Mittwoch, 5. Mai 2010

Anglesey Seakayak Symposium, Mittwoch

Seit morgens um sechs Uhr regnet es. Erst heftig, dann leicht. Trenk ist noch unruhiger als sonst beim Frühstück und verschwindet bald mit  seiner Aufgabe zu Peter, der noch mal einen Blick auf seine Ausarbeitungen werfen soll. Meine Vier-Sterne-Übungsgruppe trifft sich zur Vorbesprechung des Tages. Es werden die ausgearbeiteten Touren kurz vorgestellt und jeweils kritische Fragen dazu gestellt. Die Fragen sind knapp wie: "Wie hoch ist die größte Geschwindigkeit des Tidenstromes in diesem Gebiet?", zielen aber jeweils auf einen entscheidenden Aspekt der Tour.

Wir starten heute von Rhoscolyn aus. Das ist eine kleine, sehr geschützte Bucht, die nur über eine einspurige Straße zu erreichen ist. Sie führt in gerader Linie von einem Haus zum nächsten, wo sie rechtwinklig abknickt und zum übernächsten Haus führt. So zickzackt sie sich bis zum Parkplatz am Strand. Wie man hier mit dem Trailer durchkommen soll, ist mir schleierhaft: jede Begegnung mit einem entgegen kommenden Fahrzeug ist ein Abenteuer und die Begegnung zweier Trailer vermutlich eine Katastrophe. Aber irgendwie gelingt es doch, dass die gesamte Gruppe inklusive aller Kajaks am Strand ankommt.

Wir teilen uns heute in noch kleinere Gruppen auf. Ich bin mit dem Deutschen Jochen und dem Briten Dan beim Holländer Axel als Coach. Es geht um das Thema Leadership. Die erste Frage ist, wie man eine Gruppe von Paddlern durch die Brandung hinaus aufs Wasser bringt. Dan weiß genauestens darüber Bescheid, dass der stärkste Paddler zuerst geht und dann der schwächste folgt. Ob er diesen Kurs schon einmal gemacht hat, will Axel wissen. Nein, aber er war schon mal in der Situation, in so einer Lage der schwächste Paddler gewesen zu sein!

Wir bekommen abwechselnd Führungsaufgaben, in denen wir besonders auf die Aspekte C-L-A-P achten sollen: Communication, Line of Visibility, Avoidance of Problems und Positioning. Wir hangeln uns so durch die Felsen, bis wir zu einer Stelle kommen, wo in einer ca. hundert Meter breiten Überfahrt zu der kleinen Insel mit dem Rhoscolyn- Richtfeuer drauf ein lebhafter Strom geht. Ich neige dazu, die Stromgeschwindigkeiten hier zu überschätzen. Ich vermute, das liegt an der relativen Kleingliedrigkeit der Landschaft verglichen mit der in der Nordsee. In unserer nordfriesischen Heimat ist alles so viel weiter und offener, deshalb wirkt dort ein Strom mit derselben Geschwindigkeit weniger beeindruckend. Als gutes Hilfsmittel zur Beurteilung erweist sich die Frage, ob man noch gegenan paddeln kann. Ist das ohne Mühe möglich, ist die Stromgeschwindigkeit unter drei Knoten.

Wir queren ein paar Mal zur kleinen Insel und zurück und nutzen die unterschiedlichsten Techniken. Am einfachsten fand ich die Methode, sich einfach einen Kompasskurs zu wählen, von dem man denkt, dass er den Stromversatz in etwa kompensiert, und diesen Kurs für die gesamte Querung beizubehalten. Hierbei hat man noch die einfache Möglichkeit, über die eigene Geschwindigkeit den Versatz zu beeinflussen.

Bei einer Querung lässt sich Axel ins Wasser fallen. Da ich es zuerst merke, übernehme ich die Rettung. Kurz nachdem wir weiterpaddeln, fallt er schon wieder rein. Damit ist klar, dass er geschleppt werden muss. Jochen ist im Moment unser Führer und will selbst schleppen, aber ich sage dass ich das übernehme und er uns weiter führt. Dan wird ebenfalls an die Leine genommen, damit er Axel stützen kann und verhindert, dass er wieder ins Wasser fällt. Diese ganzen Spielchen sind sehr einfach, aber sie sind auch sehr realistisch und finden unter wirklichkeitsnahen Bedingungen statt. Da sieht eben doch manches anders aus als im lauwarmen, ruhigen Hallenbad.

Axel sucht uns eine schöne Stelle, wo wir Rock-Landing praktizieren können. Er steigt zuerst aus und bringst sich und sein Boot auf den Felsen. Beim Incident-Management vergangenen Sonntag habe ich dieses Thema noch ausgelassen, als es darum ging, es selbst zu durchzuführen. Da es aber fester Bestandteil des Vier-Sterne-Trainings ist, bin ich gespannt, wie es sich anfühlt. Ich schmeiße mich ins Wasser und freue mich über meine Bugleine. In die konnte ich nämlich schon vorher meinen Karabiner der Schleppleine einklinken. Der Standard-Brite muss erst aussteigen, dann zum Bug seines Bootes schwimmen und dort den Karabiner einhaken. Dabei muss er natürlich auch sein Paddel gewissenhaft festhalten, da es ja nicht eingelascht ist. Ich löse nur mit einem Griff mein Paddel vom Boot und schwimme mit seiner Hilfe zum Felsen.

