Sonntag, 6. Oktober 2013

Südsee bei Gegenwind: Nachbetrachtungen (4/4)

Natürlich war es ein Wagnis, einen recht unerfahrenen Paddler auf eine absehbar anspruchsvolle Unternehmung mitzunehmen. Aber wie soll man Erfahrungen sammeln, wenn man keine macht? Unterm Strich gesehen war die Unternehmung für alle Beteiligten ein Erfolg: Sie hat Spaß gemacht und wir haben alle dazugelernt.

Es gibt einiges, was ich gelernt habe: In dem Moment, in dem ich im Hafen von Mommark meine Ausrüstung umgepackt habe, weil ich den Trim meines Bootes besser gestalten wollte, hätte ich Olav darauf aufmerksam machen müssen, dass ein schlechter Trim einem den letzten Nerv rauben kann, und dass ein schlechter Trim bei genau diesen Bedingungen gnadenlos enttarnt wird.

Meine Nachfrage bei Trenk, ob er seine Schleppleine am Mann trägt, war von vorn herein feige. Natürlich habe ich in dem Moment nicht im Traum daran gedacht, dass wir eine Leine benötigen würden. Aber meine Erfahrung besagt, dass Unvorhergesehenes generell unvorhergesehen passiert und daher habe ich mir eben mit der Frage ein Alibi besorgen wollen. Professionell ist das nicht. Das nächste Mal binde ich mir die Leine wieder gleich um.

Jemanden in solchen Bedingungen fast zweieinhalb Stunden lang zu schleppen, schaffen nicht viele Paddler. Trenk kann so etwas, aber es wäre klüger gewesen, wenn wir uns abgewechselt hätten. Zwar hat Trenk nicht im Mindesten geschwächelt oder auch nur eine Andeutung gemacht, dass er abgelöst werden möchte. Aber ich hätte eine Ablösung anbieten sollen, dann hätte ihm am Folgetag vielleicht das Handgelenk auch nicht geschmerzt.

Der Zeitpunkt für die Entscheidung war goldrichtig und die Entscheidung selbst auch. Bis zu dem Moment, in dem es Olav nachhaltig aus der Richtung geworfen und er so erkennbar Mühe hatte, sie wieder zu finden, lief alles vollkommen problemlos - bis auf die Kleinigkeit, dass wir nicht ganz den optimalen Kurs fuhren. Auch danach war Olav noch absolut Herr der Lage. Aber er musste sich sehr anstrengen, auf Kurs zu bleiben, und es wäre mit zunehmender Erschöpfung nicht besser geworden. Er hätte durchaus bis Ärö durchhalten können. Aber die Chancen waren unter fifty-fifty. Es hätte noch sehr lange gedauert, bis er nicht mehr gekonnt hätte und wir ihn hätten schleppen müssen. Aber jemanden zu schleppen, der nicht mehr kann, ist nicht klug, und wenn es dazu kommt, ist voher etwas schief gelaufen. Es war also genau der Zeitpunkt zu handeln. So konnte Olav den größten Teil des Vortriebes noch selbst leisten und Trenk musste nur seinem Bug die Richtung vorgeben. Wenn er nicht mehr gekonnt hätte, wäre er zwangsläufig irgendwann über Bord gegangen, hätte große Mühe gehabt, wieder einzusteigen, ich hätte ihn dann stützen und Trenk zwei Paddler gegen den starken Wind schleppen müssen. Das wäre vielleicht sogar für Trenk zu viel des Guten gewesen.

Auch wenn Olav im wesentlichen selbst gepaddelt ist, die Belastung, die eine fast die gesamte Zeit durchs Wasser gezogene Schleppleine zusammen mit den ruckartigen Straffungen auf den ziehenden Paddler ausübt, ist erheblich. Es ist eine gute Übung, so etwas einmal in anspruchsvollen Bedingungen über Zeitraum, der länger als fünf Minuten ist, zu praktizieren. Dass Trenk es fast zweieinhalb Stunden ohne Murren durchgehalten hat, hat meinen hohen Respekt.

Bis zur Entscheidung hatten wir etwa ein Drittel der Strecke geschafft. Es bestand auch die Option, statt weiter zu fahren, umzukehren. Abgesehen davon, dass wir nach Ärö wollten, wäre ein Umkehren weitaus riskanter gewesen. Zwei Meter hohen, brechenden Wellen ins Auge zu blicken und ihnen stand zu halten, ist eine Sache. Denselben Wellen den Rücken zu kehren, nicht zu wissen, wann sie angreifen und sich ihnen in dieser Weise auszuliefern, ist eine ganz andere Sache. Wenn man das eine sicher handhaben kann, heißt das noch lange nicht, dass man auch dem anderen gewachsen ist. Ich wäre mir nicht einmal für mich selbst sicher gewesen, ob es mich nicht irgendwann reingerissen hätte. Aber ich hätte mir zugetraut, wieder hoch zu rollen. Olavs Rolle ist noch nicht so gefestigt, dass man unter diesen Umständen auf sie wetten sollte. Und schleppen in Wind- und Wellenrichtung... das wäre eine noch interessantere Aufgabe, die man vielleicht besser in wärmerem Wasser üben sollte.

Als wir Olav auf Ärö zurückgelassen haben, stand nicht fest, wo wir uns wieder treffen würden. Bei ungünstigen Bedingungen wären wir wieder an den Ausgangspunkt zurückgekommen. Aber wir haben es bereits zum Zeitpunkt der Trennung zumindest in Erwägung gezogen, uns auf Lyö zu treffen. Trenk hatte sein Funkgerät dabei, ich hatte Nico-Signalgerät, drei Seenotraketen und eine Rauchkerze dabei. Olav hatte keine Hilfsmittel in dieser Richtung mit. Wir hätten ihm entweder das Nico-Gerät geben müssen oder besser noch die Signalraketen, denn er hatte eine Solo-Fahrt vor sich. Auch hier reicht es nicht, sich selbst sicher zu fühlen. Wenn ich es für mich für angebracht halte, Signalmittel mitzuführen, ist es natürlich auch für Olav angebracht. Wenn man sich dann entscheiden soll, wer die Signalmittel nimmt, dann werden sie ohne jeden Zweifel bei einer Alleinfahrt dringender benötigt, als wenn man mit einem Partner unterwegs ist. Wir müssen in ähnlich gelagerten Situationen in Zukunft länger darüber reden, was wir machen und wie wir eventuell vorhandene Ausrüstung aufteilen.

Südsee bei Gegenwind: Sonntag (3/4)

Die Nacht war schwarz und sternenklar. Das Gras, die Boote und die Zelte sind klatschnass. Es ist schwer einzuschätzen, ob unsere Wäsche auf der Leine heute Morgen trockener oder nasser ist, als sie es gestern Abend beim Aufhängen war. Aber die Sonne scheint! Ein wunderbarer Morgen! Leider unser letzter, auch wenn wir kurz mit dem Gedanken spielen, das Wochenende einfach zu verlängern. Wir sind mit zu vielen Fesseln mit unseren Pflichten, Erwartungen und dem Alltag verstrickt, als dass wir uns so einfach dem Verlangen hingeben könnten. Aber wir kosten die gewährten Stunden mit allen Sinnen aus. Das geht am besten auf einer Holzbank. In der Bretterbude auf dem großen Rasenplatz neben unserem Zeltgelände sind Unmengen von Holzbänken und -tischen gestapelt. Die Tische sind leider allzu verkeilt, so dass wir erst das ganze Ensemble hätten umräumen müssen, um an einen davon zu gelangen. Aber eine prima Bank können wir ohne großen Aufwand herauslösen. Darauf zelebrieren wir ein ausgedehntes Frühstück, während dessen wir die immer wärmender werdenden Strahlen der höher steigenden Sonne inhalieren.

Ich mache mit Olav einen Erkundungsgang über die Insel, bei dem wir die Einzelheiten zum roten Symbol "Sonstige Zeltmöglichkeit" auf der Karte klären wollen. Die Insel ist nicht wirklich groß und der Hauptort, der auch der einzige ist, ist schnell erreicht. "Til Salg" scheint eine bedeutende Persönlichkeit auf den Inseln hier zu sein, denn an vielen Häusern liest man seinen Namen. Selbst der Krug, der bei meinem letzten Besuch hier noch in Betrieb war, ist in seinen Besitz übergegangen. Eine absehbare Entwicklung, aber sie macht wehmütig und nachdenklich. Am Nordufer, etwas westlich vom Segelhafen ist eine Anlandestelle, an der sogar zwei Trolleys liegen, mit denen man sein Boot zum Übernachtungsplatz bollern könnte. Den haben wir auf dem Herweg glatt übersehen, aber auf dem Rückweg erkennen wir den recht großen Karavan-Stellplatz, auf dem erstaunlich viele Campingwagen stehen. Das wäre eine Möglichkeit, wenn man mit einer Gruppe und in der Hochsaison unterwegs ist.

Es hätte auch den ganzen Tag schütten, kalt sein und wehen können - aber nichts dergleichen! Wir werden heute wirklich verwöhnt: Das Gras, die Boote und unsere Zelte sind furztrocken, als wir alles zusammenpacken (Nein, das Gras haben wir da gelassen, aber die Bank haben wir wieder weggeräumt!). Sogar unsere Wäsche auf der Leine hat sich der Wirkung der Sonne nicht verweigern können. Ich liebe es, meine Ausrüstung trocken in mein Boot zu stauen! Für heute steht keine große Bewährungsprobe an. Olav hat mit Hilfe von Trenks Navigationsrechner (so 'ne Art viereckiges Geodreieck mit Bindfaden dran) die Peilung von unserem Standort nach Mommark ausgependelt. 200 Grad - auf den nächsten vollen Hunderter gerundet. Wind findet eher nicht statt, dafür scheint die Sonne. Der Belt ist gegenüber unserer Herfahrt nicht wieder zu erkennen. Heute konnte man die Überfahrt auch mit einer Badenudel bewerkstelligen. Wir fahren mit konstanter Geschwindigkeit in Harmonie und Eintracht der Sonne entgegen. Aber irgendwann ist Trenk zuviel Harmonie, weil er in der Mitte zwischen uns fährt und ständig aufpassen muss, dass er weder mit dem einen noch mit dem anderen kollidiert. Also disharmonieren wir etwas und geben uns so mehr Raum.

Nach genau einer Stunde konstanter Paddelei machen wir fünf Minuten Pause. Eigentlich. Aber Trenk muss noch länglich auf seinem GPS rumprogrammieren, so dass Olav und ich uns schließlich nach knapp zehn Minuten auf den Weg machen, während Trenk immer noch in sein GPS vertieft ist. Als er ansetzt, uns wieder einzuholen, setzt auch wieder der lange vermisste Gegenwind ein. Es ist nicht viel, aber er ist spürbar. Allerdings taucht seine bremsende Wirkung in unserem Geschwindigkeitsdiagramm nicht auf, denn Trenk zieht einfach das Tempo seiner Aufholjagd bis zum Hafen durch. So erreichen wir Mommark trotz Pause und Gegenwind bereits nach zwei Stunden. Im Hafen steuern wir diesmal einen der Bootsstege an, denn den Slip haben wir nicht in guter Erinnerung. Dabei beeindruckt mich Trenk noch einmal, indem er sich während der Fahrt in seinem Boot hinstellt und dann elegant auf den Steg steigt. Das möchte ich auch können!

Vier Tage voller Gegenwind? Vier Tage mit tollen Erlebnissen, in toller Natur. In hohen Wellen und dichtem Nebel. In Sonne und Wind. In Einklang. Zusammen mit einem in den vergangenen Jahren so wunderbar gereiftem Partner und einem in den kommenden Jahren reifenden Neuling. Wunderbar, welche Erlebnisse so kleine Boote einem ermöglichen.

Samstag, 5. Oktober 2013

Südsee bei Gegenwind: Samstag (2/4)

Alle wissen: mein Boot ist immer das schwerste der Truppe. Was aber nicht alle wissen, ist, dass ich immer Unmengen von Dingen für den Fall der Fälle mitführe. Häufig bin ich sowieso als Fähnleinführer unterwegs und da wird wie selbstverständlich vorausgesetzt, dass ich Seenotmittel mitführe, ein Ersatzpaddel, Navigationsmittel, eine Schleppleine, aber auch ein Tarp für die Gemeinschaft, Ducktape fürs Boot, Pflaster für die Paddler, Ersatzbatterien, ein Radio für den Wetterbericht, einen Poncho als Schutz gegen Wind und Regen in Pausen an ausgesetzten Orten, von GPS-Gerät, Fotoapparat oder Filmkamera ganz zu schweigen.

Zwar versuche ich vor jeder Tour zu hinterfragen, ob ich die Ahle, die Handsäge, oder das Fernglas wirklich mitnehmen muss, nachdem ich die meisten Dinge immer treu quer durch die halbe Welt paddele,  aber sie nur sehr selten auch wirklich brauche. Auf dieser Tour aber hatte meine mehr als komplette Ausrüstung ihren großen Auftritt! Es fing schon im Hafen von Mommark an, als Olav feststellen musste, dass er sein Klopapier vergessen hatte. Kein Problem - ich habe immer drei (angefangene) Rollen dabei! Und sein Spiritus ist leider auch zu Hause geblieben. Kein Problem - ich komme immer mit gut der Hälfte meines Vorrats wieder zurück. Dadurch, dass ich auf der Überfahrt am ersten Tag die Kamera die gesamte Zeit über angeschaltet gelassen hatte, war sie natürlich am nächsten Morgen noch erschöpfter als wir. Kein Problem - ich führe ja immer meinen Power-Monkey mit, eine Art Über-Akku mit sage und schreibe 9000 Milliamperestunden Kapazität. Der kommt auch heute zum Einsatz, weil ich gestern abend meinen GPS-Tracker nicht ausgeschaltet habe und er fröhlich die ganze Nacht hindurch mitgeloggt hat, dass wir uns nicht bewegt haben! Und am ersten Abend habe ich die Gummidichtung des Brenners von meinem Trangia-Kocher gegrillt. Olav hatte sich schon gewundert, was es bei mir zum Abendbrot gibt, was so stinken kann. Kein Problem - ich fahre seit Jahren auch eine Ersatzdichtung spazieren. Irgendwann muss ich auch meine Stirnlampe eingeschaltet in meinen Bauchgurt getan haben, oder sie ist durch das Quetschen und Drücken beim Packen eingeschaltet worden. Jedenfalls hat sie viele Stunden das Innere meines Bauchgurtes beleuchtet - leider ohne, dass es jemand würdigen konnte. Als ich sie gestern Abend eingeschaltet habe, hielt ich extra meine Hand vor ihren Lichtaustritt, damit Trenk nicht blind wird, weil sie normalerweise krass grell leuchtet. Aber Trenk konnte nur mit Mühe erkennen, dass sie überhaupt eingeschaltet ist. Kein Problem - ich habe ja immer jede Menge Ersatzbatterien in allen Größen dabei! Und natürlich vergesse auch ich ab und zu den einen oder anderen Ausrüstungsgegenstand zu Hause. Kein Problem - dafür habe ich immer ein paar Kumpels dabei, die ich dann anschnorren kann!

Kein Wunder also, dass mein Boot immer das schwerste aus der Truppe ist! Und schließlich habe ich ja gestern bei Skjoldnäs auch noch den gelben Golfball gefunden...

Morgens war es noch recht klar, es hat sich dann aber rasch zugezogen, Es ist diesig und die Sicht nicht besonders gut, knapp fünf Kilometern vielleicht. Nach dem Frühstück stimmen wir uns per Handy mit Olav ab, dass wir tatsächlich Lyö als Treffpunkt wählen. Olav hat Zeit gehabt, die reichhaltige Funktionsvielfalt seines neuen Handys zu studieren und hat einen Wetterbericht eingeholt. Wind morgens drei bis vier, ab Mittag dann weniger. Die Richtung war entweder nicht dabei oder er hat sie vergessen. Von Sichtigkeit war auch keine Rede. "So gegen Mittag, wenn der Wind weniger wird, fahre ich los. Noch sehe ich Lyö nicht, aber die Sicht wird ja bald besser." Ich will ihn nicht beunruhigen und sage lieber nichts dazu, aber die Annahme, dass die Sicht besser wird, scheint mir rein hypothetischer Natur. Lyö liegt ungefähr acht Kilometer von seinem Standort entfernt aber wirklich verfehlen kann man es eigentlich nicht.

Wir wollen zwischen Drejö und Avernakö hindurch fahren und uns dann an der Nordseite von Avernakö nach Lyö hangeln. Die Spitze der Halbinsel Urehoved sehen wir zwar verschommen aber deutlich. Doch als wir sie passiert haben, verschlechtert sich die Sicht dramatisch. Ich liebe es, wenn rundherum nur Nichts ist und man sich auf seinen Kompass und seine Navigationskunst verlassen muss. Mittlerweile habe ich genug Erfahrung mit derartigen Situationen, dass ich vollkommen entspannt bin. Zudem haben wir hier keinen nennenswerten Strom und der Wind weht lediglich schwach bis mäßig aus westlicher Richtung. Es dauert unerwartet lange, bis wir einen Hauch von Drejö durch den Nebel erkennen können. Das liegt nicht daran, dass wir so langsam fahren, sondern daran, dass die Sicht mittlerweile auf ca. 500 Meter zusammengeschrumpft ist. Auch die lächerlichen drei Kilometer von hier bis Avernakö, ziehen sich ungewöhnlich lange hin, zumal ich sie in der Erinnerung als maximal 300 Meter abgespeichert habe. Es ist trotz aller Erfahrung immer wieder überraschend und ernüchternd, wie aufgeschmissen wir ohne unseren Gesichtssinn sind.

Nach der Pause am nördlichen Südostende von Avernakö geht es endlich wieder gegen den Wind! Es ist zwar nur eine gute drei, aber sie erzeugt in den hier recht flachen Wassern fiese Bremsewellen. Es macht Plitsch-Platsch-Plump - und das Boot steht! Dann kann man alle ehemals enthaltene Geschwindigkeit mühselig wieder hineinfüttern. Ein wenig freudvolles Spielchen!

Trenk ist etwas skeptisch, dass ich zum Übernachten auf die Westseite von Lyö fahren will. Als wir die Ostseite erreichen, bietet sie uns schließlich neben Sandstrand verglichen mit unserer letzten Heimstätte geradezu verlockende Verhältnisse, um unsere Zelte darauf aufzustellen. Und natürlich sind wir hier in Lee der Insel, würden also unbedingt windgeschützt stehen, etwas was man von der anderen Seite nicht ohne weiteres erwarten kann. Und ist nicht die letzte Gelegenheit, bei der er sich von mir "mal eben auf die ander Seite" hat locken lassen, im Chaos geendet? Ich bleibe fest und behaupte: "Auf der anderen Seite ist ein prima Übernachtungsplatz!" Immerhin habe ich das Argument auf meiner Seite, dass es morgen nicht so weit ist, wenn wir jetzt noch etwas paddeln. Natürlich weht es auf der andern Seite wieder und ich hoffe inständig, dass mich meine Erinnerung nicht noch einmal so arg täuscht, wie bei der Entfernung von Drejö nach Avernakö. Doch was wir vorfinden, übertrifft unsere Erwartungen: Direkt am Strand ein aus steingefüllten grünen Plastikkisten angelegter, provisorischer Hafen, etwas zurückgesetzt eine Rasenfläche hinter einer überwucherten Mauer, die allen Wind abhält - und eine prima Wäscheleine! Leider etwas kurz für drei Paddler, die nach einer Tour immer so viel nasse Wäsche wie eine zwölfköpfige Familie trocknen müssen!

Es ist halb vier - aber wo ist Olav? Wenn er Mittags losfahren wollte, muss er schon einen erheblichen Umweg genommen haben, wenn er jetzt noch nicht hier ist. Wir suchen die Wasserfläche in Richtung Ärö ab, aber da ist nichts zu erkennen, obwohl die Sicht mittlerweile wieder vollkommen klar ist. Vielleicht hat er dem Nebel oder der Alleinfahrt nicht getraut und ist nach Söby gepaddelt und von dort mit der Fähre nach Fynshavn gefahren? Wie auch immer, er wird uns eine Nachricht aufs Handy geschickt haben. Da ist auch was von "Neue Nachrichten" auf meinem Display zu erkennen, aber mit meinen altersichtigen Maulwurfsaugen muss ich Trenk bitten, es vorzulesen. "4 neue Nachrichten" - alle von Olav. Okay - wir hätten in der Pause vielleicht mal auf das Handy sehen sollen. In der Summe besagen die Nachrichten, dass er Lyö nicht sehen kann und deswegen solange Kaffee trinkt, bis es auftaucht. Die letzte Nachricht ging um halb drei raus und verkündet seinen Start - es ist also alles im Lot.

Es dauert keine viertel Stunde, da kommt ein einsamer Kajakfahrer angepaddelt - Olav! Es ist uns absolut schleierhaft, dass wir ihn nicht vorher auf der freien Wasserfläche entdeckt haben. Aber es zeigt, wie schlecht man als Kajakfahrer selbst bei guter Sicht erkannt wird.

Nach dem trüben Tag entwickelt sich der Abend sehr lieblich. Die Sonne geht, wie sie das immer tut, hinter Alsen unter und es entwickelt sich wieder ein fantastischer Sternenhimmel. Im Süden wächst der Leitstrahl von Skjoldnäs in aller Ruhe um seinen Leuchtturm herum.

Freitag, 4. Oktober 2013

Südsee bei Gegenwind: Freitag (1/4)

Die Nacht auf dem Kiesbett war ruhig. Der erste Blick aus dem Zelt ist vielversprechend: Trocken und kein Wind. Doch der Tag gestern hat seinen Tribut gefordert. Bei mir ist der Rückenmuskel auf der rechten Seite verspannt, Trenk schmerzt das Handgelenk und Olav braucht mindestens einen Tag Ruhe. Ehrlich gesagt, ist das ein geringer Preis für das, was uns gestern abgefordert wurde. Trenk hat über zwei Stunden eine Schleppleine hinter sich hergezogen, die ihn erheblich gebremst hat. Ich wäre wahrscheinlich nach der Hälfte der Zeit eingebrochen. Olav hat wacker einen Kampf gefochten, in dem die meisten schon beim Anblick des Schlachtfeldes klein bei gegeben hätten. Er aber ist fast dreieinhalb Stunden ohne Pause gegen einen konstanten fünfer Wind durch gigantische Wellen gepfügt - hat also Bedingungen standgehalten, die alles, was er bisher erfahren hat, um Dimensionen übersteigen. Sein Potential hat sich also gestern voll entfaltet. Aber heute morgen ist er verständlicherweise etwas zerknittert und möchte heute nicht mit uns weiterpaddeln. Er hat alles dabei, wir sind nicht weit von Söby entfernt und übermorgen werden wir uns wieder treffen - entweder hier oder, wenn die Umstände es zulassen, auf Lyö. Toillettenpapier habe ich ihm gegeben, auch etwas Spiritus für seinen Kocher. Für den Rest muss der Supermarkt in Söby herhalten. Trenk und ich werden uns heute allein gegen den Wind nach Osten kämpfen. Olav winkt uns etwas wehmütig vom Strand aus zu.

Der Kampf beginnt gleich nach ein paar hundert Metern hinter der nächsten Ecke. Die Abdeckung durch die Insel findet quasi nicht statt und so setzt sich fort, was wir gestern nur zu gern beendet hatten: Ein elendes Keulen gegen einen Wind, der alles daran setzt, unser Vorankommen zu verhindern. Spaß geht anders! Trenk fährt anfangs mit seinem Grönlandpaddel und mir reicht die moderate Geschwindigkeit eigentlich absolut. Als er es irgendwann wieder gegen sein Drachenpaddel aus Wales eintauscht, ist er gleich deutlich schneller und ich muss mich wieder mehr anstrengen. Bis zur Hafeneinfahrt von Söby fahren wir noch in gerader Linie über das offene Wasser. Danach hangeln wir uns dicht an das Ufer geschmiegt weiter nach Südosten vor. Unsere Geschwindigkeit geht auch tatsächlich um gut einen Stundenkilometer hoch: von etwa 4,5 auf etwa 5,5 Stundenkilometer!

Während wir so dicht am Ufer entlangschleichen, haben wir Gelegenheit, seine Eignung zum Anlanden gründlich zu studieren. Im Groben und Ganzen kann man sagen, dass sich die Nordseite von Ärö zum Anlanden nicht eignet. Aber es gibt immer wieder einmal kleine Streifen sandigen Ufers, an denen man dann doch ganz passabel an Land kommen könnte. Allerdings muss man eben wirklich dicht unter Land fahren, damit man diese Gelegenheiten erkennt. Nach etwa zwei Stunden sind wir so mürbe, dass wir an einer windgeschützten Stelle Pause machen.


Der weitere Weg ist mehr Kampf als Erholung, denn der Wind weht uns wie von der Vorhersage versprochen mit sechs Beaufort ins Gesicht. Leider haben wir keine rechte Idee, wo wir unser Lager aufschlagen sollen und so suchen wir etwas planlos die Gegend nach einer geeigneten Zeltmöglichkeit ab. Schließlich landen wir an der letzten Möglichkeit vor den Badehäuschen von Ärösköbing an - auch wenn es hier nicht wirklich einladend aussieht. Unter normalen Umständen hätten wir so einenPlatz nie als Heimstatt aufgesucht, sondern wären eher noch zwanzig weitere Kilometer gepaddelt. Aber die nicht einmal zwanzig von heute fühlen sich eher an wie sechzig - und da tut es eben auch ein Zeltplatz mit eher unterirdischem Komfort.

Wir machen noch einen ausgiebigen Spaziergang, der uns nach und durch Ärösköbing führt. Eine freundliche Dänin will mich fast auf der Stelle wegheiraten, so sehr gefällt ihr mein Outfit mit dem pink-grünen Patagonia-Flies aus den achtziger Jahren! Leider ist sie mit ihrem Fahrrad zu schnell außer Rufweite, so dass ich sie nicht nach ihren Vermögensverhältnisse fragen kann. Eine Tour zu zweit ist immer gut für intensive Gespräche über dies und das, die Famile, den Beruf, die Pläne - und manchmal sogar über das Paddeln. Auch einer der Aspekte, für die ich ausdehnte Touren liebe.

Donnerstag, 3. Oktober 2013

Südsee bei Gegenwind

Auch dieses Jahr war das Ziel der Wahl für die Tour am Einheitswochenende Samsö gewesen. Aber wie im vergangenen Jahr ist uns der Wind gehörig durch die Pläne geweht. Auf der Nordsee soll noch mehr Wind herrschen und so einige ich mich mit Trenk auf eine Tour durch die Dänische Südsee. Dort kann man immer hin - auch bei steifem Ostwind. Außerdem haben wir noch einige Rechnungen offen, die wir eventuell bei der Gelegenheit gleich begleichen können.

Olav ist diesmal neu dabei. Er ist ein Paddler mit großem Potential. Dieses Potential braucht Gelegenheit - und die wollen wir ihm geben. Als wir auf den Parkplatz in Mommark einfahren, fällt sein Blick gleich auf die schäumenden Wellen, die hier auf den Strand laufen. "Da sollen wir raus?", ist seine ungläubige Frage. Es überrascht mich etwas, dass er die hier noch vollkommen harmlos aussehenden Wellen als Problem ansieht. Aber es zeigt nur, dass es wir bei uns zu Hause allzu selten mit schäumenden Wellen zu tun haben, sonst würden ihm diese Dinger hier keine Angst machen. Bald trudelt auch Trenk ein und der möchte lieber durch das Hafenbecken losfahren, als vom sandigen Strand. Wir besprechen kurz, dass wir erst einmal keine Pläne machen, sondern "nur" bis zur Nordspitze von Ärö übersetzen und dann dort sehen, wie wir uns fühlen und den Rest des Tages verbringen wollen. Schließlich haben wir kein bestimmtes Ziel - und den ganzen Tag Zeit, es zu erreichen.

Beim Packen meiner Sachen erinnere ich mich an das Gefummele mit der Schleppleine, als ich sie bei der letzten Tour auf der Nordsee in hohem Seegang hinter meinem Sitz hervorkramen musste. Ich frage Trenk kurz, ob er seine während der Fahrt am Körper trägt. Tut er. Also ist für den unwahrscheinlichen Fall, dass wir eine Leine brauchen, eine griffbereit zur Hand - das sollte reichen. Ich packe heute besonders viel Gewicht in die vordere Luke, schließlich geht es gegen den Wind und da ist ein leichter Bug nicht zu gebrauchen. Ein schlauer Gedanke - aber leider nur halb und nicht zu Ende gedacht, wie sich später zeigen wird.


Die von einem hölzernen Fischer und einer ebensolchen Frau bewachte Rampe aus Beton ist denkbar ungeeignet. um ein Kajak darauf ins Wasser zu lassen. Sie ist halt mehr als Slip für Trailer von Segelbooten gedacht. Aber irgendwie bekommen wir unsere Schiffe doch zum Schwimmen und uns in ihre Luken gezwängt. Diese Tour ist die Premiere für meine neue Action-Kamera GoPro Hero 3 Black Edition! Ich habe sie vorne auf dem Bug montiert, am Arm trage ich die Fernbedienung, mit der ich sie an- und ausschalten kann. Ich hoffe, ich bekomme damit mal wirklich lebensnahe Bilder von meinen Unternehmungen.

Hinter der Mauer, die das Wasser im Hafenbecken glatt gehalten hat, geht es dann deutlich rauher zur Sache. Es fängt erst leicht an zu wellen und etwas zu spritzen. Ziemlich zügig werden die Wellen dann aber größer, größer als alles, was Olav bisher befahren hat. Ich halte mich dicht schräge hinter ihm, weil ich sehen möchte, ob sein Respekt ihm vielleicht den Schneid geraubt hat und ob er den Wellen Paroli bieten kann. Zum Glück platscht ihm ziemlich bald eine besonders hohe und steile Welle voll vor die Brust, so dass er Farbe bekennen muss. Der Angriff wird souverän abgewehrt, keine erkennbare Spur von Einschüchterung, eher: "Geile Nummer! Mehr davon!" So habe ich mir das gewünscht - nun müssen wir nur noch beharrlich nach Osten drängen, dann kann nicht mehr viel schief gehen.

Mit zunehmender Entfernung vom Ufer nehmen die Wellen immer mehr an Höhe zu, der Wind bläst mit guten fünf Beaufort aus südöstlicher Richtung. Es erinnert etwas an unsere Unternehmung vor drei Jahren, als ich mit Trenk und Jörg bei ähnlichem Wind in gleicher Mission unterwegs war. Für einen hoffnungsfrohen Neupaddler ohne viel Erfahrung sind das schon haarige Bedingungen. Ich bin immer wieder gespannt, ob Olav nach der nächsten Welle noch auftaucht - und ob dann Paddler und Boot noch in der richtigen vertikalen Anordnung sind. Aber was das angeht, mache ich mir offensichtlich viel zu viel Sorgen, denn er sitzt fest und sicher im Boot, wackelt kein Stück und auch sein Blick wird nicht starr. Allerdings zeigt sich ziemlich bald, dass es ihm sichtlich Mühe macht, die Richtung, die wir eigentlich fahren müssten, zu halten. Aber auch hier verhält er sich abgebrüht und fährt erst einmal den Kurs, den er ohne große Probleme halten kann. Später können wir dann einen anderen fahrbaren Kurs wählen, so dass wir im Mittel den gewünschten halten. Segler erreichen mit diesem Prinzip jeden Punkt dieser Erde, das klappt bei Paddlern prinzipiell auch. So fahren wir die erste Stunde also eher in Richtung Fehmarn als zur Nordspitze von Ärö, aber wir haben ja den ganzen Tag Zeit.

Mittlerweile haben die Wellen ihr Höchstmaß erreicht. Sie sind laut Vorhersage anderthalb Meter hoch, aber es folgen immer wieder Phasen, in denen sie die zwei Meter-Grenze locker übersteigen. So große Wellen habe ich auf der Ostsee noch nie erlebt! Ich bin ganz hin und hergerissen zwischen Begeisterung und leichter Sorge, denn irgendwann müssen wir einmal unseren Kurs ändern: wenn wir nach Fehmarn hätten fahren wollen, wären wir nicht in Mommark gestartet. Schließlich drehen Wind und Wellen den Bug von Olavs Boot einmal sehr deutlich aus dem Kurs, den er konstant halten kann. Er bemüht sich mit Bogen- und Konterschlägen, wieder in die alte Richtung zu kommen, aber es dauert sehr lange und ich erkenne, dass es ihn wirklich anstrengt. Er bekommt sein Boot wieder in den Griff, aber für mich ist dies das Signal, dass die momentane Taktik nicht sicher ans Ziel führen wird und wir handeln müssen. Ich spreche mich kurz mit Trenk ab. "Wir können entweder umkehren und um Alsen fahren, oder wir müssen Olav beim Halten der Richtung unterstützen.". Es ist ungemein beruhigend, einen so kompetenten Partner an der Seite zu haben. Auch ihm ist längst klar, dass wir etwas tun müssen, aber Umdrehen ist keine Option für Trenk. Gut, dass ich vorher nachgefragt habe, ob er seine Schleppleine am Mann führt! So ist klar, dass er ihn auf den Haken nehmen muss, wenn wir Ärö noch vor dem Dunkelwerden erreichen wollen.

Der  Schleppverband legt gleich ein mörderisches Tempo vor, dass ich kaum mitkomme. Es ist offensichtlich ein üblicher Reflex, dass man doppelt reinhaut, wenn man hinten einen Zug spürt. Aber wir haben noch eine erkleckliche Strecke vor uns und dieses Tempo kann nicht einmal Trenk die ganze Zeit über halten. Meinem Ruf zur Mäßigung wird bereitwillig Folge geleistet - wir haben ja auch den ganzen Tag Zeit! Mit der Schleppleine als beweglichem Treibanker kann Olav sich ganz darauf konzentrieren, nach vorne zu paddeln, ohne fünf viertel seiner Kraft dafür aufwenden zu müssen, die Richtung zu halten. Wir kommen nun ganz gut voran und Ärö kommt sogar näher! Ich bin vollkommen begeistert, dass wir im Seegebiet vor unserer Haustür solch phantastische Wellen haben. Ich versuche immer wieder, besonders beeindruckende Szenen mit der Kamera festzuhalten, aber nichts kann sich mit dem direkten Erleben messen. Als einmal ein Kawenzmann direkt vor mir bricht, schickt der Wasserdruck feuchte Grüße meinen Unterarm hinauf - durch den als Handgelenkswärmer getragenen Neoprenhandschuh und durch die eng anliegende Manschette meines Trockenanzuges hindurch!


In zähem Ringen erreichen wir irgendwann den steinigen Strand von Ärö. Wir haben drei Stunden und zwanzig Minuten gebraucht und dabei eine Strecke von ca. 14 Kilometern zurückgelegt - und das, obwohl Start- und Endpunkt lediglich elf Kilometer voneinander entfernt liegen! Unsere Spur zeigt, dass wir mit unseren anfänglich gefahrenen Kurs zwar doch Ärö erreicht hätten, aber erst in 18 Kilometer Entfernung und an einem Ort, an dem wir bei den Windverhältnissen lieber nicht sein wollten. Nach der Kopplung sind wir zwar einen besseren Kurs gefahren, haben aber nicht genügend vorgehalten und so eine beeindruckende Hundekurve hingelegt. Das lag nicht daran, dass wir nicht etwa um die Wirkung der Abdrift wussten, sondern daran, dass es nicht so einfach ist, in einem Schleppverband die Richtung exakt zu fahren. Da es für mich viel leichter war, die richtige Richtung zu steuern, bin ich immer wieder erheblich von den beiden anderen abgekommen. Dann habe ich teilweise echte Schwierigkeiten gehabt, meine Partner in den tiefen Wellentälern überhaupt zu sehen. Wenn ich etwas gesehen habe, dann war es meist Trenk. Erst nachdem der drei-, viermal hinter den Wellenkronen aufgetaucht ist, hat sich auch mal wieder der Kopf von Olav gezeigt. Auch wenn ich mich nie weiter als 50 Meter entfernt habe und ich den günstigeren Kurs fuhr, bin ich immer wieder dicht an die anderen rangefahren. Wenn tatsächlich etwas passieren sollte, sind 50 Meter eine verdammt weite Strecke - und welches der bessere Kur gewesen ist, ist dann herzlich belanglos.

Interessant ist auch der Plot für den Moment der Entscheidung. Meine Spur ist die anfangs weiter südlich verlaufende. Ich stoppe etwas früher als Trenk, weil ich näher an Olav dran bin und fahre zurück, um ihm Mut zuzusprechen. Auch Trenk dreht seine Fahrtrichtung um und fährt ein Stück nach Nordwesten. Für diesen Moment haben wir die Wellen von hinten. Das kurze rote Teilstück deutet an, dass Trenk hier mit hoher Geschwindigkeit eine Welle runterrutscht. Nachdem Olav wieder auf Kurs ist, gehen Trenks und meine Spur eng zusammen und verlaufen eine Weile fast übereinander. Das ist die Zeit, in der wir uns abstimmen. Danach machen die Tracks einen Knick nach Süden, weil wir auf Olav zufahren. Nachdem Trenk sich bei ihm eingeklinkt hat, geht es wieder weiter Richtung Ärö. Fast wie ein Film, so ein GPS-Track!

Bei unserer letzten Unternehmung haben wir diesen Strand noch als Zeltplatz abgelehnt und sind "kurz" um die Ecke gefahren, um dort fast unserem Verderben in die Arme zu laufen. Heute ist es noch früh am Tage und wir haben ja den ganzen Tag Zeit. Warum also hier auf Steinen zelten, wenn da um die Ecke doch bekanntlich Sand ist! Ich mache mich zu Fuß auf die Socken, werde aber, kaum dass ich um die Ecke bin, von einem heftigen Wind erfaßt und durchgeweht. Ich gehe das gesamte Flach ab - bis zu den berühmten Bäumen - es ist nirgends auch nur so etwas ähnliches wie Windschutz auszumachen und auch das Anlanden wäre hier mit den auf den steinigen Strand brechenden Wellen nicht ratsam. Ich erkunde auch noch den Strand in der anderen Richtung, aber auch dort gibt es nichts als mehr Wind und größere Steine zu gewinnen. Also erklären wir die Steinhalde, an der wir angelandet sind, zu unserem Zeltplatz.

Eigentlich steht man hier gar nicht so schlecht - bis auf die Tatsache, dass die Nordspitze auch unter Anglern ein Geheimtipp ist. Die Steine sind so klein, dass sie unter dem Zelt liegend nicht drücken können, aber groß genug, dass sie nicht wie Sand an allem kleben bleiben und sich knirschend in Proviant und Ausrüstung verteilen. Und es ist wunderbar ruhig hier - kein rauschender Wind, keine blöckenden Schafe, keine lärmende Vögel, na und Angler machen keine Geräusche. Während des gemütlich zelebrierten Abendessens fragt Olav mich, was das da sei und weist auf das Wasser hinter mir. Mitten auf dem Belt schwebt eine Seenotrakete rot vom Himmel herab. Wir stutzen etwas, können beim besten Willen nichts erkennen, aber ein Scherz wird das nicht gewesen sein. Wir warten noch ein bisschen, ob sich vielleicht eine zweite zeigt. Da kommt aber nichts und ich will mich schon zu den dänischen Anglern auf den Weg machen, um zu fragen, ob die so etwas ähnliches haben wie unsere Seenotrufnummer 124 124. Aber Trenk schaltet sein Funkgerät ein und hört, dass sich bereits mehrere Funkstellen über die Erscheinung unterhalten. Ein Fahrzeug meldet, dass es etwas gesichtet hat und sich auf den Weg macht. Etwas später ist von Ruder- oder Maschinenschaden die Rede - es ist etwas schwierig, den Funkverkehr zu verstehen. Es ist sehr beruhigend, dass eine einzige Seenotrakete eine dermaßene Aufmerksamkeit erzeugt, aber ich möchte trotzdem nicht herausfinden, ob das immer so ist und ob ein im Kleinen Belt schwimmender Paddler auch gefunden würde.

Über uns wölbt sich erhaben und klar die Milchstraße, die mir immer so viel Ehrfurcht einflöst. Hinter uns schickt der Leuchtturm seinen Strahl in die Runde. Er ist noch langsamer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Ich schrieb damals, dass er nicht umläuft sondern umkriecht. Heute muss ich mich korrigieren: er kriecht nicht herum - er wächst herum!

Alle Bilder der Tour hier.