Samstag, 25. August 2018

Kurzes Wochenende auf Hooge

Eine so große Lücke in meinem Paddeltagebuch hat es noch nie gegeben: der letzte Eintrag stammt von Anfang Februar! Aber nicht nur meine paddlerischen Aktivitäten auch die Planung der Touren und anderweitigen Unternehmungen im Verein habe ich dieses Jahr verpasst - sie ging in den Wirren meines verkorksten Frühjahres verschütt. Um nicht ganz nackt und ohne Hoffnung dazustehen, habe ich dann irgendwann beschlossen, im Stillen und abseits der offiziellen Gleise eine Nordseetour zu planen. Mitpaddler würde ich schon finden. Unseren eigenen Wanderwart zum Beispiel und den des Nachbarvereines, weil beide noch keine Nordseeerfahrung haben und Förderung unbedingt verdienen. Später fragte Peter noch nach, ob ich dieses Jahr etwas in westlicher Richtung unternehmen würde - er würde gerne mal seine Tochter im Zweier mit auf die Nordsee nehmen. Schließlich hat Ulrich sich derart beflissen fortentwickelt und Symptome nachhaltiger Infektion mit dem Seekajak-Virus gezeigt, dass ich auch ihm die Chance anbieten wollte, einmal unser Tidengewässer kennen zu lernen. Recht spät hat Sven das betreffende Wochenende noch frei von der Familie bekommen, und ich habe ihm gerne zugesagt. So war ein gutes Trüppchen beisammen, und ich hatte lange Monate Zeit, mich während eines nicht enden wollenden Jahrhundertsommers auf eine Flucht aus dem Alltag und einen Ausflug in die Natur zu freuen.

Erste Risse bekam die Vorfreude durch die Absage der beiden Wanderwarte. Der eine musste auf eine Tour zu einem befreundeten Kanu-Verein in Bremen, der andere hatte die Unnachgiebigkeit der Tide noch nicht vollständig erfasst und konnte seinen Terminkalender damit nicht in Einklang bringen. Fünf Teilnehmer sind immer noch genug - eigentlich sogar viel intimer und intensiver.

Die Wettervorhersage sieht eine Woche vor dem Termin eher wie ein Software-Fehler aus: während die Jacken an der Garderobe seit Monaten Spinnweben ansetzen, man es schon als ungewöhnlich empfindet, wenn das Thermometer einen Tag mal nicht die 25 Grad überschreitet, man das Gefühl von Regen auf der Haut nachhaltig vergessen hat und man "braun" antwortet, wenn man nach der Farbe von Gras gefragt wird, sollte es an diesem Wochenende ergiebig regnen, heftig wehen und die Quecksilbersäule die 15 Grad Marke nicht erreichen. Zur Sicherheit waren noch Gewitter angekündigt - besonders an der Nordsee!

Die Verantwortlichen werden den Softwarefehler bestimmt in den nächsten Tage fixen, war meine feste Überzeugung. Also ließ ich die Planung unbeirrt weiterlaufen. Am Mittwoch sah es immer noch nicht überzeugend besser aus, so dass wir vereinbarten, den Wetterbericht am Freitag selbst abzuwarten, um dann mit genauerem Blick auf die Lage zu entscheiden.

Donnerstag Abend meldete sich noch die Gruppe mit Nina, Olav und Johanna, dass sie sich wegen der unsicheren Lage gerne uns anschließen wollten und nicht auf eigene Faust von "Schlüttmoorsiel" ("Johannisch" für Holmersiel!) aus losfahren. Das war mir sehr recht, denn damit hatte ich ein besseres Gefühl.

Die Lage am Freitag war dann aber bescheiden! So leid es mir tat, ich sagte den Start für Freitag ab und verschob ihn auf Samstag um dieselbe Zeit. Peter zog es vor, mit seiner Tochter per Fähre nachzukommen und dann nur die Rückfahrt am Sonntag auf eigenem Kiel zu machen. So ist unsere Gruppe auf übersichtliche drei Nasen zusammengeschrumpft, denn die "Schlüttmoorsieler" haben eh nur Freitag/Samstag Zeit, aufs Wasser zu gehen.

Weil die Tide ja samstags eine Stunde später läuft als freitags, sind wir mit unserer Abfahrtszeit deutlich im entspannten Bereich. Bis Bredsted geht auch alles gut, bis auf die üblichen Zweifel an den bekannten neuralgischen Punkten, wo ich mir immer mit dem Abbiegen nicht sicher bin. Aber ein, zwei Ehrenrunden in den Kreiseln richten das Ganze unauffällig. Allerdings ist die Straße am Deich entlang, die uns nach Schlüttsiel bringen soll, voll gesperrt und eine Umleitung über Niebüll ausgeschildert. Davon hat uns Google-Maps kein Sterbenswörtchen gesagt! So schmilzt ein großer Teil unseres Vorsprungs durch unnötiges Gegurke durch die nordfriesische Landschaft wieder dahin.

Trotzdem erreichen wir den Hafen noch so rechtzeitig, dass ein Einsetzen an der Rampe gut möglich scheint. Zügiges Packen und Umsetzen des Autos bescheren uns gerade noch soviel Wasser über der Kante, dass wir die Boote problemlos einsetzen können. Der Wind ist lieblich, als wir um halb fünf aus dem Hafen treiben, etwa drei Beaufort. Die Halligen - Habel, Gröde und Langeness - sind alle noch an ihrem angestammten Platz und werden kurz benannt, um allen die Orientierung zu erleichtern. Der Wettervorhersage gehorchend wird der Wind immer stärker und erreicht bis zu unserer Ankunft auf Hooge etwa fünf Beaufort. Das ist kein wirkliches Problem und bietet wenigstens auf den letzten Metern noch die Gelegenheit, ein bisschen durch spritzende Wellen zu fahren. Trotz des Gegenwindes kommen wir gut voran. Wie von mir vorgegeben führen alle Beteiligten eine Seekarte auf dem Vordeck mit - bis auf den Fahrtenleiter! Zwar hatte ich die Karte noch rausgesucht und auch die Deckstasche bereit gelegt, aber schließlich doch vergessen, sie einzupacken. Peinlich!

So fahre ich mehr intuitiv, habe aber keine wirklichen Bedenken, das bald sichtbare Hooge zu treffen. Die einzige Schwierigkeit ist, rechtzeitig ins Hooge-Fahrwasser zu gelangen, bevor der Wasserstand soweit gefallen ist, dass man die nördlich davon liegende Sandbank nicht mehr überqueren kann. Aber in einiger Entfernung ist eine große Gruppe Paddler zu sehen, die genau auf unserem Kurs liegt. Da ist also auf jeden Fall noch genug Wasser. Erst als sich die Paddelgruppe beim Näherkommen als eine Horde Watvögel entpuppt, die dort mit ihren endlich langen Beinen auf dem Grund des Meeres stehen, biege ruckartig nach links ab - gerade noch rechtzeitig, um bei weniger als knietiefem Wasser ins Hooge-Fahrwasser zu wechseln.

Die Zeltwiese ist pappenleer. Eigentlich sind die Wetterbedingungen ja nicht schlecht - sie sind es nur, wenn man sie in Relation zu den Verhältnissen setzt, die die vergangenen Monate durchgängig geherrscht haben. Es soll uns recht sein. Jeder sucht sich ein Fleckchen, das ihm gefällt, und fängt an, sein Zelt aufzubauen. Da trudeln auch schon Peter und Mirja ein, die quasi gleichzeitig mit uns die Hallig erreicht haben - nur eben mit der Fähre. Sie sind noch kurz im Friesenpesel vorbeigegangen und haben gefragt, wie lange man dort noch etwas zu essen bekommt. "Um acht Uhr macht die Küche zu!", ist die Antwort. "Bis zehn vor Acht muss die Bestellung abgegeben sein!". Es ist jetzt kurz nach sieben und wir stehen mit halb aufgebauten Zelten in Paddelmontur auf der Wiese rum - das wird knapp! Kurzerhand geben wir Peter unsere Bestellwünsche mit, und er macht sich auf den Weg, im Pesel Tisch und Essen für uns sicher zu stellen.

Das Lammfilet ist wie immer lecker und wir bekommen ungefragt dreierlei Beilagen in hinreichender Menge geliefert: Kartoffeln, Pommes und Rösti! Wir bleiben nicht unnötig lange, weil um diese Jahreszeit das Tageslicht ja nicht mehr unbegrenzt verfügbar ist und wir noch die Zelte fertig aufbauen müssen. Als wir uns auf den Weg zurück machen, pieselt es bereits leicht, aber das ist noch kein Grund, eine Regenjacke anzuziehen. Wir richten unsere eigenen Stoffhütten fertig ein und helfen Peter und Mirja kurz, ihr Zelt in der einsetzenden Dunkelheit aufzubauen. Kaum sind alle Heringe in den Wiesenboden gezwungen, setzt richtiger Regen ein - und wir verschwinden ein jeder hinter seinem eigenen Reißverschluss.

