Lange schon habe ich mir den Donnerstag nach dem Mittwoch der Einheit freigenommen. Da ich freitags nun immer Frei-Tag habe, würde da eine super-lange Reihe von freien Tage zusammenkommen, die paddeltechnisch genutzt werden will. Eine Kreuzfahrt durch die Dänische Südsee unter herbstlich milder Sonne habe ich mir vorgestellt, mit irgendwie kooperativen Winden oder zumindest ohne widrige.
Schlimmer hätte die Aussicht dann gar nicht sein können, als der Termin in den Vorhersagebereich rückte: durchgängig Winde jenseits von sechs, teilweise bis acht Beaufort aus West. Für den gesamten Zeitraum! Als Zugabe viel Regen und wenig Temperaturen. So sehr ich auch überlegte und Alternativen erwog - ich sah mich schon zu Hause sitzen und weiter dem niesligen November beim Einzug in mein Gemüt zuzusehen.
Erst am Dienstag war klar, dass der gesamte Wind sich auf den Mittwoch und der Regen auf den Donnerstag konzentrieren würden. Freitag wenig Wind, Samstag so gut wie gar keiner - und vor allem am Sonntag kräftiger Nordwind! Gerettet!
Marie-Theres fährt mich am Nachmittag nach Habernis am Westende der Geltinger Bucht. Das Boot ist schnell gepackt - ich habe allerhand Überflüssiges zu Hause gelassen, was ich sonst nur mitnehme, wenn ich mit einer Gruppe unterwegs bin. Entsprechend viel Platz ist in meinem Boot noch. Trotzdem ächzt Marie-Theres, als sie es das kleine Stück bis zum Wasser tragen muss.
Ich will den Shelter, von dem Trenk mir erzählt hat, ausprobieren und halte daher einen deutlich westlicheren Kurs als sonst. Es soll eine Metalltreppe vom Strand zu ihm hinauf führen, das ist mein Anhaltspunkt. Es scheint die erhoffte milde Herbstsonne und die Temperaturen liegen bei unglaublichen 19 Grad!
Der Shelterplatz ist schnell gefunden, aber er ist längst nicht so entlegen wie der Übernachtungsplatz ein Stück weiter im Wald. Als ich die Holzhütte in näheren Augenschein nehme, beschließe ich aber doch hierzubleiben und sie zu nutzen. Die Hütte hat keinen Blick aufs Wasser, dafür wird sie aber bis zum letzten Moment von der Abendsonne beschienen. Fürs Abendessen wähle ich den Holztisch direkt am Wasser, das ist romantischer. Die Nudeln zu kochen, ist keine große Tat - allerdings kippt mir die Tüte mit der Tomatensauce so unglücklich um, dass etliches davon unter dem Tisch landet. Dass ich große Teile davon auch auf meiner Hose verteilt habe, merke ich leider nicht gleich, so dass der Brei schön einmassiert wird und ich aussehe wie ein inkontinenter Penner.
Ich bin nur knapp sechs Kilometer gepaddelt - und doch Lichtjahre entflohen - und vor allem und ganz unzweifelhaft: angekommen! Die Luft ist unglaublich lau, am Horizont sendet der Leuchtturm von Kalkgrund stolz und stoisch sein Licht in die Runde. Das seines Kollegen von Kegnes sieht dagegen fast etwas eingeschüchtert aus. Im dunkler werdenden Rund blinkt noch dies und das und alles in beruhigender Langsamkeit. Nur ein Seezeichen in der Nähe meines Startortes blinkt ganz hektisch. Es hat eine Frequenz von etwa zwei Hertz, was im Spektrum der Nautik etwa dem entspricht, was in der Optik unter extrem harter Röntgenstrahlung geführt wird. Die Lichter des Campingplatzes bei Habernis liegen so dicht über dem Horizont, dass sie flimmern wie eine animierte Weihnachtsbeleuchtung. Insgesamt ist die Szenerie aber sehr sparsam illuminiert. Und alles fein ordentlich sortiert: was ortsfest ist, hat blinkende Lichter, was sich bewegt, führt feste Lichter. Nur ein ortsfestes, konstant grünes Licht, etwa auf halber Strecke zwischen Kalkgrund und dem Mars, bringt Unordnung in diese Harmonie. Erst, als nach einiger Zeit glucksende Geräusche aus weiter Ferne herangetragen werden, die man als bemühte Startversuche eines Dieselmotors interpretieren könnte und sich wenig später der Campingplatz auf das ortsfeste grüne Licht zubewegt, ist die Ordnung wieder hergestellt.
Still ruht die See - es sind kaum Geräusche zu hören. Das Rauschen der Restwellchen ist fast das einzige, was die Ohren davor bewahrt, ihr eigenes Rauschen wahrzunehmen. Hin und wieder fliegt ein Schwarm Gänse über mich hinweg. Wie zum Teufel landen die jemals wieder? Die können doch nicht bis zur Morgendämmerung in der Luft bleiben! Und wenn sie jetzt zur Landung ansetzen, würden sie doch mit jeder Kuh kollidieren, die im Wege steht. Oder wie sehen die nachts? Ich jedenfalls würde nicht mal mehr zum Shelter zurückfinden ohne meine Stirnlampe.
Es treten immer mehr Sterne hervor, sogar die Milchstraße zeigt sich zögerlich. Dieses neblige Band, das ich als Kind immer so bewundert habe, ohne zu wissen, dass jeder Nebeltropfen in ihr eine Sonne darstellt, dieses Band traut sich in Kiel nicht mehr aus der Deckung. Schon für diesen Anblick hat sich die Aktion gelohnt.
Bei all dem Frieden, den ich so genieße und der mir so gut tut, überlege ich, ob mir das Paddeln vielleicht nur Mittel ist, um dieses Ziel zu erreichen, oder ob es auch Selbstzweck ist. Im Moment kann ich es nicht entscheiden und genieße nur, dass mir dieses Mittel solche Ziele ermöglicht.
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