Die Bestandsaufnahme bei der Vorbesprechung ergibt folgende Bilanz: siebzehn Teilnehmer haben sich angemeldet! Bernhard ist ganz nervös, ob alle Platz finden werden auf der Lotseninsel. "Wird schon!", versuche ich zu beruhigen. Im Stillen denke ich mir, dass vielleicht noch nicht jeder die Werte der Wettervorhersage gefühlsmäßig in vollem Umfang erfasst hat. Meinen Plan, eventuell am Sonntag, statt wieder auf der Schlei zurückzupaddeln, den direkten Weg über die Ostsee nach Bülk einzuschlagen, habe ich jedenfalls längst einkassiert. Meine für diese Option gedachte Frage, ob ich selbst ohne Auto teilnehmen kann, wurde positiv beantwortet.
Natürlich ist bei siebzehn Anmeldungen immer mit Imponderabilien zu rechnen, die den einen oder die andere zwingen, ihre Teilnahme absagen zu müssen. Allerdings ist meine Beobachtung schon, dass die Anzahl der Rücktritte nicht nur mit der Anzahl der Anmeldungen steigt, sondern irgendwie auch mit der Schlechtigkeit des Wetters zusammenhängt. Jedenfalls ereilt mich einen Tag vor Fahrtantritt die Bitte, doch lieber mein Auto mitzubringen. Kein Problem, ich will ja eh wieder mit zur Einsetzstelle zurückpaddeln.
Auch wenn die Feierlichkeiten zum Einheitsfest dreißig Jahre nach dem Mauerfall bereits seit zwei Tagen vorbei sind, gleicht die Fahrt zum Klub immer noch einem Abenteuer und dauert eine gute viertel Stunde länger als veranschlagt. Dabei war ich so pünktlich losgefahren! Aber als erstes erfahre ich, dass es noch mehr Absagen gehagelt hat, so dass mein Fahrzeug nun doch wieder nicht benötigt wird. Kein Problem, ich kann ja bei Karen mitfahren.
In Lindaunis ist kurz hinter der Brücke ein Parkplatz mit prima Einsetzstelle. Familie D. fährt noch ein paar Kilometer weiter nach Osten, damit die Strecke bis Schleimünde nicht so arg lang ist. Als wir aus dem windgeschützten Noor heraus und unter der Brücke hindurch fahren, erfassen uns sofort der kräftige Gegenwind und ein ebensolcher -strom. Als alter und bekennender Stressvermeider lege ich meinen Kurs bald so, dass er sich eng dem Nordufer anschmiegt. Hier ist erstens die Strömungsgeschwindigkeit nahe null und man genießt zweitens hin und wieder recht gute Windabdeckung. So fahre ich recht gemütlich und definitiv einen weiteren Weg als die mitten im Fahrwasser bleibende Restgruppe, aber ich bin immer noch schneller als sie.
Immer wieder blicke ich nach rechts und sehe die Gruppe erst neben dann leicht hinter mir in der glitzernden Ferne. Bis ich kurz vor Arnis regelrecht erschrecke - plötzlich ist die Gruppe deutlich vor mir! Allerdings muss ich recht bald feststellen, dass es eine andere Gruppe ist: Wir haben Familie D. eingeholt. Gemeinsam machen wir in Arnis Pause.
Gleich danach sehen wir auf dem anderen Ufer an Land einen weiteren Teil unserer Gesamtgruppe sich fertig machen. Hier schließen sich noch mal drei Paddler uns an. Gerrit und Bernhard hatten vorhin behauptet, dass auf ihrer letzten Tour der Gegenwind zwar noch stärker war als heute, er aber auf dem letzten freien Stück, den fünf Kilometern vor Schleimünde, eigentlich kaum zu spüren war. Mir erscheint diese Hypothese sehr gewagt, aber wenn es denn so ist, will ich mich gerne freuen.
