Samstag, 5. Oktober 2013

Südsee bei Gegenwind: Samstag (2/4)

Alle wissen: mein Boot ist immer das schwerste der Truppe. Was aber nicht alle wissen, ist, dass ich immer Unmengen von Dingen für den Fall der Fälle mitführe. Häufig bin ich sowieso als Fähnleinführer unterwegs und da wird wie selbstverständlich vorausgesetzt, dass ich Seenotmittel mitführe, ein Ersatzpaddel, Navigationsmittel, eine Schleppleine, aber auch ein Tarp für die Gemeinschaft, Ducktape fürs Boot, Pflaster für die Paddler, Ersatzbatterien, ein Radio für den Wetterbericht, einen Poncho als Schutz gegen Wind und Regen in Pausen an ausgesetzten Orten, von GPS-Gerät, Fotoapparat oder Filmkamera ganz zu schweigen.

Zwar versuche ich vor jeder Tour zu hinterfragen, ob ich die Ahle, die Handsäge, oder das Fernglas wirklich mitnehmen muss, nachdem ich die meisten Dinge immer treu quer durch die halbe Welt paddele,  aber sie nur sehr selten auch wirklich brauche. Auf dieser Tour aber hatte meine mehr als komplette Ausrüstung ihren großen Auftritt! Es fing schon im Hafen von Mommark an, als Olav feststellen musste, dass er sein Klopapier vergessen hatte. Kein Problem - ich habe immer drei (angefangene) Rollen dabei! Und sein Spiritus ist leider auch zu Hause geblieben. Kein Problem - ich komme immer mit gut der Hälfte meines Vorrats wieder zurück. Dadurch, dass ich auf der Überfahrt am ersten Tag die Kamera die gesamte Zeit über angeschaltet gelassen hatte, war sie natürlich am nächsten Morgen noch erschöpfter als wir. Kein Problem - ich führe ja immer meinen Power-Monkey mit, eine Art Über-Akku mit sage und schreibe 9000 Milliamperestunden Kapazität. Der kommt auch heute zum Einsatz, weil ich gestern abend meinen GPS-Tracker nicht ausgeschaltet habe und er fröhlich die ganze Nacht hindurch mitgeloggt hat, dass wir uns nicht bewegt haben! Und am ersten Abend habe ich die Gummidichtung des Brenners von meinem Trangia-Kocher gegrillt. Olav hatte sich schon gewundert, was es bei mir zum Abendbrot gibt, was so stinken kann. Kein Problem - ich fahre seit Jahren auch eine Ersatzdichtung spazieren. Irgendwann muss ich auch meine Stirnlampe eingeschaltet in meinen Bauchgurt getan haben, oder sie ist durch das Quetschen und Drücken beim Packen eingeschaltet worden. Jedenfalls hat sie viele Stunden das Innere meines Bauchgurtes beleuchtet - leider ohne, dass es jemand würdigen konnte. Als ich sie gestern Abend eingeschaltet habe, hielt ich extra meine Hand vor ihren Lichtaustritt, damit Trenk nicht blind wird, weil sie normalerweise krass grell leuchtet. Aber Trenk konnte nur mit Mühe erkennen, dass sie überhaupt eingeschaltet ist. Kein Problem - ich habe ja immer jede Menge Ersatzbatterien in allen Größen dabei! Und natürlich vergesse auch ich ab und zu den einen oder anderen Ausrüstungsgegenstand zu Hause. Kein Problem - dafür habe ich immer ein paar Kumpels dabei, die ich dann anschnorren kann!

Kein Wunder also, dass mein Boot immer das schwerste aus der Truppe ist! Und schließlich habe ich ja gestern bei Skjoldnäs auch noch den gelben Golfball gefunden...

Morgens war es noch recht klar, es hat sich dann aber rasch zugezogen, Es ist diesig und die Sicht nicht besonders gut, knapp fünf Kilometern vielleicht. Nach dem Frühstück stimmen wir uns per Handy mit Olav ab, dass wir tatsächlich Lyö als Treffpunkt wählen. Olav hat Zeit gehabt, die reichhaltige Funktionsvielfalt seines neuen Handys zu studieren und hat einen Wetterbericht eingeholt. Wind morgens drei bis vier, ab Mittag dann weniger. Die Richtung war entweder nicht dabei oder er hat sie vergessen. Von Sichtigkeit war auch keine Rede. "So gegen Mittag, wenn der Wind weniger wird, fahre ich los. Noch sehe ich Lyö nicht, aber die Sicht wird ja bald besser." Ich will ihn nicht beunruhigen und sage lieber nichts dazu, aber die Annahme, dass die Sicht besser wird, scheint mir rein hypothetischer Natur. Lyö liegt ungefähr acht Kilometer von seinem Standort entfernt aber wirklich verfehlen kann man es eigentlich nicht.

Wir wollen zwischen Drejö und Avernakö hindurch fahren und uns dann an der Nordseite von Avernakö nach Lyö hangeln. Die Spitze der Halbinsel Urehoved sehen wir zwar verschommen aber deutlich. Doch als wir sie passiert haben, verschlechtert sich die Sicht dramatisch. Ich liebe es, wenn rundherum nur Nichts ist und man sich auf seinen Kompass und seine Navigationskunst verlassen muss. Mittlerweile habe ich genug Erfahrung mit derartigen Situationen, dass ich vollkommen entspannt bin. Zudem haben wir hier keinen nennenswerten Strom und der Wind weht lediglich schwach bis mäßig aus westlicher Richtung. Es dauert unerwartet lange, bis wir einen Hauch von Drejö durch den Nebel erkennen können. Das liegt nicht daran, dass wir so langsam fahren, sondern daran, dass die Sicht mittlerweile auf ca. 500 Meter zusammengeschrumpft ist. Auch die lächerlichen drei Kilometer von hier bis Avernakö, ziehen sich ungewöhnlich lange hin, zumal ich sie in der Erinnerung als maximal 300 Meter abgespeichert habe. Es ist trotz aller Erfahrung immer wieder überraschend und ernüchternd, wie aufgeschmissen wir ohne unseren Gesichtssinn sind.

Nach der Pause am nördlichen Südostende von Avernakö geht es endlich wieder gegen den Wind! Es ist zwar nur eine gute drei, aber sie erzeugt in den hier recht flachen Wassern fiese Bremsewellen. Es macht Plitsch-Platsch-Plump - und das Boot steht! Dann kann man alle ehemals enthaltene Geschwindigkeit mühselig wieder hineinfüttern. Ein wenig freudvolles Spielchen!

Trenk ist etwas skeptisch, dass ich zum Übernachten auf die Westseite von Lyö fahren will. Als wir die Ostseite erreichen, bietet sie uns schließlich neben Sandstrand verglichen mit unserer letzten Heimstätte geradezu verlockende Verhältnisse, um unsere Zelte darauf aufzustellen. Und natürlich sind wir hier in Lee der Insel, würden also unbedingt windgeschützt stehen, etwas was man von der anderen Seite nicht ohne weiteres erwarten kann. Und ist nicht die letzte Gelegenheit, bei der er sich von mir "mal eben auf die ander Seite" hat locken lassen, im Chaos geendet? Ich bleibe fest und behaupte: "Auf der anderen Seite ist ein prima Übernachtungsplatz!" Immerhin habe ich das Argument auf meiner Seite, dass es morgen nicht so weit ist, wenn wir jetzt noch etwas paddeln. Natürlich weht es auf der andern Seite wieder und ich hoffe inständig, dass mich meine Erinnerung nicht noch einmal so arg täuscht, wie bei der Entfernung von Drejö nach Avernakö. Doch was wir vorfinden, übertrifft unsere Erwartungen: Direkt am Strand ein aus steingefüllten grünen Plastikkisten angelegter, provisorischer Hafen, etwas zurückgesetzt eine Rasenfläche hinter einer überwucherten Mauer, die allen Wind abhält - und eine prima Wäscheleine! Leider etwas kurz für drei Paddler, die nach einer Tour immer so viel nasse Wäsche wie eine zwölfköpfige Familie trocknen müssen!

Es ist halb vier - aber wo ist Olav? Wenn er Mittags losfahren wollte, muss er schon einen erheblichen Umweg genommen haben, wenn er jetzt noch nicht hier ist. Wir suchen die Wasserfläche in Richtung Ärö ab, aber da ist nichts zu erkennen, obwohl die Sicht mittlerweile wieder vollkommen klar ist. Vielleicht hat er dem Nebel oder der Alleinfahrt nicht getraut und ist nach Söby gepaddelt und von dort mit der Fähre nach Fynshavn gefahren? Wie auch immer, er wird uns eine Nachricht aufs Handy geschickt haben. Da ist auch was von "Neue Nachrichten" auf meinem Display zu erkennen, aber mit meinen altersichtigen Maulwurfsaugen muss ich Trenk bitten, es vorzulesen. "4 neue Nachrichten" - alle von Olav. Okay - wir hätten in der Pause vielleicht mal auf das Handy sehen sollen. In der Summe besagen die Nachrichten, dass er Lyö nicht sehen kann und deswegen solange Kaffee trinkt, bis es auftaucht. Die letzte Nachricht ging um halb drei raus und verkündet seinen Start - es ist also alles im Lot.

Es dauert keine viertel Stunde, da kommt ein einsamer Kajakfahrer angepaddelt - Olav! Es ist uns absolut schleierhaft, dass wir ihn nicht vorher auf der freien Wasserfläche entdeckt haben. Aber es zeigt, wie schlecht man als Kajakfahrer selbst bei guter Sicht erkannt wird.

Nach dem trüben Tag entwickelt sich der Abend sehr lieblich. Die Sonne geht, wie sie das immer tut, hinter Alsen unter und es entwickelt sich wieder ein fantastischer Sternenhimmel. Im Süden wächst der Leitstrahl von Skjoldnäs in aller Ruhe um seinen Leuchtturm herum.

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