Samstag, 1. Mai 2010

Anglesey Seakayak Symposium, Samstag

Ich stehe jurz vor sieben auf. Treffen ist zwar erst um 9:00 Uhr, ich möchte aber meine sanitären Angelegenheiten geregelt haben, bevor der große Run auf die zwei armseligen Toiletten einsetzt. Um 9:00 Uhr versammelt sich die gesamte Gemeinde im großen Zelt und Nigel Denis heißt uns willkommen. Er ist eine ausgesprochen angenehme Erscheinung: freundlich, klar, dezent und bescheiden. Er verliest kurz die Wettervorhersage und spricht einige Worte zum Ablauf der Kurse. Ich habe mich für "Tidal Races and Overfalls" eingetragen. Ich bin etwas unentschieden, ob ich mich bei den Anfängern oder bei den Fortgeschrittenen einordnen soll. Eine kurze Beratung mit Peter ergibt die Fortgeschrittenengruppe als passende Klassifizierung.

Aled ist unser Fähnleinführer. Ich kenne sein Gesicht aus "This is the Sea" Folge 3 oder 4, wo er sich mehrfach mit einem über fünf Meter langen Kajak der Länge nach überschlägt. Ein Lehrer, der zumindest Technik und Praxis des Seekajakfahrens kompetent beherrscht. Auch er gibt uns eine kleine Einleitung und mir gefällt die klare und präzise Wortwahl.. Um halb elf wollen wir uns am Strand treffen, das ist reichlich Zeit, meines Erachtens sogar etwas arg viel Zeit. Peter, Trenk und ich rollern unsere Boote zum Strand und müssen ziemlich warten, bis alle soweit sind, dass es losgehen kann.

Aled erklärt uns kurz die Arithmetik der Tidal Races: Ein Paddler, der gute fünf Minuten im Wasser treibt, ist etwa einen Kilometer von der Stelle entfernt, an der er gekentert ist. Das ist bei den gegebenen Bedingungen hinter dem Horizont. Wenn man den dann retten will und nur zwei Minuten für den Hinweg braucht, man ihn sofort findet und fünf Minuten für den Rückweg benötigt, ist man sieben Minuten vom nächsten Gekenterten entfernt. Das bedeutet für den dann: Good bye!

Entsprechend eingenordet gleiten wir ins Wasser unserem Ziel entgegen: Penryhn Mawr! Dieses Tidal Race funktioniert nur bei Flut, bei der das Wasser an den Klippen der Bucht entlang nach Norden läuft und an ihrem Ende zwischen einigen Schären derart verengt wird, dass sich wüste stehende Wellen bilden. Als wir um die erste Ecke biegen, sehen wir schon die "line of white". Aled ist etwas überrascht, dass dort heute eine derartige Welle steht. Zwar haben wir Springtide, aber es herrscht fast Windstille.Der Grund liegt in einer sanften Dünung, die aber immerhin ca. einen bis anderthalb Meter beträgt.

Es gibt drei Gatten zwischen den Schären, die sich in die Kategorien einteilen lassen: "Versuch's gar nicht erst!", "Mit Glück zu überleben" und "Nicht jeder kommt durch". Aled sagt, dass wir auf dieser Seite der Schnellen bleiben wollen. Aber mir ist nicht klar, wie ich als Fluse vor einem Staubsaugerrohr herumschwänzeln soll, ohne mit einem emotionslosen "Flupp!" weggesaugt zu werden! Ich klemme mich direkt hinter Aled und beobachte genau, wie er fährt und wohin. Und siehe da: mitten in diesem tosenden Chaos bietet uns ein Kehrwasser entspannte Ruhe, so dass wir uns die Sache erst einmal aus der Nähe ansehen und noch ein paar ermunternde Worte hören können. Wobei "hören" sich etwas schwierig gestaltet, weil ich  mittlerweile meine Neoprenhaube aufgesetzt habe und darüber den Helm. Außerdem tost natürlich das Wasser mit ziemlichen Lärm.

Trenk ist in der Gruppe der fortgeschrittenen Fortgeschrittenen, während ich mich bei den fortgeschrittenen Anfängern einsortiert habe. Während Trenk sich also am mittleren Gatt die Zähne ausbeißt, erkunden wir das "simple bit"! Das ist schon heftig genug für jemanden, der so etwas noch nie gesehen hat. Alle paar Meter reißt es einen  jäh herum und überall lauern Felsen über und unter dem Wasser. Mein Herz wummert wie bekloppt und ich brauche eine Weile, Kontrolle über mein Boot zu gewinnen. Aber ich bin wild entschlossen und es klappt ganz gut, so dass ich ich irgendwann von Aled löse und lieber Lauren anschließe, die einfach kleine Aufgabe stellt, voraus paddelt und ich hinterher.

Hätte ich mir diese Schnellen mit den Felsen darin alleine vom Ufer aus angesehen, ich wäre nie auf die Idee gekommen, mich mit einem Boot da hinein zu wagen. Ich wäre von mir aus nie auf die Idee gekommen, dermaßen dicht an ein felsiges Ufer zu fahren, wenn da ein meterhoher Schwell draufsteht. Aber mit der entsprechenden Sachkenntnis und Aufmerksamkeit geht das. Es hat aber auch seinen Preis: es ist ungemein anstrengend! Ich schätze aber, dass etwa die Hälfte meiner Anstrengung in die Aufgeregtheit geht. Nicht die Muskeln leisten hier die meiste Arbeit, sondern das Herz und die Nerven.

Nach einer kurzen Pause in einer geschützten Spalte paddeln wir noch einmal gegen den Strom etwas von den Schnellen weg. Wohlgemerkt: wir paddeln gegen einen mit mehr als fünf Knoten laufenden Strom! Was unter normalen Umständen vollkommen unmöglich ist, gelingt hier fast ohne Mühe durch die überfallenden und damit rücklaufenden Wellen. Eine faszinierende Erfahrung!

Aled mustert die Gatten noch einmal und beschließt, das wir die alleräußerste angehen wollen - die tödliche! Es ist fast Hochwasser und die Tödlichkeit hat schwer nachgelassen - es schäumt kaum mehr sondern strömt nur noch. Hier gelingt bereits der eine oder andere stehende Surf, aber die Gewaltigkeit ist futsch. Der weitere Plan ist, dass wir um den South Stack herum fahren, um nördlich davon unsere Mittagspause zu verbringen. Wir müssen eine große Bucht queren und da ich die ganze Zeit neben Aled fahre, erklärt er mir ab und an die Besonderheiten der Strömungsverhältnisse. Direkt vor dem South Stack schlängeln wir uns wieder derart eng durch die Felsen, wie ich es alleine nie getan hätte.

An der äußersten Spitze des South Stack ist Schluss mit Lustig: der Tidenstrom hat längst gedreht und das Kehrwasser der Bucht ist hier zu Ende. Direkt hinter der Ecke strömt es uns heftig entgegen und wir müssen beherzt das Paddel einsetzen, um voran zu kommen. Doch bald bietet eine kleine Bucht wieder ein Kehrwasser, das Ruhe und Entspannung bringt. Wir fahren weiter Richtung Norden, zehn Meter neben uns strömt es mit fünf Knoten in die entgegen gesetzte Richtung. An einer geeigneten Stelle fährt Aled vor im spitzen Winkel in diesen Strom, paddelt etwas auf der Stelle, gleitet ein paarmal nach links , nach rechts und dann wieder ins ruhige Wasser. Ich will es ihm gleichtun, werde aber sofort herum gerissen, wende und versuche, gegen den Strom anzupaddeln. Ich paddle ziemlich heftig, und solange ich auf das Wasser um mich herum blicke, habe ich auch das Gefühl, dass ich vorankomme. Als ich aber auf die Klippen am Ufer blicke, werde ich blass: trotz meines heftigen Bemühens werde ich mit rasanter Geschwindigkeit von der Gruppe weg versetzt! "Ran an die Felswand!", ist mein einziger Gedanke und mit viel Anstrengung und Willen schaffe ich es und arbeite mich wieder an die Gruppe heran. Das  hat mir wirklich zu denken gegeben!

Die Pause wollen wir in einer riesigen Felshöhle verbringen. Sie hat nur den kleinen Nachteil, dass dort kein weicher Sandstrand zum Anlanden zur Verfügung steht, sondern nur faust- bis kopfgroße, wunderschön gemaserte Steine - und die Dünung hier immer noch zwischen 30 bis 50 Zentimeter ein- und ausatmet. Lauren geht als erste direkt vor mir an Land - mit einem furchtbaren Geräusch! Ich folge ihr nicht weniger lautstark, werde aber wieder zurück gesogen, weil ich nicht schnell genug aus meinem Cockpit komme. Die Folgenden werden von den schon Angelandeten etwas Gelcoat-schonender in Empfang genommen. Während der gesamten Pause schwimmt eine Kegelrobbe dreißig Meter vor der Wasserkante Patrouille am Eingang zur Höhle.

In einiger Entfernung draußen befindet sich ein unter Wasser liegendes Riff, das zusammen mit dem Tidenstrom eine Serie von fünf bis sechs brechenden Wellen erzeugt, denen wir einen Besuch abstatten wollen. Als wir uns nähern, türmen sie sich gewaltig, aber ich finde sie trotzdem vergleichsweise harmlos. Ich vermute, dass liegt einfach daran, das ich Wellen dieser Art schon von der Nordsee her kenne. Direkt hinter dem Wellenriegel wenden wir, um uns von hinten auf die Kämme zu setzen und etwas zu surfen. Wegen des starken Tidenstromes muss man sich aber doch ziemlich anstrengen, um so einen Kamm zu erreichen, der eigentlich direkt vor einem liegt. Hier spüre ich, dass die ständige Anspannung doch ihren Tribut gefordert hat und gebe bald auf. Wir fahren noch mit dem Tidenstrom, bis wir South Stack passiert haben und beratschlagen, wie es weitergeht. Aled schlägt vor, ein zweites Mal durch die Brecherreihe zu gehen. Acht sind mit von der Partie, die anderen treten geführt von Lauren den Heimweg an.

Wir arbeiten uns wieder an die Stelle heran, an der wir vorhin so angestrengt paddeln mussten. Als wir ihr uns nähern, erkenne ich, dass es diesmal mehr als anstrengend werden wird. Ich paddle wie wild, aber wenn ich auf die Felsen nebenan blicke, ist kaum ein Vorankommen zu erkennen. Aled fährt scheinbar mühelos vorneweg, einzig eine junge Engländerin, die knapp vor mir fährt, macht mir Mut: solange sie nicht zurückfällt, gebe ich nicht auf! Ich fange auch langsam an, nicht mehr blindlings zu paddeln, sondern den Schwell besser zu nutzen, der immer wieder von der Felswand zurückläuft und einem Schwung geben kann. Als wir drei in ein ruhiges Kehrwasser einlaufen, ist vom Rest der Gruppe nichts zu sehen. Erst nach einiger Zeit kommen sie um die Ecke zentimetert, allesamt sichtlich beeindruckt von der Mühe, die sie diese nicht einmal hundert Meter gekostet haben.

Wir müssen noch einen langen Schlag gegen den Strom machen, bevor wir wieder auf die Brecherreihe zuhalten können. Sie türmen sich mittlerweile noch höher und erreichen nun locker drei Meter Höhe. Eine muss sich unbedingt direkt vor mir erbrechen, und ihr gesamter Schaum schlägt mir mit voller Wucht gegen die Brust. Ich habe mein Paddel zur Sicherheit parallel zum Boot gelegt, damit es mir nicht um den Bauch gewickelt wird.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen