Mittwoch, 28. Mai 2014

Feuertaufe

Seit Jahren wünsche ich mir, dass wir an einem Mittwoch einmal Winde haben, kräftig genug, brechende Wellen zu erzeugen und aus einer Richtung, die dies auch ermöglicht. Dienstag mittag schickte Arne eine Mail rum, in der er auf die günstigen Bedingungen hinwies und nach weiteren Interessenten fragte. Das Echo blieb verhalten.

Am Mittwoch war ich lange unentschieden, wie ich mich denn am Abend verhalten würde. Die Windgeschwindigkeit lag konstant bei zwölf bis vierzehn Metern pro Sekunde in der Innenförde und zwischen sechzehn und achtzehn Metern  am Leuchtturm. Das entspricht Windstärke sechs bis sieben bzw. sieben bis acht. Die ins Auge gefassten Startpunkte hatten alle ihre Tücken, insbesondere wenn man sie auf die Eignung für eine allererste Begegnung mit solchen Verhältnissen hin bewertete.

In der Bootshalle angekommen, war außer Nina, die sich als einzige auf Arnes Mail hin gemeldet hatte, nur noch Michael aufgelaufen. Auch er hat bisher absout keine Erfahrung mit Brandung und brechenden Wellen. Mein Magen sagte mir, dass es keine gute Idee sei, Anfänger buchstäblich ins kalte Wasser zu schmeißen bei Bedingungen, die sie mit ziemlicher Sicherheit überfordern würden. Ich machte ihnen das so gut es ging verständlich und schlug vor, dass wir uns der Vernunft gehorchend in die Schwentine zurückziehen würden.

Während der Fahrt über die Förde war ich sichtlich unzufrieden. Zum einen waren meine beiden Mitpaddler mit den hier herrschenden Verhältnissen in keiner Weise überfordert, zum anderen tat es mir Leid, eine so günstige und sich so selten ergebende Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen. Es müsste einen Strand an der Kieler Förde geben, an dem die Wellen auflaufen! Dort könnte man wenigstens ein bisschen üben. In Gedanken fuhr ich die gesamte Uferlinie der Förde ab - und blieb in Falkenstein hängen! Warum bin ich nicht früher darauf gekommen? Falkenstein liegt noch etwas in der Abdeckung, so dass die Wellen nicht allzu garstig sein können und außerdem gibt es dort eine vorgelagerte Sandbank, die die Energie der einlaufenden Wellen stufenweise runterregelt!

An der anderen Fördeseite angekommen, unterbreite ich den beiden meine Gedanken - sofort fangen ihre Augen wieder an zu leuchten. Wir kehren um, laden die Boote auf das Auto und fahren nach Falkenstein.

Außer uns steht nur ein einziges, einsames Fahrzeug auf dem Parkplatz. Es gehört einem Liebespaar, dass in sich versunken, knutschend im Wind steht und keine Notiz von den drei merkwürdig gekleideten Gestalten nimmt, die da dauernd an ihnen vorbei ächzend und stöhnend Boote und Ausrüstung zum Wassersaum schleppen. Wir postieren alle drei Boote schön senkrecht zu den auflaufenden Wellen, ich setze mich in mein Cockpit, schließe die Spritzdecke und lege ab. Ein Blick zurück offenbart mir mal wieder eine krasse Fehleinschätzung der Lage. Beiden ist das Boot während der Vorbereitungen quer geschlagen, so dass an ein Ablegen nicht zu denken ist. Ich sehe noch ein wenig zu in der Hoffnung, dass sie es vielleicht doch noch schaffen, lenke dann aber zurück, steige aus und schiebe beide ins Wasser. Michael hatte es immerhin einmal alleine geschafft, rückwärts vom Strand los zu kommen, war dann aber keine fünf Meter weiter beim Wenden sofort gekentert, so dass er auch wieder zurück musste.