Das Schwimmen mit dem Paddel ist übrigens ausgesprochen effektiv. Insbesondere mit Trockenanzug ist normales Schwimmen mit seinem Boot im Schlepp nicht sehr wirkungsvoll. Am Felsen angekommen, muss man erst einmal einen sicheren Stand finden, was das auf- und abschwellende Wasser nach Kräften zu verhindern sucht. Man muss sich mit äußerstem Bedacht bewegen, damit man nicht von der nächsten Welle wieder ins Wasser gewaschen wird. Hat man sicheren Stand in etwas trockeneren Gefilden gefunden, gilt es, das Boot nachzuholen. Hier darf man nicht allzu empfindlich auf eventuell schrapende Geräusche reagieren, sonst hat man wenig Freude.

Auch beim umgekehrten Vorgang, vom Felsen wieder ins Wasser zu kommen, zeigt sich die Überlegenheit meiner Bugleine. Während der Standard-Brite daran denken muss, seine Schleppleine vom Bug zu lösen und sie in der Nähe des Cockpits wieder einschäkeln muss, weil er sie sonst nicht mehr lösen kann, kann mein Schäkel bleiben, wo er ist. Ich schicke mein Boot ins Wasser, springe hinterher und schwimme mit Hilfe des Paddels so weit vom Felsen weg, dass ich beim Wiedereinstieg nicht Gefahr laufe, mit ihm zu kollidieren. Und beim Wiedereinstieg empfinde ich auch meine Paddelleine als große Erleichterung. Mit einem Klick ist die Leine am Boot fixiert und ich kann mich in aller Ruhe unter Wasser im Cockpit zurecht setzen, ohne krampfhaft mein Paddel festhalten zu müssen.

Locker hochgerollt kommt der nächste Ausrüstungsgegenstand zum Einsatz, den man beim Briten vergebens sucht: meine Schenkelpumpe. Ich habe hier kein zweites Boot mit so einem Teil gesehen, selbst Trenk hat eine Handpumpe. Dafür ist meine Pumpe vielfach bestaunt, befragt und sogar fotografiert worden. Der Standard-Brite hingegen eiert zuerst einmal mit vollem Cockpit in ein ruhigeres Gebiet und - wenn er es denn erfolgreich bewerkstelligt hat - zieht seine Handpumpe unter den Decksgummis hervor, um damit durch die geöffnete Spritzdecke sein Cockpit zu lenzen.

Gestern, beim Thema "Personal Skills" hatte ich zwar Spaß, aber nicht wirklich etwas gelernt. Heute hingegen habe ich - trotz Axels sehr vorsichtigen Stils - unheimlich viel gelernt. Das deckt sich auch mit meiner bisherigen Beobachtung: Was Paddeltechnik und Bootsbeherrschung angeht, gibt es hier nur wenige Teilnehmer, die mir etwas vormachen können. Aber beim Thema "Leaderschip" gibt es noch eine Menge für mich zu lernen. Als uns Axel am Strand noch einige Hinweise für das Vier-Sterne-Assessment mit auf den Weg gibt und wir auf die Voraussetzungen für die Zulassung zu sprechen kommen, gibt Dan zu bedenken, dass er das Assessment noch nicht machen kann, weil er zu jung sei. Ich bin etwas irritiert, denn ich habe ihn auf Anfang zwanzig geschätzt und frage, was denn die Altersgrenze sei. Die liegt bei 16 Jahren - und Dan ist erst 15!


Dienstag, 4. Mai 2010

Anglesey Seakayak Symposium, Dienstag

Nachdem ich gestern Nacht noch bis nach ein Uhr geschrieben habe, schaffe ich es heute Morgen sogar bis um zwanzig nach sieben im Bett zu bleiben. Das Briefing ist erst um 9:30 Uhr - also bleibt jede Menge Zeit. Trenk macht sich bereits um 9:00 Uhr auf die Socken, seinem Schicksal noch eine positive Wendung zu geben. Im großen Saal werden die Interessensgruppen in jeweils separate Räume gewiesen. Ich folge der Vier-Sterne-Training-Gruppe. Die erste Frage des Coaches ist wieder: "Ist hier jemand im Raum, der kein Drei-Sterne-Siegel besitzt?" Ich gebe mich als Guinea-Pig zu erkennen. "Guinea-Pigs gehören zum Vier-Sterne-Assessment! Das ist zwei Räume weiter." Ich gehe zwei Räume weiter. Hier kämpft Trenk zusammen mit Tatjana aus Italien und Henne aus Dänemark immer noch um seine Aufnahme in die BCU. "Guinea-Pigs werden erst morgen benötigt! Heute nicht." Ich gehe wieder zurück - nicht über LOS und ich ziehe auch keine 4000 Mark ein. Ich erkläre Phil, dass mir die Sterne schnuppe sind und ich einfach etwas lernen möchte. "Kein Problem!" Ich will gar nicht wissen, was vor fünf Minuten noch das Problem war.

Wir wollen in Church Bay starten. Das liegt nördlich, etwa eine halbe Stunde mit dem Auto entfernt auf dem britischen Kontinent. Jochen nimmt mich in seinem Auto mit. Geschickter Weise verfahren wir uns gleich am Anfang gründlich, bügeln diese Scharte aber schnell aus.

Die Church Bay hat einen wunderschönen, breiten Sandstrand, der bald mit über zwanzig Kajaks bevölkert ist. Die Teilnehmer werden in drei Gruppen eingeteilt. Ich bin mit den beiden Deutschen Jochen und Herbert, den beiden Däninnen Merete und Inga und den  Briten Mörla, Jane und Dan in der Gruppe von Axel aus Holland und Peter aus Wales (der furchtbar nuschelt!).