Es ist natürlich nicht so. Oder ich merke nicht, dass ich den Gegenwind nicht merke. Aber Sven, der neben mir fährt, merkt es auch nicht. Und die anderen sind eh schon reichlich zurückgefallen. Also entweder stimmt die Hypothese nicht oder sie entfaltet heute irgendwie keine Wirkung. Aber als alles klar ist, löse ich für den letzten Kilometer vor dem Ziel die Handbremse und laufe um 16:22 Uhr am Strand der Lotseninsel auf. Losgefahren sind wir um 10:51 Uhr - das macht immerhin viereinhalb Stunden. Eine halbe Stunde haben wir Pause gemacht, also haben wir vier Stunden für 22,5 Kilometer benötigt. Entspricht 5,6 km/h - das ist nicht schlecht für einen konstanten Gegenwind von erst fünf Beaufort und dann vier.
Zu unserer großen Erleichterung ist das Gelände leidlich aufgeräumt, und es gibt für jedes Zelt genügend Platz, ohne dass wir uns gegenseitig zu dicht auf die Pelle rücken müssen. Wir treffen auch noch auf zwei Bekannte aus Kiel, die schon gestern Abend angereist sind. Im Dunkeln - was nicht bei allen Teilnehmenden auf Begeisterung gestoßen ist. Gerrit und Bernhard müssen unbedingt noch baden gehen - is' ja quasi noch Sommer. Das Wasser hat etwa dreizehn Grad. Der Himmel reißt dann noch vollständig auf und wir können unser Abendessen am Holztisch im Freien einnehmen. Anja und Norbert haben ihr phänomenales Familienzelt mitgebracht, dass für den Fall gedacht war, dass es regnet. In ihm hätte wir alle bequem Platz gehabt - aber draußen ist schöner.
Der Abend klingt wunderschön aus und einige schließen noch einen Deal mit Bewohnern des großen Hauses, dass man gemeinsam in die Sauna gehen will. Die anderen ziehen sich schließlich doch wegen der zunehmenden Kälte in das phänomenale Familienzelt zurück.
Irgendwann in der Nacht soll es mächtig geweht haben. Zumindest haben Anja und Norbert um zwei Uhr das umgewehte Familienzelt eingepackt und damit vor dem kurz danach einsetzenden Regen gerettet. Helden! Ich habe dank meiner Ohrenstöpsel und eines gesegneten Schlafes nichts von alledem mitbekommen.
Zwar ist alles nass, als wir morgens aus den Zelten kriechen, aber der Regen hat aufgehört. Allerdings sieht der Horizont noch "interessant" aus, was nichts anderes heißt, als dass da noch Wasser im Zulauf ist. Wir bauen erst einmal unsere Frühstücksausrüstung am Holztisch auf und hoffen, dass der Regen an uns vorüberzieht. Tut er natürlich nicht! Also jeder hektisch wieder in sein Zelt und dort zu Ende frühstücken.
Der Teil der Gruppe, der gestern erst in Arnis zu uns gestoßen ist, will nicht unbedingt unserem Zeitplan folgen, aber alle anderen sind schon vor der ausgegebenen Startzeit von 11 Uhr im Boot und auf dem Wasser.
Heute soll der Wind günstiger sein. Die Vorhersage hatte ihn ziemlich südlich angekündigt, aber er hat doch eine einigermaßen befriedigende Ostkomponente. So rauschen wir ohne große Anstrengung bis Arnis, wo wir wieder zur Pause an Land gehen. Nach der Pause verläuft die Schlei nicht mehr genau von Nord nach Süd sondern eher südwestlich, so dass der Wind uns wieder besser unterstützen kann. Zwar entstehen hier keine wirklich großen Wellen, aber man kann auch kleine Wellen surfen und ein bisschen Spaß haben. Günstigerweise wird die Klappbrücke bei Lindaunis kurz bevor wir sie passieren gerade geöffnet, so dass wir nicht einmal unsere Köpfe einziehen müssen!
Seit unserem Start am Morgen ist das Wetter immer besser geworden. Der Regenschauer beim Frühstück war nur dazu gedacht gewesen, uns zu zeigen, wie schlecht das Wetter sein könnte. Stattdessen verbringen wir fast so etwas wie einen Sommertag auf dem Wasser. Alle, die wegen der schlechten Wettervorhersage zu Hause geblieben sind, ärgern sich, dass sie sich in Bockshorn haben jagen lassen. Wir gehen zufrieden und mit deutlich gebräunten Gesichtern im Noor von Lindau an Land. Gewissenhaft wie Gerrit ist, badet er sein Kajak noch gründlich, bevor er es aufs Auto lädt.
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