Ich habe extra meinen neuen Gaskocher mitgenommen, den ich unbedingt unter Expeditionsbedingungen ausprobieren muss. Nach etwa zwanzig Jahren Leben mit einem fauchenden Benzinkocher, der mit seiner halbmeterhohen Stichflamme beim Entzünden alles wegfackelt, was ihm in die Quere kommt, ist das Kochen mit so einem Gasbrenner ein echtes Kinderspiel! Man dreht den Gashahn auf, hält das Feuerzeug dran und - pfuchchchch - brennt das Teil! Aber das mit dem Fauchen ist ehrlich gesagt nicht viel leiser als bei meinem alten Benziner! Da ich schon reichlich gegessen habe, mache ich mir nur einen heißen Kakao und genieße ihn, während der Regen gegen mein Zelt pladdert. Der Regen schafft eine perfekte Isolation von der Außenwelt: man hört nix als sein Pladdern und nichts und niemand wird ihn durchdringen. Es ist, als wäre man weit weg auf einer einsamen Insel... Augenblicklich stellt sich eine umfassende Behaglichkeit ein.

Es regnet die ganze Nacht hindurch und der Wind weht mit unverminderter Stärke. Gegen frühen Morgen dreht er einmal sehr ordentlich auf, um sich dann deutlich zu beruhigen. Als ich genug geschlafen habe und aus dem Zelt blicke, sitzt Ulrich dort bereits in der Morgensonne und genießt seinen ersten Kaffee. Kein Regen, kein Wind, dafür Sonne und weiße Wolken am Himmel. Irgendwann tapert sogar der Hafenmeister über den Steg und ich laufe gleich zu ihm, um die Sache dem Hafengeld zu regeln. Der gibt mit aber nur den Schlüssel für das Seglerheim, so dass ich das alleine regeln kann. Allerdings passt der Schlüssel weder für die Duschen, die Toiletten noch den Gemeinschaftsraum und ich stehe erst einmal etwas ratlos in der Gegend rum. Erst als Mirja herzhaft gegen die Tür drückt, springt diese einfach auf und wir können eintreten. Das Windmessinstrument zeigt gute vier Beaufort aus leicht nördlichem West, die manchmal in den Fünfer-Bereich reinragen.

Das auflaufende Wasser kulminiert erst um 14 Uhr in Schlüttsiel und unsere Fahrtzeit wird bei unter drei Stunden liegen. Das bedeutet einen entspannten Vormittag mit ausgiebigem Frühstück und geruhsamen Packen. Zum Glück hält sich das Wetter auch, so dass alle Ausrüstung knochentrocken in die Stauräume wandert.

Im tiefen Wasser des Hooge-Fahrwassers kann der Wind gute Wirkung entfalten und einige spritzende Wellen aufschieben. Das macht allen Spaß. Um die Eigenheiten des Tidengewässers mit seinen Sandbänken und Prielen anschaulich zu machen, lasse ich über die mittlerweile überflutete Sandbank in die benachbarte Süderaue wechseln. Im Bereich des flachen Wassers gibt es zum einen keine Wellen und zum anderen lässt unsere Geschwindigkeit deutlich nach - denn hier strömt es halt nicht so scharf.

Leider hat der Wind bereits spürbar nachgelassen, als wir wieder tiefes Wasser erreichen und so ist das mit dem Spritzen und den Wellen nicht mehr halb so schön. Auf halber Strecke machen wir für eine gute Viertelstunde Pause - und werden immer noch mit satten drei Stundenkilometern Richtung Westen geschoben. Das Sielgebäude ist wie immer unnötig früh zu sehen und macht die letzten Meilen lang. Peter meint, auf Höhe von Oland einen Schweinswal gesehen zu haben, aber sonst haben wir auf dieser Tour nicht einen einzigen Seehund gesehen.

Im Zielhafen ist das Wasser schon gut über die Rampe gelaufen, so dass der Ausstieg einfach und elegant zu machen ist.

Ein kurzes aber nichts desto trotz erholsames Wochenende - auch wenn das Cafè im Hafen mittlerweile seinen Betrieb eingestellt hat und wir keinen viel zu süßen Abschlusskakao trinken können!

GPS-Daten hier.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen