Freitag, 1. November 2019

Halloween auf Drejö

Manche Einleitung könnte ich kopieren, weil sich die Ereignisse gleichen: Tour lange Monate im Voraus geplant, dann rückt das Datum näher und schließlich trudelt Trenks Absage ein. "Rüsselseuche" wie er zu sagen pflegt. Scheint ein Abo auf Ende Oktober zu haben. Vermutlich ist Trenk noch geknickter als wir. Meine Befürchtung, dass auch Peter in den Sack hauen könnte, weil so lange Funkstille aus seiner Richtung dröhnte, war aber vollkommen unbegründet: er hatte zwar auf meine Mail geantwortet, die Antwort aber nur an Jörg geschickt! Diese moderne Handy-Technik ist eben für uns alle noch Neuland.

Ich hätte für jede Absage auch Verständnis gehabt, denn die Wettervorhersage war nicht so gestrickt, dass man sich gezwungen sehen musste, auf eine Zelt- und Paddeltour zu gehen. Aber die beiden anderen waren wild entschlossen, so dass ich mir fast etwas fremd vorkam in der Rolle des Bremsers: Wir hatten durch den lutherischen Feiertag zwar vier Tage zur freien Verfügung, aber die Kälte meiner Schleimünde-Tour noch in guter Erinnerung und die Aussicht auf durchgängigen Regen ab dem dritten Tag ließen mich doch darauf drängen, dass wir uns auf die ersten zwei Tage beschränken. Zum Glück war das kein großes Problem für meine verbliebenen Mitfahrer.

Wir treffen uns am Reformationstag um zehn Uhr morgens am Klub - wo bereits eine rege Geschäftigkeit herrscht. Allerhand Paddelbegeisterte wollen ebenfalls den freien Tag für einen Ausflug ins Feuchte nutzen. Natürlich wirkt sich das Getreibe nicht günstig auf unseren Abfahrtstermin aus, denn jeder muss ja mit jedem noch kurz ein Schnäckchen halten.

Was uns allerdings wirklich nach hinten wirft, ist der Anspruch unserer dänischen Freunde, an ihrer Grenze jedem Einreisenden einzeln grimmig ins Auge blicken zu wollen, um dadurch festzustellen, ob derjenige vielleicht illegal Wildschweine im Kofferraum mit sich führt. Wir blicken wie gewohnt unschuldig zurück und werden wortlos durchgewunken.

Erst bin ich etwas irritiert, weil im Hafen von Fynshav praktisch nur deutsche PKW parken. Dann dämmert mir aber, dass heute in Hamlets Reich ja ein furznormaler Arbeitstag ist, und die Deutschen die günstige Gelegenheit des langen Wochenendes nutzen, ihre hier liegenden Segel- und Motorboote winterfest zu machen.

Um viertel nach eins gleiten wir elegant in unsere Boote - unter strahlendem Sonnenschein und bei moderaten Temperaturen. Trotz dieser lieblichen Bedingungen haben wir uns natürlich winterfest eingepummelt. Da meine Borduhr noch auf Sommerzeit eingestellt ist, bin ich auch felsenfest davon überzeugt, dass wir erst in stockdusterer Nacht unseren Zielort erreichen. Und dann wird es eine erkleckliche Zeit unserer Überfahrt schon noch so kalt sein, dass wir froh über unsere mollige Unterwäsche sein werden.

Leider ist der Wind allzu lieblich, so dass wir zwar mächtig schwitzen - aber nicht, weil wir uns so anstrengen! Nur die Hoffnung auf eisige Temperaturen, wenn die Sonne erst einmal weg ist, hält uns aufrecht. Als ich durch eine kleine Nachhilfe meiner Begleiter aber einsehen muss, dass wir praktisch noch mit dem letzten Büchsenlicht ankommen werden, ist ein guter Teil dieser Hoffnung dahin. Nun gut, wir sind harte Männer und nehmen Kummer und Rückschläge stoisch hin.

Als wir die Nordspitze von Ärö genau querab haben, machen wir Pause. Jörg hat den Eindruck, dass wir während dieser Zeit rückwärts treiben, aber tatsächlich schiebt uns der Wind immer noch mit ca. einem Stundenkilometer unserem Ziel entgegen. Dass während unserer Untätigkeit die Wellen an uns vorbeiziehen, verursacht den Eindruck, dass man in der Gegenrichtung treibt.

Der Himmel ist herbstlich blau. Es ziehen Cirren auf, die Vorboten des schlechten Wetters, und es sind erstaunlich viele Chem-Trails zu sehen. Offensichtlich hat die Regierung ihr Programm zur Bevölkerungsreduktion intensiviert. Eine andere plausible Erklärung fällt mir nicht ein.

Nach exakt vier Stunden schrammen wir auf den Sand vor dem Shelter-Ensemble von Drejö. Das sind exakt sieben Stundenkilometer netto, wenn man die Pause abzieht, sogar 7,5. Ich bin immer wieder fasziniert, wie zügig man auch mit vollbeladenen Booten unterwegs sein kann - und dass wir diese Geschwindigkeit auch über einen Zeitraum von vier Stunden halten.

Die Inspektion der Shelter-Anlage fördert erst mal wenig Ermutigendes zu Tage: Ganz offensichtlich sind hier Handwerker zugange, denn keine der Holzhütten hat noch eine Tür, und es riecht auffällig verbrannt. Erst vermuten wir Brandstiftung, schwenken später aber um, dass irgendwelches Pech zur Konservierung der Außenschindeln diesen Geruch verursacht. Dummerweise und absolut nicht nachvollziehbar haben die Handwerker auch noch die Eingangsöffnung durch Anbringen eines Brettes so verkleinert, dass man sich beim Eintreten zwangsläufig die Birne daran stoßen muss. Aber im wesentlichen ist die Küchenhütte intakt, so dass wir unser Abendbrot darin bereiten können. Zur Erhöhung der Gemütlichkeit, bugsieren wir noch ein geeignetes Exemplar des herumlungernden Plattenmaterials vor die klaffende Türöffnung.
Zwischen fauchenden Kochern und vielen Köstlichkeiten, die jeder aus seinem Proviant zaubert, kommt herrliche Behaglichkeit auf. Die wird nur irgendwann empfindlich gestört durch eine auf der Suche nach ihrem Winterquartier irrlichternde Wespenkönigin . "Bsssssss" summt sie über unseren Köpfen herum. "Bsssss" umschwirrt sie Jörgs Nase, "Bssssss" schon sitzt sie auf meiner Hand, "Bsssss" an der Decke - und so fort. Peter hat einige entzückende rosa Teelichter mitgebracht, die verführerisch nach Himbeeren duften. "Bsssrgrmpf!" - eine herrliche Ruhe stellt sich ein!

Da auch die Schlafshelter in keinem benutzbaren Zustand sind, bauen wir in der Dunkelheit noch unsere Zelte auf und ziehen uns irgendwann in sie zurück. Eigentlich ist es wunderbar still, aber die vielen Flugzeuge zum Ausbringen der Chem-Trails verursachen einen solchen Lärm, dass ich mir schließlich doch Ohrenstöpsel reinschraube.

Es war wohl so gegen zehn Uhr, als wir uns gestern Abend in die Schlafsäcke kuschelten. Aber keiner von uns hat Schwierigkeiten, heute Morgen bis acht zu schlafen. Zum Aufwachen geht jeder zunächst einmal eigenen Verrichtungen nach. Ich begleite meinen Teller, der immer noch vom Abendessen vor Fett trieft zum Spülsaum und versuche so etwas wie einen Abwasch. Geht so mittelgut. Das Wasser ist halt arschkalt, so dass mir die Hände fast gefrieren und Spüli habe ich auch keines dabei, so dass das Fett nur wenig beeindruckt wird und ich es allenfalls zu einem gleichmäßigen Film verteilen kann, statt es zu entfernen. Danach halte ich meine Finger vor meinen Mund, um ihnen wieder Gefühl einzuhauchen. Ein Dutzend Meter von mir entfernt tritt ein dänisches Pärchen an den Strand, die beiden legen ihre Handtücher ab, die sie als einzige Bekleidungsstücke noch dabei haben und - stratzen schnurstraks in die Ostsee! Der Anblick lässt mich unmittelbar erschaudern!

