Sonntag, 28. Mai 2023

Entspannen zu Pfingsten

Bei meiner letzten Tour habe ich bedauert, nicht mehr Zeit gehabt zu haben, auf dem Flach am Nordende von Ärö die vielen dort lebenden Vögel zu beobachten. Das muss nachgeholt werden! Das Pfingstwochenende bietet eine geeignete Plattform dafür.

Um ja keinen Stress aufkommen zu lassen, will ich erst Samstag losfahren und bereits am Sonntag wieder zurückkommen. So entgehe ich elegant allen verkehrstechnischen Ballungen der Massen. Außerdem kann ich dann Marie-Theres am Samstag Morgen noch zu Bahnhof bringen, denn sie ist zu einem Mädelswochenende unterwegs. So kann ich quasi en passant mein Boot am Klub aufladen und mich der Entspannung hingeben.

Das erste Problem, dem ich mich stellen muss, ist die Tatsache, dass ich zwar alles Gepäck dabei - aber den Dachgepäckträger vergessen habe😐. So ist ein erster kleiner Umweg über den heimischen Carport fällig, um dieses kleine Missgeschick zu heilen. Als Ausgleich treffe ich am Klub dann jede Menge Vereinskameraden, die das Wochenende ebenfalls zum Paddeln nutzen wollen. Jens und Johanna wollen sogar wie ich von Alsen nach Ärö fahren. Ich gebe ihnen noch einen Tipp, wo sie günstig ihr Auto abstellen können. Das hat den weiteren Vorteil, dass wir uns dann dort treffen und sie mir beim Abladen des Bootes helfen können.

Das zweite Problem besteht darin, dass ich durch die Verzögerung exakt den Moment getroffen habe, zu dem die Stena Line hunderte von klitzekleinen LKW aus ihrem riesengroßen Bauch entlässt, damit sie die Kieler Innenstadt bis zur Autobahn verstopfen. Die Entspannung will noch nicht richtig einsetzen. Aber immerhin kenne ich mich hier aus, so dass ich nicht darauf angewiesen bin, mich ganz hinten in die Schlange einzureihen, sondern sie weitgehend umfahren kann.

Das dritte Problem hängt vermutlich auch mit meiner verspäteten und dann nochmals verzögerten Abfahrt zusammen: Die heutige Welle des Pfingstreiseverkehrs hat sich von Süden her bis vor die Rader Hochbrücke bei Rendsburg gearbeitet. Hätten die nicht alle gestern fahren können? So hole ich Jens und Johanna jedenfalls nicht ein.

Als ich etwa um halb zwölf an dem ausgemachten Parkplatz ankomme, ist von meinem Abladeteam jedenfalls nichts zu sehen. Entweder sind die längst durch, oder sie haben sich doch für eine andere Variante als Startpunkt entschieden. Abladen eines Seekajaks vom Autodach ist solo zum Glück gar nicht so schwer, wie ich es in Erinnerung hatte.

Wind geht eher keiner Und weit ist es zu meinem Ziel auch nicht - mein GPS ruft 11,6km für die reine Querung bis zur Nordspitze von Ärö auf. Das sollte in weniger aus zwei Stunden zu schaffen sein. Tatsächlich ist die Sache nach 1:35h erledigt. Zu meiner eigenen Überraschung bin ich im Schnitt mit 7,8 km/h unterwegs - und das mit vollbeladenem Boot! Das ist natürlich den optimalen Bedingungen geschuldet - Flaute und angenehme Temperaturen. Und vielleicht auch ein bisschen der Tatsache, dass ich weiß, dass ich heute insgesamt nur gut ein Dutzend Kilometer paddeln werde (es waren am Ende 13,4). Da muss man nicht übermäßig auf Nachhaltigkeit achten - ist ja quasi ne Sprintstrecke 😏. 

Am Geschwindigkeitsdiagramm sieht man, dass ich immer eine gute dreiviertel Stunde benötige, um auf Betriebstemperatur zu kommen. Die Steigerung der Geschwindigkeit lag jedenfalls nicht an immer günstiger werdenden Strömungs- und Windbedingungen.

Ich halte ständig Ausschau, ob Jens und Johanna vielleicht doch irgendwo noch zu erblicken sind. Sie könnten von Mommark aus gefahren sein oder von Fynshav. Aber in beide Richtungen ist bis zum Horizont nichts zu sehen.