Nina fährt sofort in gerader Linie durch alle Wellen und ich fürchte schon, dass sie sich nicht traut zu wenden und ich sie schließlich irgendwo vom anderen Ufer abholen muss. Aber wenig später rauscht sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht an mir vorbei Richtung Ufer! Beide haben einen Heidenspaß, das Surfen zu probieren und stellen sich dabei ausgesprochen geschickt an. Die Wellen sind deutlich unter einem halben Meter und brechen nur an einigen Stellen und auch dort nur mit sehr behutsamem Druck. Es sind einfach ideale Verhältnisse, um erste Erfahrungen mit wirklich brechenden und rauschenden Wellen zu sammeln. Ich bin ganz aus dem Häuschen, dass ich diesen Strand bislang nie für solche Übungen in Betracht gezogen habe.

Nachdem die Beiden eine Weile hin und her gepaddelt sind und diese Übung ihnen keine Schwierigkeiten mehr bereitet,  fordere ich sie auf, die weiß schäumenden Wellen seitlich zu nehmen und bewusst das beherzte Stützen zu üben. Michael geht gleich beim ersten Ansatz dazu baden. Das Wasser ist nur hüfttief, was das Ausleeren des Bootes erleichtert, aber der Wiedereinstieg ist nicht viel anders als wenn man schwimmen würde. Auch das eine gute Gelegenheit, so etwas einmal unter realistischen Bedingungen zu üben. Wieder im Boot sitzend, zieht Michael seine Paddelleine hoch - und muss feststellen, dass sich an ihrem Ende leider kein Paddel mehr befindet. Es schwimmt in guten zehn Metern Entfernung im Schaum. Ich könnte ohne Probleme hinfahren und es holen - aber dann läge Michael wieder drin, denn ohne Paddel zur Stabilisierung bleibt man hier nicht lange aufrecht. Also lasse ich ihn sich hinten an meinem Boot festhalten und manövriere uns zusammen zu seinem Paddel.

Bei diesem ersten Wiedereinstiegsversuch stand ich mit meinem Boot Bug im Wind wartend dabei, bis Michael seines gelenzt hatte. Dann bat ich ihn, sein Boot zu wenden, damit es Bug an Heck zu liegen kam. Dadurch zeigte es am Ende der Übung mit dem Bug in den Wind und somit in Richtung Strand, so dass er war gezwungen, eine Wende zu machen. Das führte leider unmittelbar zur nächsten Kenterung, so dass ich bei allen weiteren Wiedereinstiegen immer mein Boot wendete, was zwar mühseliger, unterm Strich aber zielführender war.

Wir nutzten auch noch die etwas frischeren Wellen auf der nördlichen Seite des Falkensteiner Dampferanlegers, aber nach einer Stunde auf dem Wasser blies ich zum Rückzug. Die Abstände zwischen den Kenterungen wurden nun kürzer und beide zeigten deutliche Ermüdungserscheinungen. Der mühseligste Teil war dann aber doch das Zurückschleppen der Boote über diesen unkultiviert breiten Strand zum Auto. Aber unser Grinsen im Gesicht hielt an und hatte sich tief in unser Inneres eingebacken!

Sonntag, 18. Mai 2014

Leuchtturm im Nebel

Meine Testtour zum roten Leuchtturm stand noch immer aus und heute sollte optimales Wetter dafür herrschen: Trocken, sonnig und kaum Wind aus nördlicher Richtung. Diese Chance wollte ich mir nicht entgehen lassen.

Als ich gegen halb zehn Uhr morgens mein Boot ans Wasser rollere, ist die Sicht leicht diesig - wie so häufig früh morgens, wenn ein sonniger Tag bevorsteht. Ich habe alle unbedeckten Hautpartien dick mit Sonnenschutz gesättigt, damit Marie-Theres keinen Grund zum Tadel hat. Die MSC Orchestra läuft in die Förde ein und tut mir den Gefallen, genau vor unserem Steg ihr Wendemanöver zu vollführen. Eine einmalige Gelegenheit, einem so großen Schiff genau Aug in Aug gegenüber zu stehen und es dabei zu fotographieren. Der Kapitän war wohl etwas ittitiert, dass ich so dicht vor seinem Bug auftauchte, und ich muss mir daraufhin eine Ermahnung der Wasserschutzpolizei anhören. Ich hätte im Leben nicht damit geerechnet, dass der Kreuzfahrer überhaupt Notiz von mir nimmt.

