Meine alljährlich im Vereinsrahmen angebotene Fahrt auf der Flensburger Förde und den angrenzenden dänischen Gewässern soll vornehmlich angehenden Seekajakern die Möglichkeit bieten, einmal über die Begrenztheit der eigenen Förde hinaus erste Erfahrungen auf offener See und mit längeren Touren zu machen. Ihr Titel "Grenzüberschreitendes Paddeln" ist selbstverständlich im doppelten Sinne gedacht: außer der Staatsgrenze soll dabei bewusst versucht werden, auch innere Grenzen zu überschreiten und so neues Land zu entdecken.
Die vielen Kandidaten, für die diese Tour gedacht und geplant war, waren dieses Jahr aber alle aus den unterschiedlichsten Gründen verhindert. Entweder sie waren noch in Urlaub, hatten sich den Fuß verknackst, einen wichtigen anderen Termin wahrzunehmen - oder haben sich kurz vor Loch eine ernste Erkältung aufgehalst, die eine Teilnahme nicht zuließ. Als ich im Vorfeld die Teilnehmerzahl zusammenschmelzen sah, kam mir das zuerst gar nicht unrecht. Mit einer kleinen Handvoll Paddler könnte ich über den Belt nach Liö fahren und wäre nicht unbedingt an hochoffizielle Übernachtungsplätze gebunden. Als am Ende nur noch Betzi und Jens als Mitfahrer übrigblieben, war dies auch mein eigentlicher Plan.
Aber dann fror die Windvorhersage für das gesamte Wochenende zu einer Fünf genau aus Osten ein, was geheißen hätte, dass wir uns zwei volle Tage gegen einen fiesen Widerstand hätten plagen müssen, um am letzten Tag vielleicht Rückenwind genießen zu können. Um dem Erholungsauftrag, den ich der Tour auch zugemessen habe, gerecht zu werden, entschloss ich mich dazu, die erste Übernachtung auf Broager und die beiden folgenden Tage im Alsensund zu verbringen. Einzig die Anlandung am steinigen Strand von Broager würde bei dem starken auflandigen Wind etwas anspruchsvoll werden. Aber ich war zuversichtlich, dass wir das hinbekommen würden.
Bei drei Teilnehmern kann man leicht mit einem einzigen Auto fahren, was ich sehr angenehm finde. Etwas weniger angenehm ist das Stehen im Stau vor Eckernförde, aber das wirft uns höchstens um eine Viertelstunde zurück. Jens hat sich sein Faltboot "Rennschnecke" mitgenommen, schließlich möchte er ausgiebig angeln. Es ist meine erste Tour, auf der ein Faltboot mit anderen Seekajaks zusammen auf Tour geht. Mit Jens im Cockpit habe ich weder Bedenken, was die Geschwindigkeit oder die Ausdauer angeht, noch die eventuelle Bewältigung eines ernsten Wassereinbruches oder gar einer Kenterung.
Dass die Wellen am Strand von Habernis kaum wahrnehmbar sind, rechne ich der Tatsache zugute, dass der ganz leicht südliche Ostwind in diese kleine Bucht nicht eindringen kann. Aber schon bald ist mehr Auf und Ab auf dem Meer. Es schwallt und spritzt und man sieht seine Mitstreiter nicht mehr durchgängig. Die Wellen sind lang und gleichmütig, meine Begleiter haben schon größere durchpaddelt und so können wir sie ungetrübt genießen. Fast - denn Jens wird durch das große Büschel Seegras, das er durch seine ausgebrachte Angel ständig hinter sich her zieht, arg gebremst.
Als die Wellen immer größer werden und vor dem dänischen Festland an einen Meter Höhe heranreichen, mache ich mir doch Gedanken, ob wir bruchfrei an der geplanten Stelle auf den Strand kommen werden. Aber auch hier bin ich mir sicher, dass sich niemand von uns aus der Ruhe bringen lassen wird. Als ich in alarmierter Stimmung auf den steinigen Strand zu fahre, muss ich feststellen, dass die Wellen hier am Ufer eher im Dezimeterbereich liegen und ich ohne Probleme aussteigen kann, bevor mein Boot auf die Steine dengelt. Einerseits etwas schade, dass wir um eine einmalige Erfahrung gebracht werden, andererseits auch tröstlich, dass wir nicht probieren müssen, ob unser Ausrüstung hinrecht, ein Loch im Boot zu flicken.
Wir sind ganz alleine auf dem Übernachtungsplatz und können für unsere zwei Zelte die schönsten Ecken aussuchen. Als wir unser Abendessen am Holztisch zubereiten, hat der Wind noch deutlich aufgefrischt und wird sich die gesamte Nacht hindurch nicht wieder beruhigen. Da wir hier praktisch mitten in einem Buchenwald zelten, erzeugen die Baumkronen ein wunderbares Rauschen, dass alle anderen Geräusche wie das Piepen irgendwelcher Zwitschmätze, das Blöcken nicht vorhandener Schafe oder das Schnarchen lieber Mitpaddler übertönt. Allerdings flöst mir dieses Rauschen doch so viel Respekt ein, dass ich zweimal in der Nacht aufstehe, um mich zu überzeugen, dass das Wasser noch nicht so hoch gestiegen ist, dass es unsere Boote aufschwimmen lässt.
Das Ablegen am nächsten Morgen ist ebenfalls entgegen der Erwartung problemlos. Draußen stellen wir zu unserer Freude fest, dass der nächtliche Wind ein gutes Werk getan hat: wunderschöne Wellen warten darauf, uns zu schaukeln! Wir fahren erst einen etwas großzügig gestalteten Vorhaltewinkel, damit wir die Chance haben, auf dem letzten Stück vor Sonderburg wenigsten etwas ins Surfen zu kommen. Im Alsensund sind dann absolut keine Wellen mehr festzustellen.
Am Steg des Paddelvereins hat sich eine recht große Menge Paddler in Seekajaks versammelt. Da ich weiß, dass der Sonderburger Klub überwiegend Rennboote besitzt, glaube ich nicht recht, dass es sich um hiesige Paddler handelt. Meine Versuch ins Gespräch zu kommen, führt aber nicht weit, weil sie zu sehr mit sich selbst und der bevorstehenden Abfahrt beschäftigt sind. Sie wollen erst nach Süden und dann später am Tag wieder nach Norden. Ich denke mir schon, dass wir sie vermutlich auf dem Übernachtungsplatz wiedersehen werden, den wir uns ausgesucht haben.
Eigentlich wollte ich auch auf dem Übernachtungsplatz Mittagspause machen, aber irgendwie habe ich das Schild übersehen oder nicht so schnell damit gerechnet. Auf jeden Fall sind wir schlicht an der Einfahrt vorbei gefahren, ohne sie wahr zu nehmen. Also landen wir am Sandstrand des Flachs direkt vor dem Eingang zum Augustenborgfjord an. Als Jens aus seinem Boot aussteigen will, kommt ein bärtiger Schrat auf ihn zu und sagt: "Ich glaub', ich kenn' dich!" "Ja - ich habe noch deine Thermosflasche!", entgegnet Jens ganz cool. Es handelt sich um Reinhard, der mit seinem Segelboot seit drei Monaten in den Gewässern hier unterwegs ist. Er ist neben Segler auch begeisterter Paddler und muss unbedingt einmal mein Boot probefahren. Und weil er Paddler so lieb hat, fährt er kurzerhand noch einmal zu seinem Segelboot und holt Kaffee, Kocher, Becher, Weißbrot und was man sonst noch so für ein ausgiebigen Nachmittagskaffee benötigt. Wir verbringen einige Stunden mit Schnacken, Kaffeetrinken und Marmeladenbrotessen in der sengenden Mittagssonne. Es ist das erste Mal auf einer Tour, dass ich zu wenig Marmelade mit habe! Und das obwohl ich nur zwei wirklich kleine Weißbrotscheiben gegessen habe.
Da der Tag noch jung ist, wollen wir noch etwas paddeln. Augustenborgfjord oder Dyvik hätten zu Auswahl gestanden. Wegen der fortgeschrittenen Tageszeit schränke ich die Auswahl auf Augustenborgfjord ein, denn nur da haben wir auf dem Rückweg keinen Gegenwind. Dafür müssen wir uns auf dem Hinweg sehr schinden. Betzi dreht irgendwann den Turbo auf, so dass wir sie nur noch als kleinen Punkt am Horizont sehen, der auf kürzestem Weg Land ansteuert. Dafür können wir aber deutlich den Seufzer der Erleichterung hören, nachdem sie dem abdominal drängenden Kaffee die Freiheit geschenkt hat.
Als wir den klitzekleinen Übernachtungsplatz vor Augustenborg erreicht haben, ist Jens nicht mehr allzu sehr daran interessiert, bis zum Ort selbst zu paddeln. Auch das mit der Rücktour müsste für seine Glückseligkeit heute nicht unbedingt mehr sein. Aber ich habe große Bedenken, dass unsere heutige Bequemlichkeit den Weg am morgigen Sonntag allzu lang werden lassen würde. So machen wir uns nach kurzer Pause und Stärkung wieder auf, bis zum Zeltplatz Arnkill zurück zu fahren. Der Rückenwind schiebt uns so gewaltig, dass wir bei einzelnen Surfs bis zu fünfzehn Stundenkilometer schnell sind. So ist der Rückweg zwar auch anstrengend, aber eben auf eine euphorische Art - und er ist schnell zurückgelegt. Am Rastplatz angekommen müssen wir erkennen, dass die dänische Gruppe tatsächlich recht groß ist und wir erst einmal ihre Kajak umsortieren müssen, damit wir überhaupt an Land kommen. Dafür haben sie ihre Zelte aber ausgesprochen kolligial aufgebaut, so dass wir kein Problem haben, für unsere ein freies Fleckchen zu finden.
Der Abend ist wieder lau und trocken, wir bekommen noch einmal Besuch von Reinhard und schließlich kommt sogar so etwas wie Kommunikation mit den Dänen zu stande. Sie kommen aus Kolding und die Tatsache, dass Jens Dänisch spricht, hilft sehr bei der Verständigung. Sie haben Unmengen von Eierpfannkuchenteig dabei und schaffen die entstehenden Fladen irgendwann nicht mehr alleine - da sind wir doch gerne hilfsbereit!
Das schöne an Touren auf der Ostsee ist ja die Tatsache, dass man so lange schlafen kann, wie man will - oder besser wie man kann! Keine Tide zwingt einen, vor dem Aufwachen aufzustehen, kein weglaufendes Wasser hetzt beim Frühstück. Ganz in diesem Sinne gehen wir den Sonntag an. Da der Frühstückstisch eh von der riesigen Horde aus Kolding belegt ist, suchen wir uns einen schönen sonnigen Platz mit Blick auf den Sund zum Frühstücken. Ich kratze die letzten Reste der Marmelade aus meinem Glas, um das verbliebene Weißbrot zu vertilgen und Betzi und Jens verputzen wieder unglaubliche Mengen Müsli. Ich weiß gar nicht, wie die beiden es damals in Alaska geschafft haben, all den Proviant für einen mehrwöchigen Trip in ihren Booten unter zu bringen.
Der Sund ist im wesentlichen lang, bietet aber kaum Gelegenheit für mühsame Paddelei, da der Wind eben recht gut abgeschirmt wird. Das monotone Vorwärtskommen im lieblichen Sonnenschein wird irgendwann jäh unterbrochen von einem "Fischschsch!". Nein, Jens hat es längst aufgegeben zu angeln! Ein kleiner Schweinswal taucht kurz auf, bläst seinen Lungeninhalt mit selbigem Geräusch in die Luft und ist auch schon wieder weg. Da der Sund nur eine Richtung kennt, schwimmt der Tümmler ein ganzes Weilchen genau vor uns her und das "Fischschsch!" kommt mit jedem Mal dichter. Allerdings ist es nie vorherzusagen, wo denn der "Fischschsch!" genau auftaucht, und bis man es mitbekommen hat, ist er auch schon wieder weg. Ein Foto ist also praktisch nicht möglich, aber mit etwas Glück habe ich ihn filmen können. Leider hört man den "Fischschsch!" nicht - nur ein überraschtes "Oh!" des Fotografen!
Bevor wir in Erwartung eines nicht unerheblichen Gegenwindes die Förde in ihrer vollen Breite von zwölf Kilometern queren, gehen wir noch einmal am Strand vor dem Sonderburger Schloss an Land, ruhen uns aus und stärken uns. Aber draußen stellen wir fest, dass sich der Wind gegenüber den Vortagen doch deutlich gelegt hat und nur noch mit gemütlichen vier Stärken bläst. So wird die Rückfahrt ganz entspannt und geht ohne großes Keulen über die Bühne. Irgendwann sichte ich eine recht große deutlich anders gefärbte Fläche Wasser. Meine Vermutung ist, dass sich hier ein großes Feld Seegras gesammelt hat, aber so ganz glaube ich meiner Theorie selbst nicht. Als ich näher paddle, um mich zu überzeugen, sehe ich, dass es sich um ca. 1,3 Milliarden Quallen handelt! Es ist schlicht kein Wasser mehr dazwischen, nur noch Quallen. Ich fahre kurz in den Glibber hinein, aber nur um festzustellen, dass es sich komisch am Paddel anfühlt und ich hier lieber nicht kentern möchte!
Selten habe ich mich auf einer von mir geführten Tour so entspannt gefühlt, wie auf dieser.! Das lag zum kleineren Teil daran, dass mit Jens und Betzie zwei Paddler mit waren, von deren Können und Erfahrung ich überzeugt bin und nach denen ich mich mich daher nicht ständig umdrehen muss. Zum größeren Teil hing das aber einfach damit zusammen, dass die beiden für sich genommen und auch in ihrem Auftreten als Paar ausgesprochen sympatische Zeit- und Zeltgenossen sind, die man gerne um sich hat.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen