Sonntag, 11. August 2013

Nordsee für Neuling 2013: Nachbereitung (3/3)

Die Tour ist gedacht als Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen Erfahrungen im Seekajakfahren auf der Nordsee zu sammeln. Die Zielgruppe sind solide ausgebildete Paddler mit wenig bis keiner Erfahrung auf Tidengewässern aber mit der Bereitschaft, sich auf anspruchsvolle Bedingungen einzulassen.

Neben der reinen Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, möchte ich auch das notwendige Handwerkszeug vermitteln und erwarte, dass es von den Teilnehmern auf der Tour angewendet wird. Daher ist die Vorbesprechung auch nicht als schlichte Informationsveranstaltung ausgelegt, sondern als Arbeitssitzung, auf der für die Tour relevante Fahrtvarianten ganz konkret ausgearbeitet werden.

Für die Vorbesprechung hatte ich alle relevanten Daten und Unterlagen besorgt und mitgebracht. Damit sind wir ziemlich schnell zu einem konkreten Plan für die gestellte Aufgabe gekommen. Nachteilig war, dass nicht alle Teilnehmer zur Vorbesprechung anwesend sein konnten, und dass durch meine Vorarbeit natürlich ein Teil der notwendigen Vorbereitung gar nicht geleistet werden konnte. Auch ist ein einziges abendliches Zusammensein nicht ausreichend, eine komplette Tour hinreichend auszuarbeiten. Eventuell wären länger vorher an die Teilnehmer verteilte Aufgaben besser geeignet, diesen Aspekt nachhaltig zu vermitteln.

Die Fahrt selbst war etwas stark Fahrtenleiter-orientiert durch die Tatsache, dass kein einziger Teilnehmer eine Karte vom Tourgebiet mit sich führte. Dadurch war es quasi nicht möglich, die Führung der Gruppe zeitweilig jemand anderem zu übertragen. Aber erst durch den Zwang, wirklich sicher wissen zu müssen, ob die Erscheinung da vorne nun Habel, Hooge, Hilligenlei oder doch nur ein Seehund ist, erhält man die Gewissheit, dass das theoretisch gelernte auch praktisch angewendet werden kann. Hier muss ich mir in Zukunft definitiv etwas einfallen lassen, sonst ist meine Fahrt nur eine weitere aus der Kategorie "Ich bin nur mit!"

Die Bedingungen waren keinesfalls kritisch, aber auch nicht so außergewöhnlich lasch wie im letzten Jahr. Wir hatten am zentralen Samstag auf der Rückfahrt wie vorhergesagt Windstärke fünf. Die Entscheidung, nicht zur Pallas zu fahren, war absolut richtig und notwendig (übrigens haben alle drei Gruppen, die unterwegs waren und anfangs geplant hatten, zum Wrack zu fahren, diese Idee unabhängig voneinander verworfen). Es gab allerdings keinen alten Schwell und der Wind ging mit dem Strom, so dass die Wellen sich durchaus im Rahmen hielten. Es war aber für die meisten Teilnehmer das raueste, was sie bis dahin erlebt hatten. Insofern also genau richtig, entweder ein Vorankommen zu bewirken oder erkennen zu lassen, dass hier eine Grenze liegt, die man nicht überschreiten kann oder will. In jedem Fall ist der Respekt vor dieser Windstärke zurückgekehrt, den man leicht verlieren kann, wenn man sie immer nur auf der Förde oder ähnlich geschützten Gewässern erlebt.

Das zentrale Ereignis, die Kenterung am Samstag nachmittag, hat der Tour außerdem eine besondere Note verliehen. Ich bin überaus dankbar für diesen Zwischenfall, denn er hat eine Fülle von Erkenntnissen unverlierbar in die Erinnerung gebrannt, die man zwar auch vorher schon kannte, aber nicht so wirklich ernst genommen hat. Zuerst gilt Sven absoluter Respekt, dass er wirklich ohne mit der Wimper zu zucken den Rettungsvorgang eingeleitet hat. Es war gut, dass ich gleich dazu gekommen bin, aber Sven weiter machen lassen habe. Sonst hätte es auch hier nur "Ich bin nur mit!" geheißen. Danach habe ich die beiden Akteure im Rücken gehabt, weil ich versucht habe, das Päckchen an der Kabbelzone vorbei zu schleppen.

Die zweite Kenterung ist ausschließlich der Tatsache geschuldet, dass sich noch zu viel Wasser in Brittas Cockpit befand. Wer einmal versucht hat, ein volles Cockpit mit einer Handpumpe zu leeren - während die Nordsee versucht, es mit jeder Welle wieder aufzufüllen - weiß, wie sehr das anstrengt und wie sehr man geneigt ist zu sagen: "Das Cockpit ist leer.", nur weil man keine Kraft mehr hat, weiter zu pumpen. Daher müssen sich zum einen die beiden Beteiligten beim Pumpen unbedingt abwechseln. Der nicht Pumpende muss versuchen, das Cockpit so gut es geht mit der Spritzdecke abzudecken und am Ende müssen beide überzeugt sein, dass das Cockpit leer ist. Auch ohne schwabbelndes Wasser im Boot ist ein einmal Gekenterter nicht mehr so sicher in der Hüfte wie vor dem Reinfall.

