Sonntag, 3. August 2014

Nordsee-Einsteiger 2014 - oder: Spaß mit Johanna

Eigentlich stand sie gar nicht auf der Liste - aber dafür am Montag in Rollschuhen vor der Bootshalle. "Die Nordsee-Tour ist wohl nichts für mich, oder?" "Komm' am Mittwoch vorbei. Dann werden wir sehen." Auch wenn ich an Johannas Kraft, ihre Ausdauer und vor allem ihre Leidensfähigkeit glaube, will ich doch wenigstens noch einmal sehen, ob sie die Strecke bis zur Glockentonne problemlos bewältigt. Bei dem Test hat mich dann auch noch Uschi so überzeugt, dass ich meine ursprüngliche Absage an sie wieder zurückgenommen habe. Somit startet die diesjährige Nordsee-Einsteigertour also mit  sieben Teilnehmer.

Immerhin bin ich ja lernfähig und habe diesmal zur Bedingung gemacht, dass jeder eine Seekarte mit sich führt. Auch solle man sich darauf gefasst machen, dass es Aufgaben zu bewältigen gibt. Ich wollte auf jeden Fall vermeiden, dass sich alle wieder auf mich verlassen und darauf bauen, dass ich sie schon durch die Nordsee führen werde, ohne dass sie selbst auf irgend etwas achten müssen.

Am Anleger treffen von Schlüttsiel wir noch zwei alte Bekannte: Udo B., der mit seiner Frau nach Oland fahren will und Sigurd S., der sich Udo anschließen wollte, aber viel zu spät ist und ihm hinterherpaddeln muss. Ich erkläre Olav und Helge dafür verantwortlich, uns von Schlüttsiel nach Hooge zu bringen. Es ist beileibe keine große Tat, denn im Prinzip könnte man sich bewegunglos ins Boot setzen und warten, bis einen die Tide an Hooge vorbeispült. Außerdem ist die Nordsee wieder einmal Augsburger-Puppenkistenmäßig platt - kein Lüftchen kräuselt die Oberfläche und es ist so warm, dass ich ohne Hemd und mit offener Spritzdecke fahre.

Meine Vorgabe war, nicht etwa durchs Langeness-Fahrwasser sondern zur Süderaue zu fahren. Aufmerksam registrieren die beiden Navigatoren die Beschriftung der Tonnen, an denen sich mit zunehmender Fahrtdauer die zunehmende Strömung zunehmend bemerkbar macht. Als wir einmal in der Nähe einer recht großen Tonne direkt auf diese zufahren, kann man überdeutlich sehen, dass es einen einmal nach rechts und unmittelbar danach wieder nach links versetzt - wie das Wasser davor also in Schlangenlinien strömt.

Verabredungsgemäß macht die Gruppe vor der Tonne SA18 Halt. Hier fordere ich sie wieder auf, die genau südlich liegende grüne Tonne an ihrer linken Seite zu passieren. Da man dazu genau quer zum Strom fahren muss, muss man deutlich vorhalten und ernsthaft paddeln, will man nicht im letzten Moment auf die Blechkanne gespült werden. Da die Hallig hier schon sehr nah ist und einen perfekten Hintergrund bietet, kann man wunderschön sehen, ob der eigene Vorhaltewinkel stimmt, oder die Strömung die Oberhand hat.

Im Laufe der Fahrt kommt eine weitere Gruppe Paddler von hinten auf. Man kann sie lange vorher hören. Nachdem sie uns überholt hat, kann man in weiter Ferne eine dritte Gruppe hören. Der Schall trägt ungemein weit auf unbewegtem Wasser, denn man kann die Verfolger bislang kaum sehen. Als wir am Steindamm vor dem Hooger Hafen aus unseren Booten steigen, höre ich eine bekannte Stimme von hinten pöbeln: "Habt ihr kein Zuhause?". Trenk ist mit einer Gruppe von vier Paddlern ebenfalls unterwegs. Wenn wir schon im Sommer nicht mehr zusammen paddeln können, ist es doch schön, sich per Zufall zu treffen!

Ich hatte damit gerechnet, dass der Zeltplatz dicht belegt sein würde, aber außer den drei praktisch
gleichzeitig eingetroffenen Gruppen, ist niemand da. Auch der Segelhafen ist so gut wie leer. Ein ruhiges Wochenende droht uns. Es wird kurz der Zeitplan für morgen abgesprochen - wir hatten ja alle relevanten Zeiten, Entfernungen und Fahrtdauern am vergangenen Mittwoch ausgerechnet.

