Sonntag, 25. August 2013

Grenzüberschreitung in kleinem Rahmen

Meine alljährlich im Vereinsrahmen angebotene Fahrt auf der Flensburger Förde und den angrenzenden dänischen Gewässern soll vornehmlich angehenden Seekajakern die Möglichkeit bieten, einmal über die Begrenztheit der eigenen Förde hinaus erste Erfahrungen auf offener See und mit längeren Touren zu machen. Ihr Titel "Grenzüberschreitendes Paddeln" ist selbstverständlich im doppelten Sinne gedacht: außer der Staatsgrenze soll dabei bewusst versucht werden, auch innere Grenzen zu überschreiten und so neues Land zu entdecken.

Die vielen Kandidaten, für die diese Tour gedacht und geplant war, waren dieses Jahr aber alle aus den unterschiedlichsten Gründen verhindert. Entweder sie waren noch in Urlaub, hatten sich den Fuß verknackst, einen wichtigen anderen Termin wahrzunehmen - oder haben sich kurz vor Loch eine ernste Erkältung aufgehalst, die eine Teilnahme nicht zuließ. Als ich im Vorfeld die Teilnehmerzahl zusammenschmelzen sah, kam mir das zuerst gar nicht unrecht. Mit einer kleinen Handvoll Paddler könnte ich über den Belt nach Liö fahren und wäre nicht unbedingt an hochoffizielle Übernachtungsplätze gebunden. Als am Ende nur noch Betzi und Jens als Mitfahrer übrigblieben, war dies auch mein eigentlicher Plan.

Aber dann fror die Windvorhersage für das gesamte Wochenende zu einer Fünf genau aus Osten ein, was geheißen hätte, dass wir uns zwei volle Tage gegen einen fiesen Widerstand hätten plagen müssen, um am letzten Tag vielleicht Rückenwind genießen zu können. Um dem Erholungsauftrag, den ich der Tour auch zugemessen habe, gerecht zu werden, entschloss ich mich dazu, die erste Übernachtung auf Broager und die beiden folgenden Tage im Alsensund zu verbringen. Einzig die Anlandung am steinigen Strand von Broager würde bei dem starken auflandigen Wind etwas anspruchsvoll werden. Aber ich war zuversichtlich, dass wir das hinbekommen würden.

Bei drei Teilnehmern kann man leicht mit einem einzigen Auto fahren, was ich sehr angenehm finde. Etwas weniger angenehm ist das Stehen im Stau vor Eckernförde, aber das wirft uns höchstens um eine Viertelstunde zurück. Jens hat sich sein Faltboot "Rennschnecke" mitgenommen, schließlich möchte er ausgiebig angeln. Es ist meine erste Tour, auf der ein Faltboot mit anderen Seekajaks zusammen auf Tour geht. Mit Jens im Cockpit habe ich weder Bedenken, was die Geschwindigkeit oder die Ausdauer angeht, noch die eventuelle Bewältigung eines ernsten Wassereinbruches oder gar einer Kenterung.

Dass die Wellen am Strand von Habernis kaum wahrnehmbar sind, rechne ich der Tatsache zugute, dass der ganz leicht südliche Ostwind in diese kleine Bucht nicht eindringen kann. Aber schon bald ist mehr Auf und Ab auf dem Meer. Es schwallt und spritzt und man sieht seine Mitstreiter nicht mehr durchgängig. Die Wellen sind lang und gleichmütig, meine Begleiter haben schon größere durchpaddelt und so können wir sie ungetrübt genießen. Fast - denn Jens wird durch das große Büschel Seegras, das er durch seine ausgebrachte Angel ständig hinter sich her zieht, arg gebremst.

Als die Wellen immer größer werden und vor dem dänischen Festland an einen Meter Höhe heranreichen, mache ich mir doch Gedanken, ob wir bruchfrei an der geplanten Stelle auf den Strand kommen werden. Aber auch hier bin ich mir sicher, dass sich niemand von uns aus der Ruhe bringen lassen wird. Als ich in alarmierter Stimmung auf den steinigen Strand zu fahre, muss ich feststellen, dass die Wellen hier am Ufer eher im Dezimeterbereich liegen und ich ohne Probleme aussteigen kann, bevor mein Boot auf die Steine dengelt. Einerseits etwas schade, dass wir um eine einmalige Erfahrung gebracht werden, andererseits auch tröstlich, dass wir nicht probieren müssen, ob unser Ausrüstung hinrecht, ein Loch im Boot zu flicken.

Wir sind ganz alleine auf dem Übernachtungsplatz und können für unsere zwei Zelte die schönsten Ecken aussuchen. Als wir unser Abendessen am Holztisch zubereiten, hat der Wind noch deutlich aufgefrischt und wird sich die gesamte Nacht hindurch nicht wieder beruhigen. Da wir hier praktisch mitten in einem Buchenwald zelten, erzeugen die Baumkronen ein wunderbares Rauschen, dass alle anderen Geräusche wie das Piepen irgendwelcher Zwitschmätze, das Blöcken nicht vorhandener Schafe oder das Schnarchen lieber Mitpaddler übertönt. Allerdings flöst mir dieses Rauschen doch so viel Respekt ein, dass ich zweimal in der Nacht aufstehe, um mich zu überzeugen, dass das Wasser noch nicht so hoch gestiegen ist, dass es unsere Boote aufschwimmen lässt.

Das Ablegen am nächsten Morgen ist ebenfalls entgegen der Erwartung problemlos. Draußen stellen wir zu unserer Freude fest, dass der nächtliche Wind ein gutes Werk getan hat: wunderschöne Wellen warten darauf, uns zu schaukeln! Wir fahren erst einen etwas großzügig gestalteten Vorhaltewinkel, damit wir die Chance haben, auf dem letzten Stück vor Sonderburg wenigsten etwas ins Surfen zu kommen. Im Alsensund sind dann absolut keine Wellen mehr festzustellen.

