In der Nacht hat es tatsächlich "aufgefrischt". Mein Zelt rüttelt sich und schüttelt sich. Es wirft zwar kein Säckchen hinter sich, aber seine Stoffwände schlagen mir immer wieder ins Gesicht. Es tanzen acht Bi-Ba-Beaufort um mein Zelt herum. Irgendwann wird sogar mein Kocher umgeweht - und den hatte ich unter der Apsis deponiert. Na - mal sehen, wie sich das morgen früh darstellt.
Mein erster Blick am Morgen gilt dem Flaggenmast. Gut - es weht - aber nicht mehr heftig. Eher lieblich. Eigentlich viel zu lieblich. Dabei sollte der Wind am Vormittag erst allmählich zurückgehen. Und vor allem sollte der Wind genau aus Norden kommen - das hier ist Westen! Das war so nicht geplant! Segler nennen so eine Windrichtung "halber Wind" - ich nenne das "halber Spaß". Und wenn das Nachlassen im selben Tempo weitergeht, habe ich in zwei Stunden Flaute - und danach vermutlich sogar Gegenwind. Ich werde mich bemühen, so schnell wie möglich aufs Wasser zu kommen, um noch möglichst viel vom Wind mitzunehmen.
Mein Segel hatte ich schon am Abend vorher sorgfältig aufgeriggt. Wenn man alleine unterwegs ist, gibt es schließlich keine Chance, hinterher etwas zu richten, wenn es nicht optimal verzurrt ist. Ich stelle zwar keinen neuen Rekord auf, aber um 9:10 Uhr aktiviere ich meinen GPS-Tracker, lasse mich in mein Boot gleiten und selbiges ins Wasser. Man braucht eben immer grob zwei Stunden vom ersten Öffnen der Augen, bis man auf dem unseren Sport tragenden Medium schwimmt. Wenn man hektisch ist und schnell macht, schafft man es auch in anderthalb Stunden. Aber drunter ist nicht und ich will einfach nicht hetzen.
Direkt nach Verlassen der Schlei setze ich mein Segel. "Fock!" macht es - und die Sache steht! Ich merke gleich, dass es eine spürbare Unterstützung produziert. Es ist das erste Mal in diesem Jahr, dass ich mein Segel benutze und ich bin eigentlich ganz froh, dass es nicht ganz so unwirtlich windet. So kann ich mich erst wieder an das Gefühl gewöhnen und alle Handgriffe in Ruhe durchgehen.
Meinen Kurs lege ich so, dass ich die südwestliche Sperrgebietstonne des Schießgebietes vor Schwansen ansteuere. Danach werde ich direkt Bülk aufs Korn nehmen. Täte ich das von Anfang an, müsste ich ein kleines bisschen durch das Schießgebiet fahren. Das will ich nicht. Als ich an Olpenitz vorbeiblickend eine ferne Küstenlinie erkenne, halte ich sie zuerst für die östliche Begrenzung von Schwansen. Viel Kummer gewohnt von der extrem schlechten Sicht gestern bin ich bass erstaunt, als ich erkennen muss, dass es sich bereits um Steilküste des Dänischen Wohlds handelt. Da kann ja navigatorisch nicht mehr viel schiefgehen!
Je weiter ich mich von der Küste entferne, desto größer werden die aus nördlicher Richtung heranrollenden Wellen. Es sind noch Nachwehen des großen Wehens von heute Nacht. Es macht richtig Spaß, mit meinem Segel durch sie hindurch zu pflügen und sie abzureiten. Immer wieder bekomme ich das vollbeladene Boot ins Surfen. Das Zusammenspiel von Wellen, Windstärke und -richtung ist wunderbar passend für meinen Kurs und meine eingerostete Praxis im Einsatz der Besegelung. Ich werde zunehmend kecker und verliere alle Bedenken, dass ich besonders vorsichtig sein muss. Ich fange an, dies als Testfahrt für eine Solo-Überfahrt von Bülk nach Ärö zu sehen.
Anfangs liefere ich mir lange ein totes Rennen mit einem Segler. Der hat allerdings nur sein Großsegel gesetzt und hühnert länglich an seiner Fock herum. Als er die endlich fertig gesetzt hat, ist er bereits leicht schneller als ich. Als dann der Wind noch etwas zunimmt, habe ich keine Chance mehr gegen ihn.
Die Windvorhersage war tatsächlich nur in Teilen richtig. Die Windspitze in der Nacht war korrekt vorhergesagt. Danach sollte der Wind stetig nachlassen und aus Nord bzw. sogar Nord-Nord-Ost wehen. Die Richtung ist aber eher Nord-Nord-West, und das Nachlassen hat irgendwann nachgelassen. Er ist wieder deutlich frischer geworden und weht mit kleinen sechs Beaufort. Mittlerweile sind um mich herum wieder überall weiße Bäckermützen zu sehen - aber ich fühle mich immer noch bombensicher! Eher mache ich mir Sorgen, dass ein hin und wieder langsam an mir vorüber ziehender Segler sich Sorgen um mich macht. Aber keiner fährt so dicht an mich heran, dass er meinen Gesichtsausdruck erkennen könnte. Könnte einer ihn sehen, würde er erkennen, dass Paddeln für mich durchaus nicht nur Mittel ist, um Ziele zu erreichen, die meiner Seele schmeicheln. Es ist mindestens ebenso sehr Selbstzweck, der auch meiner Seele ein Lächeln ins Gesicht malt.
Nach drei und einer Viertelstunde erreiche ich den Strand am Bülker Leuchtturm. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 8,5 km/h. Ganz ordentlich für ein voll beladenes Boot! Ohne Segelunterstützung ist das schwerlich zu schaffen. Sagte ich schon, dass den ganzen Tag über die Sonne geschienen hat?
Sonntag, 7. Oktober 2018
Samstag, 6. Oktober 2018
Langes Wochenende zur Einheit (2/3)
Zwei Pappnasen aus Pinneberg parken schon vor Sonnenaufgang ihren BMW auf der Zeltwiese vor meiner Holzhütte. Dann machen sie sich lautstark rhabarbernd daran, sich und ihre Ausrüstung fürs Angeln fertig zu machen. Ich habe mein Zelt gestern Abend kurzerhand im Shelter aufgebaut und es ist für sie gut ersichtlich, dass da zehn Meter neben ihnen jemand noch nicht mit Schlafen fertig ist. Ignorantenpack!
Die Nacht war unglaublich warm. Trotzdem ist heute Morgen alles in dichten Nebel gehüllt. Das kommt mir nicht ungewöhnlich vor, denn zu dieser Jahreszeit herrscht morgens gerne mal dicke Suppe, bevor sich der Tag später dann in strahlendem Blau präsentiert. Ich will direkt zum Leuchtturm Kalkgrund und dann um das Schutzgebiet vor der Geltinger Birk herum erst nach Falshöft und dann nach Schleimünde fahren. Der Wind soll heute insgesamt schwach bleiben, aber später aus südlicher Richtung wehen. Da ist es gut, wenn ich nicht so viel Zeit verliere, indem ich irgendwelche Kurven fahre.
Die Entfernung bis Kalkgrund sind knappe neun Kilometer - die Sicht beträgt anfangs etwa neun Dekameter, da sollte man den Kurs kennen. Zum Glück befinde ich mich ja hier in Dänemark - und nach dem Grenzübertritt immer noch in der Flensburger Förde - da gilt die Seeschifffahrtsstraßenordnung nicht, sondern die Kollisionsverhütungsregeln, nach denen ich durchaus auch bei diesen Sichtverhältnissen mit meinem Boot auf dem Wasser sein darf. Wenn ich dann in "richtig" deutsche Gewässer komme, wird die Sache mit dem blauen Himmel schon greifen. Gewissenhaft wie ich bin, stecke ich mir mein Rundumlicht griffbereit in die Tasche meiner Schwimmweste - nur für den Fall!
Der Kurs zum Leuchtturm beträgt 105 Grad. In Kajak-gemäßer Formulierung heißt das: etwa mittig zwischen 90 und 120 Grad. Natürlich habe ich mein GPS-Gerät dabei und mein Zwischenziel einprogrammiert. Aber wozu habe ich einen Kompass? Und Versatz durch Strömung oder Wind ist hier nicht in nennenswertem Maß zu erwarten. Also los ins Unsichtige.
Nach etwa einem Kilometer halte ich inne, weil ich ein Motorengeräusch höre. Ziemlich leise aber auch ziemlich deutlich. Sehen kann ich erst nix, und dann - ganz kurz und an der Grenze der Sichtbarkeit schneckt sich ein Motorboot vorbei. Vermutlich hat es auch etwas gesehen oder zumindest geahnt, denn es sondert sicherheitshalber ein von der langen Nichtbenutzung heiser gewordenes Schallsignal ab. Dann höre ich wieder nur das Morsezeichen des Leuchtturms: kurz-kurz-lang-kurz, kurz-kurz-kurz. Das sind die Buchstaben F und S und die kommen tatsächlich von Kalkgrund. Wenn ich das schon aus neun Kilometern so deutlich höre, graut mir etwas davor, später direkt unter diesem dröhnenden Tongeber durchzufahren.
Nebel from Mathias Weber on Vimeo.
Schiffsverkehr findet nicht statt - zumindest ist keiner wahrzunehmen. Möglicherweise gibt auch einfach niemand die vorgeschriebenen Schallsignale, weil jeder glaubt, er sei hier eh alleine unterwegs, während eigentlich das Wasser voller Schiffe ist. Es gibt aber keinen Grund für diese Annahme, denn der Wind ist mittlerweile so schwach, dass man jede Bugwelle sehen und jedes Motorgeräusch hören müsste. Das einzige, wovon es wimmelt, sind Insekten. Die fliegen überall herum und sitzen auf der Wasseroberfläche. Ich frage mich,was die hier wollen, nehme sie aber als willkommene Peilmarken, um nicht ständig den Kompass fixieren zu müssen, sondern den Blick mal etwas weiter schweifen lassen zu können, auf eine ferne Fliege, die auf dem Wasser sitzt. Ärgerlich nur, wenn so ein Insekt auffliegt, bevor ich es erreicht habe! Irgendwann verstummt das "FS" ohne für mich ersichtlichen Grund.
Nach genau einer Stunde meine ich, den Leuchtturm erkennen zu können. Er liegt etwas außerhalb meiner Fahrtrichtung, aber durchaus im erwarteten Rahmen. Er ist übrigens wirklich nicht deutlicher zu sehen, als auf dem Foto! Obwohl es einen Umweg für mich bedeutet, ändere ich meinen Kurs und fahre direkt auf ihn zu.
Wenn man sich meine GPS-Spur im Nachhinein ansieht, habe ich einen durchschnittlichen Kurs von etwa 110 Grad gehalten. Das ist nicht schlecht für eine Sollkurs von 105 Grad. Den Leuchtturm erkannt habe ich aus einer Entfernung von ca 1.800 Metern. Wenn ich in meiner Kompass-Richtung weiter gefahren wäre, hätte ich mein Ziel um ca. 900 Metern verfehlt - das ist akzeptabel für eine Entfernung von neun Kilometern, wobei ich mir nicht einmal Mühe gegeben habe! Dass die Sicht jetzt übrigens knappe zwei Kilometer beträgt, könnte tatsächlich der Grund dafür sein, dass der Leuchtturm sein Tröten eingestellt hat - schließlich beginnt Nebel erst bei einer Sichtweite von unter tausend Metern!
Wie als hat das Wetter nur meine Navigationskünste testen wollen, wird die Sicht deutlich besser, als ich den Leuchtturm passiere. Recht bald ist schon die Küste der Geltinger Birk zu sehen und ich kann nach Sicht navigieren. Der Leuchtturm Falshöft markiert etwa die Mitte meines heutigen Tagespensums, und dort mache ich erst einmal Pause. Die Strecke von hier bis nach Schleimünde ist eher meditativ und ereignislos. Allerdings sind beeindruckend viele Wasservögel unterwegs, die sich durch ihre übertrieben große Fluchtdistanz eindeutig als Wintergäste bzw. Durchreisende zu erkennen geben. Es sind Schwärme von Ringel-, Kanada- und Graugänsen, vor allem aber riesige Herden von Eiderenten. Komischerweise sind es bei letzteren alles nur Männchen - bis auf je ein unidentifizierbares Exemplar pro Schwarm, das im wesentlichen schwarz ist. Vielleicht ein Jungtier, ein Fremdenlegionär einer anderen Art oder eben doch einfach ein Weibchen, das die Aufsicht über den Schwarm führt.
Leider dreht der Wind, wie es die Vorhersage vorhergesehen hat, immer weiter nach Süden, so dass er mir schließlich ziemlich entgegen weht. Das macht sich deutlich in meiner Geschwindigkeit bemerkbar, die um einen guten Stundenkilometer auf etwa 6,5 zurückgeht. Vielleicht spielt aber auch die Tatsache mit hinein, dass ich seit vier Stunden auf dem Wasser bin.
Als ich mich meinem Etappenziel nähere, lässt die Sicht schon wieder deutlich nach. Die Sache mit dem blauen Himmel hat nicht stattgefunden. Wenn das morgen auch nur annähernd ähnlich aussieht, kann ich mich nicht mehr mit dänischen Gewässern und Sonderregelung für die Flensburger Förde rausreden - dann muss ich mir etwas überlegen.
Zwischen den Molen, die die Einfahrt in die Schlei flankieren, drängelt sich das Wasser hektisch in den engen Ostseefjord. Hier schnellt meine Geschwindigkeit kurzzeitig bis auf fast zehn Stundenkilometer hoch! Wie nicht anders erwartet, bin ich der einzige Kajaker, der heute hier vor Anker geht. Aber was an Segelschiffen im Hafen liegt, ist mehr als überraschend - und es kommen ständig mehr Boote herein. Ich hätte gedacht, dass für die meisten Segler die Saison so gut wie beendet ist.
Auf der Lotseninsel ist nicht viel los - die Giftbude hat zu und der Hafenmeister ist nicht da. Ich schmeiße einen losen Zehn-Euro-Schein in seinen Briefkasten und wasche erst mal meine tomatenversifte Hose mit heißem Wasser gründlich aus. Dann mache ich diverse Spaziergänge über das in alle Richtungen sehr eingeschränkte Areal, um meinen hartgesessenen Hintern wieder etwas aufzulockern. Während ich so meinen Verrichtungen nachgehe und mir schließlich mein Hühnerfrikassee bereite, werden zwei große Gruppen Tagestouristen von einer beflissenen jungen Dame mit allerlei lokalen Insiderinformationen gefüttert: Dass die Öhe früher wirklich eine Insel war und eben deshalb auch zu Recht Lotseninsel heißt, dass der hier wohnende Seeadler zwar Kormorane fängt, sie aber nicht frisst, sondern nur aufschlitzt, um an den enthaltenen Fisch zu kommen, warum das Pappelwäldchen denkmalgeschützt ist und dass der Hafenmeister von Maasholm Werder-Bremen-Fan ist und deswegen der Leuchtturm vor kurzem als Geburtstagsgeschenk grün-weiß gestrichen worden ist.
Im Moment herrscht fast Flaute, die Wettervorhersage sieht für heute Nacht stürmischen Wind vor, der aber morgen früh schon wieder stark abflauen soll. Er soll aus stramm nördlicher Richtung kommen, und so nehme ich mir vor, möglichst früh aufzustehen, um ihn optimal ausnutzen zu können. Damit das klappt, gehe ich früh ins Bett - die Lotseninsel habe ich eh schon zig-mal abgeschritten!
Die Nacht war unglaublich warm. Trotzdem ist heute Morgen alles in dichten Nebel gehüllt. Das kommt mir nicht ungewöhnlich vor, denn zu dieser Jahreszeit herrscht morgens gerne mal dicke Suppe, bevor sich der Tag später dann in strahlendem Blau präsentiert. Ich will direkt zum Leuchtturm Kalkgrund und dann um das Schutzgebiet vor der Geltinger Birk herum erst nach Falshöft und dann nach Schleimünde fahren. Der Wind soll heute insgesamt schwach bleiben, aber später aus südlicher Richtung wehen. Da ist es gut, wenn ich nicht so viel Zeit verliere, indem ich irgendwelche Kurven fahre.
Die Entfernung bis Kalkgrund sind knappe neun Kilometer - die Sicht beträgt anfangs etwa neun Dekameter, da sollte man den Kurs kennen. Zum Glück befinde ich mich ja hier in Dänemark - und nach dem Grenzübertritt immer noch in der Flensburger Förde - da gilt die Seeschifffahrtsstraßenordnung nicht, sondern die Kollisionsverhütungsregeln, nach denen ich durchaus auch bei diesen Sichtverhältnissen mit meinem Boot auf dem Wasser sein darf. Wenn ich dann in "richtig" deutsche Gewässer komme, wird die Sache mit dem blauen Himmel schon greifen. Gewissenhaft wie ich bin, stecke ich mir mein Rundumlicht griffbereit in die Tasche meiner Schwimmweste - nur für den Fall!
Der Kurs zum Leuchtturm beträgt 105 Grad. In Kajak-gemäßer Formulierung heißt das: etwa mittig zwischen 90 und 120 Grad. Natürlich habe ich mein GPS-Gerät dabei und mein Zwischenziel einprogrammiert. Aber wozu habe ich einen Kompass? Und Versatz durch Strömung oder Wind ist hier nicht in nennenswertem Maß zu erwarten. Also los ins Unsichtige.
Nach etwa einem Kilometer halte ich inne, weil ich ein Motorengeräusch höre. Ziemlich leise aber auch ziemlich deutlich. Sehen kann ich erst nix, und dann - ganz kurz und an der Grenze der Sichtbarkeit schneckt sich ein Motorboot vorbei. Vermutlich hat es auch etwas gesehen oder zumindest geahnt, denn es sondert sicherheitshalber ein von der langen Nichtbenutzung heiser gewordenes Schallsignal ab. Dann höre ich wieder nur das Morsezeichen des Leuchtturms: kurz-kurz-lang-kurz, kurz-kurz-kurz. Das sind die Buchstaben F und S und die kommen tatsächlich von Kalkgrund. Wenn ich das schon aus neun Kilometern so deutlich höre, graut mir etwas davor, später direkt unter diesem dröhnenden Tongeber durchzufahren.
Nebel from Mathias Weber on Vimeo.
Schiffsverkehr findet nicht statt - zumindest ist keiner wahrzunehmen. Möglicherweise gibt auch einfach niemand die vorgeschriebenen Schallsignale, weil jeder glaubt, er sei hier eh alleine unterwegs, während eigentlich das Wasser voller Schiffe ist. Es gibt aber keinen Grund für diese Annahme, denn der Wind ist mittlerweile so schwach, dass man jede Bugwelle sehen und jedes Motorgeräusch hören müsste. Das einzige, wovon es wimmelt, sind Insekten. Die fliegen überall herum und sitzen auf der Wasseroberfläche. Ich frage mich,was die hier wollen, nehme sie aber als willkommene Peilmarken, um nicht ständig den Kompass fixieren zu müssen, sondern den Blick mal etwas weiter schweifen lassen zu können, auf eine ferne Fliege, die auf dem Wasser sitzt. Ärgerlich nur, wenn so ein Insekt auffliegt, bevor ich es erreicht habe! Irgendwann verstummt das "FS" ohne für mich ersichtlichen Grund.
Der Leuchtturm ist zu sehen! |
Wenn man sich meine GPS-Spur im Nachhinein ansieht, habe ich einen durchschnittlichen Kurs von etwa 110 Grad gehalten. Das ist nicht schlecht für eine Sollkurs von 105 Grad. Den Leuchtturm erkannt habe ich aus einer Entfernung von ca 1.800 Metern. Wenn ich in meiner Kompass-Richtung weiter gefahren wäre, hätte ich mein Ziel um ca. 900 Metern verfehlt - das ist akzeptabel für eine Entfernung von neun Kilometern, wobei ich mir nicht einmal Mühe gegeben habe! Dass die Sicht jetzt übrigens knappe zwei Kilometer beträgt, könnte tatsächlich der Grund dafür sein, dass der Leuchtturm sein Tröten eingestellt hat - schließlich beginnt Nebel erst bei einer Sichtweite von unter tausend Metern!
Alles Männchen! |
Das Pappelwäldchen von Schleimünde |
Als ich mich meinem Etappenziel nähere, lässt die Sicht schon wieder deutlich nach. Die Sache mit dem blauen Himmel hat nicht stattgefunden. Wenn das morgen auch nur annähernd ähnlich aussieht, kann ich mich nicht mehr mit dänischen Gewässern und Sonderregelung für die Flensburger Förde rausreden - dann muss ich mir etwas überlegen.
Zwischen den Molen, die die Einfahrt in die Schlei flankieren, drängelt sich das Wasser hektisch in den engen Ostseefjord. Hier schnellt meine Geschwindigkeit kurzzeitig bis auf fast zehn Stundenkilometer hoch! Wie nicht anders erwartet, bin ich der einzige Kajaker, der heute hier vor Anker geht. Aber was an Segelschiffen im Hafen liegt, ist mehr als überraschend - und es kommen ständig mehr Boote herein. Ich hätte gedacht, dass für die meisten Segler die Saison so gut wie beendet ist.
