Es wird offensichtlich immer schwieriger, die vier Unerschrockenen auf einen gemeinsamen Termin zu vereinigen. Zuerst war das Wochenende um den dritten Oktober lange im Voraus reserviert, aber dann bröckelte die Teilnehmerzahl, so dass wir auf das in den November lappende Wochenende ausgewichen sind. Aber auch hier musste Trenk seine Zusage zurückziehen. Peter baggert momentan eh auf einer anderen Baustelle, so dass nur noch Jörgs und meine Nase übrig blieben. So trifft sich also ein zwar kleines aber bewährtes Team zur Befahrung des Kleinen Beltes am Freitag Mittag vor unserem Bootshaus. Johanna hatte uns sehr den Besuch des "Jahrhundert"-Shelters am Festland gegenüber von Fänö ans Herz gelegt. Leider liegt er etwas über Kreuz mit unseren Plänen, aber wir wollen ihn wenigstens besichtigen.
Am Samstag soll ein frischer Südwind wehen und am Sonntag ziemliche Flaute herrschen. Also legen wir unsere Route ganz schlau so, dass wir uns am Samstag nach Norden schieben lassen und am Sonntag gegen die Flaute zurückkämpfen. In Dänemark sind in der jüngsten Zeit offensichtlich eine Menge Shelter errichtet worden, und wir beschließen, am Freitag Abend den in Aarösund am Segelhafen stehenden für unsere erste Übernachtung zu nutzen. Das hat gegenüber unserer ersten Absicht, noch am Abend zur gegenüberliegenden Insel Aarö überzusetzen, den Vorteil, dass wir unsere Zelte und Ausrüstung nicht auspacken, in die Boote packen, am Ziel angekommen wieder auspacken, in der Nacht durchnässen lassen und am nächsten Morgen nass wieder einpacken müssen. Genialer Plan!
Den Abend verbringen wir warm und trocken in Jörgs Campingbus sitzend bei Wein respektive Kakao gemütlich plaudernd. Wir haben uns entschlossen, auf Grund der guten Erfahrungen bei unserer Sommertour nur meinen Kocher mitzunehmen. Als Gegenleistung hat Jörg sich bereit erklärt, für das Essen an beiden Tagen zu sorgen. Er hat zwei Gerichte vorgekocht - heute gibt es Fisch mit Pi, Pa, Po und Reis. Gefühlt weit nach Mitternacht - meine Uhr zeigt halb Zehn - ziehe ich mich in die zum Meer hin offene Holzhütte zurück.
Der Morgen beginnt trüb, aber Jörg meint, das Grau will eigentlich blau sein - und das wird schon! Ich bin skeptisch, weil die Wettervorhersage auch eher die gerade vorherrschende Farbe im Angebot hatte. Aber es ist warm, nur der Wind weht eher etwas enttäuschend lustlos. Wir hatten auf einen satten Vierer gehofft, dessen Böen vielleicht sogar über die Fünf hinausgehen würden. Aber bisher säuseln uns bestenfalls und nur mit gutem Willen vier kleine Windstärken um die Ohren.
Wir haben den ganzen Tag Zeit und gehen die Sache geruhsam an. Der Luxus des Camping-Busses beschert uns eine große Portion Rührei mit Speck zum Frühstück - nicht als Ersatz für das obligate Müsli, sondern als Ergänzung! Als wir gegen Elf auf dem Wasser sind, kommt tatsächlich die Sonne durch den Dunst hervor! Wir müssen als erstes der Fähre ausweichen, die emsig die 500 Meter Sund überquert und nehmen danach den kleinen Leuchtturm auf Aarö ins Visier. Man sieht auf der anderen Uferseite schäumende Wellen ans Ufer brechen. Etwas übertrieben für das bisschen Wind, finde ich. Außerdem fährt direkt vor uns ein Motorboot genau auf unserem Kurs - und es ist nur ein klitzekleines bisschen langsamer als wir. Es sind erkennbar etliche Angler auf dem Boot, die ihre Ruten über Bord halten. Wir kommen ganz allmählich immer näher, und es wäre für den Schiffsführer ein leichtes, entweder etwas am Gashebel zu drehen, oder nur ganz leicht den Kurs zu ändern - allein, er tut es nicht! Als wir schließlich und langsam dicht aufgeschlossen haben, erkenne ich nicht nur, wie der Bug des Motorbootes immer Gischtwellen schmeißt, wenn er durch die Wellen geht, sondern auch, dass er von einer Ankerleine auf der Stelle gehalten wird! Ich bin rechtschaffen geschockt! Wenn die Differenz unserer Geschwindigkeiten nur klitzeklein ist und seine Geschwindigkeit gleich null - dann kann das nichts Gutes für unsere Geschwindigkeit bedeuten!