Zuerst spielen wir in der gutmütigen Brandung. Unsere Coaches wollen sehen, wie wir mit den Booten umgehen und welche Techniken wir können. Eigentlich ist der gesamte Vormittag dieser Forschungsarbeit gewidmet. Es geht atemberaubend dicht an und zwischen Felsen vorbei und hindurch, durch turbulentes Wasser und blindlinks in eine sich verengende Höhle, aus der wir rückwärts wieder heraus müssen. Wir müssen eine 180-Grad-Wende im rauen Wasser dicht an einem Vorsprung und rückwärts um einen großen Felsen fahren.

Etwas weiter nördlich ist bereits ein ansehnliches Race zu sehen, auf das wir zusteuern. Axel erklärt, dass das Race zu befahren jenseits des Bereiches liegt, wozu das Vier-Sterne-Fahrtenleiter-Zertifikat berechtigt, dass wir aber trotzdem darin spielen wollen. Als wir uns ihm hinreichend angenähert haben, erklärt Axel, dass eine Gruppe von vier Paddlern mit ihm dort hinein gehen und die anderen vier mit Peter folgen.

Mit allen Teilnehmern gleichzeitig in dieses ansehnliche Race zu gehen, halte ich für keine gute Idee! Ich brauche meine Bedenken aber gar nicht zu äußern, denn zum Glück regt Peter an, noch einmal über mögliche Konsequenzen und Alternativen nachzudenken, was letztlich dazu führt, dass wir nicht in den brodelnden Schaum gehen, sondern uns eine Stelle für unsere Pause suchen.

Wir sitzen anfangs in der Sonne, aber die bedeckt sich bald und es wird ungemütlich frisch. Bevor wir wieder aufs Wasser gehen, gibt es eine ausführliche Erläuterung zu Schleppleinen und Schlepptechniken. Wieder auf dem Wasser werden diese Dinge in der Praxis geübt. Ich schleppe Merete zuerst ein ordentliches Stück - und bin ganz froh darüber, denn danach bin ich wieder vollständig aufgewärmt.

Der nasse Teil beginnt mit der Aufgabe, zuerst eine Rolle zu zeigen, dann einen Wiedereinstieg eigener Wahl und danach eine Partnerrettung. Das ist schnell abgehakt und ich erlebe ein weiteres Mal, wie gut ausgebildet und taff die skandinavischen Paddlerinnen sind: da ist nicht einmal der Ansatz eine Zuckens zu sehen, wenn sie ins Wasser sollen, und die Rolle oder der Unterwassereinstieg klappen wie selbstverständlich!

Ich mag es kaum glauben, aber das war es für heute auf dem Wasser!

Die Rückfahrt mit Jochen verfransen wir abermals in den kleinen walisischen Straßen, aber ich habe keine Ahnung, wo wir denn falsch abgebogen sind, obwohl ich die Karte auf dem Schoß habe.

Matthias hat eine Halbtagspaddeltour gemacht und ist schon angefangen, das Essen zuzubereiten. Das kommt uns gut zu Pass, denn Trenk und ich müssen um 19:00 Uhr schon wieder im Versammlungsraum sein. Trenk hatte zwar Glück mit dem Wenden seines Schicksals, aber einen stressigen Tag erlebt. Nach seinen Erzählungen und meinen heutigen Erlebnissen tut sich hier eine ziemliche Diskrepanz auf zwischen Inhalt und Anspruch des Trainings verglichen mit der dazugehörigen Prüfung!

Während unser heutiges Training schwerpunktmäßig den persönlichen Fertigkeiten gewidmet war, soll der morgige Tag sich im Wesentlichen auf die Führungssaspekte konzentrieren. Dazu sollen wir eine beliebige Tour in der Gegend aussuchen und planen, die wir unter den morgigen Bedingungen mit einer Gruppe von Drei-Sterne-Paddlern durchführen könnten. Ich schließe mich für diese Aufgabe mit Mörla, Merete und Inga zusammen. Mörla stammt aus dieser Gegend und hat detaillierte Kenntnisse über die lokalen Verhältnisse sowie die notwendigen navigatorischen Techniken. Das ist sogar für mich ausgesprochen lehrreich, denn die britischen Navigationsunterlagen unterscheiden sich deutlich von unseren.

Wir sind nach einer guten Stunde fertig mit unseren Planungen und Überlegungen - Trenk, für den es morgen um die Wurst geht, arbeitet noch bis spät in die Nacht hinein.

Montag, 3. Mai 2010

Anglesey Seakayak Symposium, Montag

"Windvorhersage: Nord 4", sonst sagt Nigel nichts dazu, aber der Himmel spricht für sich: er ist strahlend blau! Die Temperatur kann aber nicht hoch sein, denn der Wind weht eiskalt. Heute gibt es nicht viele Veranstaltungen, es ist im Wesentlichen "pleasure paddling" angesagt. Das ist eh, wonach mir der Sinn steht. Bleibt nur noch die Frage, wohin. Einige Touren erfordern einen Bootstransport mit dem Auto, einige sind mir schlicht zu kurz. Peter bietet eine Tour, die mir am besten zusagt: Start am Strand vor der Haustür, über Penrhyn Mawr zum South Stack und von dort zum North Stack. Trenk kommt auch mit und nach kurzer Überzeugungsarbeit auch Matthias. Herbert aus Bremen und René aus der Schweiz sind zwei weitere deutschsprachige Teilnehmer. Die restlichen sieben Teilnehmer sind Briten inklusive "NRS"  - "Non Rolling Susan"!