Jörg hat vorher mit dem Pärchen etwa folgenden Dialog geführt, als sie über unseren Zeltplatz kamen: "Uih! Ihr zeltet hier? Ist das nicht furchtbar kalt?" "Nö. eigentlich nicht. Und ihr, wollt ihr spazieren gehen?" "Nein, wir wollen baden!" " Uih! Ist das nicht furchtbar kalt?" Es gibt halt verrückte Menschen!

Beim Frühstück weigert sich Peters Kocher beharrlich, seinen Dienst ordnungsgemäß zu tun. Da tritt immer Gas an einer Stelle aus, die nicht dafür gedacht ist. Das sieht nicht gut aus und so sind wir auf meinen Kocher angewiesen. Allerdings hat der keine geeignete Fläche, auf die man Peters Espresso-Maschine stellen könnte. So grummelt und grätzt er eine ganze Weile herum, bis wir eine Lösung finden: Es gibt einen einzigen Haken in dieser Hütte (ein genereller Mangel aller dänischen Shelter: sie bestechen durch Abwesenheit jeglicher Aufhängemöglichkeiten!). Ich platziere meinen Kocher genau unter diesem Haken, und mit dem Zwirn meiner Ahle, die ich seit dreißig Jahren mit mir führe, basteln wir eine Aufhängung, so dass die Espresso-Maschine frei schwebend über der fauchenden Flamme meines Kochers pendelt! So entspannen sich Peters Gesichtszüge zunehmend und wir laufen nicht Gefahr, die Rückreise mit einem grantigen, pausenlos grummelnden Begleiter antreten zu müssen.

Der Wind hat, wie von der Wettervorhersage versprochen, heute Nacht deutlich aufgefrischt und seine Richtung grundlegend geändert. Er bläst mit fünf bis sechs Beaufort eher aus Südost als dem vorhergesagten Südsüdost. Uns soll's recht sein. Allerdings macht er erst einmal das Einsetzen am sandigen Strand etwas schwierig. Wir versuchen, die Skegs so gut es geht ohne Verstopfung durch die Brandung zu bekommen. Aber natürlich klappt das nicht! Peters Finne ist nach dem Start so bombenfest verkeilt, dass Jörg sie nicht lösen kann und ich mit meinem Messer ran muss. Nach dem GPS-Track hat es 2min 57sec gedauert, bis ich das Teil frei bekommen habe. Das hört sich nicht viel an, aber wenn man mal versucht, drei Minuten ohne Sicht unter Wasser mit einem Messer in einem kaum zu ertastenden Skeg-Kasten rumzufummeln, ist das verdammt lange.

Peter ist heilfroh, dass sein kleiner Helfer wieder einsatzbereit ist, denn der Wind steht genau querab und ohne Skeg würde man sich hier zu Tode rudern. Die Vorhersage hatte zehn Meter pro Sekunde aufgerufen, was am oberen Ende des für die Windstärke fünf gedachten Bereichs liegt. Als wir abgelegt hatten, war das Meer auch dementsprechend weiß gesprenkelt. Allerdings frischt es immer wieder deutlich auf und weht mindestens die halbe Zeit mit eindeutigen sechs Beaufort. Ich merke das spätestens, wenn ich versuche zu fotografieren und das Paddel nur mit einer Hand halten kann. Dann ist es schwierig zu verhindern, dass der Wind es in eine ihm beliebige Richtung schlägt.

Die Wellen sind regelmäßig knapp unter einem Meter, aber natürlich viele auch darüber. Das ist deutlich interessanter als das Gleiten über glattes Wasser gestern! Wir fahren zuerst einen deutlich südlicheren Kurs als zum Erreichen unseres Zwischenziels, des Leuchtturms Skjoldnäs, notwendig gewesen wäre. Gesteuerte 240 Grad, aus denen der Wind 260 Grad macht. Dadurch kommen wir eher in den Genuss der Abdeckung durch das Ärö'sche Festland. Auf Höhe von Söby schwenken wir ein und und lassen uns nach Norden schieben.

Am Westende von Ärö gehen wir an den Kieselstrand und machen Pause. Zwar ist die Sonne die ganze Zeit bisher durch den Wolkenschleier zu sehen, aber außer ihrer Positionsmeldung schickt sie keine Wärme herunter. Entsprechend wenig gemütlich ist der Aufenthalt in der Mulde im Gras, in die wir uns gekauert haben, um dem Wind zu entgehen. Bevor wir uns wieder auf die feuchten Socken machen, joggen wir etwas am Strand entlang, um wieder in die Nähe unserer Betriebstemperatur zu kommen. Ich schnalle mir zusätzlich noch meine rote Kapuze über die krassgelbe Mütze, weil letztere nicht gesichert ist und ich die gesamte Fahrt hierher fürchten musste, dass der Wind sie mir vom Kopf weht.

Während unserer Pause ist die 100% elektrische "Ellen" an uns vorübergezogen. Die Fähre will wie wir nach Fynshav. An ihr können wir beobachten, wie sie gefährlich stampft und rollt, was auf richtig große Wellen deutet. Die lassen auch gar nicht lange auf sich warten. Schon bald nach unserer Abfahrt pflügen wir durch Wasserberge, die deutlich höher sind als die, die uns eben zwischen den Inseln begegnet sind. Wir legen unseren Kurs am Anfang auf genau West - also 270 Grad. Wind und Wellen machen daraus allerdings 283. Wären wir konsequent bei diesem Kurs geblieben, wären wir sage und schreibe 550 Meter nördlich der Hafeneinfahrt gelandet. Das finde ich schon ganz ordentlich navigiert! Allerdings entschließen wir uns doch, etwas rigoroser vorzuhalten, als wir den Ort deutlich ausmachen können.

Große Wellen kann man nicht fotografieren!
Ich überlege die ganze Zeit über, ob es nicht eine gute Gelegenheit wäre, hier und unter solchen Bedingungen einmal eine Rettungsübung zu versuchen. Aber so unbeweglich, wie man in den dicken Klamotten und bei den niedrigen Temperaturen ist, finde ich das Risiko für zu hoch. Andererseits denke ich, dass wir ja schließlich unter solchen Bedingungen fahren, und da wir nicht unter allen Umständen davon ausgehen können, dass nichts passiert, müssen wir sicher sein, dass wir eine Rettungsübung erfolgreich abschließen würden. Bei diesen Überlegungen ärgere ich mich auch die Krätze, dass ich mein Funkgerät und auch sonst keine Seenotmunition mitgenommen habe. Wäre Trenk mitgewesen, hätte ich es natürlich eingepackt, allein schon um uns gegenseitig anfunken  zu können, aber so - was soll ich da mit dem Gerät? Und bei der kompetenten Begleitung sind die Raketen doch eh überflüssig. Das stimmt alles, ist aber trotzdem hochgradig unprofessionell, und das ärgert mich.


Einen knappen Kilometer vor der Küste ändern wir unseren Kurs wieder deutlich nach Norden, so dass wir direkt auf die Hafeneinfahrt zuhalten. Damit haben wir die Wellen wieder genau achterlich, das reizt zum Surfen. Aber ein vollbeladenes Boot ins Surfen zu bekommen, ist leider mörderisch anstrengend, besonders am Ende einer durchaus fordernden Tour. Und so trudeln wir eher gemächlich unserem Endziel entgegen. Der angekündigte Wetterumschwung tritt gerade ein: es fängt an zu regnen.