Auf der Lotseninsel ist nicht viel los - die Giftbude hat zu und der Hafenmeister ist nicht da. Ich schmeiße einen losen Zehn-Euro-Schein in seinen Briefkasten und wasche erst mal meine tomatenversifte Hose mit heißem Wasser gründlich aus. Dann mache ich diverse Spaziergänge über das in alle Richtungen sehr eingeschränkte Areal, um meinen hartgesessenen Hintern wieder etwas aufzulockern. Während ich so meinen Verrichtungen nachgehe und mir schließlich mein Hühnerfrikassee bereite, werden zwei große Gruppen Tagestouristen von einer beflissenen jungen Dame mit allerlei lokalen Insiderinformationen gefüttert: Dass die Öhe früher wirklich eine Insel war und eben deshalb auch zu Recht Lotseninsel heißt, dass der hier wohnende Seeadler zwar Kormorane fängt, sie aber nicht frisst, sondern nur aufschlitzt, um an den enthaltenen Fisch zu kommen, warum das Pappelwäldchen denkmalgeschützt ist und dass der Hafenmeister von Maasholm Werder-Bremen-Fan ist und deswegen der Leuchtturm vor kurzem als Geburtstagsgeschenk grün-weiß gestrichen worden ist.
Im Moment herrscht fast Flaute, die Wettervorhersage sieht für heute Nacht stürmischen Wind vor, der aber morgen früh schon wieder stark abflauen soll. Er soll aus stramm nördlicher Richtung kommen, und so nehme ich mir vor, möglichst früh aufzustehen, um ihn optimal ausnutzen zu können. Damit das klappt, gehe ich früh ins Bett - die Lotseninsel habe ich eh schon zig-mal abgeschritten!
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Freitag, 5. Oktober 2018
Langes Wochenende zur Einheit (1/3)
Lange schon habe ich mir den Donnerstag nach dem Mittwoch der Einheit freigenommen. Da ich freitags nun immer Frei-Tag habe, würde da eine super-lange Reihe von freien Tage zusammenkommen, die paddeltechnisch genutzt werden will. Eine Kreuzfahrt durch die Dänische Südsee unter herbstlich milder Sonne habe ich mir vorgestellt, mit irgendwie kooperativen Winden oder zumindest ohne widrige.
Schlimmer hätte die Aussicht dann gar nicht sein können, als der Termin in den Vorhersagebereich rückte: durchgängig Winde jenseits von sechs, teilweise bis acht Beaufort aus West. Für den gesamten Zeitraum! Als Zugabe viel Regen und wenig Temperaturen. So sehr ich auch überlegte und Alternativen erwog - ich sah mich schon zu Hause sitzen und weiter dem niesligen November beim Einzug in mein Gemüt zuzusehen.
Erst am Dienstag war klar, dass der gesamte Wind sich auf den Mittwoch und der Regen auf den Donnerstag konzentrieren würden. Freitag wenig Wind, Samstag so gut wie gar keiner - und vor allem am Sonntag kräftiger Nordwind! Gerettet!
Marie-Theres fährt mich am Nachmittag nach Habernis am Westende der Geltinger Bucht. Das Boot ist schnell gepackt - ich habe allerhand Überflüssiges zu Hause gelassen, was ich sonst nur mitnehme, wenn ich mit einer Gruppe unterwegs bin. Entsprechend viel Platz ist in meinem Boot noch. Trotzdem ächzt Marie-Theres, als sie es das kleine Stück bis zum Wasser tragen muss.
Ich will den Shelter, von dem Trenk mir erzählt hat, ausprobieren und halte daher einen deutlich westlicheren Kurs als sonst. Es soll eine Metalltreppe vom Strand zu ihm hinauf führen, das ist mein Anhaltspunkt. Es scheint die erhoffte milde Herbstsonne und die Temperaturen liegen bei unglaublichen 19 Grad!
Der Shelterplatz ist schnell gefunden, aber er ist längst nicht so entlegen wie der Übernachtungsplatz ein Stück weiter im Wald. Als ich die Holzhütte in näheren Augenschein nehme, beschließe ich aber doch hierzubleiben und sie zu nutzen. Die Hütte hat keinen Blick aufs Wasser, dafür wird sie aber bis zum letzten Moment von der Abendsonne beschienen. Fürs Abendessen wähle ich den Holztisch direkt am Wasser, das ist romantischer. Die Nudeln zu kochen, ist keine große Tat - allerdings kippt mir die Tüte mit der Tomatensauce so unglücklich um, dass etliches davon unter dem Tisch landet. Dass ich große Teile davon auch auf meiner Hose verteilt habe, merke ich leider nicht gleich, so dass der Brei schön einmassiert wird und ich aussehe wie ein inkontinenter Penner.