Peter setzt die Abfahrt auf 11 Uhr, fügt aber hinzu, dass das "im Boot auf dem Wasser" bedeutet und dass 10:30 Uhr Treffen am Strand ist. So passiert es, dass wir tatsächlich als gesamte Gruppe um Punkt 11 Uhr schwimmend auf dem Wasser sind. Bei Penrhyn Mawr wählen wir das "outer bit" für ein paar Spielereien. Von "tödlich" ist heute keine Spur - im Gegenteil: die Bedingungen sind ideal zum Üben. Ich bin um Welten lockerer als vor zwei Tagen und habe Wellen und Boot gut unter Kontrolle. Leider übt noch eine zweite Gruppe in den Schnellen, so dass sie für ein entspanntes Spielen viel zu dicht bevölkert sind. Also verlassen wir sie bald Richtung Norden. Am Leuchtturm Sourth Stack gehen wir diesmal nicht außen herum, sondern fahren unter der Brücke hindurch. Ich bin diesmal schon viel lockerer im Erkennen der Strömungen und merke gleich, dass wir hier unter Land gegenan fahren. Ich frage mich, ob Peter sich darüber im Klaren ist und schließe zu ihm auf. Er sagt gleich von sich aus, dass wir uns hier in einem riesigen Kehrwasser befinden. Er ist wirklich umsichtig und kompetent.

Ich glaube anfangs, dass wir sehr viel Zeit haben, unser Ziel zu erreichen, aber Peter korrigiert mich, denn das Race am North Stack setzt bereits eine Stunde vor Hochwasser Holyhead ein. Wir verbringen unsere Pause in derselben Grotte wie vor zwei Tagen, aber heute geht der Schwell nicht so hoch. Mir gelingt eine blitzsaubere Landung, indem ich rechtzeitig meine Spritzdecke öffne, mich aufs Achterdeck setze und absteige, bevor mein Bug auf die Steine trifft. Das Boot mit einer Hand in der Luke gefasst und nach oben tragen waren eins. So konnte ich den Nachfolgenden beim Anlanden und Aussteigen zur Hand gehen. Während unserer Pause schwimmt wieder eine Kegelrobbe im Eingang Streife. Später gesellt sich eine zweite dazu.

Um 14:00 Uhr - also genau Hochwasser Holyhead - blasen wir zum Rückzug. Es geht zwischen der Hauptinsel und einer vorgelagerten Insel hindurch ein paar hundert Meter hinaus. Hier wieder das unglaubliche Schauspiel, dass das Wasser, in dem wir uns gerade befinden, fast still steht, während es direkt daneben rauscht wie Hulle. Das ist das North Stack Race, das auch mörderisch sein kann, sich heute aber auch nur moderat bissig präsentiert. Wir fahren alle hinein und surfen die überfallenden Wellen ab. Ich fühle mich pudelwohl und genieße das Schäumen, das Rauschen und den Anblick der vielen in den Wellen auf- und abpoppenden Boote. "Schade, dass ich hier keine Fotos machen kann", denke ich. Wieso eigentlich nicht? Anfangs noch etwas kippelnd fingere ich die Kamera heraus, schalte sie an und drücke ab. Die Motivsuche ist Glücksache, aber ich bleibe ganz locker bei dem Versuch, das Boot mit einer Hand zu balancieren. Als ich an "Non Rolling Susan" heranfahre, die etwas "alamiert" im Cockpit sitzt, sage ich, dass das Steuern beim Fotographieren doch schwierig sei. "Ich würde nicht einmal wagen, daran zu denken!" erwidert sie. Ich habe es geschafft, das Boot mehr mit dem Hintern zu fahren als mit den Augen, Frappierend, was zwei Tage Üben bewirken.

Eigentlich habe ich mich auf die überfallenden Wellen am South Stack gefreut, die wir am Samstag zweimal durchquert haben. Heute ist nichts - aber auch gar nichts davon zu sehen! Ich frage Cathrina, die auch vor zwei Tagen mit von der Partie war: "Kann dies dieselbe Stelle sein?" Unglaublich wie unterschiedlich sich ein Ort hier zeigen kann! Dafür spielen wir wieder etwas im rücklaufenden Wasser vor South Stack. Es ist recht moderat und man kann in aller Seelenruhe Seilfähren hin- und herfahren. Nur wenige Meter vom Kliff entfernt ist dicht unter der Wasseroberfläche ein großer Fels, über dem das Wasser eine besonders kräftige Welle bildet. Dort setze ich mich drauf und lasse mich hin und her werfen. Dem strömenden Wasser überlagert sich ein leichter Schwell, der die Welle an- und abschwellen lässt. Irgendwann bildet sich plötzlich ein tiefes Loch, in das ich hineinfalle, die falsche Kante des Bootes unten habe, meine Stütze anfängerhaft misslingt und ich umfalle. Ich bin etwas überrascht, dass ich senkrecht unter dem Boot hänge, aber ich werde schon irgendwann zu einer Seite gedrückt werden, denke ich mir. Viel weiter denke ich nicht, denn ganz offensichtlich sind die Verhältnisse in einem Tidal Race anders als zu Hause vor dem Steg oder im Hallenbad. Als ich auf die Idee komme, mich durch Wriggen in eine bessere Position zu bringen, habe ich bereits so viel Zeit mit Warten verbracht, dass ich aussteigen muss. Dass mich das Wriggen auch nur zur falschen Seite an die Oberfläche gebracht hätte, war der Tatsache geschuldet, dass ich mir unter Wasser ebenfalls absolut keine Gedanken über die Strömungsrichtung gemacht habe. Als ich wieder am Sauerstoffaustausch teilnehme, ist Trenk sofort zur Stelle, gibt mir klare Anweisungen und hilft mir sicher zurück in mein Fahrzeug. René bedankt sich für die schönen Bilder eines echten Zwischenfalls, die er jetzt auf seine Webseite stellen kann. Es gibt also noch viel zu üben für mich. Ich beginne gleich damit, dass ich direkt noch einmal in der Strömung rolle. Kein Problem! Vor dem Strand von Porth Dafarch probiere ich die "Balance-Stütze", wie Peter sie am Freitag vorgemacht hat. Es klappt tatsächlich, dass ich flach neben meinem Boot auf dem Wasser liege und meine Nase oberhalb der Wasseroberfläche bleibt! Schönes Gefühl!