Kleiner Schlenker kurz vor dem Ziel
Keine fünfhundert Meter vor der Hafeneinfahrt signalisiert mir mein peripheres Radar Alarm: Aus den Augenwinkeln sehe ich Peter umkippen! Ich rufe laut, um auch Jörg zu stoppen. Peter versucht noch dreimal, die Situation durch Rollen  wieder zu entschärfen, aber ich sehe, dass seine Position im Boot nicht optimal ist und weiß, dass die Chancen auf Erfolg gering sind. Jörg und ich nehmen ihn in die Mitte und bevor wir uns versehen, sitzt er wieder im Cockpit. Allerdings in Gesellschaft von so viel Ostseewasser, dass sein Süllrand bündig mit der Oberfläche des Kleinen Beltes abschließt. Gemeinsam versuchen wir, sein Cockpit wieder leer zu bekommen. Erschwert wird das dadurch, dass Peters Deckspumpe nicht einsatzbereit ist. So müssen wir die Spritzdecke offen halten, um mit meiner Pumpe zu arbeiten. Zum Glück hatte Peter aber sein Käsebrot in einer großen Tupperdose im Cockpit deponiert, so dass wir die Dose auch zum Schöpfen benutzen können. Derweil schwimmt das Käsebrot einträchtig mit der Cabanossi zwischen seinen Beinen herum. Zwar kommen immer wieder Schwälle von Wasser rein, aber wir schaffen es, den Füllstand so zu erniedrigen, dass Peter wieder ohne Unterstützung die restlichen 400 Meter paddeln kann.

Glücklich an Land
Hinterher war er eigentlich eher erleichtert über das Missgeschick (von dem er gar nicht weiß, wie es passiert ist). Das Wasser war gar nicht so kalt wie befürchtet, und die Funktionsfähigkeit der Hände blieb problemlos erhalten. Aber trotzdem hat der Zwischenfall uns nochmal gezeigt, dass auch unter alten Hasen nie auszuschließen ist, dass es zu einer Kenterung kommt. Umso wichtiger, dann geeignete Signalmittel dabei zu haben!

Sonntag, 6. Oktober 2019

Schlei

Die Bestandsaufnahme bei der Vorbesprechung ergibt folgende Bilanz: siebzehn Teilnehmer haben sich angemeldet! Bernhard ist ganz nervös, ob alle Platz finden werden auf der Lotseninsel. "Wird schon!", versuche ich zu beruhigen. Im Stillen denke ich mir, dass vielleicht noch nicht jeder die Werte der Wettervorhersage gefühlsmäßig in vollem Umfang erfasst hat. Meinen Plan, eventuell am Sonntag, statt wieder auf der Schlei zurückzupaddeln, den direkten Weg über die Ostsee nach Bülk einzuschlagen, habe ich jedenfalls längst einkassiert. Meine für diese Option gedachte Frage, ob ich selbst ohne Auto teilnehmen kann, wurde positiv beantwortet.

Natürlich ist bei siebzehn Anmeldungen immer mit Imponderabilien zu rechnen, die den einen oder die andere zwingen, ihre Teilnahme absagen zu müssen. Allerdings ist meine Beobachtung schon, dass die Anzahl der Rücktritte nicht nur mit der Anzahl der Anmeldungen steigt, sondern irgendwie auch mit der Schlechtigkeit des Wetters zusammenhängt. Jedenfalls ereilt mich einen Tag vor Fahrtantritt die Bitte, doch lieber mein Auto mitzubringen. Kein Problem, ich will ja eh wieder mit zur Einsetzstelle zurückpaddeln.

Auch wenn die Feierlichkeiten zum Einheitsfest dreißig Jahre nach dem Mauerfall bereits seit zwei Tagen vorbei sind, gleicht die Fahrt zum Klub immer noch einem Abenteuer und dauert eine gute viertel Stunde länger als veranschlagt. Dabei war ich so pünktlich losgefahren! Aber als erstes erfahre ich, dass es noch mehr Absagen gehagelt hat, so dass mein Fahrzeug nun doch wieder nicht benötigt wird. Kein Problem, ich kann ja bei Karen mitfahren.

In Lindaunis ist kurz hinter der Brücke ein Parkplatz mit prima Einsetzstelle. Familie D. fährt noch ein paar Kilometer weiter nach Osten, damit die Strecke bis Schleimünde nicht so arg lang ist. Als wir aus dem windgeschützten Noor heraus und unter der Brücke hindurch fahren, erfassen uns sofort  der kräftige Gegenwind und ein ebensolcher -strom. Als alter und bekennender Stressvermeider lege ich meinen Kurs bald so, dass er sich eng dem Nordufer anschmiegt. Hier ist erstens die Strömungsgeschwindigkeit nahe null und man genießt zweitens hin und wieder recht gute Windabdeckung. So fahre ich recht gemütlich und definitiv einen weiteren Weg als die mitten im Fahrwasser bleibende Restgruppe, aber ich bin immer noch schneller als sie.

Immer wieder blicke ich nach rechts und sehe die Gruppe erst neben dann leicht hinter mir in der glitzernden Ferne. Bis ich kurz vor Arnis regelrecht erschrecke - plötzlich ist die Gruppe deutlich vor mir! Allerdings muss ich recht bald feststellen, dass es eine andere Gruppe ist: Wir haben Familie D. eingeholt. Gemeinsam machen wir in Arnis Pause.

Gleich danach sehen wir auf dem anderen Ufer an Land einen weiteren Teil unserer Gesamtgruppe sich fertig machen. Hier schließen sich noch mal drei Paddler uns an. Gerrit und Bernhard hatten vorhin behauptet, dass auf ihrer letzten Tour der Gegenwind zwar noch stärker war als heute, er aber auf dem letzten freien Stück, den fünf Kilometern vor Schleimünde, eigentlich kaum zu spüren war. Mir erscheint diese Hypothese sehr gewagt, aber wenn es denn so ist, will ich mich gerne freuen.

Es ist natürlich nicht so. Oder ich merke nicht, dass ich den Gegenwind nicht merke. Aber Sven, der neben mir fährt, merkt es auch nicht. Und die anderen sind eh schon reichlich zurückgefallen. Also entweder stimmt die Hypothese nicht oder sie entfaltet heute irgendwie keine Wirkung. Aber als alles klar ist, löse ich für den letzten Kilometer vor dem Ziel die Handbremse und laufe um 16:22 Uhr am Strand der Lotseninsel auf. Losgefahren sind wir um 10:51 Uhr - das macht immerhin viereinhalb Stunden. Eine halbe Stunde haben wir Pause gemacht, also haben wir vier Stunden für 22,5 Kilometer benötigt. Entspricht 5,6 km/h - das ist nicht schlecht für einen konstanten Gegenwind von erst fünf Beaufort und dann vier.


Zu unserer großen Erleichterung ist das Gelände leidlich aufgeräumt, und es gibt für jedes Zelt genügend Platz, ohne dass wir uns gegenseitig zu dicht auf die Pelle rücken müssen. Wir treffen auch noch auf zwei Bekannte aus Kiel, die schon gestern Abend angereist sind. Im Dunkeln - was nicht bei allen Teilnehmenden auf Begeisterung gestoßen ist. Gerrit und Bernhard müssen unbedingt noch baden gehen - is' ja quasi noch Sommer. Das Wasser hat etwa dreizehn Grad. Der Himmel reißt dann noch vollständig auf und wir können unser Abendessen am Holztisch im Freien einnehmen. Anja und Norbert haben ihr phänomenales Familienzelt mitgebracht, dass für den Fall gedacht war, dass es regnet. In ihm hätte wir alle bequem Platz gehabt - aber draußen ist schöner.

Der Abend klingt wunderschön aus und einige schließen noch einen Deal mit Bewohnern des großen Hauses, dass man gemeinsam in die Sauna gehen will. Die anderen ziehen sich schließlich doch wegen der zunehmenden Kälte in das phänomenale Familienzelt zurück.

