Donnerstag, 3. Oktober 2013

Südsee bei Gegenwind

Auch dieses Jahr war das Ziel der Wahl für die Tour am Einheitswochenende Samsö gewesen. Aber wie im vergangenen Jahr ist uns der Wind gehörig durch die Pläne geweht. Auf der Nordsee soll noch mehr Wind herrschen und so einige ich mich mit Trenk auf eine Tour durch die Dänische Südsee. Dort kann man immer hin - auch bei steifem Ostwind. Außerdem haben wir noch einige Rechnungen offen, die wir eventuell bei der Gelegenheit gleich begleichen können.

Olav ist diesmal neu dabei. Er ist ein Paddler mit großem Potential. Dieses Potential braucht Gelegenheit - und die wollen wir ihm geben. Als wir auf den Parkplatz in Mommark einfahren, fällt sein Blick gleich auf die schäumenden Wellen, die hier auf den Strand laufen. "Da sollen wir raus?", ist seine ungläubige Frage. Es überrascht mich etwas, dass er die hier noch vollkommen harmlos aussehenden Wellen als Problem ansieht. Aber es zeigt nur, dass es wir bei uns zu Hause allzu selten mit schäumenden Wellen zu tun haben, sonst würden ihm diese Dinger hier keine Angst machen. Bald trudelt auch Trenk ein und der möchte lieber durch das Hafenbecken losfahren, als vom sandigen Strand. Wir besprechen kurz, dass wir erst einmal keine Pläne machen, sondern "nur" bis zur Nordspitze von Ärö übersetzen und dann dort sehen, wie wir uns fühlen und den Rest des Tages verbringen wollen. Schließlich haben wir kein bestimmtes Ziel - und den ganzen Tag Zeit, es zu erreichen.

Beim Packen meiner Sachen erinnere ich mich an das Gefummele mit der Schleppleine, als ich sie bei der letzten Tour auf der Nordsee in hohem Seegang hinter meinem Sitz hervorkramen musste. Ich frage Trenk kurz, ob er seine während der Fahrt am Körper trägt. Tut er. Also ist für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir eine Leine brauchen, eine griffbereit zur Hand - das sollte reichen. Ich packe heute besonders viel Gewicht in die vordere Luke, schließlich geht es gegen den Wind und da ist ein leichter Bug nicht zu gebrauchen. Ein schlauer Gedanke - aber leider nur halb und nicht zu Ende gedacht, wie sich später zeigen wird.


Die von einem hölzernen Fischer und einer ebensolchen Frau bewachte Rampe aus Beton ist denkbar ungeeignet. um ein Kajak darauf ins Wasser zu lassen. Sie ist halt mehr als Slip für Trailer von Segelbooten gedacht. Aber irgendwie bekommen wir unsere Schiffe doch zum Schwimmen und uns in ihre Luken gezwängt. Diese Tour ist die Premiere für meine neue Action-Kamera GoPro Hero 3 Black Edition! Ich habe sie vorne auf dem Bug montiert, am Arm trage ich die Fernbedienung, mit der ich sie an- und ausschalten kann. Ich hoffe, ich bekomme damit mal wirklich lebensnahe Bilder von meinen Unternehmungen.

Hinter der Mauer, die das Wasser im Hafenbecken glatt gehalten hat, geht es dann deutlich rauher zur Sache. Es fängt erst leicht an zu wellen und etwas zu spritzen. Ziemlich zügig werden die Wellen dann aber größer, größer als alles, was Olav bisher befahren hat. Ich halte mich dicht schräge hinter ihm, weil ich sehen möchte, ob sein Respekt ihm vielleicht den Schneid geraubt hat und ob er den Wellen Paroli bieten kann. Zum Glück platscht ihm ziemlich bald eine besonders hohe und steile Welle voll vor die Brust, so dass er Farbe bekennen muss. Der Angriff wird souverän abgewehrt, keine erkennbare Spur von Einschüchterung, eher: "Geile Nummer! Mehr davon!" So habe ich mir das gewünscht - nun müssen wir nur noch beharrlich nach Osten drängen, dann kann nicht mehr viel schief gehen.

Mit zunehmender Entfernung vom Ufer nehmen die Wellen immer mehr an Höhe zu, der Wind bläst mit guten fünf Beaufort aus südöstlicher Richtung. Es erinnert etwas an unsere Unternehmung vor drei Jahren, als ich mit Trenk und Jörg bei ähnlichem Wind in gleicher Mission unterwegs war. Für einen hoffnungsfrohen Neupaddler ohne viel Erfahrung sind das schon haarige Bedingungen. Ich bin immer wieder gespannt, ob Olav nach der nächsten Welle noch auftaucht - und ob dann Paddler und Boot noch in der richtigen vertikalen Anordnung sind. Aber was das angeht, mache ich mir offensichtlich viel zu viel Sorgen, denn er sitzt fest und sicher im Boot, wackelt kein Stück und auch sein Blick wird nicht starr. Allerdings zeigt sich ziemlich bald, dass es ihm sichtlich Mühe macht, die Richtung, die wir eigentlich fahren müssten, zu halten. Aber auch hier verhält er sich abgebrüht und fährt erst einmal den Kurs, den er ohne große Probleme halten kann. Später können wir dann einen anderen fahrbaren Kurs wählen, so dass wir im Mittel den gewünschten halten. Segler erreichen mit diesem Prinzip jeden Punkt dieser Erde, das klappt bei Paddlern prinzipiell auch. So fahren wir die erste Stunde also eher in Richtung Fehmarn als zur Nordspitze von Ärö, aber wir haben ja den ganzen Tag Zeit.

