir etwa ein Drittel der Strecke geschafft. Es bestand auch die Option, statt weiter zu fahren, umzukehren. Abgesehen davon, dass wir nach Ärö wollten, wäre ein Umkehren weitaus riskanter gewesen. Zwei Meter hohen, brechenden Wellen ins Auge zu blicken und ihnen stand zu halten, ist eine Sache. Denselben Wellen den Rücken zu kehren, nicht zu wissen, wann sie angreifen und sich ihnen in dieser Weise auszuliefern, ist eine ganz andere Sache. Wenn man das eine sicher handhaben kann, heißt das noch lange nicht, dass man auch dem anderen gewachsen ist. Ich wäre mir nicht einmal für mich selbst sicher gewesen, ob es mich nicht irgendwann reingerissen hätte. Aber ich hätte mir zugetraut, wieder hoch zu rollen. Olavs Rolle ist noch nicht so gefestigt, dass man unter diesen Umständen auf sie wetten sollte. Und schleppen in Wind- und Wellenrichtung... das wäre eine noch interessantere Aufgabe, die man vielleicht besser in wärmerem Wasser üben sollte.

Als wir Olav auf Ärö zurückgelassen haben, stand nicht fest, wo wir uns wieder treffen würden. Bei ungünstigen Bedingungen wären wir wieder an den Ausgangspunkt zurückgekommen. Aber wir haben es bereits zum Zeitpunkt der Trennung zumindest in Erwägung gezogen, uns auf Lyö zu treffen. Trenk hatte sein Funkgerät dabei, ich hatte Nico-Signalgerät, drei Seenotraketen und eine Rauchkerze dabei. Olav hatte keine Hilfsmittel in dieser Richtung mit. Wir hätten ihm entweder das Nico-Gerät geben müssen oder besser noch die Signalraketen, denn er hatte eine Solo-Fahrt vor sich. Auch hier reicht es nicht, sich selbst sicher zu fühlen. Wenn ich es für mich für angebracht halte, Signalmittel mitzuführen, ist es natürlich auch für Olav angebracht. Wenn man sich dann entscheiden soll, wer die Signalmittel nimmt, dann werden sie ohne jeden Zweifel bei einer Alleinfahrt dringender benötigt, als wenn man mit einem Partner unterwegs ist. Wir müssen in ähnlich gelagerten Situationen in Zukunft länger darüber reden, was wir machen und wie wir eventuell vorhandene Ausrüstung aufteilen.

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