Irgendwann in der Nacht soll es mächtig geweht haben. Zumindest haben Anja und Norbert um zwei Uhr das umgewehte Familienzelt eingepackt und damit vor dem kurz danach einsetzenden Regen gerettet. Helden! Ich habe dank meiner Ohrenstöpsel und eines gesegneten Schlafes nichts von alledem mitbekommen.

Zwar ist alles nass, als wir morgens aus den Zelten kriechen, aber der Regen hat aufgehört. Allerdings sieht der Horizont noch "interessant" aus, was nichts anderes heißt, als dass da noch Wasser im Zulauf ist. Wir bauen erst einmal unsere Frühstücksausrüstung am Holztisch auf und hoffen, dass der Regen an uns vorüberzieht. Tut er natürlich nicht! Also jeder hektisch wieder in sein Zelt und dort zu Ende frühstücken.

Der Teil der Gruppe, der gestern erst in Arnis zu uns gestoßen ist, will nicht unbedingt unserem Zeitplan folgen, aber alle anderen sind schon vor der ausgegebenen Startzeit von 11 Uhr im Boot und auf dem Wasser.

Heute soll der Wind günstiger sein. Die Vorhersage hatte ihn ziemlich südlich angekündigt, aber er hat doch eine einigermaßen befriedigende Ostkomponente. So rauschen wir ohne große Anstrengung bis Arnis, wo wir wieder zur Pause an Land gehen. Nach der Pause verläuft die Schlei nicht mehr genau von Nord nach Süd sondern eher südwestlich, so dass der Wind uns wieder besser unterstützen kann. Zwar entstehen hier keine wirklich großen Wellen, aber man kann auch kleine Wellen surfen und ein bisschen Spaß haben. Günstigerweise wird die Klappbrücke bei Lindaunis kurz bevor wir sie passieren gerade geöffnet, so dass wir nicht einmal unsere Köpfe einziehen müssen!

Seit unserem Start am Morgen ist das Wetter immer besser geworden. Der Regenschauer beim Frühstück war nur dazu gedacht gewesen, uns zu zeigen, wie schlecht das Wetter sein könnte. Stattdessen verbringen wir fast so etwas wie einen Sommertag auf dem Wasser. Alle, die wegen der schlechten Wettervorhersage zu Hause geblieben sind, ärgern sich, dass sie sich in Bockshorn haben jagen lassen. Wir gehen zufrieden und mit deutlich gebräunten Gesichtern im Noor von Lindau an Land. Gewissenhaft wie Gerrit ist, badet er sein Kajak noch gründlich, bevor er es aufs Auto lädt.

Sonntag, 29. September 2019

Fahrt ohne Wiederkehr 2019

Im vergangenen Jahr musste die Dämmertour nach Schönberg ausfallen, weil es Gerdi sehr schlecht ging. Dass Ingrid eindringlich darum gebeten hat, diese Tradition auch fortzusetzen, obwohl Gerdi nicht mehr bei uns ist, hat mich sehr gefreut, und ich bin der Bitte gerne nachgekommen. Die Rückmeldungen waren überraschend sparsam, so dass ich mir keine allzu großen Sorgen machen musste, dass wir die Kapazität von Ingrids Wohnzimmer sprengen würden. Aber ich habe nichts gegen eine gemütliche Fahrt im intimen Kreis von sechs Teilnehmern.

Die Sache mit der logistischen Organisation der Rückfahrt ist immer etwas aufwendig, aber letztlich nicht wirklich kompliziert. Allerdings hat die Stadt diesmal alles daran gesetzt, mich daran zu hindern, rechtzeitig zum Treffzeitpunkt am Klub zu erscheinen: Im Vorfeld der Feierlichkeiten zum 30. Jubiläum der Deutschen Wiedervereinigung waren alle Straßen, die ich hätte nehmen können, gesperrt. Letztlich habe ich mein Auto irgendwo in der Reventlou-Allee geparkt und bin die letzten fünfhundert Meter mit meiner Paddelkiste unterm Arm zu Fuß zum Klub gelatscht. Die anderen kamen von Süden und hatten mehr Glück mit dem Durchkommen. Auch um die drei Autos dann aus Kiel rauszuwinden, müssen wir uns einiger Verbotsübertretungen bedienen, weil wir sonst nie zum Ziel gekommen wären. Dafür lässt sich bei der Rückfahrt der grimmig dreinblickende Wächter an der Absperrung in Sichtweite vor unserem Vereinsgelände überraschend schnell überreden, uns Durchlass zu gewähren.

Die Boote werden sorgfältig mit unterschiedlichen Ausführungen von Leuchtmitteln geschmückt und (fast) pünktlich um 17 Uhr legen wir ab in Richtung Norden. Als erstes müssen wir uns durch ein Feld von Segelyachten kämpfen, die offensichtlich an einer Regatta teilnehmen. Im Eifer des Gefechts hat eine Yacht ihren Spinnacker falsch herum montiert! Funktioniert aber auch so!

Das Wasser der Förde ist heute unheimlich braun. Eine Folge des vielen Regens der vergangenen Tage. Aber entgegen der Wettervorhersage von gestern hat bis jetzt den ganzen Tag die Sonne geschienen. Allerdings ist nach der heutigen Vorhersage für den späteren Abend doch noch ergiebiger Regen angekündigt. Der Wind kommt erstaunlich südlich und schiebt uns mit frischen fünf Beaufort aus der Förde heraus.

Nördlich des Friedrichsorter Leuchtturms habe ich ordentliche Wellen erwartet, aber komischerweise sind sie hier kleiner als in der Heikendorfer Bucht. Der Himmel hat sich mittlerweile ziemlich zugezogen und ich versuche verzweifelt, die Glockentonne auszumachen. Es sind unheimlich viele Tonnen zu sehen, die da eigentlich gar nicht hingehören, aber die Glockentonne ist nicht darunter. Des Rätsels Lösung ist, dass mal wieder ein umfangreiches Sperrgebiet eingerichtet wurde, in dem der Meeresgrund nach unguten Hinterlassenschaften aus dem Krieg abgesucht wird. Dort, wo normalerweise unsere klingelnde Wendemarke liegt, dümpelt nun eine rot gestreifte, gelbe Sperrgebietstonne rum.

Die Yacht birgt gerade den Kite-Surfer
- die Stena tuckert nach Schweden
Meine Vorgabe war, die Ansteuertonne Marina Wendtorf um 19 Uhr zu erreichen - also genau bei Sonnenuntergang. Trotz fünfminutiger Verspätung unserer Abfahrt erreichen wir die Tonne bereits zwanzig vor sieben - dem Südwind sei Dank! Schon aus einiger Entfernung fällt uns ein Kite-Surfer auf, der verzweifelt versucht, gegen den ablandigen Wind ans rettende Ufer zurück zu kommen. Allein - er schafft es nicht. Aus mir unerfindlichen Gründen läuft noch eine Segelyacht aus dem Hafen der Marina aus und nähert sich dem Surfer. In einer komplizierten Aktion werden er und sein Kite vom Wasser geborgen. An Bord wird der offensichtlich deutlich ausgekühlte Sportler erst einmal versorgt. Gut, dass die Yacht ihn aufgenommen hat - sonst hätten wir unseren Plan ändern müssen!

Im Hintergrund die krass beleuchtete Aida (Foto: Mona)
Ab hier lasse ich Zweiergruppen bilden und weise eindringlich darauf hin, dass wir uns ab nun ständig gegenseitig im Auge behalten müssen. Es wird auch rapide dunkler und unsere unterschiedlichen Beleuchtungsstrategien sind unterschiedlich geeignet. Basti fährt ein grell leuchtendes Navi-Light auf dem Heck mit sich herum, dass dermaßen blendet, dass niemand neben ihm fahren will. Die kleinen Armreifen-Knicklichter taugen nichts, sie sind einfach viel zu schwach, so dass man sie schon nach wenigen Metern Entfernung nicht mehr sieht. Am besten ist noch Monas Beleuchtung: sie hat ihr Navi-Light auf den Kopf geschnallt - aber die Kapuze darüber! So wird das Licht genau so weit gedimmt, dass es nicht mehr blendet, man sie aber trotzdem prima sehen kann.

