Samstag, 6. Oktober 2018

Langes Wochenende zur Einheit (2/3)

Zwei Pappnasen aus Pinneberg parken schon vor Sonnenaufgang ihren BMW auf der Zeltwiese vor meiner Holzhütte. Dann machen sie sich lautstark rhabarbernd daran, sich und ihre Ausrüstung fürs Angeln fertig zu machen. Ich habe mein Zelt gestern Abend kurzerhand im Shelter aufgebaut und es ist für sie gut ersichtlich, dass da zehn Meter neben ihnen jemand noch nicht mit Schlafen fertig ist. Ignorantenpack!

Die Nacht war unglaublich warm. Trotzdem ist heute Morgen alles in dichten Nebel gehüllt. Das kommt mir nicht ungewöhnlich vor, denn zu dieser Jahreszeit herrscht morgens gerne mal dicke Suppe, bevor sich der Tag später dann in strahlendem Blau präsentiert. Ich will direkt zum Leuchtturm Kalkgrund und dann um das Schutzgebiet vor der Geltinger Birk herum erst nach Falshöft und dann nach Schleimünde fahren. Der Wind soll heute insgesamt schwach bleiben, aber später aus südlicher Richtung wehen. Da ist es gut, wenn ich nicht so viel Zeit verliere, indem ich irgendwelche Kurven fahre.

Die Entfernung bis Kalkgrund sind knappe neun Kilometer - die Sicht beträgt anfangs etwa neun Dekameter, da sollte  man den Kurs kennen. Zum Glück befinde ich mich ja hier in Dänemark - und nach dem Grenzübertritt immer noch in der Flensburger Förde - da gilt die Seeschifffahrtsstraßenordnung nicht, sondern die Kollisionsverhütungsregeln, nach denen ich durchaus auch bei diesen Sichtverhältnissen mit meinem Boot auf dem Wasser sein darf. Wenn ich dann in "richtig" deutsche Gewässer komme, wird die Sache mit dem blauen Himmel schon greifen. Gewissenhaft wie ich bin, stecke ich mir mein Rundumlicht griffbereit in die Tasche meiner Schwimmweste - nur für den Fall!

Der Kurs zum Leuchtturm beträgt 105 Grad. In Kajak-gemäßer Formulierung heißt das: etwa mittig zwischen 90 und 120 Grad. Natürlich habe ich mein GPS-Gerät dabei und mein Zwischenziel einprogrammiert. Aber wozu habe ich einen Kompass? Und Versatz durch Strömung oder Wind ist hier nicht in nennenswertem Maß zu erwarten. Also los ins Unsichtige.

Nach etwa einem Kilometer halte ich inne, weil ich ein Motorengeräusch höre. Ziemlich leise aber auch ziemlich deutlich. Sehen kann ich erst nix, und dann - ganz kurz und an der Grenze der Sichtbarkeit schneckt sich ein Motorboot vorbei. Vermutlich hat es auch etwas gesehen oder zumindest geahnt, denn es sondert sicherheitshalber ein von der langen Nichtbenutzung heiser gewordenes Schallsignal ab. Dann höre ich wieder nur das Morsezeichen des Leuchtturms: kurz-kurz-lang-kurz, kurz-kurz-kurz. Das sind die Buchstaben F und S und die kommen tatsächlich von Kalkgrund. Wenn ich das schon aus neun Kilometern so deutlich höre, graut mir etwas davor, später direkt unter diesem dröhnenden Tongeber durchzufahren.

Nebel from Mathias Weber on Vimeo.

Schiffsverkehr findet nicht statt - zumindest ist keiner wahrzunehmen. Möglicherweise gibt auch einfach niemand die vorgeschriebenen Schallsignale, weil jeder glaubt, er sei hier eh alleine unterwegs, während eigentlich das Wasser voller Schiffe ist. Es gibt aber keinen Grund für diese Annahme, denn der Wind ist mittlerweile so schwach, dass man jede Bugwelle sehen und jedes Motorgeräusch hören müsste. Das einzige, wovon es wimmelt, sind Insekten. Die fliegen überall herum und sitzen auf der Wasseroberfläche. Ich frage mich,was die hier wollen, nehme sie aber als willkommene Peilmarken, um nicht ständig den Kompass fixieren zu müssen, sondern den Blick mal etwas weiter schweifen lassen zu können, auf eine ferne Fliege, die auf dem Wasser sitzt. Ärgerlich nur, wenn so ein Insekt auffliegt, bevor ich es erreicht habe! Irgendwann verstummt das "FS" ohne für mich ersichtlichen Grund.

Der Leuchtturm ist zu sehen!
Nach genau einer Stunde meine ich, den Leuchtturm erkennen zu können. Er liegt etwas außerhalb meiner Fahrtrichtung, aber durchaus im erwarteten Rahmen. Er ist übrigens wirklich nicht deutlicher zu sehen, als auf dem Foto! Obwohl es einen Umweg für mich bedeutet, ändere ich meinen Kurs und fahre direkt auf ihn zu.