Mit etwas Phantasie kann man sich das Phänomen auch ganz einfach erklären: Südlich von hier hat der Belt mit 30 mal 30 Kilometern seine größte Ausdehnung, seit Tagen herrscht Südwind, vor dem das Wasser nach Norden flüchtet, und zwischen Aarö und dem Festland wird es durch einen Trichter auf einen so engen Durchfluss gezwängt, dass einem die Strömung hier buchstäblich die Socken auszieht! Wir sind mit nur wenig mehr als drei Stundenkilometern unterwegs! Nachdem wir den Leuchtturm schließlich doch passiert haben, halten wir etwas mehr Abstand zum Ufer, denn nicht nur die Strömung ist beeindruckend, die Wellen sind es auch. War ich am Strand stehend noch etwas enttäuscht, dass ein solch lieblicher Wind wohl kaum Wellen aufzubauen versteht, die Spaß machen, verliere ich Jörg hier mehrfach und für lange Sekunden komplett aus den Augen. Wir fahren relativ dicht beieinander, trotzdem verschwindet er immer wieder in einem so tiefen Wellental, dass weder seine Mütze noch die Paddelspitze hervorlugt. Zum Glück sind wir eben weit genug draußen, so dass die Wellen nur selten brechen. Trotzdem erwischt je genau eine uns beide in voller Breitseite. Eine besonders große und mit lautem und langanhaltendem Rauschen brechende Welle geht knapp hinter mir durch. Ich drehe mich lieber nicht um, aber Jörg sagt, die sei groß gewesen.
Etwa auf halbem Wege zwischen Aarö und Baagö ist ein Flach, das zwar nur knapp aus dem Wasser
ragt, aber immerhin einen Namen trägt: Gräsholm. Es ist von allerlei Geflügel bevölkert, vorwiegend Kormorane. Auf dem freien Wasser davor ist die Wellenhöhe längst wieder der Windgeschwindigkeit angepasst, aber direkt über dem Flach brechen sie sich natürlich und laufen chaotisch in alle Richtungen. Wir müssen mit unseren kleinen Booten tatsächlich nach einer Durchfahrt suchen, um nicht aufzulaufen - mitten in der Ostsee! Kurz hinter der Rauschzone blicken wir plötzlich in eine große Zahl dunkler runder Kulleraugen: überall poppen Seehundsköpfe aus dem Wasser! Es sind zirka drei Dutzend, die uns neugierig mustern. Sie kommen bis zur Brust aus dem Wasser, manche springen hoch und lassen sich platschend zurückplumpsen. Wir treiben eine Weile neben ihnen her uns sehen dem Schauspiel zu. Eine so große Ansammlung an Seehunden haben wir beide auf der Ostsee noch nie gesehen.
Unsere Pause machen wir kurz vor der Nordspitze von Baagö. Zwei wunderschöne Seeadler mit reinweißem Schwanz ziehen über uns ihre Kreise. Der auf der Seekarte und auch auf den Satellitenbild verzeichnete Durchlass zwischen Baagö und Egholm, durch den wir auf unserer letzten Tour in diesem Gebiet noch geschlüpft sind, ist mittlerweile geschlossen, so dass das ehemals eigenständige Flach nun vollständig mit der größeren Insel verbunden ist. Wir müssen "nur noch" bis nach Fänö Kalv paddeln, und auf der Seekarte sieht es auch gar nicht mehr so weit aus. Aber die
Karte ist im Maßstab 1:75.000, so dass der Eindruck trügt. Nach meiner Einschätzung schaffen wir es gerade mit dem letzten Tageslicht, aber nur wenn wir keine weiteren Pausen einlegen. So müssen wir also die Besichtigung des Jahrhundert-Shelters auf morgen verschieben. Die Keulerei am Anfang unserer Tour hat doch mehr Saft gezogen, als wir geglaubt haben, aber immerhin schiebt zum Glück der Wind. Als der Belt sich kurz vor Fänö deutlich verengt, passieren wir eine Fahrwassertonne, an der Stromwirbel stehen, wie wir sie sonst nur von der Nordsee her kennen. Kurz dahinter wird das nach Norden strömende Wasser durch einen Landvorsprung abgebremst und es entstehen rauschende Strömungswellen! So etwas hätten wir hier nie für möglich gehalten.
Hier sehen wir die ersten beiden Schweinswale, vermutlich eine Mutter mit ihrem Kalb, die mitten zwischen unseren Boote auftauchen und in die entgegengesetzte Richtung paddeln. Auch wenn so eine Begegnung einem das Hertz immer leicht macht, gehen die letzten fünf Kilometer doch arg an die Substanz, denn wir haben schon mehr als dreißig ihrer Kollegen auf der Uhr. Ich muss hin und wieder mein Paddel absetzen, um zu verschnaufen. Als ich mir später unsere GPS-Spur von diesem Teil ansehe, kann ich es kaum glauben: wir sind hier trotz leerer Batterie mit einem Schnitt von 9,6 km/h unterwegs! Wenn die Strömung morgen noch genauso geht, haben wir ein ernsthaftes Problem für die Rückfahrt!
Fänö Kalv empfängt uns mit himmlischer Ruhe. Um diese Jahrszeit sind die Aktivitäten auf dem Wasser eben deutlich gebremst und wir haben die Welt für uns alleine. Nach etwas Suchen finden wir einen schönen, windgeschützten Zeltplatz unter Bäumen. Es gibt Bolognese mit Po, Pa, Pi und mit 396 Gramm Nudeln - kein Gramm zuviel!
Ich brauche mehr als die halbe Nacht, um mich zu erholen. Immer, wenn ich mich umdrehe und dabei den Wachzustand touchiere, merke ich, wie kaputt ich wirklich bin und dass ich die Ruhe brauche. Übrigens schlafe ich deutlich entspannter als im Shelter - ich bin eben doch eher der Zelt-Typ!
Mein erster Gang heute Morgen führt mich runter zum Wasser, um die
Strömungsrichtung und Stärke zu beurteilen. Wie es aussieht, haben wir
tatsächlich alles Glück der Welt: Der Strom ist tatsächlich gekippt!
Zwar geht er längst nicht mehr so gewaltig wie gestern, aber immerhin
steht er uns nicht ins Gesicht. Und der Wind hat sich auch beruhigt -
was will man mehr? Trotzdem wollen wir die Rückfahrt nicht unnötig
ausdehnen und lieber den kürzesten Weg wählen - auch das ist noch weit
genug!
Es herrscht fast Flaute, so das die Wasserflächen ewig glatt daliegen. Unter diesen Bedingungen kommen Schweinswale immer an die Wasseroberfläche! Es dauert auch gar nicht lange, bis wir die ersten entdecken. Während unserer gesamten Rückfahrt sehen wir immer wieder irgendwelche Rückenflossen auf- und wieder abtauchen.
Der Wetterbericht hatte uns für heute eigentlich Sonnenschein versprochen, aber danach sieht der Himmel nun wirklich nicht aus. Die Sicht ist nicht ganz schlecht - so etwa fünf Kilometer. Aber da die freien Strecken, die wir zu bewältigen haben, weiter sind als das, ist das Gefühl nicht viel anders, als wenn der Blick bereits nach 500 Metern im Trüben stecken bliebe. Wir mögen beide dieses Fahren ins Nichts und die dabei erhöhte Anforderung an die Navigation. Darin sind wir allerdings mittlerweile recht erfahren, so dass unsere Spur nur wenig zickzackt, wie man auf dem nebenstehenden Bild erkennt: erst aus dem Fahrwasser raus, dann direkt auf die Spitze von Brandsö zu, bis es in Sicht kommt. Leicht Abknicken, um die Westspitze der Insel aufs Korn zu nehmen und schließlich nach einer groben Daumenpeilung des weiteren Kurses auf Aarösund zu. In unserem Bestreben, möglichst rasch zu unserem Ausgangspunkt zurückzukommen, ist uns leider ein Programmpunkt durchs Rost gefallen: Die Besichtigung des Jahrhundertschelters! Vielleicht ein anderes Mal.
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AntwortenLöschenLG Björn (tokzid@gmx.de)