Obwohl wir nach der Pause an der Ansteuertonne deutlich langsamer unterwegs sind, sind wir bereits um halb neun am Strand zwischen der 13. und 14. Laterne. Der Regen, der quasi mit dem Sonnenuntergang eingesetzt hatte, hatte in der Zwischenzeit ausgesetzt - nur um genau jetzt wieder anzufangen! Zum Glück gibt es hinterm Deich ein Toilettenhäuschen, das wir nutzen, um uns in trockene Kleider zu schmeißen. Die Kleider bleiben allerdings nicht wirklich trocken, weil das Verstauen der Boote auf mein Auto seeehr lange dauert - und der Regen seeehr ergiebig ist. So muss ich Ingrid um ein Handtuch bitten, das ich mir unterlegen kann, um nicht ihre schönen Polsterstühle zu ruinieren.

Ingrid freut sich sichtlich, dass es geklappt hat mit dem Besuch und sie mal wieder "junge" Leute in der Bude hat. Um diese Jahreszeit tanzt in Schönberg nicht unbedingt der Bär und sie ist meist recht alleine in dem Haus. Sie versorgt uns mit Unmengen leckeren und heißen Tees - wir steuern Bienenstich und Negerküsse bei. Es wird wild geschnattert über dies und das und vor allem übers Paddeln, und Mona und Ingrid stellen fest, dass sie gemeinsame Bekannte in Hamburg haben. Als wir uns nach elf auf den Heimweg machen, haben wir die Einladung im Gepäck, nächstes Jahr wiederkommen zu dürfen. Das will ich gerne in Angriff nehmen!

Freitag, 30. August 2019

Nordsee mit neuer Seekarte

Dieses Jahr sind meinem Fahrtenangebot, das normalerweise "Nordsee für Einsteiger" heißt, nur Paddler mit soliden Kenntnissen und Fertigkeiten gefolgt. Nachdem Björn in letzter Sekunde aus beruflichen Gründen absagen müsste, blieben fünf wackere Teilnehmer für ein Abenteuer auf der Nordsee übrig: Anja, Betzi, Lauritz, Maditha und ich. Niedrigwasser auf Hooge ist für 21 Uhr angesagt, Sonnenuntergang für zwanzig nach acht - das hört sich auf den ersten Blick entspannt an. Aber wenn man alles zusammenrechnet - zweieinhalb Stunden Paddeln, ein Stunde Packen in Schlüttsiel, zwei Stunden Autofahrt und eine halbe Stunde Packen vorm Bootshaus - kommen da sage und schreibe sechs Stunden bei raus! Wenn wir also um acht auf Hooge ankommen und damit überhaupt noch eine Chance wahren wollen, ohne schwarze Beine aus dem Schlick zu kommen, dann  müssen wir uns um zwei Uhr am Bootshaus treffen!

Zum Glück sind alle nicht nur überpünktlich sondern auch super schnell mit Verstauen des Gepäcks und Boote auf die Autos schnallen, so dass wir hier schon eine Viertel Stunde herausgeschlagen haben! Allerdings wird die gleich wieder durch den dichten Verkehr in Kiel aufgefressen. Zu allem Überfluss muss da auch noch ein Unfall direkt bei Karstadt unseren Schwung bremsen. Und selbst nachdem es auf der Autobahn bis Schleswig erwartungsgemäß glatt läuft, hält uns der nächste Unfall im Kreisel bei Schuby abermals auf. Dann verfransen wir und noch im Kreisel in Viöl, was rückblickend betrachtet aber vermutlich als Segen aufgefasst werden muss, denn auf unserer eigentlich anvisierten Route hätte nämlich eine Baustelle länglich umfahren werden müssen. Mit allem Für und Wider kommen wir dann doch wie geplant um halb fünf Uhr in Schlüttsiel an.

Aber auch hier sind wir super schnell im Packen, so dass wir abermals eine halbe Stunde gut machen und bereits um fünf in unseren Booten auf der Nordsee schaukeln. Das war gerade noch rechtzeitig, um an der Rampe problemlos ins Wasser zu kommen! Tide kann ganz schön unentspannt sein!

Die Sonne scheint, es ist warm und der Wind weht uns lustlos entgegen. Um nicht unnötig Zeit zu vertrödeln, schenke ich mir die Umrundung von Gröde, die etwas Abwechslung bedeutet und uns mehr von der Landschaft gezeigt hätte. Die ersten Kilometer sind der Gewöhnung an die Landschaft und an die sparsamen Orientierungsmöglichkeiten gewidmet. Es ist tatsächlich das erste Mal, dass alle in der Gruppe eine Seekarte mitführen - und sich auch mit ihrer Hilfe in der Landschaft orientieren! Bis auf Anja haben sogar alle die brandaktuelle Version dabei. Es ist auch für mich, der tapfer zwanzig Jahre lang dieselbe Seekarte genutzt hat, eine ganz neue Erfahrung, dass sich die Tonnen tatsächlich da befinden, wo sie verzeichnet sind, und auch in Natura so bemalt, wie sie auf der Seekarte beschriftet sind! Total einfach, so zu navigieren! Das zahlt sich insbesondere im letzten Drittel unserer Reise aus, wo das irgendwann neu geschaffene Hooge-Fahrwasser in die Süderaue mündet. Das ist auf Anjas Seekarte noch sehr anders dargestellt! Hier schrammen wir etwas zu weit westlich über die die beiden Priele trennende Sandbank - fünf Minuten zu spät, so dass wir tatsächlich kurz aussteigen müssen, um unsere Boote zehn Meter über den Sand zu ziehen.

Um kurz vor halb acht schrammen wir auf die hässlichen Steine auf dem Grund der Ausfahrt aus dem Hooger Segelhafen. Wir schaffen es leidlich unverschlickt auf den Leitdamm - bis auf Maditha, die keinen großen Aufwand treibt, dem schwarzen Schleim zu entkommen. Ungehemmt stapft sie bis zu den Knien im Schlick durch den Modder. Und weil ihre Badelatschen dem saugenden Griff des Watts nicht gewachsen sind, muss sie sie mit den Armen bis zum Ellenbogen im Schlick wieder ausbuddeln. Da wir die Boote dann immer zu viert nach oben tragen, sehen die Teile danach alle sehr nach "Anlanden auf Hooge bei Niedrigwasser" aus.

Kaum sind die Zelte hergerichtet, breitet sich in uns allen unmittelbar die Hallig-spezifische Entspannung aus. Die Luft ist lau, der Wind eingeschlafen und die Sonne auf ihrem letzten Stück Weg hinter den Horizont. Gemütlich lauschen wir auf dem Deich sitzend dem beruhigendem Rauschen meines Kochers, der erst einen heißen Kakao, dann Nudeln mit Ente, einen Tee und dann wieder einen Kakao bereitet. So geht Erholung!

Bei der Vorbesprechung, was wir am Samstag unternehmen wollen, haben wir die Fahrt zur Pallas fallen gelassen, weil die ein Aufstehen um fünf Uhr bedeutet hätte. Die Variante, stattdessen um Japp- und Norderoogsand zu fahren, ist etwas humaner: Aufstehen um sechs, auf dem Wasser um acht. Auch hier zeigt sich, mit was für einer reifen und professionellen Truppe ich es zu tun habe: gewöhnlich wird die Ansage "Abfahrt um acht" eher so aufgefasst, dass man um acht sich selbst und das eigene Kajak bereit gemacht hat, dass man sich jetzt in Richtung Wasser in Bewegung setzen könnte. Dass der Akt, eine Truppe von der Wiese ins Wasser zu befördern, mindestens zwanzig Minuten dauert, wird gerne unterschlagen. Nicht so heute: Punkt acht Uhr sitzt alles, was mit will, im Kajak.

Wir wollen zuerst mehr oder minder genau nach Westen fahren - aber höchstens bis um 9:00 Uhr. Aus dem Hooge-Fahrwasser an Jappsand vorbei in Richtung der Tonne 20 ins Schmaltief. Und dann genau nach Süden - so lange, bis wir die Durchfahrt zwischen Norder- und Süderoogsand treffen. Anfangs läuft das auch mehr als geschmeidig, durch die starke Stromunterstützung sind wir mit über zehn Stundenkilometern unterwegs. Das wird gleich weniger, als wir aus dem tiefen Priel ins flachere Wasser dicht vor Jappsand kommen. Da man unsere Zieltonne 20 nicht sieht, habe ich Kurs 240 Grad angegeben, das lässt sich gut ablesen und steuern. Trotz recht guter Sicht dauert es überraschend lange, bis ich eine Tonne sehe. Die liegt etwas nördlicher als unser Kurs - aber es ist besser auf eine unbekannte Tonne zuzusteuern als immer nach Kompasskurs zu fahren, also nehme ich sie aufs Korn. Bis Betzi mich auf die "richtige" Tonne aufmerksam macht! Die liegt tatsächlich auf 240 Grad - und schon fahren wir wieder in diese Richtung.

Um neun Uhr haben wir die Tonne zwar bei Weitem nicht erreicht, aber nun macht es keinen Sinn mehr, weiter in ihre Richtung zu fahren, weil ab jetzt der Strom südlicher läuft. Neue Kursansage: 180 Grad. Damit sollten wir nach meinen Berechnungen den Eingang zum Rummelloch finden, ohne vorher auf Sand zu laufen. Auf etwa halber Strecke liegt ein Fischkutter genau auf unserem Kurs. Das ist ungemein praktisch, weil wir ihn dadurch zum Anpeilen nutzen können, was wesentlich angenehmer ist, als immer auf den Kompass zu blicken. Als wir ihn passieren, können wir niemanden an Bord erkennen. Also ist das entweder die Kuttervariante des Fliegenden Holländers oder die Besatzung hält ein Nickerchen, um sich vom nächtlichen Fischzug auszuruhen. Ich hatte kurz vorher mein Funkgerät eingeschaltet, um ansprechbar zu sein, sollte die Besatzung Kontakt mit uns aufnehmen wollen. Man muss bedenken, dass wir hier ziemlich weit draußen auf der offenen Nordsee sind, wo man gemeinhin nicht damit rechnet, Kajaks anzutreffen. Es wäre durchaus plausibel, wenn besorgte Nachfragen über Funk abgesetzt würden. Statt der Kutterbesatzung meldet sich der Seewetterbericht, dem ich für einige Zeit lausche. Er stehen keine schlimmen Dinge für uns in Aussicht, aber das kurze Aussetzen des Paddelns offenbart, dass die Strömung weit früher und radikaler gekippt ist, als das die Topp-Glowing-in-the-Dark-Navigationsapp des Nautischen Verlages vorhergesagt hat: statt uns sachte einfach von West nach Ost zu schieben, steht sie genau gegen uns! Das wirkt sich durchaus negativ auf unsere Geschwindigkeit aus.

Da wir es aber eh nicht eilig haben, ist es kein großes Drama. Allerdings bringt es mich nachhaltig durcheinander in der Abschätzung, wie weit wir uns dem Durchlass zwischen den beiden großen Sänden schon genähert haben. Zwar habe ich einen Wegpunkt im GPS einprogrammiert, so dass wir stumpf nach Angaben des Gerätes fahren könnten. Aber ich will heute komplett ohne es auskommen, schließlich ist die Sicht gut genug und es kann nicht wirklich etwas schief gehen. Lieber fahre ich kurz auf eine falsche Tonne zu und mache hier einen unnötigen Schlenker und wir lernen etwas, als dass ich mich von der Technik (ver)führen lasse, ohne einen eigenen Beitrag zu leisten.

Und siehe da - wie immer glaube ich, dass ich eine Durchfahrtmöglichkeit in der Ferne erkenne und lasse drauf zu steuern. Und wie immer stellt es sich schließlich heraus, dass da doch Sand im Weg ist, und wir müssen unseren Kurs noch einmal mehr in Richtung England drehen. Immerhin kommen wir dadurch in das Gebiet, wo die Wellen frontal auf den flachen Sand laufen und sich weiß brechen. Je nach innerer Einstellung sieht das entweder bedrohlich aus oder verlockend. Ich weiß aber, dass die Wellen zu klein sind, um bedrohlich sein zu können und leider ist hier auch das Wasser zu flach, als dass man nenneswert Spaß haben könnte. Aber immerhin spritzt es ein bisschen. Kurz danach gehen wir an "Land", denn nur wenig weiter liegt eine Horde Robben auf dem Sand, die wir nicht aufscheuchen wollen.

Wir ziehen unsere Boote gleich ein ordentliches Stück auf den Sand hoch - schließlich wollen wir nicht nach zehn Minuten schon wieder durch das auflaufende Wasser gestört werden. Eine ausführliche Pause ist fällig, in der allerlei Leckeres aus den Stauräumen gefischt und vertilgt wird.

Nach einer guten Stunde hat sich das Wasser bis an unsere Boote herangemacht, das ist das Zeichen weiterzufahren. Die gesamte Zeit über haben uns zwei Seehunde beobachtet, die vor dem Sand Streife schwammen. Sie beobachten auch unseren Aufbruch. Ihre Kumpels, die etwas weiter auf dem Sand ihre Bäuche in die Sonne halten, sind in der Zwischenzeit auf gute hundert Exemplare angewachsen. Wir fahren weit genug um sie herum, so dass kein Tier auf die Idee kommt, ins Wasser zu gleiten.

Der Charakter der Landschaft und die Bedingungen sind hinter den Sänden radikal verschieden von den Verhältnissen draußen vor. Zwar weht kein wirklicher Wind, aber auf der offenen See führt das bisschen Luftbewegung, das wir haben, immerhin zu einigermaßen bewegtem Wasser. Hier drinnen herrscht Ententeich und Sonnenschein. Es ist aber nicht ganz leicht, hier seinen Weg zu finden. Zwar liegt zwischen uns und Hooge eine durchgehende Wasserfläche, aber die Tiefe unter der Fläche ist sehr unterschiedlich. Zwar kommen wir manchmal in so flaches Wasser, dass wir mit den Paddeln aufsetzen, aber im Großen und Ganzen bekommen wir es ganz gut hin, die tiefen Priele und die zügige Strömung darin zu nutzen.

Kurz bevor wir in den Hooger Segelhafen einlaufen, lädt Betzi noch dazu ein, ein bisschen im warmen Wasser zu üben. Ich mache einen halbherzigen Versuch, nach einer Kenterung mein halbes Ersatzpaddel unter Wasser aus seiner Halterung zu ziehen und damit hochzurollen. Klappt aber nicht auf Anhieb, und so helfe ich erst mal einer Segeljolle gegen den Wind in den Hafen zu kommen. Das Einlaufen im Segelhafen ist eine wahre Freude: das Wasser steht so hoch, dass man quasi direkt mit dem Boot auf die Zeltwiese fahren kann!

Nur Anja begleitet mich heute in den Friesenpesel, die anderen kochen selbst auf dem Deich. Später sitzen wir noch zusammen und beobachten das Flackern des Himmels und rätseln, ob das nun Wetterleuchten ist oder Gewitter.