Mittlerweile haben die Wellen ihr Höchstmaß erreicht. Sie sind laut Vorhersage anderthalb Meter hoch, aber es folgen immer wieder Phasen, in denen sie die zwei Meter-Grenze locker übersteigen. So große Wellen habe ich auf der Ostsee noch nie erlebt! Ich bin ganz hin und hergerissen zwischen Begeisterung und leichter Sorge, denn irgendwann müssen wir einmal unseren Kurs ändern: wenn wir nach Fehmarn hätten fahren wollen, wären wir nicht in Mommark gestartet. Schließlich drehen Wind und Wellen den Bug von Olavs Boot einmal sehr deutlich aus dem Kurs, den er konstant halten kann. Er bemüht sich mit Bogen- und Konterschlägen, wieder in die alte Richtung zu kommen, aber es dauert sehr lange und ich erkenne, dass es ihn wirklich anstrengt. Er bekommt sein Boot wieder in den Griff, aber für mich ist dies das Signal, dass die momentane Taktik nicht sicher ans Ziel führen wird und wir handeln müssen. Ich spreche mich kurz mit Trenk ab. "Wir können entweder umkehren und um Alsen fahren, oder wir müssen Olav beim Halten der Richtung unterstützen.". Es ist ungemein beruhigend, einen so kompetenten Partner an der Seite zu haben. Auch ihm ist längst klar, dass wir etwas tun müssen, aber Umdrehen ist keine Option für Trenk. Gut, dass ich vorher nachgefragt habe, ob er seine Schleppleine am Mann führt! So ist klar, dass er ihn auf den Haken nehmen muss, wenn wir Ärö noch vor dem Dunkelwerden erreichen wollen.

Der  Schleppverband legt gleich ein mörderisches Tempo vor, dass ich kaum mitkomme. Es ist offensichtlich ein üblicher Reflex, dass man doppelt reinhaut, wenn man hinten einen Zug spürt. Aber wir haben noch eine erkleckliche Strecke vor uns und dieses Tempo kann nicht einmal Trenk die ganze Zeit über halten. Meinem Ruf zur Mäßigung wird bereitwillig Folge geleistet - wir haben ja auch den ganzen Tag Zeit! Mit der Schleppleine als beweglichem Treibanker kann Olav sich ganz darauf konzentrieren, nach vorne zu paddeln, ohne fünf viertel seiner Kraft dafür aufwenden zu müssen, die Richtung zu halten. Wir kommen nun ganz gut voran und Ärö kommt sogar näher! Ich bin vollkommen begeistert, dass wir im Seegebiet vor unserer Haustür solch phantastische Wellen haben. Ich versuche immer wieder, besonders beeindruckende Szenen mit der Kamera festzuhalten, aber nichts kann sich mit dem direkten Erleben messen. Als einmal ein Kawenzmann direkt vor mir bricht, schickt der Wasserdruck feuchte Grüße meinen Unterarm hinauf - durch den als Handgelenkswärmer getragenen Neoprenhandschuh und durch die eng anliegende Manschette meines Trockenanzuges hindurch!


In zähem Ringen erreichen wir irgendwann den steinigen Strand von Ärö. Wir haben drei Stunden und zwanzig Minuten gebraucht und dabei eine Strecke von ca. 14 Kilometern zurückgelegt - und das, obwohl Start- und Endpunkt lediglich elf Kilometer voneinander entfernt liegen! Unsere Spur zeigt, dass wir mit unseren anfänglich gefahrenen Kurs zwar doch Ärö erreicht hätten, aber erst in 18 Kilometer Entfernung und an einem Ort, an dem wir bei den Windverhältnissen lieber nicht sein wollten. Nach der Kopplung sind wir zwar einen besseren Kurs gefahren, haben aber nicht genügend vorgehalten und so eine beeindruckende Hundekurve hingelegt. Das lag nicht daran, dass wir nicht etwa um die Wirkung der Abdrift wussten, sondern daran, dass es nicht so einfach ist, in einem Schleppverband die Richtung exakt zu fahren. Da es für mich viel leichter war, die richtige Richtung zu steuern, bin ich immer wieder erheblich von den beiden anderen abgekommen. Dann habe ich teilweise echte Schwierigkeiten gehabt, meine Partner in den tiefen Wellentälern überhaupt zu sehen. Wenn ich etwas gesehen habe, dann war es meist Trenk. Erst nachdem der drei-, viermal hinter den Wellenkronen aufgetaucht ist, hat sich auch mal wieder der Kopf von Olav gezeigt. Auch wenn ich mich nie weiter als 50 Meter entfernt habe und ich den günstigeren Kurs fuhr, bin ich immer wieder dicht an die anderen rangefahren. Wenn tatsächlich etwas passieren sollte, sind 50 Meter eine verdammt weite Strecke - und welches der bessere Kur gewesen ist, ist dann herzlich belanglos.