Mit dem Flach hinter der Nordspitze von Ärö habe ich wie geplant meinen Zielpunkt für heute erreicht - der Rest des Tages ist der Erholung gewidmet. Ich wähle meinen Platz für die Nacht diesmal direkt unter dem Hang zum Golfplatz. Dort hat man potentiell die bessere Aussicht. Allerdings ziehe ich später doch wieder um - hinter den Rosenbusch, weil es dort deutlich weniger Mücken gibt. Es ist nicht wirklich warm - vielleicht 16 Grad - aber es weht kein wirklicher Wind und die Sonne scheint ungetrübt vom Himmel. Daher widme ich mich etwas der Vitamin-D-Produktion, habe aber immer ein Auge darauf, keinen Sonnenbrand zu bekommen. 

Als ich irgendwann aus dem Gras hochkomme, sehe ich Jens und Johanna in einiger Entfernung vorbeifahren - zu weit, um noch Kontakt aufnehmen zu können. Sie sind tatsächlich nach Fynshav gefahren und dort noch einigen Geschäften nachgegangen, wie Geld tauschen und - das andere habe ich vergessen.

Neben der allgemeinen Abschaltung ist mein Hauptauftrag, die Vögel hier zu beobachten. Dafür habe ich extra mein Fernglas und meine Lumix DMC FZ1000 mitgenommen. Ich mache mehrere Erkundungstouren durch das Gelände. Die meisten Vögel positionieren sich leider nicht so, dass beeindruckende Fotos möglich wären. Einige sind auch schlicht zu schnell, dass ich sie einfangen könnte - wie der Baumfalke, der immer mal wieder über mich hinweg fliegt . Es sind Mehl- und Rauchschwalben hier, was ungewöhnlich ist, denn normalerweise trifft man in einem Revier nur auf eine dieser Arten. Ein Seeadler wird penetrant von zwei Silbermöven attackiert, so dass er genervt das Weite sucht. Am Strand spazieren Austernfischer und Strandregenpfeifer herum. Aber auch Rotschenkel sind mit roten Schenkeln und "Tülüüt" am Spülsaum unterwegs. Lerchen gibt es hier viele und natürlich die allgegenwärtigen Mittelsäger, Kormorane und Eiderenten. Letztere führen gerade ihre Brut auf dem Wasser spazieren. Es gibt jede Menge "damned little brownies", die man nur mit noch viel mehr Zeit bestimmen kann. Einen konnte ich immerhin als Rohrammer einordnen. 

(Foto von Wikipedia)
Ich musste 65 Jahre alt werden, um das erste Mal einen Rothalstaucher zu Gesicht zu bekommen. Dabei sind die Dinger gar nicht mal besonders scheu - und hier sind mindestens zwei Paare von ihnen am Start! Da hätte ich eigentlich schon früher mal drauf stoßen können. Aber wie schön, wenn man in so greisem Alter noch Dinge das erste Mal erlebt!

Fischreiher staksen hier durch die Tümpel und durchs flache Wasser am Ufer. Ein keckernder Schilfrohrsänger, quäckende Rothalstaucher, quakende Frösche und ein kuckuckender Kuckuck machen aus der Stille eine entrückte Idylle.

Auf der Rücktour hat mich wieder ein Schwarm Tordalken überholt - etwa sechs bis sieben Stück. Die habe ich noch nie an Land gesehen (okay - bis auf in Wales, wo sie zu Tausenden an den Felsküsten brüten). 

Zwar habe ich auf dem Rückweg eigentlich Gegenwind, aber der hindert mich nicht nennenswert. Ich erreiche den Parkplatz am anderen Ufer früh nach dem Mittag und kann ganz entspannt die Rückreise nach Kiel antreten - ohne irgendwo in den Stau zu geraten. Ich bin so früh dran, dass ich sogar noch meinem Vater in Schleswig einen kurzen Kaffee-Besuch abstatte.

So ein kurzer Abstecher nur zur Entspannung ist mächtig entspannend! Es wird nicht das letzte Mal gewesen sein, dass ich den Vögeln hier auf den Pelz gerückt bin!

Donnerstag, 4. Mai 2023

Wohin der Wind mich weht...

"Alles okay?". "Ja - mir geht's gut!". "Brauchst du etwas?". "Ich habe alles! Aber ganz lieben Dank für die Nachfrage!". Ich hatte die Segelyacht eigentlich schon wieder vergessen, denn ihr ursprünglicher Kurs verlief so, dass er sie in einigen hundert Metern an mir vorbeigeführt hätte. Aber offensichtlich hat der Segler mich irgendwann entdeckt und seinen Kurs um fast 180 Grad geändert, um direkt auf mich zuzufahren. Wir sind noch über zehn Kilometer südlich von Ärö entfernt, und in der Richtung, aus der ich komme, sind es über 30 Kilometer zum Land. Da ist es in etwa so unerwartet, auf ein einzelnes Seekajak zu treffen wie auf ein weißes Kaninchen auf dem Potsdamer Platz. Das gehört da auch nicht hin und man könnte schon mal nachfragen. Ich bin sehr beeindruckt, dass diese Yacht hier tatsächlich ihren Kurs drastisch ändert und einen Umweg fährt, um sich nach meinem Wohlbefinden zu erkunden. 

