Seit Jahren wünsche ich mir, dass wir an einem Mittwoch einmal Winde haben, kräftig genug, brechende Wellen zu erzeugen und aus einer Richtung, die dies auch ermöglicht. Dienstag mittag schickte Arne eine Mail rum, in der er auf die günstigen Bedingungen hinwies und nach weiteren Interessenten fragte. Das Echo blieb verhalten.
Am Mittwoch war ich lange unentschieden, wie ich mich denn am Abend verhalten würde. Die Windgeschwindigkeit lag konstant bei zwölf bis vierzehn Metern pro Sekunde in der Innenförde und zwischen sechzehn und achtzehn Metern am Leuchtturm. Das entspricht Windstärke sechs bis sieben bzw. sieben bis acht. Die ins Auge gefassten Startpunkte hatten alle ihre Tücken, insbesondere wenn man sie auf die Eignung für eine allererste Begegnung mit solchen Verhältnissen hin bewertete.
In der Bootshalle angekommen, war außer Nina, die sich als einzige auf Arnes Mail hin gemeldet hatte, nur noch Michael aufgelaufen. Auch er hat bisher absout keine Erfahrung mit Brandung und brechenden Wellen. Mein Magen sagte mir, dass es keine gute Idee sei, Anfänger buchstäblich ins kalte Wasser zu schmeißen bei Bedingungen, die sie mit ziemlicher Sicherheit überfordern würden. Ich machte ihnen das so gut es ging verständlich und schlug vor, dass wir uns der Vernunft gehorchend in die Schwentine zurückziehen würden.
Während der Fahrt über die Förde war ich sichtlich unzufrieden. Zum einen waren meine beiden Mitpaddler mit den hier herrschenden Verhältnissen in keiner Weise überfordert, zum anderen tat es mir Leid, eine so günstige und sich so selten ergebende Gelegenheit ungenutzt verstreichen zu lassen. Es müsste einen Strand an der Kieler Förde geben, an dem die Wellen auflaufen! Dort könnte man wenigstens ein bisschen üben. In Gedanken fuhr ich die gesamte Uferlinie der Förde ab - und blieb in Falkenstein hängen! Warum bin ich nicht früher darauf gekommen? Falkenstein liegt noch etwas in der Abdeckung, so dass die Wellen nicht allzu garstig sein können und außerdem gibt es dort eine vorgelagerte Sandbank, die die Energie der einlaufenden Wellen stufenweise runterregelt!
An der anderen Fördeseite angekommen, unterbreite ich den beiden meine Gedanken - sofort fangen ihre Augen wieder an zu leuchten. Wir kehren um, laden die Boote auf das Auto und fahren nach Falkenstein.
Außer uns steht nur ein einziges, einsames Fahrzeug auf dem Parkplatz. Es gehört einem Liebespaar, dass in sich versunken, knutschend im Wind steht und keine Notiz von den drei merkwürdig gekleideten Gestalten nimmt, die da dauernd an ihnen vorbei ächzend und stöhnend Boote und Ausrüstung zum Wassersaum schleppen. Wir postieren alle drei Boote schön senkrecht zu den auflaufenden Wellen, ich setze mich in mein Cockpit, schließe die Spritzdecke und lege ab. Ein Blick zurück offenbart mir mal wieder eine krasse Fehleinschätzung der Lage. Beiden ist das Boot während der Vorbereitungen quer geschlagen, so dass an ein Ablegen nicht zu denken ist. Ich sehe noch ein wenig zu in der Hoffnung, dass sie es vielleicht doch noch schaffen, lenke dann aber zurück, steige aus und schiebe beide ins Wasser. Michael hatte es immerhin einmal alleine geschafft, rückwärts vom Strand los zu kommen, war dann aber keine fünf Meter weiter beim Wenden sofort gekentert, so dass er auch wieder zurück musste.
Nina fährt sofort in gerader Linie durch alle Wellen und ich fürchte schon, dass sie sich nicht traut zu wenden und ich sie schließlich irgendwo vom anderen Ufer abholen muss. Aber wenig später rauscht sie mit einem breiten Grinsen im Gesicht an mir vorbei Richtung Ufer! Beide haben einen Heidenspaß, das Surfen zu probieren und stellen sich dabei ausgesprochen geschickt an. Die Wellen sind deutlich unter einem halben Meter und brechen nur an einigen Stellen und auch dort nur mit sehr behutsamem Druck. Es sind einfach ideale Verhältnisse, um erste Erfahrungen mit wirklich brechenden und rauschenden Wellen zu sammeln. Ich bin ganz aus dem Häuschen, dass ich diesen Strand bislang nie für solche Übungen in Betracht gezogen habe.
Nachdem die Beiden eine Weile hin und her gepaddelt sind und diese Übung ihnen keine Schwierigkeiten mehr bereitet, fordere ich sie auf, die weiß schäumenden Wellen seitlich zu nehmen und bewusst das beherzte Stützen zu üben. Michael geht gleich beim ersten Ansatz dazu baden. Das Wasser ist nur hüfttief, was das Ausleeren des Bootes erleichtert, aber der Wiedereinstieg ist nicht viel anders als wenn man schwimmen würde. Auch das eine gute Gelegenheit, so etwas einmal unter realistischen Bedingungen zu üben. Wieder im Boot sitzend, zieht Michael seine Paddelleine hoch - und muss feststellen, dass sich an ihrem Ende leider kein Paddel mehr befindet. Es schwimmt in guten zehn Metern Entfernung im Schaum. Ich könnte ohne Probleme hinfahren und es holen - aber dann läge Michael wieder drin, denn ohne Paddel zur Stabilisierung bleibt man hier nicht lange aufrecht. Also lasse ich ihn sich hinten an meinem Boot festhalten und manövriere uns zusammen zu seinem Paddel.
Bei diesem ersten Wiedereinstiegsversuch stand ich mit meinem Boot Bug im Wind wartend dabei, bis Michael seines gelenzt hatte. Dann bat ich ihn, sein Boot zu wenden, damit es Bug an Heck zu liegen kam. Dadurch zeigte es am Ende der Übung mit dem Bug in den Wind und somit in Richtung Strand, so dass er war gezwungen, eine Wende zu machen. Das führte leider unmittelbar zur nächsten Kenterung, so dass ich bei allen weiteren Wiedereinstiegen immer mein Boot wendete, was zwar mühseliger, unterm Strich aber zielführender war.
Wir nutzten auch noch die etwas frischeren Wellen auf der nördlichen Seite des Falkensteiner Dampferanlegers, aber nach einer Stunde auf dem Wasser blies ich zum Rückzug. Die Abstände zwischen den Kenterungen wurden nun kürzer und beide zeigten deutliche Ermüdungserscheinungen. Der mühseligste Teil war dann aber doch das Zurückschleppen der Boote über diesen unkultiviert breiten Strand zum Auto. Aber unser Grinsen im Gesicht hielt an und hatte sich tief in unser Inneres eingebacken!
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