Die Strömung sorgt für eine hohe Geschwindigkeit, ohne dass wir uns anstrengen müssen. Da, wo der GPS-Track rosa wird, sind wir schneller als zehn Stundenkilometer, wo er richtig rot wird, liegen wir über 12 km/h. Kurz vor Hooge lasse ich die Gruppe von der roten zur grünen Fahrwassertonne fahren. Das geht exakt quer zur Strömungsrichtung - prompt fallen wir auf unsere selbstgemachten sieben Stundenkilometer zurück. Doch das ist es nicht, was man bei dieser Aktion merkt und worauf es mir ankommt. Erst wenn man nicht mehr mit der Strömung fährt und man einen nahen Fixpunkt hat, merkt man, welche Macht die Strömung hat und wie sehr sie die Fahrt beeinflusst.
Unsere frühe Abfahrt und das schnelle Vorankommen bescheren uns einen leidlich komfortablen Wasserstand bei der Ankunft am Hooger Segelhafen. Die Wiese direkt hinter dem Deich ist mit großzügig darüber verteilten Zelten recht gut belegt, so dass wir das Grün direkt unter dem Seglerheim zu unserer vorübergehenden Heimat erklären. Hier hat auch Trenk bereits vor Stunden mit seiner kleinen Gruppe sein Lager aufgeschlagen.
Abfahrt Schlüttsiel 18:30 UhrSamstag. Die Wettervorhersage hat sich seit gestern nicht großartig verändert. Es soll ein Wind mit sieben bis acht Metern pro Sekunde gehen, und die Wellenhöhe ist mit bis zu einem Meter vorhergesagt. Das sind keine Bedingungen, bei denen man mit wenig erfahrenen Paddlern zum Wrack der Pallas fährt. Trotzdem bleibt der avisierte Zeitplan mit dem frühen Aufstehen gleich, egal wohin die Reise geht. Das Ziel ist auch nicht so entscheidend - viel wichtiger ist, bei Nordsee-typischen Bedingungen auf dem Wasser zu sein und die Elemente und ihre Kräfte zu erfahren. Von Hooge wird man praktisch von alleine bis zur Spitze von Jappsand gesaugt. Während unserer kurzen Pause dort schwimmen ständig drei recht kleine Seehunde vor dem Sand herum und beäugen uns neugierig. Vor hier aus müssen wir nun das Rütergatt quer zur Strömung passieren, um zum Kniepsand zu gelangen. Die Sicht ist gut, auf der zu querenden Wasserfläche sind hier und da ein paar Tonnen zu sehen, da ist die Navigation auch ohne GPS ganz einfach. Ein kurzer aber heftiger Regenschauer trübt nur kurz die Sicht, danach ist der Wind deutlich zurückgegangen.
Ankunft Hooge 20:45 Uhr
Ich versuche zwischendurch immer wieder den Blick auf die kleinen scheinbar unscheinbaren Dinge zu lenken, die einem erlauben, diese Welt genauer zu erkennen, ihre Geheimnisse zu erahnen: Dass die Oberfläche des Wassers die Tiefenänderungen verrät, die Neigung der Tonnen Strömungsrichtung und -stärke und die Wolken den Wind. Dass die Tatsache, dass nach dem heftigen Schauer der Wind völlig einschläft, den Beginn eines neuen Wetterabschnittes bedeutet, der vollkommen andere Verhältnisse mit sich bringen kann. Wenn man das zum ersten Mal hört und sieht, wird es einem nicht viel sagen. Aber wenn man immer mal wieder darauf gestoßen wird, entwickelt mancher vielleicht eigenes, tieferes Gefühl für diese Welt. Als wir schließlich das äußerste Südwestende des Kniepsands erreichen, sind die brechenden Wellen, die dort durch die zusammenlaufenden Strömungen über den flachen Grund gepresst werden, für jeden ganz offensichtlich als Störung der Regelmäßigkeit zu erkennen.