Interessant ist auch der Plot für den Moment der Entscheidung. Meine Spur ist die anfangs weiter südlich verlaufende. Ich stoppe etwas früher als Trenk, weil ich näher an Olav dran bin und fahre zurück, um ihm Mut zuzusprechen. Auch Trenk dreht seine Fahrtrichtung um und fährt ein Stück nach Nordwesten. Für diesen Moment haben wir die Wellen von hinten. Das kurze rote Teilstück deutet an, dass Trenk hier mit hoher Geschwindigkeit eine Welle runterrutscht. Nachdem Olav wieder auf Kurs ist, gehen Trenks und meine Spur eng zusammen und verlaufen eine Weile fast übereinander. Das ist die Zeit, in der wir uns abstimmen. Danach machen die Tracks einen Knick nach Süden, weil wir auf Olav zufahren. Nachdem Trenk sich bei ihm eingeklinkt hat, geht es wieder weiter Richtung Ärö. Fast wie ein Film, so ein GPS-Track!

Bei unserer letzten Unternehmung haben wir diesen Strand noch als Zeltplatz abgelehnt und sind "kurz" um die Ecke gefahren, um dort fast unserem Verderben in die Arme zu laufen. Heute ist es noch früh am Tage und wir haben ja den ganzen Tag Zeit. Warum also hier auf Steinen zelten, wenn da um die Ecke doch bekanntlich Sand ist! Ich mache mich zu Fuß auf die Socken, werde aber, kaum dass ich um die Ecke bin, von einem heftigen Wind erfaßt und durchgeweht. Ich gehe das gesamte Flach ab - bis zu den berühmten Bäumen - es ist nirgends auch nur so etwas ähnliches wie Windschutz auszumachen und auch das Anlanden wäre hier mit den auf den steinigen Strand brechenden Wellen nicht ratsam. Ich erkunde auch noch den Strand in der anderen Richtung, aber auch dort gibt es nichts als mehr Wind und größere Steine zu gewinnen. Also erklären wir die Steinhalde, an der wir angelandet sind, zu unserem Zeltplatz.

Eigentlich steht man hier gar nicht so schlecht - bis auf die Tatsache, dass die Nordspitze auch unter Anglern ein Geheimtipp ist. Die Steine sind so klein, dass sie unter dem Zelt liegend nicht drücken können, aber groß genug, dass sie nicht wie Sand an allem kleben bleiben und sich knirschend in Proviant und Ausrüstung verteilen. Und es ist wunderbar ruhig hier - kein rauschender Wind, keine blöckenden Schafe, keine lärmende Vögel, na und Angler machen keine Geräusche. Während des gemütlich zelebrierten Abendessens fragt Olav mich, was das da sei und weist auf das Wasser hinter mir. Mitten auf dem Belt schwebt eine Seenotrakete rot vom Himmel herab. Wir stutzen etwas, können beim besten Willen nichts erkennen, aber ein Scherz wird das nicht gewesen sein. Wir warten noch ein bisschen, ob sich vielleicht eine zweite zeigt. Da kommt aber nichts und ich will mich schon zu den dänischen Anglern auf den Weg machen, um zu fragen, ob die so etwas ähnliches haben wie unsere Seenotrufnummer 124 124. Aber Trenk schaltet sein Funkgerät ein und hört, dass sich bereits mehrere Funkstellen über die Erscheinung unterhalten. Ein Fahrzeug meldet, dass es etwas gesichtet hat und sich auf den Weg macht. Etwas später ist von Ruder- oder Maschinenschaden die Rede - es ist etwas schwierig, den Funkverkehr zu verstehen. Es ist sehr beruhigend, dass eine einzige Seenotrakete eine dermaßene Aufmerksamkeit erzeugt, aber ich möchte trotzdem nicht herausfinden, ob das immer so ist und ob ein im Kleinen Belt schwimmender Paddler auch gefunden würde.

Über uns wölbt sich erhaben und klar die Milchstraße, die mir immer so viel Ehrfurcht einflöst. Hinter uns schickt der Leuchtturm seinen Strahl in die Runde. Er ist noch langsamer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Ich schrieb damals, dass er nicht umläuft sondern umkriecht. Heute muss ich mich korrigieren: er kriecht nicht herum - er wächst herum!

Alle Bilder der Tour hier.

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