Nach dem Aufstehen prüfe ich kurz die Wetterlage mit Hilfe von Trenks Smartphone. Die Windvorhersage für heute hat sich gegenüber der von gestern wieder etwas beruhigt, so dass unserem Plan, zur Pallas zu fahren, nichts entgegensteht. Heute lege ich die Navigation in die Hände von Michael und Peter. Die Zeiten hatten wir ja schon am Mittwoch errechnet, nun müssen auch noch die Kurse bestimmt werden, die uns hin- und möglichst auch wieder zurück bringen.

Die beiden sind sehr abgeklärt und wählen einen für mich zwar überraschenden, aber sehr solide fahrbaren Kurs. Natürlich wollen wir zunächst eine Pause auf Jappsand machen, das war Vorgabe, aber dann soll es die Süderaue komplett raus ein gutes Stück in Richtung Amrum gehen und nach der Passage des Schmaltiefs ins Rütergatt. Vor dort aus kann man einfach dem Tonnenstrich folgen und landet praktisch ohne Vorhalt an der Pallas. Nicht der direkteste Weg aber vielleicht der einfachste.

Der Wind weht recht konstant mit etwa drei bis vier Beaufort aus Südost. Das lässt kaum Wellen entstehen, aber die Strömung am Zusammenfluss von Norder- und Süderaue ist natürlich immens und lässt die Wasseroberfläche köcheln. Das sind ungewohnte Wellen, die es so auf der Ostsee kaum gibt. Als wir die rot-grüne Tonne am Eingang zum Rütergatt passieren, ist deutlich, dass die Verhältnisse einen ständigen Stress verusachen. Das würde die nächsten vier Stunden nicht besser werden. Ich gebe den Kniepsand als neues Ziel aus, für den der bisher gefahrene Kurs eh genau die Ideallinie dargestellt hat.

Die lange Pause auf dem verschwenderisch breiten Strand von Amrum wird komplett im Urlaubsmodus verbracht. Alle gehen schwimmen, fast alle zum Kiosk ein Eis essen, und manche lassen sich den Pelz verbrennen...

Für die Tour zurück übertrage ich Johanna und Uschi die Navigationshoheit - aber mir ist klar, dass ich eher selbst dir Richtungen angeben muss, denn für beide ist Paddeln unter den hiesigen Bedingungen noch  eine komplett neue und unbekannte Welt. Ich zeige kurz auf der Karte, welche Tonnen wir wie anvisieren und wie wir von der einen zu anderen kommen wollen. Es ist hier schon zu spüren, dass meine eindringliche Ansage "die müssen wir links liegen lassen", noch nicht in der Tiefe verstanden wird, in der sie gemeint ist.

Nachdem wir die geschützen Gefilde des Kniepsandes verlassen haben und wieder in die Turbulenz der strömenden Priele eingetaucht sind, ist es mit der Entspanntheit auch gleich vorbei. Es spritzt und schwabbelt und den Kurs zu halten, ist nicht mehr ganz einfach. Ich fahre so, dass wir alle Verschneidungszonen rechtwinklig durchqueren, um nicht unnötige Unsicherheiten zu provozieren. Der Strom geht fast exakt quer zu unserer Fahrtrichtung und wir müssen gute 45 Grad vorhalten. Die Gewalt, mit der wir versetzt werden, beeindruckt alle sichtlich. Trotzdem produzieren wir eine sehr gerade Spur auf dem GPS-Log mit ganz ordentlicher Geschwindigkeit.