Der Zeltplatz hat sich bereits sichtlich gelehrt, denn das Symposium ist zu Ende. Ab morgen startet die "BCU"-Woche, in der lauter Vorbereitungen und Prüfungen zu BCU-Qualifizierungen angeboten werden. Ich habe mich für das Vier-Sterne-Training eingetragen, Trenk für die Vier-Sterne-Prüfung. Abends um sieben ist Treffen für ein vorbereitendes Gespräch. Zuerst werden die Interessenten für die verschiedenen Trainings und Assessments abgefragt und in die Tabelle an der Tafel eingetragen. Dann fragt Nigel, ob denn auch jeder, der sich für das Vier-Sterne-Training eingetragen hat, im Besitz eines Drei-Sterne-Zertifikates ist. Das sei zwingende Voraussetzung für die Teilnahme. Damit ist mein Plan vorerst geplatzt und ich melde mich noch für das Drei-Sterne-Assessment am Freitag. Um außerdem noch die Chance zu haben, etwas von den Vier-Sternen zu sehen, trage ich mich als "Guineapig" ein. Die nächste Frage von Nigel ist, ob denn jemand von denen, die sich für das Vier-Sterne-Assessment eingetragen haben, nicht Mitglied der BCU sei. Trenk meldet sich. Er sei aber gerne bereit, in den nächsten fünf Minuten beizutreten. Nigel wiegt mit wichtiger Mine den Kopf und meint, dass wir morgen sehen müssen, was wir tun können. Damit ist auch Trenks Plan vorerst zerbröselt.

Es geht noch etwas hin und her in der Diskussion, wie Qualifikationen nach dem alten System in das neue umgerechnet werden, aber das wird mir irgendwann zu albern. Ich will hier nicht nach irgendwelchen Sternen greifen, sondern etwas lernen und das werde ich hinbekommen - und wenn ich mich dafür als Meerschwein verkleiden muss! Nur Trenk tut mir etwas leid, weil er klare Vorstellungen und Pläne hatte, die ihm jetzt aus den Händen zu gleiten drohen. Ich gehe noch zum Bildervortrag von Rowland, bei dem er schöne und spektakuläre Bilder von Paddeltouren rund um den Globus zeigt. Der Vortrag ist betitelt mit "This is ... the REAL sea"!

Sonntag, 2. Mai 2010

Anglesey Seakayak Symposium, Sonntag

In der Nacht ist Wind aufgekommen. Das ist insofern angenehm, als dass das Gras trocken ist und auch sonst kaum Feuchtigkeit in den Sachen steckt. Andererseits ist der Wind ziemlich frisch. Die Wettervorhersage für heute ist ziemlich unspektakulär: Wind 6 bis 7 aus Nordost. Das macht für einige Kurse ein bisschen Probleme, aber ich habe "Incident Management", gebucht, wofür der Wind keine nennenswerte Rolle spielt.

Rowland ist unser Coach. Bei seinen erläuternden Worten zu dem Kurst legt er Wert darauf klarzustellen, dass es sich um eine Lehrstunde handelt und nicht um ein Adrenalin förderndes Abenteuer. Wer so etwas sucht, solle sich einen anderen Kurs anschließen. Seine abweisenden Worte reichen aber nicht aus, den Kreis der Interessierten gering zu halten: Über dreißig Teilnehmer scharen sich um ihn! Diese Menge kann er unmöglich mit seinen zwei Assistenten bewältigen. Nach noch mehr nüchternen Worten, Bitten und gutem Zureden bleiben noch 19 nachhaltig Interessierte übrig.

Er beginnt die Vorstellungsrunde und führt sich mit den Worten ein: "Ich fahre seit 45 Jahren Kajak. Das bedeutet nichts anderes, als dass ich schon eine Menge Fehler gemacht habe." Es geht die Reihe rum und ich bin erstaunt, was für eine riesige Menge Erfahrung hier zusammensitzt. Es ist kaum jemand mit weniger als zehn Jahren Fahrenszeit dabei, etliche sind in ihrer Heimat als Instruktoren tätig, nur Jasper aus Dänemark fährt erst im zweiten Jahr Seekajak.