Wenn man sich meine GPS-Spur im Nachhinein ansieht, habe ich einen durchschnittlichen Kurs von etwa 110 Grad gehalten. Das ist nicht schlecht für eine Sollkurs von 105 Grad. Den Leuchtturm erkannt habe ich aus einer Entfernung von ca 1.800 Metern. Wenn ich in meiner Kompass-Richtung weiter gefahren wäre, hätte ich mein Ziel um ca. 900 Metern verfehlt - das ist akzeptabel für eine Entfernung von neun Kilometern, wobei ich mir nicht einmal Mühe gegeben habe! Dass die Sicht jetzt übrigens knappe zwei Kilometer beträgt, könnte tatsächlich der Grund dafür sein, dass der Leuchtturm sein Tröten eingestellt hat - schließlich beginnt Nebel erst bei einer Sichtweite von unter tausend Metern!

Alles Männchen!
Wie als hat das Wetter nur meine Navigationskünste testen wollen, wird die Sicht deutlich besser, als ich den Leuchtturm passiere. Recht bald ist schon die Küste der Geltinger Birk zu sehen und ich kann nach Sicht navigieren. Der Leuchtturm Falshöft markiert etwa die Mitte meines heutigen Tagespensums, und dort mache ich erst einmal Pause. Die Strecke von hier bis nach Schleimünde ist eher meditativ und ereignislos. Allerdings sind beeindruckend viele Wasservögel unterwegs, die sich durch ihre übertrieben große Fluchtdistanz eindeutig als Wintergäste bzw. Durchreisende zu erkennen geben. Es sind Schwärme von Ringel-, Kanada- und Graugänsen, vor allem aber riesige Herden von Eiderenten. Komischerweise sind es bei letzteren alles nur Männchen - bis auf je ein unidentifizierbares Exemplar pro Schwarm, das im wesentlichen schwarz ist. Vielleicht ein Jungtier, ein Fremdenlegionär einer anderen Art oder eben doch einfach ein Weibchen, das die Aufsicht über den Schwarm führt.

Das Pappelwäldchen von Schleimünde
Leider dreht der Wind, wie es die Vorhersage vorhergesehen hat, immer weiter nach Süden, so dass er mir schließlich ziemlich entgegen weht. Das macht sich deutlich in meiner Geschwindigkeit bemerkbar, die um einen guten Stundenkilometer auf etwa 6,5 zurückgeht. Vielleicht spielt aber auch die Tatsache mit hinein, dass ich seit vier Stunden auf dem Wasser bin.

Als ich mich meinem Etappenziel nähere, lässt die Sicht schon wieder deutlich nach. Die Sache mit dem blauen Himmel hat nicht stattgefunden. Wenn das morgen auch nur annähernd ähnlich aussieht, kann ich mich nicht mehr mit dänischen Gewässern und Sonderregelung für die Flensburger Förde rausreden - dann muss ich mir etwas überlegen.

Zwischen den Molen, die die Einfahrt in die Schlei flankieren, drängelt sich das Wasser hektisch in den engen Ostseefjord. Hier schnellt meine Geschwindigkeit kurzzeitig bis auf fast zehn Stundenkilometer hoch! Wie nicht anders erwartet, bin ich der einzige Kajaker, der heute hier vor Anker geht. Aber was an Segelschiffen im Hafen liegt, ist mehr als überraschend - und es kommen ständig mehr Boote herein. Ich hätte gedacht, dass für die meisten Segler die Saison so gut wie beendet ist.

Auf der Lotseninsel ist nicht viel los - die Giftbude hat zu und der Hafenmeister ist nicht da. Ich schmeiße einen losen Zehn-Euro-Schein in seinen Briefkasten und wasche erst mal meine tomatenversifte Hose mit heißem Wasser gründlich aus. Dann mache ich diverse Spaziergänge über das in alle Richtungen sehr eingeschränkte Areal, um meinen hartgesessenen Hintern wieder etwas aufzulockern. Während ich so meinen Verrichtungen nachgehe und mir schließlich mein Hühnerfrikassee bereite, werden zwei große Gruppen Tagestouristen von einer beflissenen jungen Dame mit allerlei lokalen Insiderinformationen gefüttert: Dass die Öhe früher wirklich eine Insel war und eben deshalb auch zu Recht Lotseninsel heißt, dass der hier wohnende Seeadler zwar Kormorane fängt, sie aber nicht frisst, sondern nur aufschlitzt, um an den enthaltenen Fisch zu kommen, warum das Pappelwäldchen denkmalgeschützt ist und dass der Hafenmeister von Maasholm Werder-Bremen-Fan ist und deswegen der Leuchtturm vor kurzem als Geburtstagsgeschenk grün-weiß gestrichen worden ist.

Im Moment herrscht fast Flaute, die Wettervorhersage sieht für heute Nacht stürmischen Wind vor, der aber morgen früh schon wieder stark abflauen soll. Er soll aus stramm nördlicher Richtung kommen, und so nehme ich mir vor, möglichst früh aufzustehen, um ihn optimal ausnutzen zu können. Damit das klappt, gehe ich früh ins Bett - die Lotseninsel habe ich eh schon zig-mal abgeschritten!

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