Mein erster Blick aus dem Zelt geht zu den Windrädern. Gestern waren sie alle nach Westen gerichtet, wo der Wind herkam. Nun ist ihr Kopf um 180 Grad gedreht, entprechend der Wind. Das wäre für uns eine willkommene Unterstützung. Wir wollen ziemlich genau nach Westen - nach Schleimünde. Das sind gute dreißig Kilometer über freies Wasser. Nicht so weit wie gestern, aber eben auch kein Pappenstiel.
Was sich nicht so günstig darstellt, ist der Rest des Wettergeschehens. Es hängen dunkle Wolken über dem südlichen Himmel. Das erste Grummeln, das wir vernehmen, rechnen wir noch den überraschend mannigfaltigen Lebensäußerungen der Windräder zu. Aber schließlich können wir uns nicht mehr der Erkenntnis verweigern, dass die für nachmittags vorhergesagten Gewitter sich bereits jetzt entfalten. Im Osten, in der Richtung, aus der der Wind weht, herrscht eine recht harmlos wirkende Mischung aus Blau und Weiß, aber Gewitter ziehen eben nicht mit dem Wind sondern ihm entgegen. Wenigstens bleibt es an unserem Platz trocken, so dass wir die im nächtlichen Regen nass gewordene Ausrüstung trocken einpacken können.
Allerdings machen wir den Fehler, die gesamte Ausrüstung in die Boote zu stauen, während sie noch auf der Wiese liegen. Dadurch müssen wir sie schließlich mit all ihrem Gewicht zum Wasser schleppen, was man günstigstenfalls als leichtsinnig bezeichnen kann - ehrlicher aber als schwachsinnig bezeichnen muss. Wenn hier die eine oder andere Bandscheibe die Klügere gespielt hätte, wäre unser Wochenende im weiteren alles andere als entspannt verlaufen.
Nachdem Jörg sein linkes Handgelenk nach allen Regeln orthopädischer Kunst filigran mit Duck-Tape umwickelt hat, ich ihm mit einem besonders großen Exemplar aus meiner umfangreichen Pflastersammlung die Scheuerstelle unter der Achsel versorgt habe, machen wir uns hoffnungsfroh auf den Weg. Dem Drängen nach Schleimünde stehen die Vernunft, der dunkle Himmel und unser Schiss entgegen. Wir machen allerhand Annahmen, stellen Hypothesen auf und wägen Wahrscheinlichkeiten ab. Aber im Grunde suchen wir nur Ausflüchte gegen unsere Überzeugung, dass wir unter den herrschenden Bedingungen auf gar keinen Fall eine etwa fünfstündige Überfahrt über freies Wasser machen können.
Der Kompromiss ist, dass wir uns erst mal eine Stunde dicht an der Küste von Ärö entlang hangeln und dann sehen, wie wir weiter verfahren. Die Rechnung geht auch gut auf, denn nach anfänglichem, indifferentem Aussehen des Wettergeschehens klart es so nachhaltig auf, dass wir unseren Kurs schießlich genau nach Westen richten und auf die Südspitze von Alsen zuhalten. Der Wind ist zwar mäßig, weht aber konstant aus Osten, so dass er auf dem Belt immerhin ein paar Wellen zusammenschiebt, die den langen Schlag deutlich kurzweiliger machen.
Eigentlich wollen wir direkt an Land und Pause machen, aber der Strand ist hier vollkommen steinig, so dass wir noch eine ganze Weile weiter nach Westen fahren, bis wir uns schließlich an einem Badestrand von rauschenden Wellen auf den Sand spülen lassen. Wir sind bereits eine ziemliche Weile und Strecke gepaddelt, so dass ein kleines Nickerchen in der Sonne jetzt genau das richtige für uns ist. Eine gute Stunde lassen wir uns die Sonne auf den Pelz braten, bevor wir uns auf die letzte Etappe des Tages machen.
Der Kurs nach Schleimünde ist ziemlich genau Süd und damit leicht zu halten. Erst als wir den Eingang der Flensburger Förde fast ganz überquert haben, machen wir noch einmal einen kleinen Gewittersicherheitsschwenk, um näher ans Ufer zu gelangen. Zwar fahren wir immer noch etliche hundert Meter weit draußen, aber die handvoll Jetskis, die vor dem Strand von Falshöft auf und ab fahren, hören wir schon aus kilometerweiter Entfernung. Da haben ein halbes Dutzend Menschen einen stundenlangen Spaß - und nehmen alle in weitem Umkreis befindlichen Menschen in weitem Umkreis in Geißelhaft. Ich habe kein Verständnis für solche Art von "Sportgeräten".
Das Naturschutzgebiet Schleimünde ist lange im Voraus zu sehen und man denkt, es gleich erreicht zu haben. Aber wie so oft scheint es mit der Annäherung im gleichen Maße nach hinten zu driften, so dass es ein ausgesprochen mühseliges Unterfangen ist, es einzuholen. Bei der Vorbeifahrt an seinem südlichen Ende sehen wir Zelte, die direkt an der Strandseite aufgebaut sind. Es wundert uns etwas, denn normalerweise stehen hier keine Zelte, und besonders attraktiv scheint mir diese Stelle auch nicht zu sein. Als wir am Strand des kleinen Hafens auflaufen, erahnen wir den Grund: da ist eine lange Reihe von Kajaks und Kanadiern auf dem Sand geparkt, die eine dichte Belegung des Platzes vermuten lässt. So dicht besiedelt habe ich Schleimünde noch nie erlebt. Nur mit Mühe finden wir ein Plätzchen für unsere Zelte. Immerhin hat die Giftbude geöffnet. Offensichtlich hat die Bewirtung gewechselt. Aber auch die jungen Pächter können nichts daran ändern, dass sie fast restlos leergekauft sind. Zum Glück gibt es noch genug Bier und Johannisbeersaft, so dass wir nicht komplett auf dem Trockenen sitzen bleiben.
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