Ich bin nur knapp sechs Kilometer gepaddelt - und doch Lichtjahre entflohen - und vor allem und ganz unzweifelhaft: angekommen! Die Luft ist unglaublich lau, am Horizont sendet der Leuchtturm von Kalkgrund stolz und stoisch sein Licht in die Runde. Das seines Kollegen von Kegnes sieht dagegen fast etwas eingeschüchtert aus. Im dunkler werdenden Rund blinkt noch dies und das und alles in beruhigender Langsamkeit. Nur ein Seezeichen in der Nähe meines Startortes blinkt ganz hektisch. Es hat eine Frequenz von etwa zwei Hertz, was im Spektrum der Nautik etwa dem entspricht, was in der Optik unter extrem harter Röntgenstrahlung geführt wird. Die Lichter des Campingplatzes bei Habernis liegen so dicht über dem Horizont, dass sie flimmern wie eine animierte Weihnachtsbeleuchtung. Insgesamt ist die Szenerie aber sehr sparsam illuminiert. Und alles fein ordentlich sortiert: was ortsfest ist, hat blinkende Lichter, was sich bewegt, führt feste Lichter. Nur ein ortsfestes, konstant grünes Licht, etwa auf halber Strecke zwischen Kalkgrund und dem Mars, bringt Unordnung in diese Harmonie. Erst, als nach einiger Zeit glucksende Geräusche aus weiter Ferne herangetragen werden, die man als bemühte Startversuche eines Dieselmotors interpretieren könnte und sich wenig später der Campingplatz auf das ortsfeste grüne Licht zubewegt, ist die Ordnung wieder hergestellt.
Still ruht die See - es sind kaum Geräusche zu hören. Das Rauschen der Restwellchen ist fast das einzige, was die Ohren davor bewahrt, ihr eigenes Rauschen wahrzunehmen. Hin und wieder fliegt ein Schwarm Gänse über mich hinweg. Wie zum Teufel landen die jemals wieder? Die können doch nicht bis zur Morgendämmerung in der Luft bleiben! Und wenn sie jetzt zur Landung ansetzen, würden sie doch mit jeder Kuh kollidieren, die im Wege steht. Oder wie sehen die nachts? Ich jedenfalls würde nicht mal mehr zum Shelter zurückfinden ohne meine Stirnlampe.
Es treten immer mehr Sterne hervor, sogar die Milchstraße zeigt sich zögerlich. Dieses neblige Band, das ich als Kind immer so bewundert habe, ohne zu wissen, dass jeder Nebeltropfen in ihr eine Sonne darstellt, dieses Band traut sich in Kiel nicht mehr aus der Deckung. Schon für diesen Anblick hat sich die Aktion gelohnt.
Bei all dem Frieden, den ich so genieße und der mir so gut tut, überlege ich, ob mir das Paddeln vielleicht nur Mittel ist, um dieses Ziel zu erreichen, oder ob es auch Selbstzweck ist. Im Moment kann ich es nicht entscheiden und genieße nur, dass mir dieses Mittel solche Ziele ermöglicht.
Schlimmer hätte die Aussicht dann gar nicht sein können, als der Termin in den Vorhersagebereich rückte: durchgängig Winde jenseits von sechs, teilweise bis acht Beaufort aus West. Für den gesamten Zeitraum! Als Zugabe viel Regen und wenig Temperaturen. So sehr ich auch überlegte und Alternativen erwog - ich sah mich schon zu Hause sitzen und weiter dem niesligen November beim Einzug in mein Gemüt zuzusehen.
Erst am Dienstag war klar, dass der gesamte Wind sich auf den Mittwoch und der Regen auf den Donnerstag konzentrieren würden. Freitag wenig Wind, Samstag so gut wie gar keiner - und vor allem am Sonntag kräftiger Nordwind! Gerettet!
Marie-Theres fährt mich am Nachmittag nach Habernis am Westende der Geltinger Bucht. Das Boot ist schnell gepackt - ich habe allerhand Überflüssiges zu Hause gelassen, was ich sonst nur mitnehme, wenn ich mit einer Gruppe unterwegs bin. Entsprechend viel Platz ist in meinem Boot noch. Trotzdem ächzt Marie-Theres, als sie es das kleine Stück bis zum Wasser tragen muss.
Ich will den Shelter, von dem Trenk mir erzählt hat, ausprobieren und halte daher einen deutlich westlicheren Kurs als sonst. Es soll eine Metalltreppe vom Strand zu ihm hinauf führen, das ist mein Anhaltspunkt. Es scheint die erhoffte milde Herbstsonne und die Temperaturen liegen bei unglaublichen 19 Grad!
Der Shelterplatz ist schnell gefunden, aber er ist längst nicht so entlegen wie der Übernachtungsplatz ein Stück weiter im Wald. Als ich die Holzhütte in näheren Augenschein nehme, beschließe ich aber doch hierzubleiben und sie zu nutzen. Die Hütte hat keinen Blick aufs Wasser, dafür wird sie aber bis zum letzten Moment von der Abendsonne beschienen. Fürs Abendessen wähle ich den Holztisch direkt am Wasser, das ist romantischer. Die Nudeln zu kochen, ist keine große Tat - allerdings kippt mir die Tüte mit der Tomatensauce so unglücklich um, dass etliches davon unter dem Tisch landet. Dass ich große Teile davon auch auf meiner Hose verteilt habe, merke ich leider nicht gleich, so dass der Brei schön einmassiert wird und ich aussehe wie ein inkontinenter Penner.
Ich bin nur knapp sechs Kilometer gepaddelt - und doch Lichtjahre entflohen - und vor allem und ganz unzweifelhaft: angekommen! Die Luft ist unglaublich lau, am Horizont sendet der Leuchtturm von Kalkgrund stolz und stoisch sein Licht in die Runde. Das seines Kollegen von Kegnes sieht dagegen fast etwas eingeschüchtert aus. Im dunkler werdenden Rund blinkt noch dies und das und alles in beruhigender Langsamkeit. Nur ein Seezeichen in der Nähe meines Startortes blinkt ganz hektisch. Es hat eine Frequenz von etwa zwei Hertz, was im Spektrum der Nautik etwa dem entspricht, was in der Optik unter extrem harter Röntgenstrahlung geführt wird. Die Lichter des Campingplatzes bei Habernis liegen so dicht über dem Horizont, dass sie flimmern wie eine animierte Weihnachtsbeleuchtung. Insgesamt ist die Szenerie aber sehr sparsam illuminiert. Und alles fein ordentlich sortiert: was ortsfest ist, hat blinkende Lichter, was sich bewegt, führt feste Lichter. Nur ein ortsfestes, konstant grünes Licht, etwa auf halber Strecke zwischen Kalkgrund und dem Mars, bringt Unordnung in diese Harmonie. Erst, als nach einiger Zeit glucksende Geräusche aus weiter Ferne herangetragen werden, die man als bemühte Startversuche eines Dieselmotors interpretieren könnte und sich wenig später der Campingplatz auf das ortsfeste grüne Licht zubewegt, ist die Ordnung wieder hergestellt.
Still ruht die See - es sind kaum Geräusche zu hören. Das Rauschen der Restwellchen ist fast das einzige, was die Ohren davor bewahrt, ihr eigenes Rauschen wahrzunehmen. Hin und wieder fliegt ein Schwarm Gänse über mich hinweg. Wie zum Teufel landen die jemals wieder? Die können doch nicht bis zur Morgendämmerung in der Luft bleiben! Und wenn sie jetzt zur Landung ansetzen, würden sie doch mit jeder Kuh kollidieren, die im Wege steht. Oder wie sehen die nachts? Ich jedenfalls würde nicht mal mehr zum Shelter zurückfinden ohne meine Stirnlampe.
Es treten immer mehr Sterne hervor, sogar die Milchstraße zeigt sich zögerlich. Dieses neblige Band, das ich als Kind immer so bewundert habe, ohne zu wissen, dass jeder Nebeltropfen in ihr eine Sonne darstellt, dieses Band traut sich in Kiel nicht mehr aus der Deckung. Schon für diesen Anblick hat sich die Aktion gelohnt.
Bei all dem Frieden, den ich so genieße und der mir so gut tut, überlege ich, ob mir das Paddeln vielleicht nur Mittel ist, um dieses Ziel zu erreichen, oder ob es auch Selbstzweck ist. Im Moment kann ich es nicht entscheiden und genieße nur, dass mir dieses Mittel solche Ziele ermöglicht.
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