Rowland beginnt mit einer ausführlichen Theoriestunde und diese damit, dass Vorfälle besser bereits im Vorfeld vermieden werden, als sie im Nachhinein zu bewältigen. Er erklärt ausführlich jedes Detail seiner umfangreichen Ausrüstung. Man spürt bei jedem Gegenstand, bei jeder Anordnung, dass es durch langjährige Praxis unter extremen Bedingungen optimiert worden ist. Er erzählt immer wieder von Fehlern und den Fehlern anderer, aus denen er gelernt hat. Er geht mit jedem Detail gnadenlos ins Gericht, ist dabei aber nicht dogmatisch. Nichts ist in Stein gemeißelt: "Was für mich funktioniert, kann für dich falsch sein." Er will uns aufmerksam machen für Dinge, die wir überdenken sollten und für die wir eine für uns passende Lösung finden müssen. Eigentlich erzählt er uns keine spektakulären Neuigkeiten, aber er erzählt mit einer ungemeinen Wucht und die Sätze sind nicht in irgendwelcher Theorie oder theoretischer Gefahr gegründet, sondern in lebendiger Erfahrung und glaubhaften Schmerzen. Sie graben sich tief in meine Erinnerung ein.

(Foto: Merete Fischer)
Ab 12 Uhr wollen wir aufs Wasser. Er erklärt uns, dass wir in enge Spalten fahren und dort das Herausschleppen üben wollen. Ich weiß noch nicht recht, was ich davon halten soll, denn ich würde nie freiwillig in eine dieser engen Spalten fahren, in die die See schäumend hineinläuft, nur um am Ende hochzuspritzen und genauso schäumend wieder herauszulaufen. Aber wie so oft: wenn man es denn tut, ist es gar nicht so schlimm, wie man es sich vorgestellt hat. Und ich entwickle sogar ein Gefühl für das Schwappen der See in diesen Spalten und wie sich das Boot dabei verhält. Johann, ein schwedischer Assistent demonstriert "Rocklanding", bei dem man vor dem Felsen aussteigt, das Boot an der Schleppleine von sich stößt und dann versucht, schwimmend den Felsen zu erreichen und zu erklimmen.

In der Mittagspause folgt eine wortreiche Belehrung zum Thema Schleppen, Schleppleine und Karabiner. Ich habe kaum Probleme Rowlands Englisch zu verstehen, obwohl er recht schnell spricht und etwas nuschelt. Er hat eine wunderbare britische Art und den entsprechenden schwarzen Humor. Er macht nie andere lächerlich, sondern nur sich selber - aber jeder spürt eindringlich, dass er alles andere als eine lächerliche Figur darstellt. Es macht großen Spaß, ihm zuzuhören.

In der Untergruppe, in der ich übe, sind sieben Paddler, drei Männer und vier Frauen. Ian und Helen, die verheiratet sind, sind die einzigen Briten in unserer Gruppe. Ian ist eindeutig der unerfahrenste und agiert deutlich verhalten. Das mag auch an Helen liegen, die eindeutig dominant ist und schon recht lange paddelt. Aber sie wirkt etwas umständlich auf mich und langsam. In allen Situationen, die wir durchgehen, ist schnelles Handeln das oberste Gebot, aber Helen tüdelt lange mit der Schleppleine oder manövriert ihr Boot erst in die optimale Position.

Mette und Merete sind Däninnen und sehr beflissen mit guter Bootsbeherrschung. Ich habe mit Mette zusammen die Paarübungen gemacht und war baff, wie resolut sie in der Rolle des Retters agierte und Kommandos gab. Karen aus Schweden hat eine perfekte Bootsbeherrschung und ihre Fragen zeigen, dass sie viel Erfahrung im Führen von Gruppen hat. Es ist absolut faszinierend, wieviele hochgradig kompetente Frauen hier teilnehmen, die auch haarige Situationen nicht mit spitzen Fingern angehen: außer Ian und mir üben alle das Rocklanding - zu deutsch: nur ein Mann, aber alle Frauen! Als Merete schon im Wasser schwimmt, krault sie noch einmal zu mir heran. Sie hat ihre Kamera zwischen den Zähnen und bittet micht, einige Fotos von ihr damit zu machen.

Die nächste Übung besteht darin, dass jemand in eine enge Spalte fährt und dort aus dem Boot fällt. Ein anderer soll dann zum Opfer reinfahren, dessen Boot greifen und von einem dritten am Heck herausgezogen werden. Ein interessanter Gedanke, im auf- und abschwellenden Wasser zwischen den Felsen zu schwimmen! Beim Üben des "Reinlöffelns" eines Verunglückten mit ausgekugelter Schulter, beim Bergen eines Bewusstlosen oder beim Einsatz des Steigbügels gibt es viel zu lachen - und trotzdem lernen wir etwas. Als ich nach einem Unterwassereinstieg meine Schenkelpumpe einsetze, stößt sie auf allgemeines Interesse. Derartige Pumpen sind hier eher selten zu finden. Als Rowland uns am Ende des Tages ein paar abschließende Worte mit auf den Weg gibt, erntet er stehenden Applaus für seine Arbeit. Dieser Mann repräsentiert eine Dimension des Kajakfahrens, die mir bisher noch nicht begegnet ist. Ich bin voller Dank dafür, dass ich das gefunden habe!

Samstag, 1. Mai 2010

Anglesey Seakayak Symposium, Samstag

Ich stehe jurz vor sieben auf. Treffen ist zwar erst um 9:00 Uhr, ich möchte aber meine sanitären Angelegenheiten geregelt haben, bevor der große Run auf die zwei armseligen Toiletten einsetzt. Um 9:00 Uhr versammelt sich die gesamte Gemeinde im großen Zelt und Nigel Denis heißt uns willkommen. Er ist eine ausgesprochen angenehme Erscheinung: freundlich, klar, dezent und bescheiden. Er verliest kurz die Wettervorhersage und spricht einige Worte zum Ablauf der Kurse. Ich habe mich für "Tidal Races and Overfalls" eingetragen. Ich bin etwas unentschieden, ob ich mich bei den Anfängern oder bei den Fortgeschrittenen einordnen soll. Eine kurze Beratung mit Peter ergibt die Fortgeschrittenengruppe als passende Klassifizierung.