Unsere Spur ist auch ohne GPS leidlich gerade, obwohl wir den nicht unerheblichen Strom genau seitlich haben. Wir halten sicherheitshalber deutlich zuviel vor und schwenken genau nach Westen, nachdem der Querstrom spürbar nachlässt. Wir haben viel Zeit, denn Hochwasser auf Hooge ist erst um halb fünf und mehr als maximal drei Stunden können wir für die Rückfahrt kaum verbrauchen. So fahren wir bis Höhe Süddorf, wo sich einiges Leben am Strand etabliert hat - sogar ein Kino wir hier vom Kiosk betrieben! Wir trinken Kakao und machen uns auf zu einer ausgiebigen Wanderung durch die Dünen. Sabine macht uns heiß auf eine Vogelkoje, die es hier zu sehen geben soll - ist sich aber nicht hundert prozentig sicher. Also fragen wir einige der Entgegenkommenden, die wir an ihrem urigen Aussehen eindeutig als Eingeborene identifizieren, nach Details. Leider sprechen sie entweder kein Deutsch, oder sie sind das erste mal und erst seit zwei Stunden auf der Insel :-/
Das Inselinnere ist furchtbar idyllisch und lädt zum Schlendern, Schauen und Auskuppeln förmlich ein. Wir wundern uns etwas über den deutlich verhaltenen Betrieb, schließlich ist Samstag und später Vormittag. Aber am Strand bei der Wasserwacht stand ein Schild: Badezeit 14 bis 16 Uhr - vielleicht strömen dann die Massen und füllen die gefühlten 10.000 Fahrradständer. Im reetgedeckten Cafe, dass sich schüchtern zwischen die Dünen duckt, essen wir Kartoffelpuffer mit Apfelmus.
Zurück am Strand zeigt der neue Wetterabschnitt seinen Charakter: Es hat deutlich aufgefrischt. Heute morgen hatte ich noch vage Hoffnungen auf eine ordentliche Brandung auf dem Kniepsand, aber bei unserer Ankunft lag die Wellenhöhe irgendwo unterhalb einer Handbreit. Was sich uns da nun präsentiert, ist zwar noch keine nenneswerte Brandung, aber das Ablegen ist nicht mehr trivial und man bekommt wenigstens einen Eindruck, dass es auch ganz leicht schwierig werden kann.
Die Wellenhöhe liegt nun bei 60 bis 70 Zentimetern und wenn die Kameraden gerade im anderen Tal sind, könnte man höchstens noch ihre Paddelspitzen sehen - wenn nicht bei fast allen mit Zunahme der Wellenhöhe der Paddelstil an selbiger verlieren würde. Außer mir hat kein weiterer Teilnehmer eine Seekarte dabei. Daher übernehme ich komplett die Vorgabe der Richtung, in die wir paddeln. Der Versatz durch den quer zu unserer Fahrtrichtung nach Südwest gehenden Tidenstrom ist wieder beeindruckend. Die Tonnen, bei denen ich weit im Voraus angebe, auf welcher Seite wir sie passieren sollten, wollen einfach nicht kooperieren und tun alles, damit meine Vorgabe nicht eingehalten werden kann. Trotzdem kommen wir mit Beharrlichkeit auf erstaunlich gerader Linie voran. Der Wind hilft uns, indem er schiebt.
Diese Hilfe mag gut gemeint sein, wird aber nicht von allen entsprechend goutiert. Während sich Sabine gleich nach dem Ablegen von Kniepsand auf die Suche nach günstigem Winkel und Wellen zum Surfen macht, duckt sich manch anderer in seinem Cockpit und blickt konzentriert nur noch nach vorn. Um für mehr Stabilität und Kohäsion zu sorgen, habe ich direkt nach dem Start die Gruppe zu Pärchen geordnet. So muss ich nicht mehr acht Einzelpaddler im Auge behalten sondern nur noch vier Zweiergruppen. Außerdem fühlt es sich besser an, wenn jeder weiß, dass da ein anderer ein Auge auf ihn hat - auch wenn dieser andere genauso viel mit sich zu tun hat, wie man selbst. Auch die Tatsache, dass die anfangs eingeteilten Pärchen tatsächlich ständig dicht beieinander bleiben, macht klar, dass so gut wie alle hier im Konzentrationsmodus fahren.
Als wir uns Jappsand nähern, sieht man ein Gebiet mit schäumenden Wellen, die sich an dem Flach nördlich davon brechen. Da will niemand durch und ich peile das tiefe Wasser zwischen den beiden Sänden an. Aber wir kommen nicht um die Tatsache herum, dass hier das Wasser insgesamt flacher wird, die aus dem Tiefen kommenden Wellen hier also steiler werden. Ich sehe mich immer wieder um, um zu überprüfen, wie die Gruppe damit zurechtkommt. Die Augen in den Gesichtern sind hellwach, die Paddel meist als Heckruder und zur seitlichen Stütze eingesetzt. Unterhaltungen gibt es nicht mehr, meine Einwürfe "Sieh mal, da voraus ist es flach. Das sieht man prima an den dort brechenden Wellen!", werden nicht mehr wirklich wissbegierig aufgenommen - aber es besteht kein Grund zur Sorge. Auch wenn ich hier mit auf der Nordsee kaum erfahrenen Paddlern unterwegs bin, sind sie solide ausgebildet und können ausdauernd paddeln.
Leider können wir in unserer Ausbildung hohe und brechende Wellen nur sehr unzureichend berücksichtgen. So ist Britta mit einer Welle, die ihr über die Schulter bricht, überfordert und kentert. Sven, der andere Teil ihrer Zweiergruppe, ist sofort bei ihr und leitet den Wiedereinstieg ein. Ich weise die anderen an, dicht zusammen und am Geschehen zu bleiben. Als ich sehe, dass Sven Schwierigkeiten hat, in den hoch gehenden Wellen das Gleichgewicht zu halten, trotzdem Britta an seinem Bug hängt, breche ich diesen Teil des Standardplanes ab. Spätestens wenn er anfängt, mit dem schweren Boot zu hantieren, würde er vermutlich auch ins Wasser fallen. Und selbst wenn er es schaffen würde, das Boot zu leeren, die Wellen würden es ohne Schwierigkeiten wieder auffüllen. während Britta den Wiedereinstieg macht.
Die Situation ist anspruchsvoller als im Schwimmbad, es ist ein Segen, dass die Schwimmerin eine Rettungsweste trägt und zum Glück ist das Wasser warm. Unser gutes Training zahlt sich aus und so sitzt Britta bald wieder im Boot. Doch nun kommt der schwierigere Teil: Außer ihr ist da noch jede Menge Nordsee im Cockpit - und die muss raus. Die Nordsee! Ich hatte die Boote während des Einstieges stabilisiert und mit dem Bug in die Wellen gehalten, nun lege ich meine kurze Schleppleine an und beginne beide zu ziehen, damit wir nicht in das Gebiet mit den schäumend brechenden Wellen driften. Betzi ist so geistesgegenwärtig, ihre Schleppleine fertig zu machen und damit mein Boot zu ziehen. Allein ihrem Einsatz können wir verdanken, dass unser Verband in gemäßigteren Gefilden geblieben ist. Irgendwann sagt Britta zu Sven, dass das Cockpit leer genug sei und sie nun wieder alleine weiter paddeln könnte. Ihre Alleinfahrt dauert aber nur wenige Sekunden - es war doch noch zuviel Wasser im Schiff. Auch der zweite Einstieg verläuft reibungslos. Während des erneuten Pumpens mache ich meine lange Schleppleine klar und zusammen mit Betzi ziehen wir beide Richtung Hooge. Dieses Mal nimmt Britta sich mehr Zeit mit dem Lenzen und als wir den Schleppverband dann auflösen, legt sie den Rest der Strecke mit durchgängig erhobenem Haupt zurück. Auf Hooge veschwindet sie erst einmal für eine Stunde unter die heiße Dusche.
Abfahrt Hooge 7:30 Uhr.Hooge ist nicht Hooge ohne einen Besuch im Friesenpesel. Dieser Pflichtpunkt ist heute abend fällig. Es ist Sommer und wir sind kernige Bürschchen und Mädels - also sitzen wir draußen. Trenk und seine Gruppe ziehen eher das düstere Innere des Hauses vor. Warmduscher! Die immer gleiche Bedienung ist heute seltsam aufgeräumt und ständig am Herumhüpfen - das Salzlamm schmeckt lecker wie eh und je.
