Sonntag, 2. Mai 2010

Anglesey Seakayak Symposium, Sonntag

In der Nacht ist Wind aufgekommen. Das ist insofern angenehm, als dass das Gras trocken ist und auch sonst kaum Feuchtigkeit in den Sachen steckt. Andererseits ist der Wind ziemlich frisch. Die Wettervorhersage für heute ist ziemlich unspektakulär: Wind 6 bis 7 aus Nordost. Das macht für einige Kurse ein bisschen Probleme, aber ich habe "Incident Management", gebucht, wofür der Wind keine nennenswerte Rolle spielt.

Rowland ist unser Coach. Bei seinen erläuternden Worten zu dem Kurst legt er Wert darauf klarzustellen, dass es sich um eine Lehrstunde handelt und nicht um ein Adrenalin förderndes Abenteuer. Wer so etwas sucht, solle sich einen anderen Kurs anschließen. Seine abweisenden Worte reichen aber nicht aus, den Kreis der Interessierten gering zu halten: Über dreißig Teilnehmer scharen sich um ihn! Diese Menge kann er unmöglich mit seinen zwei Assistenten bewältigen. Nach noch mehr nüchternen Worten, Bitten und gutem Zureden bleiben noch 19 nachhaltig Interessierte übrig.

Er beginnt die Vorstellungsrunde und führt sich mit den Worten ein: "Ich fahre seit 45 Jahren Kajak. Das bedeutet nichts anderes, als dass ich schon eine Menge Fehler gemacht habe." Es geht die Reihe rum und ich bin erstaunt, was für eine riesige Menge Erfahrung hier zusammensitzt. Es ist kaum jemand mit weniger als zehn Jahren Fahrenszeit dabei, etliche sind in ihrer Heimat als Instruktoren tätig, nur Jasper aus Dänemark fährt erst im zweiten Jahr Seekajak.

Rowland beginnt mit einer ausführlichen Theoriestunde und diese damit, dass Vorfälle besser bereits im Vorfeld vermieden werden, als sie im Nachhinein zu bewältigen. Er erklärt ausführlich jedes Detail seiner umfangreichen Ausrüstung. Man spürt bei jedem Gegenstand, bei jeder Anordnung, dass es durch langjährige Praxis unter extremen Bedingungen optimiert worden ist. Er erzählt immer wieder von Fehlern und den Fehlern anderer, aus denen er gelernt hat. Er geht mit jedem Detail gnadenlos ins Gericht, ist dabei aber nicht dogmatisch. Nichts ist in Stein gemeißelt: "Was für mich funktioniert, kann für dich falsch sein." Er will uns aufmerksam machen für Dinge, die wir überdenken sollten und für die wir eine für uns passende Lösung finden müssen. Eigentlich erzählt er uns keine spektakulären Neuigkeiten, aber er erzählt mit einer ungemeinen Wucht und die Sätze sind nicht in irgendwelcher Theorie oder theoretischer Gefahr gegründet, sondern in lebendiger Erfahrung und glaubhaften Schmerzen. Sie graben sich tief in meine Erinnerung ein.

(Foto: Merete Fischer)
Ab 12 Uhr wollen wir aufs Wasser. Er erklärt uns, dass wir in enge Spalten fahren und dort das Herausschleppen üben wollen. Ich weiß noch nicht recht, was ich davon halten soll, denn ich würde nie freiwillig in eine dieser engen Spalten fahren, in die die See schäumend hineinläuft, nur um am Ende hochzuspritzen und genauso schäumend wieder herauszulaufen. Aber wie so oft: wenn man es denn tut, ist es gar nicht so schlimm, wie man es sich vorgestellt hat. Und ich entwickle sogar ein Gefühl für das Schwappen der See in diesen Spalten und wie sich das Boot dabei verhält. Johann, ein schwedischer Assistent demonstriert "Rocklanding", bei dem man vor dem Felsen aussteigt, das Boot an der Schleppleine von sich stößt und dann versucht, schwimmend den Felsen zu erreichen und zu erklimmen.

In der Mittagspause folgt eine wortreiche Belehrung zum Thema Schleppen, Schleppleine und Karabiner. Ich habe kaum Probleme Rowlands Englisch zu verstehen, obwohl er recht schnell spricht und etwas nuschelt. Er hat eine wunderbare britische Art und den entsprechenden schwarzen Humor. Er macht nie andere lächerlich, sondern nur sich selber - aber jeder spürt eindringlich, dass er alles andere als eine lächerliche Figur darstellt. Es macht großen Spaß, ihm zuzuhören.

In der Untergruppe, in der ich übe, sind sieben Paddler, drei Männer und vier Frauen. Ian und Helen, die verheiratet sind, sind die einzigen Briten in unserer Gruppe. Ian ist eindeutig der unerfahrenste und agiert deutlich verhalten. Das mag auch an Helen liegen, die eindeutig dominant ist und schon recht lange paddelt. Aber sie wirkt etwas umständlich auf mich und langsam. In allen Situationen, die wir durchgehen, ist schnelles Handeln das oberste Gebot, aber Helen tüdelt lange mit der Schleppleine oder manövriert ihr Boot erst in die optimale Position.

Mette und Merete sind Däninnen und sehr beflissen mit guter Bootsbeherrschung. Ich habe mit Mette zusammen die Paarübungen gemacht und war baff, wie resolut sie in der Rolle des Retters agierte und Kommandos gab. Karen aus Schweden hat eine perfekte Bootsbeherrschung und ihre Fragen zeigen, dass sie viel Erfahrung im Führen von Gruppen hat. Es ist absolut faszinierend, wieviele hochgradig kompetente Frauen hier teilnehmen, die auch haarige Situationen nicht mit spitzen Fingern angehen: außer Ian und mir üben alle das Rocklanding - zu deutsch: nur ein Mann, aber alle Frauen! Als Merete schon im Wasser schwimmt, krault sie noch einmal zu mir heran. Sie hat ihre Kamera zwischen den Zähnen und bittet micht, einige Fotos von ihr damit zu machen.

Die nächste Übung besteht darin, dass jemand in eine enge Spalte fährt und dort aus dem Boot fällt. Ein anderer soll dann zum Opfer reinfahren, dessen Boot greifen und von einem dritten am Heck herausgezogen werden. Ein interessanter Gedanke, im auf- und abschwellenden Wasser zwischen den Felsen zu schwimmen! Beim Üben des "Reinlöffelns" eines Verunglückten mit ausgekugelter Schulter, beim Bergen eines Bewusstlosen oder beim Einsatz des Steigbügels gibt es viel zu lachen - und trotzdem lernen wir etwas. Als ich nach einem Unterwassereinstieg meine Schenkelpumpe einsetze, stößt sie auf allgemeines Interesse. Derartige Pumpen sind hier eher selten zu finden. Als Rowland uns am Ende des Tages ein paar abschließende Worte mit auf den Weg gibt, erntet er stehenden Applaus für seine Arbeit. Dieser Mann repräsentiert eine Dimension des Kajakfahrens, die mir bisher noch nicht begegnet ist. Ich bin voller Dank dafür, dass ich das gefunden habe!

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