Samstag, 14. April 2012

Fitness-Testtour

Die äußeren Umstände waren günstig: Ich würde allein zu Haus sein, das Wetter sollte einigernaßen werden und körperlich fühlte ich mich gut genug, eine lange Tour zu machen. Leider wurde Jörg am Beginn der Woche von einer menschlichen Malaise heimgesucht, wie es für endliche Wesen in unserem Alter nicht ungewöhnlich ist. Immerhin war er wieder soweit genesen, dass er sich überhaupt ins Boot setzten und eine kleine Tour mit mir machen würde. Da sich Klaus-Peter noch zu uns gesellte, dem der Sinn auch nicht nach Marathon stand und der mit Jörg zurückfahren würde, konnte ich mir vollkommen unbeschwert überlegen, ob ich eine größere oder die ganz große Lösung fahren wollte.

Der genaue Blick auf die Windvorhersage ergab eine intensive Flaute mit Windgeschwindigkeiten im kaum wahrnehmbaren Bereich. Die Richtung, aus der der Wind kaum wahrnehmbar sein würde, war deutlich Nord. Das sprach sehr für eine seeehr lange Tour! Da wir natürlich wieder Mirkos Fortschritte bei der Renovierung unserer Vereinsgaststätte gebührend würdigen müssen, kommen wir etwas später los als gedacht los. Wie erwartet und vorhergesagt, liegt die Förde spiegelglatt in der Landschaft. Allerdings ist es seit heute mit der winterlichen Ruhe endgültig vorbei. Überall am Ufer sind Kräne emsig dabei, dickbäuchige Damen an strammen Gurten behutsam ins Wasser zu hieven: "Yvonne", "Henrika", "Frouwke" und wie sie alle heißen. Die Segler sind aus ihrem Winterschlaf erwacht und werden uns fürderhin Gesellschaft auf dem Wasser leisten. Die meisten ihrer schwimmfähigen Untersätze sehen noch irgendwie behindert aus, sie fahren entweder ganz ohne Mast oder haben ihn in waagerechter Lage festgezurrt. Eine ganze Menge Arbeit, die so ein Segelboot erfordert, bevor man genüsslich damit durch die Wellen pflügen kann. Da lobe ich mir doch mein Kajak!

Bis zur Tonne 12 fahren wir zwar zügig aber bewusst drucklos. Klaus-Peter macht recht häufig Fotos und wir wollen nicht hetzen. Es setzt tatsächlich ein leichter Nordwind ein, was mir für mein Vorhaben im doppelten Sinne sehr entgegenkommt. Nach einer kurzen Verabschiedung von meinen beiden Begleitern quere ich hier das Fahrwasser und ziehe nach Norden. Ich bin immernoch nicht entschieden, wie weit ich wirklich fahren will, aber ich habe den roten Leuchtturm nun fest auf meiner geistigen Agenda.

Eines der wesentlichen Probleme bei seeehr langen Touren ist die geistige Ödnis, in die man sich begibt - zumal wenn man alleine fährt. Während der Körper gut zu tun hat und zufrieden zeigen darf, wie kraftvoll und verlässlich er arbeiten kann, geht der Geist wie ein gefangener Tiger in seinem Käfig auf und ab und sucht gelangweilt nach jedem ausgelutschtem Knochen, auf dem er etwas kauen kann. Auf meinem Vordeck habe ich das GPS-Gerät mit der neuen Halterung von Tchibo montiert. Das ist eine feine Sache, denn so kann ich seine Anzeige einwandfrei ablesen und es stört mich nicht beim Paddeln. Allerdings ist es auf die Dauer etwas öde, immer nur den beiden Werten für die insgesamt zurückgelegte Strecke und die momentane Geschwindigkeit bei ihrem Werden und Vergehen zuzuschauen. So programmiere ich die Tonne 7 als nächsten zu erreichenden Wegpunkt ein. Dadurch gesellen sich noch die Zahlen für die bis dahin noch zu fahrende Strecke sowie den Zeitpunkt des voraussichtlichen Erreichens dazu. Wesentlich entscheidender ist aber die Tatsache, dass ich dadurch ein Ziel haben - und zwar eines, das in absehbarer Zeit erreichbar ist! Dieses Spielchen treibe ich noch mit der Tonne 5 sowie Tonne 3. Danach muss ich feststellen, dass ich weder die folgenden Tonnen noch den Leuchtturm als Wegpunkte einprogrammiert habe. Dummheit!

Etwa um halb drei habe ich den Leuchtturm Bülk querab und hier ist mir klar, dass ich wirklich bis zum Kieler Leuchtturm fahren werde. Der Wind hat zwar kurz nach meiner Trennung von den Mitfahrern stärker als erwartet aufgefrischt, aber da er mir im wesentlichen entgegenkommt, bedeutet es kein Risiko, zu weit zu fahren. Die Windstärke ist alles andere als kaum spürbar - es ist eine obere drei knapp an der Grenze zu vier - und sie macht sich leicht in meiner Geschwindigkeit bemerkbar. Aber ich fühle mich noch ausgesprochen gut beieinander, so dass ich keine Bedenken habe, die Tour lebendig zu beenden.

Exakt drei Stunden nach dem Ablegen laufe ich in das geschütze Wasser am Fuß des Leuchtturms ein. Im Anblick zweier schicker, orangeroter Lotsenboote krame ich meine Stulle hervor, stärke mich und ruhe etwas aus. Ein Lotse kommt aus seinem schicken Schiff hervor und macht mich darauf aufmerksam, dass sein Kollege gleich losfahren muss. Ich nehme ihm seine Angst und sage, dass ich den dann schon rauslassen werde, wenn es soweit ist. Nach nur gut fünf Minuten Pause mache ich mich auf den Rückweg. Der Loste hat noch nicht einmal die Maschine seines schicken Schiffes angeschmissen.

Der vorhergesagte Nord- wäre ein reiner Rückenwind gewesen. Der tatächliche stellt sich nun als klarer Ost- und somit als allenfalls freundlich gesinnter Wind heraus. Aber ich bin nicht undankbar, denn in Zusammenarbeit mit den Wellen der heute zahlreich fahrenden Frachter schiebt er mich ohne Zweifel. Wieder querab von Bülk und nach über dreißig Kilometern auf der Uhr, meldet meine Sitzfläche ein erstes Murren. Die Entfernung entspricht etwas mehr als der Hälfte einer Tour nach Helgoland und ich frage mich, ob das Murren so erträglich bleiben wird, dass man es auch die doppelte Zeit ertragen mag. Man wird sehen. Hin und wieder dringt die Sonne durch die doch recht dichten Wolken und während auf der ganzen Hintour meine linke Hand unter ihrem kleinen Paddelpfötchen eher immer kalt war, kann ich die Pfötchen nun in die Mitte des Paddelschaftes schieben. Auch das ist eine entscheidende Randbedingung für seeehr lange Touren: dass die Lufttemperatur moderat ist und die körperliche Leistungsfähigkeit nicht herabsetzt.

Auch auf der Rücktour spiele ich wieder das Spielchen, dass ich mir ein Ziel ins GPS lade und versuche, meine Geschwindigkeit so zu halten, das ich das Gerät nicht enttäusche, indem ich auch zu der von ihm erwarteten Zeit dort ankomme. Allerdings wähle ich nach der Tonne 3 gleich den heimischen Steg als Ziel, der noch über elf Kilometer entfernt liegt - Luftlinie! Die erwartete Ankunftszeit liegt anfangs bei vier Uhr morgens, was daran liegt, dass das Gerät die seit der Zielsuche aufgelaufene Durchschnittsgeschwindigkeit mit der Entfernung verrechnet. Da ich beim Programmieren fast still stehe, ergibt sich natürlich eine utopisch lange Fahrtzeit. Anfangs ändert sich die Ankunftszeit recht schnell in realistischere Werte, aber dann wird die Änderung mühselig. Irgendwann habe ich sie aber tatsächlich auf den Wert von 17:30 Uhr gedrückt, was einer Gesamtfahrzeit von sechs Stunden entsprechen würde. Diesen Wert möchte ich gerne halten! Das Dumme ist nur, dass man dann weder langsamer werden darf, noch Pausen machen! Dass das möglich sein wird, mag ich kaum glauben.

Als ich am Friedrichsorter Leuchtturm eine Pause mache  - und ich musste eine machen - hatte ich die Ankunftszeit auf 17:24 Uhr gedrückt. Binnen weniger Sekunden entgleitet sie auf 17:35 Uhr, um dann erst einmal zu verharren, weil das Gerät gemerkt hat, dass ich stehe. Nach der Weiterfahrt ergibt sich das Problem, dass die Entfernung zum Ziel immer als Luftlinie berechnet wird, ich hier aber das Fahrwasser queren muss und mich damit meinem Ziel nur mit sehr geringer Geschwindigkeit nähere. Bei Tonne 12 ist die erwartete Ankunftszeit 17:46 Uhr. Das Sechs-Stunden-Ziel ist damit nicht mehr haltbar.

Während ich Richtung heimischem Steg paddele, purzeln die Minuten des Erwartungswertes ganz langsam und allmählich nach unten. Schließlich nähere ich mich meinem Ziel nun auf direktem Wege! Das mobilisiert ungeahnte Kräfte in mir und ich versuche, möglichst konstant weiter zu fahren. Irgendwann fällt der Wert sogar wieder unter die magische 17:30 Uhr und als ich am Steg anschlage, ist es sage und schreibe 17:24 Uhr! Das entspricht einer gemessenen(!) Durchschnittsgeschwindigkeit von 7,03 km/h für gemessene 42 Kilometer (wenn man meinem Gerät für die Bestimmung der Pausen trauen darf, sind das 7,17 km/h ohne Pausenzeiten)!

 
Als ich im letzten Jahr meine erste Non-Stop-Leuchtturmtour gemacht habe, bin ich quasi auf allen vieren zum Bootshaus hoch gekrochen - heute fühle ich mich zwar fertig aber noch erstaunlich frisch. Ich bin mehr als zufrieden mit meinem Fitness-Test!

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