Sonntag, 7. Oktober 2018

Langes Wochenende zur Einheit (3/3)

In der Nacht hat es tatsächlich "aufgefrischt". Mein Zelt rüttelt sich und schüttelt sich. Es wirft zwar kein Säckchen hinter sich, aber seine Stoffwände schlagen mir immer wieder ins Gesicht. Es tanzen acht Bi-Ba-Beaufort um mein Zelt herum. Irgendwann wird sogar mein Kocher umgeweht - und den hatte ich unter der Apsis deponiert. Na - mal sehen, wie sich das morgen früh darstellt.

Mein erster Blick am Morgen gilt dem Flaggenmast. Gut - es weht - aber nicht mehr heftig. Eher lieblich. Eigentlich viel zu lieblich. Dabei sollte der Wind am Vormittag erst allmählich zurückgehen. Und vor allem sollte der Wind genau aus Norden kommen - das hier ist Westen! Das war so nicht geplant! Segler nennen so eine Windrichtung "halber Wind" - ich nenne das "halber Spaß". Und wenn das Nachlassen im selben Tempo weitergeht, habe ich in zwei Stunden Flaute - und danach vermutlich sogar Gegenwind. Ich werde mich bemühen, so schnell wie möglich aufs Wasser zu kommen, um noch möglichst viel vom Wind mitzunehmen.

Mein Segel hatte ich schon am Abend vorher sorgfältig aufgeriggt. Wenn man alleine unterwegs ist, gibt es schließlich keine Chance, hinterher etwas zu richten, wenn es nicht optimal verzurrt ist. Ich stelle zwar keinen neuen Rekord auf, aber um 9:10 Uhr aktiviere ich meinen GPS-Tracker, lasse mich in mein Boot gleiten und selbiges ins Wasser. Man braucht eben immer grob zwei Stunden vom ersten Öffnen der Augen, bis man auf dem unseren Sport tragenden Medium schwimmt. Wenn man hektisch ist und schnell macht, schafft man es auch in anderthalb Stunden. Aber drunter ist nicht und ich will einfach nicht hetzen.

Direkt nach Verlassen der Schlei setze ich mein Segel. "Fock!" macht es - und die Sache steht! Ich merke gleich, dass es eine spürbare Unterstützung produziert. Es ist das erste Mal in diesem Jahr, dass ich mein Segel benutze und ich bin eigentlich ganz froh, dass es nicht ganz so unwirtlich windet. So kann ich mich erst wieder an das Gefühl gewöhnen und alle Handgriffe in Ruhe durchgehen.

Meinen Kurs lege ich so, dass ich die südwestliche Sperrgebietstonne des Schießgebietes vor Schwansen ansteuere. Danach werde ich direkt Bülk aufs Korn nehmen. Täte ich das von Anfang an, müsste ich ein kleines bisschen durch das Schießgebiet fahren. Das will ich nicht. Als ich an Olpenitz vorbeiblickend eine ferne Küstenlinie erkenne, halte ich sie zuerst für die östliche Begrenzung von Schwansen. Viel Kummer gewohnt von der extrem schlechten Sicht gestern bin ich bass erstaunt, als ich erkennen muss, dass es sich bereits um Steilküste des Dänischen Wohlds handelt. Da kann ja navigatorisch nicht mehr viel schiefgehen!

Je weiter ich mich von der Küste entferne, desto größer werden die aus nördlicher Richtung heranrollenden Wellen. Es sind noch Nachwehen des großen Wehens von heute Nacht. Es macht richtig Spaß, mit meinem Segel durch sie hindurch zu pflügen und sie abzureiten. Immer wieder bekomme ich das vollbeladene Boot ins Surfen. Das Zusammenspiel von Wellen, Windstärke und -richtung ist wunderbar passend für meinen Kurs und meine eingerostete Praxis im Einsatz der Besegelung. Ich werde zunehmend kecker und verliere alle Bedenken, dass ich besonders vorsichtig sein muss. Ich fange an, dies als Testfahrt für eine Solo-Überfahrt von Bülk nach Ärö zu sehen.

Anfangs liefere ich mir lange ein totes Rennen mit einem Segler. Der hat allerdings nur sein Großsegel gesetzt und hühnert länglich an seiner Fock herum. Als er die endlich fertig gesetzt hat, ist er bereits leicht schneller als ich. Als dann der Wind noch etwas zunimmt, habe ich keine Chance mehr gegen ihn.

Die Windvorhersage war tatsächlich nur in Teilen richtig. Die Windspitze in der Nacht war korrekt vorhergesagt. Danach sollte der Wind stetig nachlassen und aus Nord bzw. sogar Nord-Nord-Ost wehen. Die Richtung ist aber eher Nord-Nord-West, und das Nachlassen hat irgendwann nachgelassen. Er ist wieder deutlich frischer geworden und weht mit kleinen sechs Beaufort. Mittlerweile sind um mich herum wieder überall weiße Bäckermützen zu sehen - aber ich fühle mich immer noch bombensicher! Eher mache ich mir Sorgen, dass ein hin und wieder langsam an mir vorüber ziehender Segler sich Sorgen um mich macht. Aber keiner fährt so dicht an mich heran, dass er meinen Gesichtsausdruck erkennen könnte. Könnte einer ihn sehen, würde er erkennen, dass Paddeln für mich durchaus nicht nur Mittel ist, um Ziele zu erreichen, die meiner Seele schmeicheln. Es ist mindestens ebenso sehr Selbstzweck, der auch meiner Seele ein Lächeln ins Gesicht malt.

Nach drei und einer Viertelstunde erreiche ich den Strand am Bülker Leuchtturm. Das entspricht einer Durchschnittsgeschwindigkeit von etwa 8,5 km/h. Ganz ordentlich für ein voll beladenes Boot! Ohne Segelunterstützung ist das schwerlich zu schaffen. Sagte ich schon, dass den ganzen Tag über die Sonne geschienen hat?

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