Am Steg des Paddelvereins hat sich eine recht große Menge Paddler in Seekajaks versammelt. Da ich weiß, dass der Sonderburger Klub überwiegend Rennboote besitzt, glaube ich nicht recht, dass es sich um hiesige Paddler handelt. Meine Versuch ins Gespräch zu kommen, führt aber nicht weit, weil sie zu sehr mit sich selbst und der bevorstehenden Abfahrt beschäftigt sind. Sie wollen erst nach Süden und dann später am Tag wieder nach Norden. Ich denke mir schon, dass wir sie vermutlich auf dem Übernachtungsplatz wiedersehen werden, den wir uns ausgesucht haben.

Eigentlich wollte ich auch auf dem Übernachtungsplatz Mittagspause machen, aber irgendwie habe ich das Schild übersehen oder nicht so schnell damit gerechnet. Auf jeden Fall sind wir schlicht an der Einfahrt vorbei gefahren, ohne sie wahr zu nehmen. Also landen wir am Sandstrand des Flachs direkt vor dem Eingang zum Augustenborgfjord an. Als Jens aus seinem Boot aussteigen will, kommt ein bärtiger Schrat auf ihn zu und sagt: "Ich glaub', ich kenn' dich!" "Ja - ich habe noch deine Thermosflasche!", entgegnet Jens ganz cool. Es handelt sich um Reinhard, der mit seinem Segelboot seit drei Monaten in den Gewässern hier unterwegs ist. Er ist neben Segler auch begeisterter Paddler und muss unbedingt einmal mein Boot probefahren. Und weil er Paddler so lieb hat, fährt er kurzerhand noch einmal zu seinem Segelboot und holt Kaffee, Kocher, Becher, Weißbrot und was man sonst noch so für ein ausgiebigen Nachmittagskaffee benötigt. Wir verbringen einige Stunden mit Schnacken, Kaffeetrinken und Marmeladenbrotessen in der sengenden Mittagssonne. Es ist das erste Mal auf einer Tour, dass ich zu wenig Marmelade mit habe! Und das obwohl ich nur zwei wirklich kleine Weißbrotscheiben gegessen habe.

Da der Tag noch jung ist, wollen wir noch etwas paddeln. Augustenborgfjord oder Dyvik hätten zu Auswahl gestanden. Wegen der fortgeschrittenen Tageszeit schränke ich die Auswahl auf Augustenborgfjord ein, denn nur da haben wir auf dem Rückweg keinen Gegenwind. Dafür müssen wir uns auf dem Hinweg sehr schinden. Betzi dreht irgendwann den Turbo auf, so dass wir sie nur noch als kleinen Punkt am Horizont sehen, der auf kürzestem Weg Land ansteuert. Dafür können wir aber deutlich den Seufzer der Erleichterung hören, nachdem sie dem abdominal drängenden Kaffee die Freiheit geschenkt hat.

Als wir den klitzekleinen Übernachtungsplatz vor Augustenborg erreicht haben, ist Jens nicht mehr allzu sehr daran interessiert, bis zum Ort selbst zu paddeln. Auch das mit der Rücktour müsste für seine Glückseligkeit heute nicht unbedingt mehr sein. Aber ich habe große Bedenken, dass unsere heutige Bequemlichkeit den Weg am morgigen Sonntag allzu lang werden lassen würde. So machen wir uns nach kurzer Pause und Stärkung wieder auf, bis zum Zeltplatz Arnkill zurück zu fahren. Der Rückenwind schiebt uns so gewaltig, dass wir bei einzelnen Surfs bis zu fünfzehn Stundenkilometer schnell sind. So ist der Rückweg zwar auch anstrengend, aber eben auf eine euphorische Art - und er ist schnell zurückgelegt. Am Rastplatz angekommen müssen wir erkennen, dass die dänische Gruppe tatsächlich recht groß ist und wir erst einmal ihre Kajak umsortieren müssen, damit wir überhaupt an Land kommen. Dafür haben sie ihre Zelte aber ausgesprochen kolligial aufgebaut, so dass wir kein Problem haben, für unsere ein freies Fleckchen zu finden.

Der Abend ist wieder lau und trocken, wir bekommen noch einmal Besuch von Reinhard und schließlich kommt sogar so etwas wie Kommunikation mit den Dänen zu stande. Sie kommen aus Kolding und die Tatsache, dass Jens Dänisch spricht, hilft sehr bei der Verständigung. Sie haben Unmengen von Eierpfannkuchenteig dabei und schaffen die entstehenden Fladen irgendwann nicht mehr alleine - da sind wir doch gerne hilfsbereit!

Das schöne an Touren auf der Ostsee ist ja die Tatsache, dass man so lange schlafen kann, wie man will - oder besser wie man kann! Keine Tide zwingt einen, vor dem Aufwachen aufzustehen, kein weglaufendes Wasser hetzt beim Frühstück. Ganz in diesem Sinne gehen wir den Sonntag an. Da der Frühstückstisch eh von der riesigen Horde aus Kolding belegt ist, suchen wir uns einen schönen sonnigen Platz mit Blick auf den Sund zum Frühstücken. Ich kratze die letzten Reste der Marmelade aus meinem Glas, um das verbliebene Weißbrot zu vertilgen und Betzi und Jens verputzen wieder unglaubliche Mengen Müsli. Ich weiß gar nicht, wie die beiden es damals in Alaska geschafft haben, all den Proviant für einen mehrwöchigen Trip in ihren Booten unter zu bringen.