Aled ist unser Fähnleinführer. Ich kenne sein Gesicht aus "This is the Sea" Folge 3 oder 4, wo er sich mehrfach mit einem über fünf Meter langen Kajak der Länge nach überschlägt. Ein Lehrer, der zumindest Technik und Praxis des Seekajakfahrens kompetent beherrscht. Auch er gibt uns eine kleine Einleitung und mir gefällt die klare und präzise Wortwahl.. Um halb elf wollen wir uns am Strand treffen, das ist reichlich Zeit, meines Erachtens sogar etwas arg viel Zeit. Peter, Trenk und ich rollern unsere Boote zum Strand und müssen ziemlich warten, bis alle soweit sind, dass es losgehen kann.

Aled erklärt uns kurz die Arithmetik der Tidal Races: Ein Paddler, der gute fünf Minuten im Wasser treibt, ist etwa einen Kilometer von der Stelle entfernt, an der er gekentert ist. Das ist bei den gegebenen Bedingungen hinter dem Horizont. Wenn man den dann retten will und nur zwei Minuten für den Hinweg braucht, man ihn sofort findet und fünf Minuten für den Rückweg benötigt, ist man sieben Minuten vom nächsten Gekenterten entfernt. Das bedeutet für den dann: Good bye!

Entsprechend eingenordet gleiten wir ins Wasser unserem Ziel entgegen: Penryhn Mawr! Dieses Tidal Race funktioniert nur bei Flut, bei der das Wasser an den Klippen der Bucht entlang nach Norden läuft und an ihrem Ende zwischen einigen Schären derart verengt wird, dass sich wüste stehende Wellen bilden. Als wir um die erste Ecke biegen, sehen wir schon die "line of white". Aled ist etwas überrascht, dass dort heute eine derartige Welle steht. Zwar haben wir Springtide, aber es herrscht fast Windstille.Der Grund liegt in einer sanften Dünung, die aber immerhin ca. einen bis anderthalb Meter beträgt.

Es gibt drei Gatten zwischen den Schären, die sich in die Kategorien einteilen lassen: "Versuch's gar nicht erst!", "Mit Glück zu überleben" und "Nicht jeder kommt durch". Aled sagt, dass wir auf dieser Seite der Schnellen bleiben wollen. Aber mir ist nicht klar, wie ich als Fluse vor einem Staubsaugerrohr herumschwänzeln soll, ohne mit einem emotionslosen "Flupp!" weggesaugt zu werden! Ich klemme mich direkt hinter Aled und beobachte genau, wie er fährt und wohin. Und siehe da: mitten in diesem tosenden Chaos bietet uns ein Kehrwasser entspannte Ruhe, so dass wir uns die Sache erst einmal aus der Nähe ansehen und noch ein paar ermunternde Worte hören können. Wobei "hören" sich etwas schwierig gestaltet, weil ich  mittlerweile meine Neoprenhaube aufgesetzt habe und darüber den Helm. Außerdem tost natürlich das Wasser mit ziemlichen Lärm.

Trenk ist in der Gruppe der fortgeschrittenen Fortgeschrittenen, während ich mich bei den fortgeschrittenen Anfängern einsortiert habe. Während Trenk sich also am mittleren Gatt die Zähne ausbeißt, erkunden wir das "simple bit"! Das ist schon heftig genug für jemanden, der so etwas noch nie gesehen hat. Alle paar Meter reißt es einen  jäh herum und überall lauern Felsen über und unter dem Wasser. Mein Herz wummert wie bekloppt und ich brauche eine Weile, Kontrolle über mein Boot zu gewinnen. Aber ich bin wild entschlossen und es klappt ganz gut, so dass ich ich irgendwann von Aled löse und lieber Lauren anschließe, die einfach kleine Aufgabe stellt, voraus paddelt und ich hinterher.

Hätte ich mir diese Schnellen mit den Felsen darin alleine vom Ufer aus angesehen, ich wäre nie auf die Idee gekommen, mich mit einem Boot da hinein zu wagen. Ich wäre von mir aus nie auf die Idee gekommen, dermaßen dicht an ein felsiges Ufer zu fahren, wenn da ein meterhoher Schwell draufsteht. Aber mit der entsprechenden Sachkenntnis und Aufmerksamkeit geht das. Es hat aber auch seinen Preis: es ist ungemein anstrengend! Ich schätze aber, dass etwa die Hälfte meiner Anstrengung in die Aufgeregtheit geht. Nicht die Muskeln leisten hier die meiste Arbeit, sondern das Herz und die Nerven.

Nach einer kurzen Pause in einer geschützten Spalte paddeln wir noch einmal gegen den Strom etwas von den Schnellen weg. Wohlgemerkt: wir paddeln gegen einen mit mehr als fünf Knoten laufenden Strom! Was unter normalen Umständen vollkommen unmöglich ist, gelingt hier fast ohne Mühe durch die überfallenden und damit rücklaufenden Wellen. Eine faszinierende Erfahrung!

Aled mustert die Gatten noch einmal und beschließt, das wir die alleräußerste angehen wollen - die tödliche! Es ist fast Hochwasser und die Tödlichkeit hat schwer nachgelassen - es schäumt kaum mehr sondern strömt nur noch. Hier gelingt bereits der eine oder andere stehende Surf, aber die Gewaltigkeit ist futsch. Der weitere Plan ist, dass wir um den South Stack herum fahren, um nördlich davon unsere Mittagspause zu verbringen. Wir müssen eine große Bucht queren und da ich die ganze Zeit neben Aled fahre, erklärt er mir ab und an die Besonderheiten der Strömungsverhältnisse. Direkt vor dem South Stack schlängeln wir uns wieder derart eng durch die Felsen, wie ich es alleine nie getan hätte.

An der äußersten Spitze des South Stack ist Schluss mit Lustig: der Tidenstrom hat längst gedreht und das Kehrwasser der Bucht ist hier zu Ende. Direkt hinter der Ecke strömt es uns heftig entgegen und wir müssen beherzt das Paddel einsetzen, um voran zu kommen. Doch bald bietet eine kleine Bucht wieder ein Kehrwasser, das Ruhe und Entspannung bringt. Wir fahren weiter Richtung Norden, zehn Meter neben uns strömt es mit fünf Knoten in die entgegen gesetzte Richtung. An einer geeigneten Stelle fährt Aled vor im spitzen Winkel in diesen Strom, paddelt etwas auf der Stelle, gleitet ein paarmal nach links , nach rechts und dann wieder ins ruhige Wasser. Ich will es ihm gleichtun, werde aber sofort herum gerissen, wende und versuche, gegen den Strom anzupaddeln. Ich paddle ziemlich heftig, und solange ich auf das Wasser um mich herum blicke, habe ich auch das Gefühl, dass ich vorankomme. Als ich aber auf die Klippen am Ufer blicke, werde ich blass: trotz meines heftigen Bemühens werde ich mit rasanter Geschwindigkeit von der Gruppe weg versetzt! "Ran an die Felswand!", ist mein einziger Gedanke und mit viel Anstrengung und Willen schaffe ich es und arbeite mich wieder an die Gruppe heran. Das  hat mir wirklich zu denken gegeben!

Die Pause wollen wir in einer riesigen Felshöhle verbringen. Sie hat nur den kleinen Nachteil, dass dort kein weicher Sandstrand zum Anlanden zur Verfügung steht, sondern nur faust- bis kopfgroße, wunderschön gemaserte Steine - und die Dünung hier immer noch zwischen 30 bis 50 Zentimeter ein- und ausatmet. Lauren geht als erste direkt vor mir an Land - mit einem furchtbaren Geräusch! Ich folge ihr nicht weniger lautstark, werde aber wieder zurück gesogen, weil ich nicht schnell genug aus meinem Cockpit komme. Die Folgenden werden von den schon Angelandeten etwas Gelcoat-schonender in Empfang genommen. Während der gesamten Pause schwimmt eine Kegelrobbe dreißig Meter vor der Wasserkante Patrouille am Eingang zur Höhle.

In einiger Entfernung draußen befindet sich ein unter Wasser liegendes Riff, das zusammen mit dem Tidenstrom eine Serie von fünf bis sechs brechenden Wellen erzeugt, denen wir einen Besuch abstatten wollen. Als wir uns nähern, türmen sie sich gewaltig, aber ich finde sie trotzdem vergleichsweise harmlos. Ich vermute, dass liegt einfach daran, das ich Wellen dieser Art schon von der Nordsee her kenne. Direkt hinter dem Wellenriegel wenden wir, um uns von hinten auf die Kämme zu setzen und etwas zu surfen. Wegen des starken Tidenstromes muss man sich aber doch ziemlich anstrengen, um so einen Kamm zu erreichen, der eigentlich direkt vor einem liegt. Hier spüre ich, dass die ständige Anspannung doch ihren Tribut gefordert hat und gebe bald auf. Wir fahren noch mit dem Tidenstrom, bis wir South Stack passiert haben und beratschlagen, wie es weitergeht. Aled schlägt vor, ein zweites Mal durch die Brecherreihe zu gehen. Acht sind mit von der Partie, die anderen treten geführt von Lauren den Heimweg an.

Wir arbeiten uns wieder an die Stelle heran, an der wir vorhin so angestrengt paddeln mussten. Als wir ihr uns nähern, erkenne ich, dass es diesmal mehr als anstrengend werden wird. Ich paddle wie wild, aber wenn ich auf die Felsen nebenan blicke, ist kaum ein Vorankommen zu erkennen. Aled fährt scheinbar mühelos vorneweg, einzig eine junge Engländerin, die knapp vor mir fährt, macht mir Mut: solange sie nicht zurückfällt, gebe ich nicht auf! Ich fange auch langsam an, nicht mehr blindlings zu paddeln, sondern den Schwell besser zu nutzen, der immer wieder von der Felswand zurückläuft und einem Schwung geben kann. Als wir drei in ein ruhiges Kehrwasser einlaufen, ist vom Rest der Gruppe nichts zu sehen. Erst nach einiger Zeit kommen sie um die Ecke zentimetert, allesamt sichtlich beeindruckt von der Mühe, die sie diese nicht einmal hundert Meter gekostet haben.

Wir müssen noch einen langen Schlag gegen den Strom machen, bevor wir wieder auf die Brecherreihe zuhalten können. Sie türmen sich mittlerweile noch höher und erreichen nun locker drei Meter Höhe. Eine muss sich unbedingt direkt vor mir erbrechen, und ihr gesamter Schaum schlägt mir mit voller Wucht gegen die Brust. Ich habe mein Paddel zur Sicherheit parallel zum Boot gelegt, damit es mir nicht um den Bauch gewickelt wird.