Geraume Zeit vorher - nämlich exakt in the middle of nowhere - hat eine richtig große Segelyacht so meinen Weg gekreuzt, dass ich meine Fahrt sogar verlangsamen musste, um sie passieren zu lassen. Dort hat man sich darüber amüsiert, dass ich mich vermutlich verfahren hätte und wohl eigentlich nach Schleimünde wollte. Auf die Idee, nach meinem Befinden zu fragen, ist dort niemand gekommen. Das muss auch gar nicht sein, aber umso mehr Respekt habe ich vor einer Mannschaft, die nachfragt.

Der erste Mai fällt dieses Jahr auf einen Montag - freitags arbeite ich eh nicht, d.h. drei Tage Urlaub ergeben zehn Tage frei! Meine Frau ist auf Kur und Anfang Mai ist das Wetter ja bekanntlich schon richtig lauschig! Das schreit erbärmlich nach einer ausgedehnten Paddeltour! Der Entschluss steht fest - losfahren will ich entweder am Verein, oder, wenn die Umstände eine Querung der Kieler Bucht zulassen, am liebsten von Bülk am nördlichen Ende der Kieler Förde - wenn ich bis zur Südspitze von Ärö will, reicht es dann auch an Entfernung!

Wo es hingehen soll, will ich allein dem Wind und meinem Gemüt überlassen - ich muss ja nichts beschicken. Außerdem möchte ich die Tour nutzen, um den Umgang mit meiner Ausrüstung systematisch zu üben. Das mag sich merkwürdig anhören für jemanden, der häufig auf Tour geht. Aber ich kann weder mein GPS noch mein Funkgerät im Schlaf bedienen, und ich weiß auch nicht verlässlich, wieviel Gas oder Proviant ich pro Tag verbrauche. Bei meinen üblichen Wochenendtouren habe ich halt immer "genug" dabei. Und bei meiner Langstreckentour von Göteborg nach Oslo haben wir einfach so viel mitgenommen, wie unsere Boote fassen konnten - und den Rest unterwegs nachgekauft. Da ist die Gelegenheit günstig, einmal sieben Tage mit Ausrüstung und Proviant bestreiten zu müssen, um genau festzustellen, was man alles braucht und ob man das auch ins Boot bekommt.

Am Beginn der Tour
Wie man aus der Einleitung unschwer erkennen kann, hat sich das Wetter so entwickelt, dass ich die Querung nach Ärö wagen kann. Letztlich sind die Bedingungen aber erst am Sonntag statt am Freitag überzeugend für einen Tourstart. Ich nutze diesmal meine andere Tochter für den Transport ans Ende der Förde - wofür habe ich zwei? Für auf Tour gehende Seekajaker sind Töchter übrigens eine durchaus lohnende Anschaffung - sie sind immer gut, einen irgendwo hin zu bringen, wo abzuholen - und wenn es ganz günstig kommt, gehen sie sogar mit auf Tour!

Da diese Tour wie gesagt in vielerlei Hinsicht der Erkundung und Erprobung dienen soll, will ich den Bericht darüber einmal gänzlich anders gestalten - nicht chronologisch sondern themenbezogen aufgefädelt.

Langstrecke - offene See

Von Bülk am nördlichen Ende der Kieler Förde bis zum südlichsten Ende von Ärö sind es 44 Kilometer. Diese Entfernung ist schon rein vom Betrag her nichts, was man mal "eben so" machen sollte. Das gehört geübt. Neben der schieren Entfernung ist eine entscheidende Randbedingung, dass man die Strecke zwangsläufig "ganz" bestreiten muss: man kann weder nach der Hälfte umdrehen (theoretisch schon - aber das erscheint mir nicht sinnvoll) noch kann man unterwegs aussteigen und sich die Beine vertreten. Man muss sich in seinem Boot also so wohl fühlen, dass man die gesamte Zeit möglichst ohne Druckstellen, Krämpfe oder Schlimmeres überlebt.