Ich bin recht warm angezogen mit Flies und Paddeljacke, denn momentan ist es noch recht frisch. Aber ich bin überzeugt, dass ich im Laufe der Tour das eine oder andere Kleidungsstück werde ablegen müssen. Die Sicht auf der Förde ist ziemlich zweigeteilt, die linke Seite liegt in strahlendem Sonnenschein und unter blauem Himmel, die rechte dagegen eingehüllt in dichten Dunst. Aber die Sonne ist bereits dabei, die Schwaden aufzulösen. Als ich Mönkeberg passiere, ist kaum noch Nebel zu sehen. Dafür herrscht eine emsige Betriebsamkeit auf dem Wasser: Aus den Kanalschleusen quellen unentwegt und in dichter Folge dicke Frachter. Das muss noch lichter werden, wenn ich eine Chance haben will, die Fahrwasserseite zu wechseln. Ich wundere mich etwas, dass ich den Friedrichsorter Leuchtturm noch nicht sehen kann, aber bis dahin ist es ja noch ein Weilchen. Als ich aber sehe, dass etwas auf Höhe von Möltenort die Frachter einer nach dem anderen von jetzt auf gleich vom Nebel verschluckt werden, dämmert mir, dass ich unmöglich dort an der eigentlich günstigsten weil engsten Stelle das Fahrwasser wechseln kann. Ich entschließe mich also, bereits kurz hinter der Tonne 14 die Seite zu wechseln, solange ich mich noch einigermaßen im sichtigen Bereich aufhalte.

Bald wird der Nebel dicker und ich muss mein GPS vom Vordeck auf die Spritzdecke holen, damit
ich sehen kann, wo die Tonnen des Sperrgebietes vor MAK liegen. Allerdings herrscht um mich herum ein derartiges Gehupe aller möglichen Pötte und der Fördedampfer fährt auch genau hier entlang, so dass ich am Ende doch diagonal durch das Sperrgebiet fahre. Hinter dem Leuchtturm nutze ich die weißen Bälle, die das Badegebiet von Falkenstein nach außen begrenzen, als Leitlinie. Ich muss ja noch am Anleger vorbei, und hier herrscht mittlerweile eine so dichte Suppe, dass die Dampfer es auch bei einem Vollbremsversuch schwerlich schaffen würden, mir auszuweichen. Und genau als ich am Steg ankomme, verlässt auch ein Fördedampfer den Anleger, um einem weiteren, der anlegen will, Platz zu machen. Ich fahre einfach unter dem Steg hindurch und gehe so allen Kollisionsangeboten aus dem Weg.

Ich kann auf keinen Fall in gerader Linie über die Strander Bucht fahren, denn auch hier fahren die Linienschiffe heraus und hinein. Also hangele ich mich weiter an den Bällen entlang, und als die aufhören nutze ich das Ufer selbst als Geländer. Meine Entfernung zum Strand beträgt weniger als fünfzig Meter, aber ich kann die Spaziergängerin dort kaum erkennen. Da ich schon deutlich über eine Stunde unterwegs bin, lege ich meine erste Pause sein, in der ich die dicke Stulle verdrücke, die ich mir unter die Schwimmweste gesteckt habe.

Mittlerweile hege ich arge Zweifel, ob mein Unternehmen, zum Leuchtturm zu fahren, heute überhaupt durchzuführen ist. Als ich nach der Pause nur wenige Meter gepaddeln bin, reißt die Sicht urplötzlich auf, so dass man Schilksee und Strande ohne Probleme sehen kann. Na also - es geht doch! Mit dem Aufreißen der Sicht setzt auch ein deutlicher Wind ein. Er kommt genau aus Norden und nach meiner Überzeugung hat der Nebel damit noch weniger Chancen, sich zu halten. Leider klemmt aber über der Bülker Landspitze penetrant eine Nebelbank, die weder durch Sonne noch durch Wind beeindruckt von ihrer Existenz lässt.

Aber die Aussichten sind gut und wenn der rote Leuchtturm auch noch nicht zu sehen ist, die Sicht beträgt meiner Einschätzung nach mehr als ein Kilometer, unterhalb dessen man überhaupt erst von Nebel spricht. Zum einen kenne ich den Kurs und zum anderen bin ich mit GPS-Gerät bewaffnet, in das ich die erste Kabeltonne als nächsten Wegpunkt einprogrammiere. Der Kurs ist 30 Grad und leicht zu halten, und als ich die Tonne erstmals sehe, sagt mir mein elektronischer Helfer, dass sie noch neunhundert Meter entfernt ist. Okay, mit gutem Willen ist das ein Kilometer Sicht und damit kein Nebel: Auf zu nächsten Kabeltonne! Der Kurs ist jetzt leicht östlicher und nicht mehr ganz so einfach auf dem Kompass abzulesen. Eigentlich empfinde ich die Sicht als ganz passabel, aber bei neunhundert Metern Entfernung ist immer noch keine Tonne zu sehen und bei sechs hundert Metern auch nicht. Bei dreihundert Metern ist nullkommanichts zu sehen und bei zweihundert Metern dasselbe milchig-weiße Nichts. Ich komme langsam ins Grübeln, als bei 180 Metern vor mir schüchtern eine gelbliche Tonne schemenhaft durch den dichten Nebel lugt. Meine Entscheidung steht fest: hier werde ich umdrehen!

Zwar wäre es absolut kein Problem, den Leuchtturm zu finden, aber wenn die Losten mich entdecken, würden sie die Wasserschutzpolizei rufen und ich hätte jede Menge Stress. Das muss nicht sein. Während der Rücktour wechselt die Sicht immer wieder zwischen schlecht und nicht vorhanden hin und her, so dass ich manchmal Schiffe sehe, die mehrere hundert Meter entfernt vorbei fahren, nur um sich dann gleich wieder im milchigen Weiß aufzulösen. Irgendwo im Off tuckert der Rettungskreuzer der DGzRS an mir vorbei. Bei Bülk angekommen muss ich erkennen, dass die Sache mit dem Auflösten des Nebels nicht eingetreten ist: Der Leuchtturm ist erst aus weniger als zweihundert Metern zu erkennen. Witzigerweise ist aber die Strander Bucht wie schon auf der Herfahrt so gut wie nebelfrei. Nur das andere Ufer ist nicht zu sehen. In Laboe ragt nur die Spitze des Marineehrenmals aus dem dichten Nebel.

Der Nordwind weht beständig uns schiebt mich geduldig nach Hause. Ich paddele nachhaltig, ohne besonders auf die Geschwindigkeit zu achten, aber mit ständigem Druck. Durch meine vorzeitige Wende habe ich nur 41 Kilometer auf der Uhr, als ich am heimischen Steg anschlage.Aber mein Vorhaben bestand nicht eigentlich darin, zum roten Leuchtturm zu fahren, sondern eine lange Zeit im Boot zu sitzen und eine weite Strecke in nachhaltiger Weise zu paddeln. Wenn ich mir die Trackaufzeichnung des GPS ansehe, ist mir das voll gelungen: Ich war knappe fünf einhalb Stunden unterwegs, habe nur eine richtige, nicht einmal zehnminütige Pause gebraucht, und mein Tempo hat über die gesamte Zeit nicht nachgelassen. Dass es auf der Rücktour sogar über dem der Hintour lag, schreibe ich dem leichten Nordwind zu. Ach ja: ich habe kein einziges Kleidungsstück abgelegt! Die meiste Zeit habe ich mich halt doch im Nebel aufgehalten und auch in der Sonne war es dann doch noch nicht so warm wie erwartet. Besonders bemerkenswert ist noch der Umstand, dass ich nach der Tour nicht malad darnieder lag, sondern durchaus noch für das folgende familiäre Grillen, Brotbacken und Chillen zu gebrauchen war.