Ich sehe, wie Johanna häufig Mühe hat, die Nase ihres Bootes gegen den halben Wind in der
gewünschten Richtung zu halten. Immer wieder wird sie nach Lee verweht und muss sich mühselig mit Bogenschlägen zurück auf Kurs bringen. Als sie schließlich zu Konterschlägen greift, ist das für mich das Zeichen, dass sie den Bedingungen nicht gewachsen ist. Ich schließe zu ihr auf und frage, ob sie denn den Schieber für das Skeg auch ganz nach vorn geschoben hat. "Ja, habe ich!". Nun, dann ist das Mädel schlicht zu leicht und das kriegen wir so schnell nicht korrigiert. Aber ich weiß ja, dass sie über einen beeindruckenden Willen und eine ebensolche Leidensfähigkeit verfügt, so dass ich nicht im Geringsten beunruhigt bin. Als es bereits in der Nähe von Jappsand besonders verzweifelt ist, schicke ich Peter zu ihr, der sie etwas vom Wind abschirmen soll. Das funktioniert nur suboptimal so dass ich zusätzlich auf ihre Lee-Seite fahre und sie mit dem Paddel immer wieder auf Kurs drücke. Als Peter ihr besonders nahe kommt, fällt sein Blick auf den Skeg-Schieber an ihrem Boot und er sagt ungläubig: "Der ist ja gar nicht vorne!". Na ja: vorne und hinten kann man schon mal verwechseln. Nach der Korrektur ist es ein Kinderspiel für Johanna, ihr Boot auf Kurs zu halten. Nach dieser Selbstkasteiung gönnt sie sich in der Pause auf Jappsand ein ausgiebiges Bad, bei dem sie mit zwei Seehunden Ringelpiez mit Abtauchen spielt. Wir laufen genau mit Hochwasser in den Hooger Segelhafen ein und genießen den komfortablen Ausstieg direkt über die Wiese, ohne die Boote schleppen zu müssen.

Der Abend ist meiner langjährigen Tradition folgend dem Friesenpesel gewidmet. In lauer Luft schäkern wir mit der redseligen Aushilfsbedienung, und ich muss zum wiederholten Male feststellen, dass das Salzlamm in Riesling-Sauce einfach göttlich schmeckt. Heute wundere ich mich nur, dass meine Mitpaddler mir freiwillig den größten Teil der Kartoffelrösti überlassen. Beim Heimweg machen wir noch einen kleinen Abstecher zum Fähranleger um die Ecke. Johanna muss am Sonntag Abend zu einem Geburtstag in Hamburg sein und will daher gleich morgen früh mit der Fähre zurück. So weiß sie also genau, wo der Anleger ist und kann sehen, wieviel Zeit der Weg in Anspruch nimmt.

Da die Fähre bereits morgens um acht ablegt, muss Johanna bereits sehr früh aufstehen, ihre Sachen zusammen und ins Boot packen und sich auf die Socken machen. Obwohl wir für den Sonntag die Urlaubsvariante mit lange Ausschlafen und viel Zeit gewählt haben, habe ich mir extra den Wecker gestellt, um sie zu verabschieden. Ich kann ja nicht einfach eines meiner Schäfchen ohne Gruß ziehen lassen - noch weniger könnte ich mit ansehen, dass sie vielleicht verschläft und dadurch die Fähre verpasst. Aber als ich aus dem Zelt komme, hat Johanna ihre Sachen schon größtenteils zusammengepackt und sitzt gemütlich beim Kaffee. Als wir sie verabschieden, hat sie alle Zeit der Welt, den Weg bis zur Fähre zurückzulegen, so dass ich mich beruhigt wieder in meinen Schlafsack zurückziehe.

Nach einer guten Stunde strecke ich meinen Kopf wieder aus dem Zelt - und sehe Johanna ihr Boot hinter sich her ziehend zum Zeltplatz zurücktrotten! Was ist passiert? Keine Fähre am Sonntag? Kein Geld dabei? Dem Kapitän vors Schienbein getreten? Nein, die Lösung ist ganz einfach: um zum Anleger zu kommen, muss man bei der Kirchwarft links abbiegen, so wie wir es gestern zweimal gemacht haben. Wenn man aber im Halbschlaf und "Kopf-unten-und-nix-denken-Trott-Modus" immer gerade aus geht, landet man auf der Hanswarft. Dort haben Jogger Johanna dann geweckt und gefragt, wo sie denn mit dem Boot hin will. Danach sind alle zusammen über die Hallig zum Anleger gejoggt. In Rekordzeit eine Minute nach Acht dort angekommen, konnten sie dem heute bereits eine Minute vor Acht abgefahrenen Dampfer noch hinterherwinken! Aber im Grunde wollte Johanna ja von Anfang an mit uns zurück paddeln!