Der Sund ist im wesentlichen lang, bietet aber kaum Gelegenheit für mühsame Paddelei, da der Wind eben recht gut abgeschirmt wird. Das monotone Vorwärtskommen im lieblichen Sonnenschein wird irgendwann jäh unterbrochen von einem "Fischschsch!". Nein, Jens hat es längst aufgegeben zu angeln! Ein kleiner Schweinswal taucht kurz auf, bläst seinen Lungeninhalt mit selbigem Geräusch in die Luft und ist auch schon wieder weg. Da der Sund nur eine Richtung kennt, schwimmt der Tümmler ein ganzes Weilchen genau vor uns her und das "Fischschsch!" kommt mit jedem Mal dichter. Allerdings ist es nie vorherzusagen, wo denn der "Fischschsch!" genau auftaucht, und bis man es mitbekommen hat, ist er auch schon wieder weg. Ein Foto ist also praktisch nicht möglich, aber mit etwas Glück habe ich ihn filmen können. Leider hört man den "Fischschsch!" nicht - nur ein überraschtes "Oh!" des Fotografen!

Bevor wir in Erwartung eines nicht unerheblichen Gegenwindes die Förde in ihrer vollen Breite von zwölf Kilometern queren, gehen wir noch einmal am Strand vor dem Sonderburger Schloss an Land, ruhen uns aus und stärken uns. Aber draußen stellen wir fest, dass sich der Wind gegenüber den Vortagen doch deutlich gelegt hat und nur noch mit gemütlichen vier Stärken bläst. So wird die Rückfahrt ganz entspannt und geht ohne großes Keulen über die Bühne. Irgendwann sichte ich eine recht große deutlich anders gefärbte Fläche Wasser. Meine Vermutung ist, dass sich hier ein großes Feld Seegras gesammelt hat, aber so ganz glaube ich meiner Theorie selbst nicht. Als ich näher paddle, um mich zu überzeugen, sehe ich, dass es sich um ca. 1,3 Milliarden Quallen handelt! Es ist schlicht kein Wasser mehr dazwischen, nur noch Quallen. Ich fahre kurz in den Glibber hinein, aber nur um festzustellen, dass es sich komisch am Paddel anfühlt und ich hier lieber nicht kentern möchte!

Selten habe ich mich auf einer von mir geführten Tour so entspannt gefühlt, wie auf dieser.! Das lag zum kleineren Teil daran, dass mit Jens und Betzie zwei Paddler mit waren, von deren Können und Erfahrung ich überzeugt bin und nach denen ich mich mich daher nicht ständig umdrehen muss. Zum größeren Teil hing das aber einfach damit zusammen, dass die beiden für sich genommen und auch in ihrem Auftreten als Paar ausgesprochen sympatische Zeit- und Zeltgenossen sind, die man gerne um sich hat.

Sonntag, 11. August 2013

Nordsee für Neuling 2013: Nachbereitung (3/3)

Die Tour ist gedacht als Möglichkeit, in einem geschützten Rahmen Erfahrungen im Seekajakfahren auf der Nordsee zu sammeln. Die Zielgruppe sind solide ausgebildete Paddler mit wenig bis keiner Erfahrung auf Tidengewässern aber mit der Bereitschaft, sich auf anspruchsvolle Bedingungen einzulassen.

Neben der reinen Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, möchte ich auch das notwendige Handwerkszeug vermitteln und erwarte, dass es von den Teilnehmern auf der Tour angewendet wird. Daher ist die Vorbesprechung auch nicht als schlichte Informationsveranstaltung ausgelegt, sondern als Arbeitssitzung, auf der für die Tour relevante Fahrtvarianten ganz konkret ausgearbeitet werden.

Für die Vorbesprechung hatte ich alle relevanten Daten und Unterlagen besorgt und mitgebracht. Damit sind wir ziemlich schnell zu einem konkreten Plan für die gestellte Aufgabe gekommen. Nachteilig war, dass nicht alle Teilnehmer zur Vorbesprechung anwesend sein konnten, und dass durch meine Vorarbeit natürlich ein Teil der notwendigen Vorbereitung gar nicht geleistet werden konnte. Auch ist ein einziges abendliches Zusammensein nicht ausreichend, eine komplette Tour hinreichend auszuarbeiten. Eventuell wären länger vorher an die Teilnehmer verteilte Aufgaben besser geeignet, diesen Aspekt nachhaltig zu vermitteln.

Die Fahrt selbst war etwas stark Fahrtenleiter-orientiert durch die Tatsache, dass kein einziger Teilnehmer eine Karte vom Tourgebiet mit sich führte. Dadurch war es quasi nicht möglich, die Führung der Gruppe zeitweilig jemand anderem zu übertragen. Aber erst durch den Zwang, wirklich sicher wissen zu müssen, ob die Erscheinung da vorne nun Habel, Hooge, Hilligenlei oder doch nur ein Seehund ist, erhält man die Gewissheit, dass das theoretisch gelernte auch praktisch angewendet werden kann. Hier muss ich mir in Zukunft definitiv etwas einfallen lassen, sonst ist meine Fahrt nur eine weitere aus der Kategorie "Ich bin nur mit!"

Die Bedingungen waren keinesfalls kritisch, aber auch nicht so außergewöhnlich lasch wie im letzten Jahr. Wir hatten am zentralen Samstag auf der Rückfahrt wie vorhergesagt Windstärke fünf. Die Entscheidung, nicht zur Pallas zu fahren, war absolut richtig und notwendig (übrigens haben alle drei Gruppen, die unterwegs waren und anfangs geplant hatten, zum Wrack zu fahren, diese Idee unabhängig voneinander verworfen). Es gab allerdings keinen alten Schwell und der Wind ging mit dem Strom, so dass die Wellen sich durchaus im Rahmen hielten. Es war aber für die meisten Teilnehmer das raueste, was sie bis dahin erlebt hatten. Insofern also genau richtig, entweder ein Vorankommen zu bewirken oder erkennen zu lassen, dass hier eine Grenze liegt, die man nicht überschreiten kann oder will. In jedem Fall ist der Respekt vor dieser Windstärke zurückgekehrt, den man leicht verlieren kann, wenn man sie immer nur auf der Förde oder ähnlich geschützten Gewässern erlebt.

Das zentrale Ereignis, die Kenterung am Samstag nachmittag, hat der Tour außerdem eine besondere Note verliehen. Ich bin überaus dankbar für diesen Zwischenfall, denn er hat eine Fülle von Erkenntnissen unverlierbar in die Erinnerung gebrannt, die man zwar auch vorher schon kannte, aber nicht so wirklich ernst genommen hat. Zuerst gilt Sven absoluter Respekt, dass er wirklich ohne mit der Wimper zu zucken den Rettungsvorgang eingeleitet hat. Es war gut, dass ich gleich dazu gekommen bin, aber Sven weiter machen lassen habe. Sonst hätte es auch hier nur "Ich bin nur mit!" geheißen. Danach habe ich die beiden Akteure im Rücken gehabt, weil ich versucht habe, das Päckchen an der Kabbelzone vorbei zu schleppen.

Die zweite Kenterung ist ausschließlich der Tatsache geschuldet, dass sich noch zu viel Wasser in Brittas Cockpit befand. Wer einmal versucht hat, ein volles Cockpit mit einer Handpumpe zu leeren - während die Nordsee versucht, es mit jeder Welle wieder aufzufüllen - weiß, wie sehr das anstrengt und wie sehr man geneigt ist zu sagen: "Das Cockpit ist leer.", nur weil man keine Kraft mehr hat, weiter zu pumpen. Daher müssen sich zum einen die beiden Beteiligten beim Pumpen unbedingt abwechseln. Der nicht Pumpende muss versuchen, das Cockpit so gut es geht mit der Spritzdecke abzudecken und am Ende müssen beide überzeugt sein, dass das Cockpit leer ist. Auch ohne schwabbelndes Wasser im Boot ist ein einmal Gekenterter nicht mehr so sicher in der Hüfte wie vor dem Reinfall.

Als ich bei dem zweiten Ausstieg beschloss, meine Schleppleine klar zu machen, musste ich einsehen, dass sie hinter meinem Sitz nicht optimal gelagert ist. Ein Schleppgurt gehört um den Bauch! So musste ich erst mein Paddel aus der Hand legen, meine Spritzdecke öffnen, den Gurt hinter dem Sitz hervorkramen und unter den Decksgummis sichern, die Spritzdecke wieder schließen, den Gurt umlegen und in die Schnalle fummeln - um dann erst den Karabiner zwischen die Zähne zu nehmen! Das kostet unendlich viel Zeit und die anderen äußerten später ihr völliges Unverständnis darüber, wie ich das bei dem Seegang überhaupt bewerkstelligen konnte.

Mit dem Karabiner im Mund bin ich dann hurtig zu Svens Boot und habe ihn in die Vorleine eingehakt -
natürlich von unten! Doch als ich lospaddele, stellt sich kein Zug ein. Stattdessen ruft Sven nur, dass die Leine los sei. Vollkommen ungläubig ziehe ich das Schleppgeschirr ein und muss feststellen, dass die Sperrklinke nach dem Einhaken nicht zurückgesprungen sondern in ihrer geöffneten Stellung stehengeblieben ist. Auch bei "hurtig" muss also soviel Zeit sein, dass man überprüft, ob der Karabiner auch geschlossen ist. Zweiter Versuch, Karabiner geschlossen, losgepaddelt, Zug kommt auf und - zack, kein Zug mehr zu spüren. Abermals ratlos fische ich meine frei im Wasser schwimmende Schleppleine aufs Boot. Die Erklärung für das abermalige Fehlen finde ich erst später an Land: Ich hatte die Leine an einer der beiden an die Tasche genähten Gurtschlaufen befestigt. Der Stoff konnte natürlich dem gewaltigen Zug, den zwei angehängte Kajaks verursachen, nicht standhalten. Das hätte man vorher wissen können - wenn man sich gewissenhaft Gedanken gemacht hätte. Nun weiß ich es für alle Zeit. Zum Glück habe ich die kurze Schleppleine vorne auf dem Boot, so dass ich das eingeholte Ende der langen in deren einen Karabiner einhaken kann.

Das Schleppen ging ganz passabel. Zwischendurch hat auch Sabine noch eine recht kurze Schleppleine direkt an einem der beiden passiven Boote befestigt. Das war aber nicht hilfreich, weil ich weder sehen konnte, was vor sich geht, noch konnten wir uns koordinieren. Sie selbst hat es mehrfach der Gefahr des Kenterns ausgesetzt, weil der Zugunkt bei ihr  recht hoch lag und sich das Seil immer sehr ruckartig straffte. Dieses Rucken war auch bei Betzi und mir ein großes Problem. Wir sind schon ausgesprochen vorsichtig gefahren, um keine große Geschwindigkeitsdifferenz aufzubauen, und trotzdem riss es uns fast aus unseren Cockpits, als sich einmal beide Schleppseile gleichzeitig strafften. Wir hatten beide eine Ruckdämpfung in unserem Schleppgeschirr, waren aber erstaunt, wie wenig die bewirkt. Auch bei Betzi lag übrigens der Zugpunkt recht hoch. Wenn der Zug dann auch noch seitlich kam, war nur eine solide Stütze ihre Rettung.

Die Kenterung fand bei auflaufender Tide etwa fünfhundert Meter vom Jappsand entfernt bei einer Wellenhöhe von 60 bis 70 Zentimetern statt. Das Wasser war etwa neunzehn Grad warm. Selbst bei deutlich weniger Kompetenz kann man so eine Situation kaum als bedrohlich bezeichnen. Bei einer Wiederholung unter ähnlich günstigen Bedingungen würde ich versuchen, mich selbst komplett aus der Rolle des Agierenden heraus zu halten und stattdessen die Tourteilnehmer stärker in die Pflicht zu nehmen. Das erfordert eine wache Rezeption und Reflexion. Schon Sven die Regie beim Wiedereinstieg zu überlassen, kostete mich einige Zurückhaltung. Zwar waren zunächst alle Unbeteiligten genug damit beschäftigt, selbst aufrecht zu bleiben, trotzdem glaube ich, dass es insgesamt besser gewesen wäre, wenn ich mich darauf beschränkt hätte, die Sache zu koordinieren und zu überwachen. Es hätte viel stärker der Intention der Tour gedient, den Teilnehmern Wissen und Praktiken zu vermitteln als ihnen einfach nur ein schönes Erleben zu präsentieren.

Dieselbe Welle übrigens, die Britta aus dem Boot befördert hat, schob Klaus-Peter auf das in diesem Moment quer zu ihm fahrende Boot von Michael. Klaus-Peter fiel in Richtung auf Michaels Heck und konnte wegen der Enge nicht gescheit stützen. Ich hatte ihn schon im Wasser schwimmen gesehen, doch er griff geistesgegenwärtig das Heck von Michaels Boot und richtete sich dann wieder auf. Mit einer weiteren Person im Wasser wäre die Situation schon spannender gewesen, denn dann hätten sich zwangsläufig weitere Teilnehmer an der Rettung beteiligen müssen. Wäre dann auch noch Michael durch Klaus-Peter umgerissen worden, wäre ich bestimmt angefangen, nervös zu werden...


Freitag, 9. August 2013

Nordsee für Neulinge 2013: Der nasse Teil (2/3)

Freitag. Trotz einer konzertierten Aktion einiger Straßenbau-Terroristen, die nahezu alle Möglichkeiten, den Nord-Ostsee-Kanal zu queren, vereitelt hat, schaffen wir es eine halbe Stunde vor der geplanten Zeit in Schlüttsiel einzutrudeln. Das Packen dauert einfach immer eine Stunde - das kann man als Naturkonstante betrachten - aber das Wasser steht bei unserer Abfahrt noch deulich höher als zur gleichen Begebenheit im letzten Jahr. Zwar gehen auch die Wellen höher als letztes Jahr, aber das ist weder ein großes Kunststück noch ein Problem: damals herrschte absolut flaches Wasser, heute eine leichte Brise, die nicht einmal Windstärke drei erreicht. Wir fahren gemütlich aber zügig in die Abendsonne hinein immer am Tonnenstrich entlang.

Die Strömung sorgt für eine hohe Geschwindigkeit, ohne dass wir uns anstrengen müssen. Da, wo der GPS-Track rosa wird, sind wir schneller als zehn Stundenkilometer, wo er richtig rot wird, liegen wir über 12 km/h. Kurz vor Hooge lasse ich die Gruppe von der roten zur grünen Fahrwassertonne fahren. Das geht exakt quer zur Strömungsrichtung - prompt fallen wir auf unsere selbstgemachten sieben Stundenkilometer zurück. Doch das ist es nicht, was man bei dieser Aktion merkt und worauf es mir ankommt. Erst wenn man nicht mehr mit der Strömung fährt und man einen nahen Fixpunkt hat, merkt man, welche Macht die Strömung hat und wie sehr sie die Fahrt beeinflusst.

Unsere frühe Abfahrt und das schnelle Vorankommen bescheren uns einen leidlich komfortablen Wasserstand bei der Ankunft am Hooger Segelhafen. Die Wiese direkt hinter dem Deich ist mit großzügig darüber verteilten Zelten recht gut belegt, so dass wir das Grün direkt unter dem Seglerheim zu unserer vorübergehenden Heimat erklären. Hier hat auch Trenk bereits vor Stunden mit seiner kleinen Gruppe sein Lager aufgeschlagen.

Abfahrt Schlüttsiel 18:30 Uhr
Ankunft Hooge 20:45 Uhr
Samstag. Die Wettervorhersage hat sich seit gestern nicht großartig verändert. Es soll ein Wind mit sieben bis acht Metern pro Sekunde gehen, und die Wellenhöhe ist mit bis zu einem Meter vorhergesagt. Das sind keine Bedingungen, bei denen man mit wenig erfahrenen Paddlern zum Wrack der Pallas fährt. Trotzdem bleibt der avisierte Zeitplan mit dem frühen Aufstehen gleich, egal wohin die Reise geht. Das Ziel ist auch nicht so entscheidend - viel wichtiger ist, bei Nordsee-typischen Bedingungen auf dem Wasser zu sein und die Elemente und ihre Kräfte zu erfahren. Von Hooge wird man praktisch von alleine bis zur Spitze von Jappsand gesaugt. Während unserer kurzen Pause dort schwimmen ständig drei recht kleine Seehunde vor dem Sand herum und beäugen uns neugierig. Vor hier aus müssen wir nun das Rütergatt quer zur Strömung passieren, um zum Kniepsand zu gelangen. Die Sicht ist gut, auf der zu querenden Wasserfläche sind hier und da ein paar Tonnen zu sehen, da ist die Navigation auch ohne GPS ganz einfach. Ein kurzer aber heftiger Regenschauer trübt nur kurz die Sicht, danach ist der Wind deutlich zurückgegangen.

Ich versuche zwischendurch immer wieder den Blick auf die kleinen scheinbar unscheinbaren Dinge zu lenken, die einem erlauben, diese Welt genauer zu erkennen, ihre Geheimnisse zu erahnen: Dass die Oberfläche des Wassers die Tiefenänderungen verrät, die Neigung der Tonnen  Strömungsrichtung und -stärke und die Wolken den Wind. Dass die Tatsache, dass nach dem heftigen Schauer der Wind völlig einschläft, den Beginn eines neuen Wetterabschnittes bedeutet, der  vollkommen andere Verhältnisse mit sich bringen kann. Wenn man das zum ersten Mal hört und sieht, wird es einem nicht viel sagen. Aber wenn man immer mal wieder darauf gestoßen wird, entwickelt mancher vielleicht eigenes, tieferes Gefühl für diese Welt. Als wir schließlich das äußerste Südwestende des Kniepsands erreichen, sind die brechenden Wellen, die dort durch die zusammenlaufenden Strömungen über den flachen Grund gepresst werden, für jeden ganz offensichtlich als Störung der Regelmäßigkeit zu erkennen.

Unsere Spur ist auch ohne GPS leidlich gerade, obwohl wir den nicht unerheblichen Strom genau seitlich haben. Wir halten sicherheitshalber deutlich zuviel vor und schwenken genau nach Westen, nachdem der Querstrom spürbar nachlässt. Wir haben viel Zeit, denn Hochwasser auf Hooge ist erst um halb fünf und mehr als maximal drei Stunden können wir für die Rückfahrt kaum verbrauchen. So fahren wir bis Höhe Süddorf, wo sich einiges Leben am Strand etabliert hat - sogar ein Kino wir hier vom Kiosk betrieben! Wir trinken Kakao und machen uns auf zu einer ausgiebigen Wanderung durch die Dünen. Sabine macht uns heiß auf eine Vogelkoje, die es hier zu sehen geben soll - ist sich aber nicht hundert prozentig sicher. Also fragen wir einige der Entgegenkommenden, die wir an ihrem urigen Aussehen eindeutig als Eingeborene identifizieren, nach Details. Leider sprechen sie entweder kein Deutsch, oder sie sind das erste mal und erst seit zwei Stunden auf der Insel :-/

Das Inselinnere ist furchtbar idyllisch und lädt zum Schlendern, Schauen und Auskuppeln förmlich ein. Wir wundern uns etwas über den deutlich verhaltenen Betrieb, schließlich ist Samstag und später Vormittag. Aber am Strand bei der Wasserwacht stand ein Schild: Badezeit 14 bis 16 Uhr - vielleicht strömen dann die Massen und füllen die gefühlten 10.000 Fahrradständer. Im reetgedeckten Cafe, dass sich schüchtern zwischen die Dünen duckt, essen wir Kartoffelpuffer mit Apfelmus.

Zurück am Strand zeigt der neue Wetterabschnitt seinen Charakter: Es hat deutlich aufgefrischt. Heute morgen hatte ich noch vage Hoffnungen auf eine ordentliche Brandung auf dem Kniepsand, aber bei unserer Ankunft lag die Wellenhöhe irgendwo unterhalb einer Handbreit. Was sich uns da nun präsentiert, ist zwar noch keine nenneswerte Brandung, aber das Ablegen ist nicht mehr trivial und man bekommt wenigstens einen Eindruck, dass es auch ganz leicht schwierig werden kann.

Die Wellenhöhe liegt nun bei 60 bis 70 Zentimetern und wenn die Kameraden gerade im anderen Tal sind, könnte man höchstens noch ihre Paddelspitzen sehen - wenn nicht bei fast allen mit Zunahme der Wellenhöhe der Paddelstil an selbiger verlieren würde. Außer mir hat kein weiterer Teilnehmer eine Seekarte dabei. Daher übernehme ich komplett die Vorgabe der Richtung, in die wir paddeln. Der Versatz durch den quer zu unserer Fahrtrichtung nach Südwest gehenden Tidenstrom ist wieder beeindruckend. Die Tonnen, bei denen ich weit im Voraus angebe, auf welcher Seite wir sie passieren sollten, wollen einfach nicht kooperieren und tun alles, damit meine Vorgabe nicht eingehalten werden kann. Trotzdem kommen wir mit Beharrlichkeit auf erstaunlich gerader Linie voran. Der Wind hilft uns, indem er schiebt.

Diese Hilfe mag gut gemeint sein, wird aber nicht von allen entsprechend goutiert. Während sich Sabine gleich nach dem Ablegen von Kniepsand auf die Suche nach günstigem Winkel und Wellen zum Surfen macht, duckt sich manch anderer in seinem Cockpit und blickt konzentriert nur noch nach vorn. Um für mehr Stabilität und Kohäsion zu sorgen, habe ich direkt nach dem Start die Gruppe zu Pärchen geordnet. So muss ich nicht mehr acht Einzelpaddler im Auge behalten sondern nur noch vier Zweiergruppen. Außerdem fühlt es sich besser an, wenn jeder weiß, dass da ein anderer ein Auge auf ihn hat - auch wenn dieser andere genauso viel mit sich zu tun hat, wie man selbst. Auch die Tatsache, dass die anfangs eingeteilten Pärchen tatsächlich ständig dicht beieinander bleiben, macht klar, dass so gut wie alle hier im Konzentrationsmodus fahren.

Als wir uns Jappsand nähern, sieht man ein Gebiet mit schäumenden Wellen, die sich an dem Flach nördlich davon brechen. Da will niemand durch und ich peile das tiefe Wasser zwischen den beiden Sänden an. Aber wir kommen nicht um die Tatsache herum, dass hier das Wasser insgesamt flacher wird, die aus dem Tiefen kommenden Wellen hier also steiler werden. Ich sehe mich immer wieder um, um zu überprüfen, wie die Gruppe damit zurechtkommt. Die Augen in den Gesichtern sind hellwach, die Paddel meist als Heckruder und zur seitlichen Stütze eingesetzt. Unterhaltungen gibt es nicht mehr, meine Einwürfe "Sieh mal, da voraus ist es flach. Das sieht man prima an den dort brechenden Wellen!", werden nicht mehr wirklich wissbegierig aufgenommen - aber es besteht kein Grund zur Sorge. Auch wenn ich hier mit auf der Nordsee kaum erfahrenen Paddlern unterwegs bin, sind sie solide ausgebildet und können ausdauernd paddeln.

Leider können wir in unserer Ausbildung hohe und brechende Wellen nur sehr unzureichend berücksichtgen. So ist Britta mit einer Welle, die ihr über die Schulter bricht, überfordert und kentert. Sven, der andere Teil ihrer Zweiergruppe, ist sofort bei ihr und leitet den Wiedereinstieg ein. Ich weise die anderen an, dicht zusammen und am Geschehen zu bleiben. Als ich sehe, dass Sven Schwierigkeiten hat, in den hoch gehenden Wellen das Gleichgewicht zu halten, trotzdem Britta an seinem Bug hängt, breche ich diesen Teil des Standardplanes ab. Spätestens wenn er anfängt, mit dem schweren Boot zu hantieren, würde er vermutlich auch ins Wasser fallen. Und selbst wenn er es schaffen würde, das Boot zu leeren, die Wellen würden es ohne Schwierigkeiten wieder auffüllen. während Britta den Wiedereinstieg macht.

Die Situation ist anspruchsvoller als im Schwimmbad, es ist ein Segen, dass die Schwimmerin eine Rettungsweste trägt und zum Glück ist das Wasser warm. Unser gutes Training zahlt sich aus und so sitzt Britta bald wieder im Boot. Doch nun kommt der schwierigere Teil: Außer ihr ist da noch jede Menge Nordsee im Cockpit - und die muss raus. Die Nordsee! Ich hatte die Boote während des Einstieges stabilisiert und mit dem Bug in die Wellen gehalten, nun lege ich meine kurze Schleppleine an und beginne beide zu ziehen, damit wir nicht in das Gebiet mit den schäumend brechenden Wellen driften. Betzi ist so geistesgegenwärtig, ihre Schleppleine fertig zu machen und damit mein Boot zu ziehen. Allein ihrem Einsatz können wir verdanken, dass unser Verband in gemäßigteren Gefilden geblieben ist. Irgendwann sagt Britta zu Sven, dass das Cockpit leer genug sei und sie nun wieder alleine weiter paddeln könnte. Ihre Alleinfahrt dauert aber nur wenige Sekunden - es war doch noch zuviel Wasser im Schiff. Auch der zweite Einstieg verläuft reibungslos. Während des erneuten Pumpens mache ich meine lange Schleppleine klar und zusammen mit Betzi ziehen wir beide Richtung Hooge. Dieses Mal nimmt Britta sich mehr Zeit mit dem Lenzen und als wir den Schleppverband dann auflösen, legt sie den Rest der Strecke mit durchgängig erhobenem Haupt zurück. Auf Hooge veschwindet sie erst einmal für eine Stunde unter die heiße Dusche.

Abfahrt Hooge 7:30 Uhr.
Ankunft Jappsand-Nordspitze 8:00 Uhr
Abfahrt Jappsand-Nordspitze 8:15 Uhr
Ankunft Kniepsand Höhe Süddorf 10:15 Uhr
Abfahrt Kniepsand Höhe Süddorf 12:15 Uhr
Ankunft Hooge 14:30 Uhr
Hooge ist nicht Hooge ohne einen Besuch im Friesenpesel. Dieser Pflichtpunkt ist heute abend fällig. Es ist Sommer und wir sind kernige Bürschchen und Mädels - also sitzen wir draußen. Trenk und seine Gruppe ziehen eher das düstere Innere des Hauses vor. Warmduscher! Die immer gleiche Bedienung ist heute seltsam aufgeräumt und ständig am Herumhüpfen - das Salzlamm schmeckt lecker wie eh und je.

Sonntag. Nach der Vorhersage von gestern abend bestand die Möglichkeit, dass der Wind am frühen Nachmittag sprunghaft und deutlich auffrischen könnte. Nach unserem ursprünglichen Plan - kurz nach Mittag in Hooge los und durch die Süderaue nach Schlüttsiel zurück - hätten wir genau zur halben Zeit mitten auf freiem Wasser Windstärke sechs gehabt. Das wäre nicht ohne gewesen und nach den Eindrücken vom Vortag kam bei niemandem ungetrübte Freude über diese Aussicht auf. Also habe ich den Plan geändert: Statt bei auflaufendem Wasser so früh wie möglich los, würden wir bei ablaufendem Wasser so spät wie möglich los. Statt bei hohem Wasser durch die offene Süderaue würden wir bei niedrigem Wasser durch das geschütztere Langeness-Fahrwasser fahren. Und statt mit neun Paddlern würden wir nur zu siebt fahren: Britta und Klaus-Peter haben sich entschlossen, mit der Fähre zurück zu fahren.