Als ich bei dem zweiten Ausstieg beschloss, meine Schleppleine klar zu machen, musste ich einsehen, dass sie hinter meinem Sitz nicht optimal gelagert ist. Ein Schleppgurt gehört um den Bauch! So musste ich erst mein Paddel aus der Hand legen, meine Spritzdecke öffnen, den Gurt hinter dem Sitz hervorkramen und unter den Decksgummis sichern, die Spritzdecke wieder schließen, den Gurt umlegen und in die Schnalle fummeln - um dann erst den Karabiner zwischen die Zähne zu nehmen! Das kostet unendlich viel Zeit und die anderen äußerten später ihr völliges Unverständnis darüber, wie ich das bei dem Seegang überhaupt bewerkstelligen konnte.

Mit dem Karabiner im Mund bin ich dann hurtig zu Svens Boot und habe ihn in die Vorleine eingehakt -
natürlich von unten! Doch als ich lospaddele, stellt sich kein Zug ein. Stattdessen ruft Sven nur, dass die Leine los sei. Vollkommen ungläubig ziehe ich das Schleppgeschirr ein und muss feststellen, dass die Sperrklinke nach dem Einhaken nicht zurückgesprungen sondern in ihrer geöffneten Stellung stehengeblieben ist. Auch bei "hurtig" muss also soviel Zeit sein, dass man überprüft, ob der Karabiner auch geschlossen ist. Zweiter Versuch, Karabiner geschlossen, losgepaddelt, Zug kommt auf und - zack, kein Zug mehr zu spüren. Abermals ratlos fische ich meine frei im Wasser schwimmende Schleppleine aufs Boot. Die Erklärung für das abermalige Fehlen finde ich erst später an Land: Ich hatte die Leine an einer der beiden an die Tasche genähten Gurtschlaufen befestigt. Der Stoff konnte natürlich dem gewaltigen Zug, den zwei angehängte Kajaks verursachen, nicht standhalten. Das hätte man vorher wissen können - wenn man sich gewissenhaft Gedanken gemacht hätte. Nun weiß ich es für alle Zeit. Zum Glück habe ich die kurze Schleppleine vorne auf dem Boot, so dass ich das eingeholte Ende der langen in deren einen Karabiner einhaken kann.

Das Schleppen ging ganz passabel. Zwischendurch hat auch Sabine noch eine recht kurze Schleppleine direkt an einem der beiden passiven Boote befestigt. Das war aber nicht hilfreich, weil ich weder sehen konnte, was vor sich geht, noch konnten wir uns koordinieren. Sie selbst hat es mehrfach der Gefahr des Kenterns ausgesetzt, weil der Zugunkt bei ihr  recht hoch lag und sich das Seil immer sehr ruckartig straffte. Dieses Rucken war auch bei Betzi und mir ein großes Problem. Wir sind schon ausgesprochen vorsichtig gefahren, um keine große Geschwindigkeitsdifferenz aufzubauen, und trotzdem riss es uns fast aus unseren Cockpits, als sich einmal beide Schleppseile gleichzeitig strafften. Wir hatten beide eine Ruckdämpfung in unserem Schleppgeschirr, waren aber erstaunt, wie wenig die bewirkt. Auch bei Betzi lag übrigens der Zugpunkt recht hoch. Wenn der Zug dann auch noch seitlich kam, war nur eine solide Stütze ihre Rettung.

Die Kenterung fand bei auflaufender Tide etwa fünfhundert Meter vom Jappsand entfernt bei einer Wellenhöhe von 60 bis 70 Zentimetern statt. Das Wasser war etwa neunzehn Grad warm. Selbst bei deutlich weniger Kompetenz kann man so eine Situation kaum als bedrohlich bezeichnen. Bei einer Wiederholung unter ähnlich günstigen Bedingungen würde ich versuchen, mich selbst komplett aus der Rolle des Agierenden heraus zu halten und stattdessen die Tourteilnehmer stärker in die Pflicht zu nehmen. Das erfordert eine wache Rezeption und Reflexion. Schon Sven die Regie beim Wiedereinstieg zu überlassen, kostete mich einige Zurückhaltung. Zwar waren zunächst alle Unbeteiligten genug damit beschäftigt, selbst aufrecht zu bleiben, trotzdem glaube ich, dass es insgesamt besser gewesen wäre, wenn ich mich darauf beschränkt hätte, die Sache zu koordinieren und zu überwachen. Es hätte viel stärker der Intention der Tour gedient, den Teilnehmern Wissen und Praktiken zu vermitteln als ihnen einfach nur ein schönes Erleben zu präsentieren.

Dieselbe Welle übrigens, die Britta aus dem Boot befördert hat, schob Klaus-Peter auf das in diesem Moment quer zu ihm fahrende Boot von Michael. Klaus-Peter fiel in Richtung auf Michaels Heck und konnte wegen der Enge nicht gescheit stützen. Ich hatte ihn schon im Wasser schwimmen gesehen, doch er griff geistesgegenwärtig das Heck von Michaels Boot und richtete sich dann wieder auf. Mit einer weiteren Person im Wasser wäre die Situation schon spannender gewesen, denn dann hätten sich zwangsläufig weitere Teilnehmer an der Rettung beteiligen müssen. Wäre dann auch noch Michael durch Klaus-Peter umgerissen worden, wäre ich bestimmt angefangen, nervös zu werden...


Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen