Die Vorbesprechung musste während des gemeinsamen Grillens mit dem Nachbarverein stattfinden, weil natürlich immer alle Termine grundsätzlich auf Kollision gebürstet sind! Hier habe ich dann die durchaus korrekten Ausarbeitungen, Überlegungen und Bedenken der Mitpaddler aufgenommen, kommentiert und so korrigiert, dass alle teilnehmen können. Wenn wir uns um 13 Uhr treffen und Olav sein Gepäck schon vorher in der Halle deponiert hat, können wir die Autos so beladen, dass er noch fünf Minuten hat, um sein Fahrrad abzuschließen und wir um 14:05 Uhr starten können.
Die Ankunft auf Hooge habe ich dabei so berechnet, dass sie auf eine halbe Stunde nach Niedrigwasser fällt. Da das Wasser immer noch ca. eine halbe Stunde nach Tidenkipp nachläuft, sollte das kein Problem sein - im Gegenteil, dann ist das Wasser am Leitdamm eventuell sogar schon wieder ein paar Zentimeter gestiegen, was den Ausstieg eher erleichtern würde.
Auch der Zeitpunkt, wann wir am nächsten Tag aufbrechen und vor allem aufstehen müssten, um bei Tidenkipp an der Pallas einzutrudeln, trifft auf das Veto von Olaf. Um drei Uhr nachts möchte er nicht aufstehen! Die beiden anderen sind durchaus bereit, für eine besondere Aktion auch besondere Opfer zu bringen, aber ich zeige ihnen kurz ein paar Bilder von Steffen und Johanna aus dem letzten Jahr, als wir zwar erst um fünf Uhr aufstehen mussten, die Augen aber trotzdem kaum aufgehen wollten. Zum Glück kommt Birke, die als eigentlich Unbeteiligte daneben sitzt, auf die Idee, dass es ja immer zwei Niedrigwasser am Tag gibt! Sofort erhellt sich Olavs Mine wieder!
In Schlüttsiel wähle ich gleich die nördliche, kleine Rampe, um dort unsere Boote zu beladen. Das Wasser ist allerdings bereits zu Beginn unserer Aktion unter die abschließende Betonkante gesunken. Als ich nach dem Packen nachsehe, ob wir hier die Boote ins Wasser bekommen, muss ich feststellen, dass die Kante so glibschig ist, dass es viel zu gefährlich wäre, sie zum Einsetzen zu benutzen. Wir weichen auf den benachbarten Seglersteg aus. Hier steht das Wasser gerade noch soweit über dem Schlick, dass unsere Boote knapp schwimmen. Obwohl wir in rekordverdächtiger Zeit gepackt haben, hätte es auch keine Minute länger dauern dürfen, sonst wären wir für die nächsten acht Stunden nicht aus dem Hafen gekommen.
Wegen unseres knappen Zeitplanes will ich gar keine Sperenzchen machen und auf dem kürzesten und direktesten Weg nach Hooge fahren. Nachdem wir den Hafen gut hinter uns gelassen haben, erkläre ich die sichtbaren Erscheinungen am Horizont: Oland, Langeness und Gröde sind gut zu sehen, Pelworm zu erahnen und Föhr nur mit Mühe von Langeness zu unterscheiden. Es ist allen unmittelbar einsichtig, dass die Orientierung hier grundsätzlich schwieriger ist, als z.B. auf der Kieler Förde, wo man immer einen untrüglichen Anhalt für die Richtung hat, in die man gerade blickt. Maditha hat keinen Kompass auf ihrem Schiff und ihre Seekarte ist so weit vorne, dass es ihr manchmal schwer fällt, unseren Kurs zu verfolgen.
Wir nutzen die Tour von Anfang an auch zum Erlernen neuer bzw. zur Rettung vom Untergang bedrohter Wörter : Gleich hinter dem Schlüttsieler Hafen ist eine Schute zu sehen, die bis oben in voll mit Faschinen beladen ist. Die Faschinen werden in den Lahnungen verbaut, die den vom auflaufenden Wasser angeschwemmten Schlick einfangen sollen.
Die Sicht ist blendend und es dauert nicht lange, bis das gelbe Portal des Fähranlegers von Hooge in Sichtweite kommt. Allerdings ist - vorerst noch nicht allen - klar, dass es gewaltig über den Horizont gehoben wird, denn von den benachbarten Warften ist noch nicht das Geringste zu sehen.
Es herrscht fast Flaute, so dass wir recht gut voran kommen. Leider gibt es aber kaum mehr Strom, so dass eine Übung, dass Fahrwasser von einer Tonne zur gegenüberliegenden zu kreuzen, nicht den beeindruckenden Effekt hinterlässt wie sonst. Dafür beeindruckt die Heckwelle der "Adler-Express" umso mehr. Die Fähre hatte sich eine Weile am Anleger gemüht, aus dem Schlick freizukommen und ist dann mit der ihr eigenen knapp unter der Schallgrenze liegenden Geschwindigkeit abgebraust. Ihre Heckwelle arbeitet sich ca. fünf Minuten lang unsichtbar auf uns zu. Keine zwanzig Meter neben uns baut sie sich zu einer beeindruckenden Höhe von einem halben Meter auf, um dann krachend in sich zusammenzubrechen! Hätten wir gerade in diesem Moment die Sandbank gequert, die die Welle so aufsteilen ließ, wäre das durchaus interessant geworden!
Genau zum Zeitpunkt des Niedrigwassers erreichen wir den Leitdamm des Hooger Segelhafens. Da besteht keine Chance, noch näher an das Schleusentor heranzukommen. Das Watt östlich davon ist durchgehend fest, so dass man es ohne weiteres mit den Bootswagen überqueren könnte. Aber dann müsste man die Boote noch eine ziemliche Strecke um den gesamten Hafen herumbollern. Also erkunde ich das Watt westlich der Einfahrt und befinde es für passierbar. Lediglich an einer Stelle, an der das Wasser durch die Lücke einer Steinlahnung fließt, ist der Schlick knöcheltief. Olav und Jörg tragen ihre Boote über diese 20 Meter weite Stelle, während ich Maditha helfe, ihr Boot einfach über die Barriere zu hieven. Mein eigenes ziehe ich dann alleine durch den Schlick. Die letzten Meter vom Deichfuß bis zum Rasen des Zeltplatzes hilft uns der örtliche Krabbenfischernachwuchs beim Tragen.
Es stehen bereits ein halbes Dutzend Zelte auf der Wiese, und da wir die Bootswagen noch unter unseren Schiffen haben, rollern wir sie kurzerhand über die Hafenbrücke zur Wiese, auf dem das Stelzenhaus steht. Aber ein freundlicher Eingeborener macht uns darauf aufmerksam, dass hier keineswegs freie Platzwahl gilt, sondern man sich erst nachdem die erste Wiese überquillt, auf der zweiten breit machen darf. Das trifft sich gut, denn sonst hätte ich die unangetastete Flasche Rotwein auf dem Zeltplatz nie gefunden!
Da uns das Programm für Samstag frühestens am späten Nachmittag aufs Wasser zwingt, nutzen wir diese gute Gelegenheit, ausgiebig auszuschlafen. Unsere Nachbarn, eine Truppe unter der Leitung eines der vielen anderen Matthiasse, die sich regelmäßig auf der Nordsee tummeln, haben es nicht so gut. Sie müssen schon recht früh in die Boote und Richtung Pelworm aufbrechen. Schließlich haben sie eine Tour bei Seakayaking Germany gebucht, die vom Wetter bislang arg gebeutelt worden ist und müssen für ihr Geld Erlebnisse einfahren. Außer ihnen ist auch noch ein Pärchen aus Preetz mit uns. Sie wollen heute nur bis Oland fahren und dann am Sonntag von dort aus nach Schlüttsiel zurück.
(Wenn die Beteiligten sich wiedererkennen - bitte melden) |
Um die freie Zeit zu nutzen, wollen wir ins Lichtspielhaus auf der Kinowarft. Die Wanderung dahin bringt uns an der Kirche vorbei, die wir eingehend besichtigen. In ihrer Kleinheit und Verlorenheit macht sie die Zerbrechlichkeit und das Ausgeliefertsein der Hallig und ihrer Bewohner den Elementen und damit Gott gegenüber direkt fühlbar. Wenn man sich vorstellt, wie wenige Meter hinter einem wütende Wellen einer tosenden Sturmflut gegen den kleinen Deich um die Warft peitschen, wie fauchende Gischt gegen die wackelnden Fenster prasselt, dann braucht es nicht viel, dass man sich vorstellen kann, wie man vor dem Altar auf die Kniee sinkt und im Geiste nach einem verschütteten Gebet sucht.
In der Zeit, die uns noch bis zum Beginn der "Sturmflutfilmvorstellung" im Halligkino bleibt, erkunden wir noch die zugehörige Warft, die statt "Kinowarft" auch manchmal auch ganz unromatisch Hanswarft genannt wird. Hier gibt es noch einen Feting, der früher für die Versorgung des Viehs mit Trinkwasser genutzt wurde. Als Trinkwasser für die Menschen wurde das Regenwasser von den Hausdächern gesammelt. Erst seit 1968 gibt es auf Hooge eine Wasserleitung, die verlässlich Süßwasser vom Festland liefert.
Die Filmvorführung besticht vor allem durch die unvergleichliche Kommentarstimme, in der sich die Mentalität der Eingeborenen eindringlich wiederspiegelt. Danach ist der obligate Besuch im Pesel auf der Backenswarft fällig. Dass ich sonst hier immer erst abends einkehre, merke ich erst, also ich das Lammfilet vergeblich auf der Speisekarte suche. "Das gibt's erst nach 18 Uhr!" werde ich enttäuscht. Ein herber Tiefschlag! Ich weiche aus auf Matjesfilet mit Bratkartoffeln.
Wegen der unklaren Wetterlage - es war immer von Gewitterneigung die Rede - hatte ich den Besuch der Pallas schon frühzeitig abgesagt. Aber wir wollten dennoch wenigstens eine kleine Tour machen und die Nordsee spüren. Um 18 Uhr machen wir uns zu einem kleinen Dreieckskurs auf, der uns zuerst zum Jappsand führt, dann nach Langeness und schließlich genau quer zum Tidenstrom vor dort wieder zurück nach Hooge. Auch wenn das nicht mal 10 Kilometer waren, konnte man hier doch (fast) alle typischen Gebaren der Nordsee erleben: spiegelblanke See, pilzendes Wasser, bremsende Flachs und Wellen gegen Strom. Auch das Zufahren auf die Hooger Hafeneinfahrt war lehrreich, weil wir einen beträchtlichen Versatz durch die Strömung kompensieren mussten.
Auch die Rückfahrt am Sonntag liegt zeitlich in christlichen Regionen: So gegen zehn Uhr dümpeln wir im trüben Wasser der Hafeneinfahrt. Maditha soll versuchen, uns auf dem einfachsten Wege wieder zurück zu unserem Startort zu bringen. Ich muss nur einmal eingreifen, weil sie etwas zu lange hinter einem Krabbenkutter hinterher fährt, der ihr leider die Sicht auf die korrekten Tonnen nimmt. Wäre sie den von ihr ins Auge gefassten gefolgt, wären wir auf Pelworm angekommen.
Auch wenn sich die Nordsee an diesem Wochenende nicht besonders besonders gezeigt hat und wir die Pallas wieder einmal nicht erreicht haben, hat die Tour doch bei allen Beteiligten die Faszination für diese Landschaft entweder aufgefrischt, vertieft oder gar neu geweckt. Ich freue mich schon darauf, im nächsten Jahr wieder hierher zu kommen.
GPSDaten hier!
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