Freitag, 6. November 2020

Corona-Fluchttour

Am letzten Wochenende im Oktober wollten wir eigentlich eine größere Tour unternehmen, aber die Wettervorhersage war alles andere als einladend. Dann kam auch noch der zweite Lockdown dazu, der unsere Möglichkeiten weiter einschränkte. Um überhaupt etwas zu unternehmen, verabredeten Jörg und ich uns zu einer Einweg-Tour von Eckernförde nach Bülk. Das war ja schon ganz nett, aber kein befriedigender Ersatz für eine richtige Tour. Zwar hatten wir immerhin einen Kocher mit, mit dem wir uns den leckeren Birnen-Bohnen-und-Speck-Eintopf aufgewärmt haben, den Jörg vorbereitet hatte, aber Zelt und Schlafsack und deren Anwendung fehlten halt. 

Für das Ende der Woche kündigte sich eine deutliche Wetterverbesserung an, so dass an eine Paddeltour zu denken wäre. Da Jörg den Samstag nicht freimachen konnte, habe ich kurzerhand für den Donnerstag Urlaub genommen, so dass wir wenigstens Donnerstag/Freitag zur Verfügung hatten.

Wohin sollten wir fahren? Dänemark hat seine Grenzen bereits wieder geschlossen, die Halligen lassen keinen an Land und Camping- und Wohnmobilstellplätze sind tabu. Schleimünde könnte gehen - ist ja eigentlich kein Zeltplatz und Wohnmobile sind hier auch eher selten. Ein kurzer Check der Webseite des Hafens - aber die sieht ziemlich verlassen aus. Wir gehen davon aus, dass das Gelände ebenso verlassen ist und keiner sich daran stoßen wird, dass wir hier übernachten.

Unseren Plan, von Bülk los und am nächsten Tag wieder dahin zurück zu fahren, müssen wir fallen lassen: für den Donnerstag ist leider maximal widriger Gegenwind angesagt. Zum Glück erklärt sich Doro bereit, uns nach Lindaunis zu chauffieren, das verwandelt den scheddrigen Gegenwind in eine angenehme Unterstützung.

Der Parkplatz am Noor ist pappenleer und auf den Straßen wenig Verkehr. Zwar müssen wir nur zwei Tage und eine Nacht aus unseren Booten leben, aber es ist Winter und da ist die Ausrüstung immer etwas voluminöser. Trotzdem bringen wir alles in den Stauräumen unter und bekommen die Lukendeckel auch wieder zu. Im Noor ist es noch recht windgeschützt und Strömung geht hier auch nicht. Das ändert sich aber drastisch, als wir lässig in den Durchlass unter der Eisenbahnbrücke einbiegen wollen. Da müssen einige energische Notschläge helfen zu verhindern, dass die heftige Strömung uns gegen die Betonpfeiler spült.

Die Schlei verläuft hier grob in Richtung Ost-Nord-Ost - der Wind kommt genau aus West. Und er kommt heftiger als vorhergesagt und erwartet. Mehr als einmal sind wir dankbar, dass wir uns nicht auf die Keul-und-Klotz-Variante eingelassen haben, uns von Bülk nach Westen zu kämpfen. Und noch häufiger sind wir dankbar für die zahlreichen Surfs, die uns immer wieder in die Nähe der 15km/h-Grenze katapultieren. Auf der Schlei kommen nun mal keine wirklich großen Wellen zustande, aber diese kleinen flachen Wasserbuckel zusammen mit dem Winddruck sorgen für ein zügiges Vorankommen. Völlig unerwartet bietet sich uns hier ein erquickender Spaß.

 
Unterwegs begegnen uns große Schwärme Seevögel, meist Kormorane, Eiderenten oder Graugänse. Mehrmals kreisen zwei Seeadler hoch über uns. Sie fliegen so hoch, dass ich mir unmöglich vorstellen kann, dass sie von dort oben einen Fisch im Wasser erkennen können. Ich vermute, sie genießen einfach wie wir das Segeln und Gleiten im Wind. In Kappeln lassen wir uns einfach treiben und verrichten unsere Pause. Trotz keinerlei eigenen Antriebs treiben wir immer noch mit zwei bis drei Stundenkilometern unserem Zeil entgegen - und das, obwohl das Gewässer hier eher in Nord-Süd-Richtung verläuft.

Als die Schlei nördlich von Kappeln wieder nach Osten abbiegt, haben wir den Wind wieder genau im Rücken. Wir wünschen uns etwas mehr Wassertiefe, die zu etwas höheren Wellen führen würde, nehmen aber die kleinen aber zahlreichen Surfs dankbar und innerlich juchzend an.