Ankunft Jappsand-Nordspitze 8:00 Uhr
Abfahrt Jappsand-Nordspitze 8:15 Uhr
Ankunft Kniepsand Höhe Süddorf 10:15 Uhr
Abfahrt Kniepsand Höhe Süddorf 12:15 Uhr
Ankunft Hooge 14:30 Uhr
Sonntag. Nach der Vorhersage von gestern abend bestand die Möglichkeit, dass der Wind am frühen Nachmittag sprunghaft und deutlich auffrischen könnte. Nach unserem ursprünglichen Plan - kurz nach Mittag in Hooge los und durch die Süderaue nach Schlüttsiel zurück - hätten wir genau zur halben Zeit mitten auf freiem Wasser Windstärke sechs gehabt. Das wäre nicht ohne gewesen und nach den Eindrücken vom Vortag kam bei niemandem ungetrübte Freude über diese Aussicht auf. Also habe ich den Plan geändert: Statt bei auflaufendem Wasser so früh wie möglich los, würden wir bei ablaufendem Wasser so spät wie möglich los. Statt bei hohem Wasser durch die offene Süderaue würden wir bei niedrigem Wasser durch das geschütztere Langeness-Fahrwasser fahren. Und statt mit neun Paddlern würden wir nur zu siebt fahren: Britta und Klaus-Peter haben sich entschlossen, mit der Fähre zurück zu fahren.
Eigentlich hätte der Sonntag mit langem Ausschlafen beginnen sollen, aber mit dem geänderten Plan müssen wir schon wieder um sechs aus den Federn. Das hat allerdings den Vorteil, dass wir unsere gesamte Ausrüstung vollkommen trocken in die Boote verpackt bekommen, denn der Regen setzt erst ein, als wir quasi abfahrbereit am Deich stehen. Den Schauer wettern wir im Schutz des Seglerheims ab - wir haben eh viel zuviel Zeit.
Auch während der Überfahrt nach Langeness können wir wieder das Vorhalten üben und die Wirkung der Abrift studieren. Zu meiner Überraschung steht auf der ersten Sandbank vor dem Langeness-Fahrwasser noch so viel Wasser, dass wir problemlos darüber fahren können, auf der zweiten steige nur ich aus, bin beim Waten aber nicht schneller, als die anderen, die sich paddelnd durch das flache Wasser quälen.
In der Rixwarft ist mal wieder ein heißer Kakao bzw. Kaffee fällig und dann brechen wir zu einer ausgedehnten Wanderung über den Westteil der Insel auf. Der Leuchtturm Nordmarsch wird besucht und ebenso der alte Hafen. Man hat hier einen herrlichen Blick auf die immer weiter aus dem Wasser ragenden Sände. Föhr ist zum Greifen nahe und Amrum auch nicht viel weiter weg. Der Spaziergang hat schon gut Zeit verbraucht, aber als wir bei unseren Booten zurück sind, läuft das Wasser immer noch ab. Wir suchen uns jeder eine Muschel oder einen Stein dicht an der Wasserkante und versuchen mittels dieser Marke heraus zu bekommen, wann denn der Tidenkipp einsetzt.
Als es dann kurz vor zwölf eindeutig soweit ist, rutschen wir das kurze Stück über den nun frei liegenden Schlick ins Wasser. Wir wollen gaaanz gemütlich zurückfahren, um nicht zu früh ins Schlüttsiel zu sein. Aber Wind und Strom machen uns einen Strich durch die Rechnung: Die Wellen sind heute so gutmütig, dass man einfach gar nicht langsam fahren kann. Alle versuchen, ins Surfen zu kommen, keine Spur von Konzentrationsmodus - eindeutig Spaßmodus! Nach nicht einmal zwei Stunden laufen wir in den Hafen ein, wo wir zu meiner Überraschung bereits so viel Wasser vorfinden, dass wir den Steg der Segelboote erreichen und damit aussteigen können. Das ist bestimmt dem bereits tagelang herrschenden Westwind geschuldet, der das Wasser hereingedrückt hat.
Während wir unsere Sachen zusammenpacken, frischt der Wind tatsächlich spürbar auf und das Wasser draußen ist voll weißer Schaumkronen. Unsere Planänderung ist also voll aufgegangen!
Abfahrt Hooge 8:10 Uhr
Ankunft Anleger Rixwarft: 9:05 Uhr
Abfahrt Anleger Rixwarft:11:55 Uhr
Ankunft Schlüttsiel: 13:45 Uhr
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