Für Paddler aus dem Raum Kiel bietet sich die Strecke vom Gelände der Kanu-Vereinigung Kiel bis zum Kieler Leuchtturm und zurück als Trainingsstrecke an. Das ist ziemlich genau diegleiche Entfernung - aber sozusagen mit Geländer, weil man unterwegs jederzeit abrechen oder Pause machen kann. Alle anderen könnten auch von Eiderstedt nach Helgoland fahren 😊 (das ist genauso weit, aber man hat die Tide als Unterstützung).

Die Entfernung lässt sich exakt angeben, die Dauer nicht ganz so exakt. Ich weiß sehr genau, wie schnell ich paddeln kann. Wenn ich alleine bei Flaute im leeren Boot unterwegs bin, zische ich mit mehr als acht Ka-Em-Ha durchs Wasser. Beladenes Boot bedeutet sieben km/h, und je nach Gegenwind wird es halt immer weniger. Wir - mein Boot und ich - sind kein besonders schnelles Gespann. Beim Start des wöchentlichen Vereinspaddeln, fahren mir immer alle davon. Aber zum einen breche ich bei Gegenwind nicht so stark ein und zum anderen kann ich meine Geschwindigkeit über einen vergleichsweise langen Zeitraum sehr konstant halten.

Das erste Stück des Diagramms ist deswegen so konstant, weil
ich das Tracking zu spät aktiviert hatte. Ich kannte aber den
genauen Startzeitpunkt und habe ihn hinterher manuell ergänzt.
Sieben Stundenkilometer bedeuten sechs Stunden und zwanzig Minuten für die Überfahrt - ohne Pausen! Sechs Stundenkilometer bedeuten sieben Stunden und zwanzig Minuten. Ich habe genau sieben Stunden benötigt - inklusive Pausen. Bevor man hier Berechnungen anstellt, sollte man unbedingt ausprobieren, ob man die angenommene Leistung über den fraglichen Zeitraum überhaupt erbringen kann. Sieben Stunden muss man also mindestens kalkulieren. Wenn es schneller geht, kann man sich freuen, aber bei Problemen kann es auch leicht acht oder gar neun Stunden dauert, bis man wieder Land unter den Füßen hat.

Das Gebiet, in dem man bei dieser Tour paddelt, wird nur sehr sparsam von anderen Verkehrsteilnehmern genutzt. Mir sind insgesamt nur drei Segelyachten in "Grußweite" begegnet. Die Berufsschifffahrt fährt weiter östlich in den Langeland-Belt, die Sportschifffahrt verkehrt eher auf der Linie Bülk-Schleimünde, weil die meisten eher dorthin oder weiter in die Flensburger Förde fahren. Im Falle von Problemen darf man also nicht zu fest damit rechnen, ohne weiteres Hilfe zu bekommen. Ich hatte ein VHF-Funkgerät mit DSC-Funktion dabei, zwei Signalraketen und eine Laser-Signalleuchte, die ein optisches SOS-Signal abgibt. Das mag overequipped erscheinen, aber eine Alleinfahrt lässt wenig Spielraum, wenn sich etwas nicht wie gewünscht entwickelt.

Die Navigation ist einerseits nicht besonders anspruchsvoll - man muss einfach einen Kurs von knapp unter zwanzig Grad halten, dann kommt man schon irgendwo auf Ärö an. Andererseits ist in Fahrtrichtung nicht viel mehr zu sehen als Wasser und Horizont, und man muss den Blick ständig auf GPS bzw. Kompass gerichtet halten. Das ist anstrengend und dem Gleichgewicht nicht zuträglich. Die Sicht bei meiner Unternehmung war nicht kristallklar aber sehr gut. Es hat eine Weile gedauert, bis ich die Strukturen am Horizont eindeutig als Windräder identifizieren konnte. Etwas in Vorausrichtung zu sehen, das man anpeilen kann, ist sehr hilfreich für das Kurshalten.

Man muss wissen, wieviel Fest- und Flüssigbrennstoff man für sieben Stunden benötigt. Ich bin vermutlich der Mensch, der am wenigsten trinkt - ich habe in der Zeit nur eine Halbliterflasche mit "Blue Bull"  (das ist Red Bull für Arme von Aldi!) konsumiert. Zwar hatte ich weitere sechs Liter Wasser in Cockpit, aber die Flasche nachzufüllen wäre alleine mühselig und riskant gewesen. Das war auf jeden Fall ein Fehler und ich hätte für mehr griffbereites Getränk sorgen müssen. Ebenso war es ein Versäumnis, keine wirkliche Verpflegung griffbereit zu haben - das habe ich schlicht vergessen. So habe ich also auch nur eine Banane und zwei Snikkers zu mir genommen. Das kann man nicht als hinreichend verkaufen! Bei meiner letzten Überfahrt (zusammen mit Jörg) war es ca. 30 Grad warm und ich hatte auch nur einen halben Liter Flüssigkeit dabei. Damals musste ich die letzte Stunde mit heftigen Krämpfen in der Rumpfmuskulatur leben. Manche Menschen lernen ja aus Fehlern. Manche auch nicht...

Sieben Stunden in einer Zwangshaltung in einem viel zu kleinen Cockpit eingepfercht - ein sich kaum verändernder Blick rundherum - vorne und rechts nix, links und hinten ein fahler Hauch von Land. Das klingt irgendwie tödlich. Ich hatte tatsächlich einigen Respekt davor, ob mich die Monotonie nicht anfressen oder mürbe machen und ich in immer kürzeren Abständen auf mein GPS schauen würde, um die Restzeit und -entfernung zu checken. Aber zu meiner eigenen Überraschung verging die Zeit wie im Flug. Ich weiß noch, dass ich nach fünf Stunden so überrascht war, dass schon so viel Zeit vergangen ist, ich das meiste schon geschafft habe und der Rest nicht mehr für grundsätzliche Zweifel reichte. Ich weiß nicht, ob ich da besonders duldsam bin, oder ob es ein allgemeines Phänomen ist, dass keine Langeweile aufkommt, wenn man etwas zu tun hat - auch wenn es gleichförmig ist. Ich muss aber auch sagen, dass ich keinerlei Probleme hatte, die mich irgendwie bedrängten: ich konnte die gesamte Zeit über eine gleichmäßige Leistung bringen, meine Gliedmaßen und mein Sitzfleisch haben nicht gemurrt und seekrank bin ich auch nicht geworden. Mit irgendeinem Dorn, der beständig ins Gemüt piekst, hätte es vermutlich anders ausgesehen.

Solo

Ich bin bereits, während ich diesen Bericht schreibe, mit anderen PaddlerInnen über die Tour ins Gespräch gekommen. Ein Aspekt ist mir dabei noch einmal deutlich geworden, dem ich vorher eigentlich gar nicht groß Beachtung geschenkt habe: ich habe die Tour - und insbesondere die langen Querungen darin - solo durchgeführt. Dazu haben eigentlich alle gesagt, dass sie sich das nicht trauen würden.

Ich paddle seit Anbeginn meiner Laufbahn (auch) alleine. Und seit genau diesem Anbeginn ist mir bewusst, dass Solo-Unternehmungen immer eine ganz besondere Nummer sind. Alleine sind manchmal die kleinsten Wirbel im Raum-Zeit-Kontinuum ein so unlösbares Problem, dass die Tour daran scheitern kann, während man sie in Begleitung eines Partners kaum als Problem wahrnimmt. Das kann ein eingeklemmtes Skeg sein, ein falsch geriggtes Segel oder ein nicht funktionierendes Feuerzeug. Wer einmal alleine mitten auf bewegtem Wasser seine Paddeljacke aus- oder anziehen musste, weiß, wovon ich rede. Mit halb ausgezogener Paddeljacke über dem Kopf ohne Sicht bei Seegang die Balance - und die Nerven - zu behalten, erfordert ein gerüttelt Maß an Konzentration und Kaltblütigkeit. (In so einer Position zu kentern, wäre übrigens mal eine lohneswerte Übung!). Zu zweit ist so eine Aktion nicht der Rede wert.

Natürlich sind die Optionen bei einer Solo-Tour deutlich eingeschränkt. Aber das ist nicht das Wesentliche - das in meinen Augen Prägende ist mentaler Natur! Mitpaddler wirken in so unglaublichem Maße als psychologische Rollatoren, dass man über mögliche Komplikationen gar nicht mehr nachdenkt, während einem ohne diese Stütze ständig Gedanken über den GAU im Kopfe kreisen. Das Risiko  eines Zwischenfalles ist bei einer Solo-Tour nicht größer als mit Begleitung. Bei den Optionen für den Umgang damit fallen zwar manche weg, aber man hat nicht zwangsläufig weniger davon. Durch Erfahrung, Wissen, Technik und letztlich auch Ausrüstung kann man sich Optionen erarbeiten - egal ob Solo oder in der Gruppe. Wenn ich über die Optionen in der Gruppe nicht verfügen kann, muss ich mir für eine Solofahrt genug andere Optionen erarbeitet haben, so dass ich mir sicher bin. Sicher für den Fall des Eintritts, mit den Gefahren umgehen zu können.

Trotzdem bleibt - bei allem technischen und intellektuellem Equipment - das mentale Problem. Das kann man nur vermindern, indem man Solo-Fahrten übt. Meine ersten Fahrten gingen ja nicht über viele Kilometer freies Wasser, sondern z.B. über die Strander Bucht, bei denen ich mich einige hundert Meter vom Ufer entfernt habe. Das wurde sehr langsam immer mehr, und meine erste Fahrt zum Kieler Leuchtturm (7 Kilometer offene Ostsee) war noch sehr aufregend. Mittlerweile bin ich in viele Richtungen gereift, so dass ich erst die Reflektion über andere Paddler brauchte, um mich wieder an die Besonderheit der Alleinfahrt zu erinnern.

Was ich bei aller Reifung nicht verloren habe, ist der Respekt vor den Elementen. Letztlich habe ich die zwei Tage, die ich die Tour später angefangen und die zwei Tage, die ich früher zurückgekommen bin, aus diesem Respekt geopfert.

Segel

(Bild stammt von einer anderen Tour)
Für die Überfahrt hatte ich mir eigentlich leichten süd- bis südwestlichen Wind gewünscht - so Stärke drei bis vier. Dann ist die Entfernung überhaupt nicht mehr der Rede wert! So hatte ich das Segel erst nach etwa der Hälfte der Strecke gesetzt - und was ich sicher weiß, ist, dass es mein Vorankommen nicht behindert hat. Ob es aber geholfen hat, kann ich nicht sicher sagen😶

Es gab aber durchaus Strecken, in denen das Segel eine wirkliche Hilfe und Entlastung war. So bin ich von Falshöft bis Schleimünde und von Bülk bis zum heimischen Steg in der Innenförde durchgehend unter Segeln gefahren.

Elementar wichtig ist es, den Verlauf der ganzen Strippen vor Fahrtantritt auf Korrektheit zu überprüfen. Ist man erst einmal auf dem Wasser, hat man als Solopaddler keine Chance mehr, etwas zu richten. Durch nachlässiges Aufriggen kann das Segel unbrauchbar, im schlimmsten Fall sogar zu einer echten Behinderung  werden!

Es ist wirklich faszinierend, bei welchen Windrichtungen man das Tuch noch nutzen kann, so dass es das Vorankommen erleichtert. Und wenn es zieht, ist es eine sehr willkommene Hilfe und Erleichterung. Lange Touren werde ich nicht mehr ohne Segel bestreiten!

GPS-Gerät

Ich bin schon seit langer Zeit im Besitz unterschiedlicher Garmin GPS-Geräte. Wirklich nutzen tue ich sie aber eigentlich nur äußerst selten - z.B. um den seeseitigen Eingang zum Rummelloch zu finden oder verlässlich zur Pallas zu kommen. Zur Track-Aufzeichnung habe ich bislang immer ein kleines Gerät von Holux genutzt, einfach weil das eine deutlich längere Betriebsdauer hat als die Garmin-Geräte.

Für meine geplante Lofoten-Tour habe ich mir ein neues Gerät gekauft, das auch InmarSat-Kommunikation nutzen kann (GPSMap 86i). Das Gerät unterscheidet sich in Funktion und Bedienung nicht großartig von seinen Vorgängern, aber ich habe mir vorgenommen, mich so vertraut mit ihm zu machen, dass ich es ohne Probleme auch in rauhen Bedingungen bedienen kann.

Die Nichtvertrautheit mit der technischen Ausrüstung macht sich gleich am Anfang des ersten Tourtages bemerkbar: Das GPS-Gerät unterscheidet zwischen Start der Navigation und Start der Track-Aufzeichnung 😏. Das war mir vorher nie wirklich aufgefallen. Ein zweites Missgeschick kommt mir aber zu Hilfe: irgendwie bin ich zwischendurch zufällig so auf die Tasten gekommen, dass die Track-Aufzeichnung wenigstens nach zwei Stunden gestartet ist! Dadurch lerne ich auch die Funktion zur Tastensperre schätzen!

Besonders faszinierend und hilfreich finde ich die Funktionalität, sich die aktuelle Ablage oder Querabweichung (XTE) anzeigen zu lassen.

Wenn man sich vom GPS-Gerät zu irgendeinem Ziel navigieren lässt, dann weiß es, wo man aktuell ist und zieht von diesem Punkt zum Ziel eine "Ideallinie". Fährt man auf das Ziel zu, wird man durch Wind, Strömung oder Unachtsamkeit sehr bald von dieser Ideallinie abweichen. Dann sagt einem das GPS-Gerät: "Du bist 9m zu weit links von der Ideallinie!". Wie genau man damit Kurs halten kann, zeigen die GPS-Tracks von meiner Tour. Besonders stolz bin ich auf das Teilstück von Alsen zum Leuchtturm Falshöft, das etwa 15km schnurgerade über freies Wasser geht - und der Wind kam genau von querab!

Eine andere Beobachtung verdeutlicht, wie sehr ein GPS-Gerät die Wahrnehmung schärfen kann.

Meine Geschwindigkeit bei der Überfahrt liegt die gesamte Zeit über sechs Stundenkilometer und ist erstaunlich konstant. Allerdings gibt es eine Phase nach etwa 25 Kilometern (vier Stunden, 16 Uhr), wo sie spürbar unter sechs km/h sinkt. Da der Wind sich nicht nennenwert geändert hat und auch meine Fitness nicht eingebrochen ist, heißt das nichts anderes, als dass hier eine Strömung herrscht, die meine Geschwindigkeit bremst! Nach vier weiteren Kilometern ist der Effekt vorbei und meine alte Geschwindigkeit wiederhergestellt. Vermutlich kann man so einen Effekt nur in einem Kajak in Verbindung mit einem GPS feststellen.

Eine uneingeschränkt positive Erfahrung ist die Lebensdauer des Geräts mit einer Akkuladung. Ich hatte es auf allen Teilstrecken jeweils die gesamte Zeit über angeschaltet und aufzeichnen lassen. Der erste und letzte Tag haben jeweils etwa sieben Stunden Betrieb bedeutet. Die Batterie war danach immer noch zu etwa drei Viertel voll!

Elektronisches Equipment

VHF-Funkgerät

In Deutschland ist der Einsatz von VHF-Funkgeräten unter Kajakfahrern noch die Ausnahme. In England ist er die Regel, und für den Erwerb meiner Sea-Kayak-Leader-Lizenz von British Canoeing musste ich eines haben. So bin ich also seit einigen Jahren im Besitz eines ICOM IC-M93D EURO Funkgerätes und habe den segensreichen Nutzen unter anderem während der Tour zur Trainer C-Ausbildung schätzen gelernt. 

Auf der hier beschriebenen Tour gab es keinen Grund es einzuschalten - bis auf den letzten Tag bei der Fahrt von Schleimünde nach Bülk. Da waren dermaßen viele Marineschiffe unterwegs, die allesamt erratrisch über die Kieler Bucht kreuzten, dass es mir ratsam schien, mein Gerät einzuschalten. Auch dieses Gerät bietet eine Funktionsfülle, die man nicht bezwingt, wenn man sich nicht vorher intensiv damit vertraut macht. Um die Bedienung zu vereinfachen, habe ich mir nur zwei Favoriten-Kanäle programmiert: 16 und 69. So brauche ich insgesamt nur drei Tasten: Einschalten, Key-Lock, Kanal umschalten. Und natürlich die Sprechtaste, wenn ich tatsächlich mal was sagen möchte.

Das Gerät verfügt über eine sehr gute Rauschunterdrückung. Die funktioniert so gut, dass das Gerät stundenlang nichts sagt und man dadurch komplett vergisst, dass es eingeschaltet ist. Wenn dann aber tatsächlich mal ein Funkspruch eingeht ("Hier ist Bremen Rescue, Bremen Rescue. Esperanza - wir hören Sie laut und deutlich!"), ist der dermaßen laut, dass ich jedesmal fast aus dem Kajak gefallen wäre!

Die Akku-Lebensdauer ist auch beeindruckend! Wenn man nicht aktiv funkt, kann man es den ganzen Tag angeschaltet haben - und am Ende sagt die Akkuanzeige, dass eher nichts verbraucht ist!

Action-Cam

Lange Jahre lag meine GoPro ungenutzt im Keller. Das hat sie eigentlich nicht verdient und ich wollte sie mal wieder einsetzen. Hier musste ich als erstes lernen, dass sie sich nicht selbständig ausschaltet, wenn man sie von der Ladestation trennt. Der erste Akku war schon leer und musste ausgewechselt werden, bevor ich überhaupt gestartet bin.

Als zweites musste ich lernen, dass die Kamera auch Strom verbraucht, wenn sie nicht filmt! Wenn sie einfach eingeschaltet ist und nichts tut, ist der Akku nach drei Stunden leer! Man muss sie also zwischendurch immer ausschalten. 

Ich habe die Kamera vorne auf Deck mit einer Saugnapf-Halterung montiert. Die hält sehr verlässlich, und ich kann sie so positionieren, dass sie (kaum) beim Paddeln stört. Selbstredend ist sie zusätzlich mit einem Zeising gesichert.

Fotoapparat

Ich habe in meiner Paddellaufbahn bestimmt schon ein halbes Dutzend wasserdichte Kompaktkameras verbraucht. Wasserdicht ist halt das eine - salzwasserbeständig das andere. Meine aktuelle "kleine Kamera für immer dabei" ist eine Lumix DMC FT5. Die ist schon ziemlich gut, aber das Objektiv liegt frei und da ich sie nicht schonend behandeln kann, hat die Frontscheibe mittlerweile leider eine kleine trübe Stelle, die sich manchmal störend bemerkbar macht.

Auf dieser Fahrt habe ich auf sie verzichtet und stattdessen meine Nikon AW1 mitgenommen. Die macht natürlich die besseren Bilder, ist in der Handhabung aber deutlich aufwendiger, weil ich sie nicht wie die Kleine in die Schwimmweste stecken kann, sondern sie in einer Kameratasche unter Deck transportiere. Sie ist also eher nicht für Action-Aufnahmen tauglich

Drohne

Ich hatte auf dieser Tour das erste Mal eine Drohne mit. Ich habe sie in einem wasserdichten Koffer auf dem hinteren Lukendeckel transportiert. Die gute Nachricht ist, dass der Koffer tatsächlich wasserdicht ist! 

Eine Drohne ist hervorragend geeignet, die Landschaft und die Unternehmung spektakulär zu dokumentieren. Allerdings ist der Umgang mit dem Gerät nicht trivial und die Bearbeitung des Videomaterials hinterher ungemein aufwendig. Ich stehe mit beidem noch sehr am Anfang und muss mich noch intensiv in die Materie einarbeiten. Aber ich werde es weiter verfolgen.

Solarpanel und Powerbank

Der Umfang an technischer Ausrüstung, den man mittlerweile so mit sich rumschleppt und der auf eine Stromversorgung angewiesen ist, ist beachtlich.

(wird nachgetragen)

Verpflegung

(wird nachgetragen)

Zelt

Ebenfalls im Hinblick auf die Lofoten habe ich mir ein neues Zelt gegönnt - ein Hilleberg Jannu. Ich bin geneigt zu sagen, dass es einfach unverschämt teuer ist. Aber vielleicht ist das der Preis, den ein solide verarbeitetes Zwei-Personenzelt haben muss, wenn man auf alle hässlichen Kniffe verzichtet, die gemeinhin angewendet werden, um Produktionen so billig wie möglich zu machen. Die Frage ist dann, ob man es sich leisten will und kann, so viel Geld dafür auszugeben.

Das Zelt ist ein Traum! Von meinem bisherigen Zelt, einem Wechsel Forum 42 gibt es einen Film, wie es bei Windstärke acht aufgebaut wird. Ich habe dieses Zelt auch schon bei starkem Wind aufgebaut - aber einfach ist das nicht! Bei dem Jannu bin ich da wesentlich zuversichtlicher, dass mir die Stangen nicht auf halbem Wege wegbrechen, weil eben das Prinzip solide ist!

Allerdings muss man eingestehen, dass das Zelt kein Leichtgewicht ist und auch einiges an Volumen unter Deck in Anspruch nimmt. Irgendwas ist ja auch immer und man muss Prioritäten setzen. In Anbetracht der Üppigkeit des Stauraumes in meinem Boot, ist meine Präferenz eindeutig auf Seiten des Komforts und der "Betriebssicherheit", die mir dieses Zelt bieten.

Wetterentwicklung

(Der helle Bereich der Diagramme ist jeweils der Zeitraum, in dem ich auf dem Wasser unterwegs war.)

An den Tagen, bevor ich losgefahren bin, kam der Wind noch aus nordwestlicher Richtung. Das ist ausgesprochen ungünstig, wenn man nach Nordwesten will! Aber am Sonntag sollte ein Wechsel einsetzen. Meinen Startzeitpunkt für die Überfahrt habe ich tatsächlich optimal gewählt, denn der anfängliche leichte Gegenwind wandelte sich bald in eine Flaute und kam dann nur noch von der Seite. So erhielt ich durch den Wind zwar keinerlei Unterstützung, aber er behinderte mich auch nicht wirklich. Es war den ganzen Tag über trocken und sonnig. Die Temperatur - mit gutem Willen - gerade zweistellig.