Das gesamte Wochenende herrscht ein unglaublich schönes Wetter mit Sonnenschein und angenehmen Temperaturen. Nur mäßiger Wind und kein Regen. Na ja, fast kein Regen: nur in der Nacht zu Sonntag, als der Wind so arg an Johannas Zelt gerüttelt hat, dass sie sich mit ihrem Schlafsack lieber davor gelegt hat, nur da sind tatsächlich ein paar Tropfen Regen gefallen, gerade so viele, dass Johanna sich doch lieber wieder ins Zelt zurückzog. Bei diesem fantastischen Wetter also machen wir einen ausgiebigen Spaziergang über die Hallig. Auf der Einkaufswarft erbost Peter die Betreiberin des Souvenierladens, indem er ihr unterstellt, sie verkaufe Plastikflaschenpostflaschen, die die Kinder dann ins Meer schmeißen, wo sie riesige Müllteppiche bilden. Dabei steht da fett draufgedruckt: "Nicht ins Meer schmeißen!". Peter rudert heftig rückwärts, um die aufgebrachte Frau wieder etwas zu beruhigen. Uschi und ich erstehen einige Postkarten, von denen ich eine direkt an Klaus-Peter schicke - als Ersatz für die vergessene aus meinem Österreich-Urlaub.

In unseren Vorräten befinden sich noch große Mengen roter Grütze, die wir unmöglich wieder mit zurück nehmen können. Also versammeln wir uns vor der Abfahrt noch einmal unter dem gegen die gnadenlos brezelnde Sonne aufgespannten Tarp, um Erdbeer- und Gartenfruchtgrütze zu löffeln - wahlweise mit Vanillesauce oder griechischem Joghurt.

Sobald der Wasserstand es zulässt, bringen wir die Boote über die Rampe und machen uns auf den Heimweg. Navigation ist heute nicht notwendig, wir wollen einfach nach Hause. Der Wind hat über Nacht gedreht, er weht nun ziemlich genau aus West. Auch die Strömung geht in dieselbe Richtung. Wir könnten im Fahrwasser fahren und alles wäre einfach und leicht und - langweilig. Also biege ich unvermittelt ab und wähle einen Kurs quer über die Flachs und zwischen den Sandbänken. Hier schwabbelt das Wasser zwar wieder etwas, was nicht allen gefällt, aber auf dem "Hasenweg" hätte niemand etwas gelernt und niemand hätte die Flachs, über die wir uns stochern, auch nur gesehen.

Gegen Ende des Weges werden die Bedingungen zum Surfen immer besser und alle nutzen diese Gelegenheit nach ihrem jeweiligen Vermögen. Bei Michael und Olav macht sich deutlich eine gewisse Routine bemerkbar. Sie agieren sichtlich entspannter als noch im vergangenen Jahr und sind meist vorne zu finden. Ich gebe Michael, der eindeutig der beste Navigator ist, nach jedem Abschnitt meinen Plan bekannt und kann mir sicher sein, dass er ihn eigenständig verfolgt, auch wenn er weit vor mir fährt.

Kurz vor dem Einlaufen in den Hafen von Schlüttsiel überhole ich die gesamte Gruppe, um zu sehen, ob sie es schaffen kann, vor der uns verfolgenden Amrum-Fähre ins Hafenbecken einzulaufen. Als ich wende und die Positionen der Fähre und der Gruppe sehe, weiß ich, dass das nichts werden kann. Also postiere ich mich südlich der Hafeneinfahrt außerhalb des Fahrwassers, in der festen Annahme, dass alle auf mich zufahren werden. Tun auch alle. Fast alle. Leider ist Johanna aber gerade so mit Surfen beschäftigt, dass sie für nichts anderes ein Auge hat und diagonal ins Fahrwasser driftet - der Fähre genau vor die Nase. Mir stockt der Atem und ich versuche, sie anzurufen, gestikuliere wild mit Armen und Paddel - aber der einzige, der Notiz davon nimmt, ist vermutlich der Kapitän der Fähre, denn der fährt weiter in aller Seelenruhe von hinten auf die Paddlerin zu und lässt sein Typhoon unangetastet. Ich sehe Johannchen schon im Schaum zerschreddert werden, als Helge, der etwas näher dran ist, sie anruft, was sie veranlasst, sich erst umzudrehen und dann kleinlaut wieder hinter die Pricken zu verziehen. Geht doch!


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