Eigentlich hätte der Sonntag mit langem Ausschlafen beginnen sollen, aber mit dem geänderten Plan müssen wir schon wieder um sechs aus den Federn. Das hat allerdings den Vorteil, dass wir unsere gesamte Ausrüstung vollkommen trocken in die Boote verpackt bekommen, denn der Regen setzt erst ein, als wir quasi abfahrbereit am Deich stehen. Den Schauer wettern wir im Schutz des Seglerheims ab - wir haben eh viel zuviel Zeit.

Auch während der Überfahrt nach Langeness können wir wieder das Vorhalten üben und die Wirkung der Abrift studieren. Zu meiner Überraschung steht auf der ersten Sandbank vor dem Langeness-Fahrwasser noch so viel Wasser, dass wir problemlos darüber fahren können, auf der zweiten steige nur ich aus, bin beim Waten aber nicht schneller, als die anderen, die sich paddelnd durch das flache Wasser quälen.

In der Rixwarft ist mal wieder ein heißer Kakao bzw. Kaffee fällig und dann brechen wir zu einer ausgedehnten Wanderung über den Westteil der Insel auf. Der Leuchtturm Nordmarsch wird besucht und ebenso der alte Hafen. Man hat hier einen herrlichen Blick auf die immer weiter aus dem Wasser ragenden Sände. Föhr ist zum Greifen nahe und Amrum auch nicht viel weiter weg. Der Spaziergang hat schon gut Zeit verbraucht, aber als wir bei unseren Booten zurück sind, läuft das Wasser immer noch ab. Wir suchen uns jeder eine Muschel oder einen Stein dicht an der Wasserkante und versuchen mittels dieser Marke heraus zu bekommen, wann denn der Tidenkipp einsetzt.



Als es dann kurz vor zwölf eindeutig soweit ist, rutschen wir das kurze Stück über den nun frei liegenden Schlick ins Wasser. Wir wollen gaaanz gemütlich zurückfahren, um nicht zu früh ins Schlüttsiel zu sein. Aber Wind und Strom machen uns einen Strich durch die Rechnung: Die Wellen sind heute so gutmütig, dass man einfach gar nicht langsam fahren kann. Alle versuchen, ins Surfen zu kommen, keine Spur von Konzentrationsmodus - eindeutig Spaßmodus! Nach nicht einmal zwei Stunden laufen wir in den Hafen ein, wo wir zu meiner Überraschung bereits so viel Wasser vorfinden, dass wir den Steg der Segelboote erreichen und damit aussteigen können. Das ist bestimmt dem bereits tagelang herrschenden Westwind geschuldet, der das Wasser hereingedrückt hat.

Während wir unsere Sachen zusammenpacken, frischt der Wind tatsächlich spürbar auf und das Wasser draußen ist voll weißer Schaumkronen. Unsere Planänderung ist also voll aufgegangen!

Abfahrt Hooge 8:10 Uhr
Ankunft Anleger Rixwarft: 9:05 Uhr
Abfahrt Anleger Rixwarft:11:55 Uhr
Ankunft Schlüttsiel: 13:45 Uhr

Mittwoch, 7. August 2013

Nordsee für Neulinge 2013: Vorbesprechung (1/3)

Für die Vorbesprechung meiner diesjährigen Nordseetour für Neulinge habe ich als Aufgabe gestellt, eine Fahrt am Samstag von Hooge zum Wrack der "Pallas" zu planen. Alle notwendigen Unterlagen habe ich mitgebracht: Eine Seekarte (von 2001), die Tidenzeiten von Schlüttsiel, Hooge und Helgland, einen Mondkalender, den Wetterbericht für das Wochenende, eine Tabelle mit allen relevanten Entfernungen und den Strömungsatlas der küstennahen Gezeitenströmungen Nordfrieslands. Es soll eben nicht nur eine Paddeltour werden, auf der man sich irgendwie durch die friesischen Utlande führen läßt, sondern eine Ausbildungsveranstaltung, bei der die Teilnehmer für die Bedingungen und Besonderheiten dieses Reviers sensibilisiert werden sollen.

Die erste Diskussion entsteht darüber, wann man los fahren soll, und so werden erst einmal dafür alle verfügbaren Unterlagen durchsucht. Aber so richtig will sich kein Ergebnis einstellen, bis ich einwerfe, dass wir so fahren wollen, dass wir an der Pallas sind, wenn dort die Tide kippt. Nachdem das nach einigem Blättern aus den kleinen Pfeilchen des Strömungsatlas herausgelesen ist und man die Sache mit den Bezugszeitpunkt "Hochwasser Helgoland" geklärt hat, ist auch schnell der absolute Zeitpunkt dafür gefunden: Zwischen zehn und elf kippt dort draußen die Tide. Fahrtzeit abgeschätzt, die Zeit fürs Frühstück und das Fertigmachen draufgepackt - fünf Uhr morgens aufstehen! Nordsee ist Mordsee! Ich entschärfe die Lage etwas, indem ich sage, dass wir erstens schneller sind und es zweitens nichts macht, wenn wir eine halbe Stunde später da sind. Sechs Uhr aufstehen hört sich nicht mehr ganz so unmenschlich an.

Insgesamt verläuft die Planung überraschend zügig, und es gibt wenig Fragezeichen in den Gesichtern der Teilnehmer. Das zeigt, dass mittlerweile ein recht gutes Verständnis für die Verhältnisse und Gegebenheiten bei Tidengewässern bei uns im Verein verbreitet ist. Es werden noch einige organisatorische Dinge geregelt und dann sind wir bestens vorbereitet, am Freitag ans andere Ende unseres up ewig ungedeelten Landes zu fahren und den Inseln und Halligen einen Besuch abzustatten: "Lammfilet: Wir kommen!"