Wie erwartet liegt die Lotseninsel von allen guten Geistern verlassen da. Wir bauen unsere Zelte gleich ganz oben im Eck zwischen Mauer und Haus auf, um einigermaßen vor dem immer noch pfeifenden Wind geschützt zu sein. Am westlichen Horizont ziehen gelblich graue Wolken auf, die auf Niederschlag deuten. Zwar hat Jörg extra noch sein Tarp eingepackt, aber Regen im Zusammenspiel mit Wind können die Gemütlichkeit empfindlich beeinträchtigen. Wir sehen uns auf dem Gelände um, ob es alternative Optionen bietet. Alle Gebäude inklusive der Duschen und Toiletten sind natürlich verrammelt. Aber da gibt es ein Gewächshaus, das zwar nicht wirklich winddichte Wände hat - vor allem weil in den Fensterrahmen, die zur Tür verbaut sind, die Scheiben fehlen - aber es hat ein regendichtes Dach und bietet wenigstens etwas besseren Windschutz als ein Tarp.

Da wir durch die günstigen Umstände sehr früh angelandet sind und das Aufbauen der Zelte auch nicht lange gedauert hat (für den Transport unserer Sachen vom Boot zum Zeltplatz haben wir uns zwei herumstehende Schubkarren ausgeliehen), müssen wir erst mal einige Zeit verbringen, bevor wir daran gehen können, unser Abendbrot zu bereiten. Gespräche über dies und das und die Welt und das Überprüfen, wie es um die amerikanische Präsidentschaftswahl steht, nehmen ihre Zeit in Anspruch. Aber es ist nicht leicht, im Angesicht eines leckeren Kohleintopfes nach einem Tag mit reichlich körperlicher Anstrengung aber sparsamer Nahrungsaufnahme den aufsteigenden Heißhunger zu überhören. Um halb sieben erklären wir, dass die Zeit gekommen ist, dem Eintopf zu Leibe zu rücken. Ich muss meinen großen Topf bemühen, bekomme aber nur die Hälfte des Vorrats, den Jörg mitgebracht hat, darin untergebracht. Das Zuschauen, wie der Inhalt warm wird und dabei betörende Gerüche verbreitet, macht die Sache mit dem Hunger nicht einfacher. Zum Glück braucht es aber nicht wirklich lange, bis die Erlösung heiß ist. Und während wir uns über die erste Hälfte hermachen, köchelt die andere Hälfte bereits auf dem Kocher, so dass lückenlos weitergegessen werden kann, nachdem der erste Teller leer ist. Es ist einfach unglaublich, welche Mengen man nach einer Anstrengung an frischer Luft verputzen kann!

Der Betrieb auf der Lotseninsel hält sich in Grenzen. Anfangs liegt noch ein Fischkutter am Außensteg und sortiert Fang und Beifang. Nach Einbruch der Dunkelheit läuft noch eine Segelyacht ein. Sie kommt aus Flensburg und soll nach Rügen überführt werden. Dafür wollen sie morgen bereits um sechs Uhr auslaufen, um den dann noch günstigen Wind zu nutzen. Die Besatzung ist einigermaßen beeindruckt, dass wir unter diesen Verhältnissen hier zelten und wünschen uns eine nicht zu kalte Nacht.

Die Nacht ist aber gar nicht kalt und irgendwann hat auch der fiese Nieselregen aufgehört, der am Abend zuvor eingesetzt und dann nicht wieder aufgehört hat. Zum Frühstück im Gewächshaus gibt es Müsli und ich koche mir meine(*) zwei Eier (das "meine" steht da nur, um Jörg wieder eine Steilvorlage dafür zu liefern, dass er sich jetzt eine Anmerkung erspart!). Das eine Ei wird auf meinem Schinkenbrot verteilt, das andere wandert in eine der zahlreichen Taschen meiner Schwimmweste, um später auf hoher See mit Genuss verspeist zu werden. Nach dem Zusammenpacken unserer Sachen, bei dem uns die Schiebkarren wieder gute Dienste erweisen, müssen wir noch das Gelände und das Gewächshaus wieder so herrichten, dass niemand erkennen kann, dass jemand es zweckentfremdet genutzt hat. Um halb elf sind wir startklar, der Wind hat gegenüber gestern deutlich nachgelassen, kommt aber noch aus derselben Richtung.

Der Wasserstand ist deutlich höher als gestern Abend, was nichts anderes heißt, als dass es in die Schlei hineinströmt. Vor der Hafeneinfahrt schwimmt ein großer Schwarm Kormorane - durchsetzt mit allerlei Möven unterschiedlichen Strickmusters. Sie hoffen vermutlich auf Brosamen, die für sie abfallen, denn fast jeder Kormoran hat einen Fisch im Schnabel oder schon im Hals, wenn er nach seinem Tauchgang wieder hochkommt. Wahrscheinlich hängt das hohe Fischaufkommen mit der satten Strömung zusammen, die von der Ostsee in die Schlei hinein geht.

Als wir aus dem Segelhafen hinausfahren, spüren wir sofort den Zug der Strömung. Um nicht unnötig Kraft zu verbrauchen, fahren wir dicht an die Mole geschmiegt Richtung offene Ostsee. Ich bin nachhaltig beindruckt, mit welcher Geschwindigkeit das Wasser hier entgegen der  Hauptströmung nach draußen drängt: ohne einen Paddelschlag zu tun, werden wir mit acht Stundenkilometern aus der Schlei geschoben! Allerdings nur um hundert Meter weiter mit zehn Stundenkilometern wieder zurückgsaugt zu werden! Das Wasser ist so turbulent mit Pilzen und kleinen Überfallwellen, wie ich es hier noch nie gesehen habe! Das wäre eine prima Übungsstelle, um den Umgang mit turbulentem Wasser zu üben!

 Der Himmel sieht recht vielversprechend aus. Zwar hängen über dem Festland ziemlich dicke Wolken, aber auf der offenen See ist der Himmel strahlend blau. Der  Wind hat gegenüber gestern deutlich nachgelassen, aber die Richtung beibehalten. Die ist ziemlich genau quer zu unserer Fahrtrichtung, so dass der Wind weder großartig hindert, noch dass er hilft. Für die Festlegung unseres Kurses müssen wir erst einmal länglich gegen die Sonne plieren, um in schier unendlicher Entfernung etwas zu erkennen, was wir als südwestliche Begrenzungstonne des Schießgebietes vor Schwansen deuten können. Die Tonne liegt auf einer Kompasspeilung von 150 Grad, aber Jörg kann seinen Kompass eh nicht ablesen, weil die Sonne so blendet.

Ich bin immer wieder überrascht, wie groß dieses Schießgebiet ist und wie lange man benötigt, um es zu passieren. Als wir unsere Orientierungstonne fast erreicht haben, zeigt sich in weiter Ferne genau südlich davon eine weitere Tonne, deren Farbe wir auf die Entfernung natürlich nicht ausmachen können. Und dann ist da in noch größerer Entfernung südöstlich noch so etwas, das man als Tonne deuten könnte. Wir sind uns nicht mehr sicher, ob wir hier wirklich die südliche Begrenzung des Sperrgebietes unmittelbar vor uns haben, oder ob das weitere Tonnenpaar diese Linie bildet. Aber da es einen Umweg bedeuten würde, lassen wir die neu aufgetauchten Tonnen liegen, wo sie sind und fahren weiter einen direkten Kurs auf unser Ziel. Leider musste ich im Nachhinein erkennen, dass das Sperrgebiet gar nicht von nur vier Tonnen eingerahmt wird, sondern von sieben! Und natürlich sind wir dadurch mitten durch gefahren😏. Das kommt davon, wenn Amateure sich aufs Wasser begeben!

Als wir uns auf der Linie Damp-Leuchtturm Kiel wähnen, machen wir eine Pause. Die Doppelstulle, die ich mir dafür geschmiert hatte, passte leider nicht in die dafür vorgesehene Tupperdose. Also musste ich sie mit sanfter Gewalt überreden, darin Platz zu finden. Leider hat der leichte Zwang dazu geführt, dass das Brot total zerbröselt ist und nicht mehr wirklich als Stück zu greifen. So muss ich mir die kleinen Brösel und die Bruchstücke des Käses einzeln in den Mund stecken. Aber bei dem Hunger, den ich habe, ist mir die Form der Kalorien herzlich egal. Die Drift während unserer etwa zehnminütigen Pause beträgt keine dreihundert Meter, was gut ist, denn wir werden genau quer zu unserer Fahrtrichtung abgetrieben.

Mittlerweile haben wir uns auch darauf geeinigt, welche Erscheinungen wir als Kieler Leuchtturm interpretieren und was man für das Ehrenmal von Laboe halten kann. Bei der "Mühle von Laboe" sind wir uns jedoch uneins, und wir müssen noch eine Weile paddeln, bevor wir beide der Meinung sind, dass es sich dabei um den Bülker Leuchtturm handelt. Normalerweise ist der nämlich so gut wie gar nicht zu erkennen, und heute sticht er nur deswegen so prägnant hervor, weil er renoviert wird und eingerüstet ist.

Kurzzeitig sind wir der Meinung, dass wir viel zu früh ankommen werden. Weil unsere Abholgelegenheit erst ab halb vier am Zielort aufschlagen kann, versuchen wir, etwas langsamer zu machen - aber das gelingt uns nicht wirklich gut. Und natürlich ist es auch noch viel weiter, als es aussieht - das werden wir nie lernen. So sind wir noch nicht einmal mit Umkleiden fertig, als Doro schon mit dem Bulli aufkreuzt, um uns nach Hause zu holen.

Ich kann sogar den Luxus genießen, dass ich direkt bei mir zu Hause abgeladen werde, und die beiden mein Boot und meine Ausrüstung, insbesondere meine Schwimmweste, für mich zurück zur Bootshalle bringen. Das hartgekochte Ei in einer der zahlreichen Taschen meiner Schwimmweste wartet immer noch darauf, mit Genuss verspeist zu werden

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