Was da nachts genau um null Uhr an den Zelten rüttelt und üppig Wasser vom Himmel schüttet, ist auf jeden Fall ein Gewitter! Der Wind schnellt innerhalb von kürzester Zeit auf acht Beaufort hoch, und es gießt wie aus Kübeln. Einige aus unserer Gruppe müssen noch mal die Zeltabspannungen nachbessern. Da das Wetter auch morgens noch nicht so ganz nach "draußen frühstücken" aussieht, ziehen wir mit unserem Trödel ins Seglerheim zurück. Hier können wir in muckeliger Wärme dem Regen dabei zusehen, wie er gegen die großen Scheiben wütet. Und den Windmesser können wir auch beobachten: Nordnordwest und so um die achtzehn Knoten - macht etwa fünf Beaufort. Aber als dann eine Front durchzieht, geht es hoch bis auf 27 Knoten - das ist Windstärke sieben! Da kommt der eine oder andere Gedanke an die Fähre auf.

Wir wollen so früh, wie der Wasserstand es zulässt, losfahren, um nicht allzu spät zu Hause anzukommen. Zum Glück hat sich der Regen gelegt und wir bekomme unsere Ausrüstung leidlich trocken in die Boote. Um halb zwölf macht Betzi ein Gruppenfoto mit Selbstauslöser und wir blasen zur Abfahrt. Der Wind bläst nicht mehr gar so arg, so dass die Wellen wieder mal zu klein für richtigen Spaß bleiben. Aber auch wenn Nordnordwest kein wirklicher Rückenwind ist, ist es eben auch kein Gegenwind. Nach nicht einmal zweieinhalb Stunden kommen wir in Schlüttsiel an, wo das Wasser gerade über die Kante lugt, so dass wir bequem anlanden können.

Für mich war dies die Nordseetour mit dem meisten Know-How und dem größten Engagement für die Gegend und die Navigation. Fühlt sich gut an!

(Fotos Courtesy Maditha K. - und BalticPaddler)

Sonntag, 25. August 2019

Dänische Südsee - diesmal lieblich

"Grenzüberschreitungen" nenne ich diese Tour üblicherweise, die ich im Spätsommer anbiete, um ambitionierten Newcomern die Möglichkeit zu geben, erstmals eine große Überfahrt zu machen - und eben Grenzen zu überschreiten. Zum Glück findet diese Tour traditionell in dänischen Gewässern statt, so dass die Sache mit der Grenzüberschreitung auf jeden Fall sichergestellt ist.

Schon lange habe ich im Sinn gehabt, dabei nicht immer nur auf der Flensburger Förde oder im Alsensund zu bleiben, sondern auch einmal den Kleinen Belt zu queren. Das konnte ich aber bislang nie riskieren, weil ich ja immer gewährleisten musste, dass die Teilnehmer nicht nur die Hintour bewerkstelligen können, sondern auch die Rücktour. Diesmal ist das Teilnehmerfeld aber so robust gestrickt, dass ich mein Vorhaben umsetzen kann. Da sich alle am Freitag auch recht zeitig beim Klub einfinden können, will ich für den ersten Tag gleich die Strecke von Fynshav nach Drejö in Angriff nehmen. Auch der Wind spielt mit - am Freitag leicht westlich, am Samstag eher gar nichts und am Sonntag leicht östlich. Könnte man das besser planen?

Die Einfahrt zum Segelhafen in Fynshav zu finden, ist nicht trivial und - ja, ich bin schon mal einen direkteren Weg gefahren. Aber nach einigen Gekurve finden wir ihn doch. Das Packen nimmt auch nicht übermäßig viel Zeit in Anspruch, so dass wir kurz nach fünf auf dem Wasser sind. Es ist gute Sicht, Lyö und Ärö sind bereits einwandfrei zu sehen, Avernakö kann man ahnen - und Drejö wird wohl auch da sein, wo wir es vermuten. In weiter Ferne zu sehen ist auch ein Frachter, dessen Kurs den Belt nach Norden hoch weist und damit genau rechtwinklig zu unserem liegt. Es ist lange unentschieden, ob er vor unserem Bug durchgehen wird oder wir vor seinem. Aber nach langer Zeit zeigt sich, dass er seinen Kurs so genau eingezirkelt hat, dass wir ihm vier Beulen in die Bordwand dengeln würden, wenn wir stur unseren Stiefel weiter paddeln würden. Wir halten kurz inne und gewähren ihm großzügig Vorfahrt. Wenig später summt "Ellen" an uns vorbei, die neue Fähre, die zwischen Söby und Fynshav verkehrt - 100% elektrisch!

Je weiter wir uns Drejö nähern, desto weniger wird der Wind. Es ist nicht so recht auszumachen, ob das der Grund ist, dass unsere Geschwindigkeit etwas nachlässt - vielleicht liegt es auch einfach daran, dass man nicht vier Stunden am Stück mit konstantem Druck unterwegs sein kann. Ich hatte ein bisschen naiv gerechnet, das wir etwa mit Sonnenuntergang anlanden würden. Aber das wärmende Zentralgestirn hat sich schon längst hinter den Horizont verzogen, als wir etwa auf der Höhe zwischen Avernakö und Drejö paddeln. Die Restentfernung sieht aus, als wenn wir sie im Nu zurückgelegt haben, aber als unser Ziel irgendwie nicht in der Geschwindigkeit näher kommt, in der ich das erwartet hätte, drehe ich die letzten zwei Kilometer auf, damit ich überhaupt noch genug Licht habe, um den Shelterplatz zu finden.

Dort haben bereits zwei dänische Mädels häuslich eingerichtet, aber sie haben nichts dagegen, dass wir ebenfalls hier übernachten. Da es schon ziemlich dunkel ist, bietet der Küchenshelter uns eine mehr als willkommene Gelegenheit, das Abendessen zu bereiten und zum Klönschnack zusammen zu sitzen.

Der nächste Morgen begrüßt uns mit Sonnenschein und blauen Himmel auf der feuchten Wiese. Heute können wir draußen essen am langen Holztisch, der für uns vier knapp genug Platz bietet. Es ist auch ganz praktisch, dass wir draußen sind, weil Axel die Gaskartusche seines Kochers wechselt und dabei mindestens 80 Prozent des Inhalts laut zischend und gefährlich dampfend in die Freiheit entlässt.

Es herrscht ziemliche Flaute und die Sonne soll den ganzen Tag scheinen und wir haben Zeit ohne Ende. Und da meine Begleiter allesamt das erste Mal die Dänischen Südsee bereisen, beschließen wir, eine großzügige Kreuzfahrt durch dieses Gebiet zu machen. Über Birkholm, Hjortö und Skarö soll es ans Osteende von Avernakö gehen.

Auf Birkholm gibt es eine neue Holzhütte, von der aus man prima auf das Meer blicken kann. Allerdings ist sie etwas niedrig, so dass man sich eigentlich nur sitzend in ihr aufhalten kann. Ich glaube, irgend so ein Mal-Klub hat sie aufgebaut, um bei Regen besser schöne Bilder vom Meer malen zu können. Heute bräuchte man die Hütte eher, um sich vor der sengenden Sonne zu schützen. Aber wir sind harte Kerle und gut eingeölt, so dass wir der fast unmenschlichen Hitze und den gefährlichen Strahlen trotzen. Zwischen den beiden Hjortö-Inseln ist das Wasser immer noch flach und man kann hier handgestrickte Socken kaufen - aber danach steht uns nicht der Sinn. Wir fahren stattdessen straks weiter nach Skarö, wo wir Pause machen wollen.

Hier veranstaltet Audi einen Segelwettbewerb. Am Strand ist allerhand Tamtam aufgebaut, so dass wir kaum Platz zum Anlanden finden. Vermutlich möchte Audi alle Insel-Bewohner davon überzeugen, dass sie unbedingt einen Q8 brauchen, um von einem Ende ihres Eilands zum anderen zu gelangen. Als wir am etwas inseleinwärts gelegenen Zeltplatz vorbeischlendern, können wir auch die schicken Unterkünfte für die Segelcrews bewundern. Wie Sven sagt, hat Audi da wohl eine Aktion nach dem Motto: "Kauf´ 30 - zahl´ nur 25!" genutzt!

Natürlich können wir nicht auf Skarö gewesen sein, ohne eine Portion des weltberühmten selbstgemachten Eises gegessen zu haben. Auch wenn es nicht ganz billig ist, es ist wirklich lecker und allemal seinen Preis wert.

Der Sandhaken am Nordende von Skarö ist jedesmal wieder überraschend lang - das kenne ich schon und lege meinen Kurs gleich exakt nach Norden, auch wenn man denkt, dass man damit einen ziemlichen Umweg fährt. Fährt man nicht! Danach geht es in geradest möglicher Linie auf die Bucht am Osteende von Avernakö zu. Dort wollen Bernhard und Gerrit auf uns warten. Erst ziemlich kurz, bevor wir in die Bucht einlaufen, erkennen wir, dass die beiden uns vom Strand entgegen paddeln.

Unsere Zelte werden gleichmäßig über die Wiese verteilt und der Holztisch für unser Abendessen in Beschlag genommen. Der ist für nun sechs Leute eindeutig zu klein! Gerrit und Bernhard haben die Tour im wesentlichen nur deshalb gemacht, weil sie unbedingt Kartoffelpuffer backen wollen. In großer Emsigkeit schälen sie gelbe Knollen, hacken Zwiebeln und braten den Teig in üppigem Öl. Zum Glück hat Bernhard mehr Teig als Hunger und so bekomme ich auch noch ein Exemplar ab - wirklich oberlecker!

Mein Zelt habe ich so platziert, dass die Morgensonne es am Sonntag recht zeitig in ihren Blick bekommt. So spät im Jahr sind die Nächte nämlich in der Regel recht feucht und da ist es gut, wenn man dem Zelt einige Zeit Gelegenheit gibt, trocken zu werden, bevor man es wieder ins Boot zwängt. Auch heute ist es wieder eher heiß als warm - und eher Flaute als windstill. So geht es über glattes, mal blaues, mal grünes Wasser zurück - zunächst bis Lyö. Hier machen wir noch einmal Pause am Weststrand, neugierig beäugt von einem Seehund, der wohl auch hier Urlaub macht.

Als ich meinen GPS-Tracker für die letzte Etappe von Lyö nach Fynshav einschalte, verschluckt er sich offenbar - denn die einzelnen Positionen, die er loggt, springen dermaßen erratrisch hin und her, dass am Ende für die nominell ca. 12 Kilometer ganze 235 Kilometer auf dem Tacho stehen. Ich muss im Nachhinein einiges an Glättung vornehmen, damit der Track überhaupt in die Nähe einer realistischen Wiedergabe kommt!

Unterm Strich war die Tour durchaus "grenzwertig": viel zu warm und zu windstill, die Grenzüberschreitungen waren diesmal eher anderer Natur als sonst!

Sonntag, 2. Juni 2019

Ärö rund

Bereits im November des vergangenen Jahres, bei unser letzten gemeinsamen Unternehmung, hatten wir uns für das diesjährige Himmelfahrtswochenende zu einer Tour verabredet. Dass Trenks Terminkalender zu einer quasi sommerlichen Zeit eine Lücke für eine eigene Tour aufweisen würde, hat mich sehr überrascht, aber mehr noch gefreut. So einen Pflock im Terminkalender zu haben, wirkt den ganzen Winter hindurch wie die Aussicht auf eine Insel der Erholung und Entspannung in der rauen Ödnis des Alltags. Als dann im Laufe des Frühjahrs auch Peter noch sein entschlossenes Interesse bekundete, mit von der Partie zu sein, war ich richtig euphorisch, nach langen Jahren mal wieder mit der vollen Mannschaft auf Tour gehen zu  können.

Da in unserem Kreis keine große Abstimmung nötig ist, haben wir erst sehr kurz vor dem tatsächlichen Termin begonnen, uns über ein geeignetes Zielrevier Gedanken zu machen. Grundsätzlich wären alle daran interessiert, die "große Runde" von vor genau zehn Jahren auf der Nordsee zu wiederholen, bei der wir im großen Bogen Amrum und Föhr gegen den Uhrzeigersinn umrunden. Letztlich ist natürlich das Wetter wesentliches Kriterium für die Auswahl.

Leider ließ die Vorhersage die "große Runde" anfangs als keine gute Idee erscheinen: Am Himmelfahrtstag war viel Wind aus Westen und ordentlich Regen von oben angekündigt. Die anderen Tage waren eher mäßig und am Sonntag zwar schönes Wetter aber Wind aus Osten. Das hieße für Hin- und Rückfahrt ein Keulen gegen den Wind, der dann seinerseits jeweils gegen den Strom wehen würde. Das sprach doch eher für die dänische Südsee, die unter diesen Bedingungen mit Rückenwind für Hin- und Rückfahrt lockte.

Die Mails mit den Vorschlägen gingen hin und her, wie auch die Aussagen der Wettervorhersage täglich wie ein Lämmerschwanz wackelten und mal Nord- mal Ostsee vorteilhaft erscheinen ließen. Schließlich kam eine Mail dazwischen, in der Trenk seine Teilnahme kündigen musste! Er bräuchte die Zeit für die Vorbereitung der Veranstaltung auf Jersey. Was für eine herbe Enttäuschung! Da Peter sich bei den letzten Diskussionen zum Zielrevier auffallend zurückgehalten hatte, schwante mir auch in dieser Richtung schon Böses. Und ja - schließlich musste auch Peter absagen, weil er echte gesundheitliche Probleme hatte, die er erst nicht wirklich wahrhaben wollte, nun aber nicht mehr leugnen konnte. Was schade ist das denn?

Die "glorreichen" Vier von 2009
Nun gut, dann bleiben eben wieder nur die beiden alten, aber bewährten Säcke der ehemals glorreichen Vier übrig. Aber wir freuen uns trotzdem!

Selbst 24 Stunden vor Abfahrt hat sich die Wettervorhersage noch nicht stabilisiert, sondern bietet stündlich nennenswert differierende Aussagen. Trotzdem ist unterm Strich immer die Ostsee klar im Vorteil. Unser Plan daher: Von Mommark aus starten und dann aus dem Moment und dem Bauch heraus den weiteren Verlauf der Unternehmung den jeweils aktuellen Gegebenheiten anpassen.

Für Christi Himmelfahrt ist Regen angesagt, der ab Mittag aufhören soll. Der Wind soll mit sechs Beaufort südwestlich blasen und später auf fünf nachlassen. Da können wie entspannt frühstücken, um die Mittagszeit losfahren und so Regen und starken Wind elegant umgehen.

Als wir gegen 15 Uhr in Mommark eintreffen, ist von nachlassendem Regen allerdings noch nichts zu spüren. Also machen wir uns erst einmal einen Tee und warten ab. Zwar ringt sich das Wetter zu keiner grundlegenden Besserung durch, aber als wir um fünf ablegen, hat sich der Regen weitestgehend gelegt. Auch der Wind bläst nicht mehr mit sechs Beaufort sondern allenfalls mit kleinen fünf. Die Richtung ist südwestlich, so dass er leidlich schiebt.

Man kann Ärö nicht gleich von Anfang an sehen, aber wir haben uns erst mal auf einen Kurs von 90 Grad geeinigt - da kann nichts schiefgehen. Als unser Ziel bald sichtbar wird, gehen wir auf etwa 60 Grad. Es gehen schon Wellen auf dem Belt, aber das ist nichts, was uns Respekt oder gar Schlimmeres einflöst, das haben wir schon deutlich ruppiger erlebt. Aber es macht die Reise kurzweilig, denn wir haben noch eine ziemliche Strecke vor uns.

Wir haben uns mittlerweile entschieden, heute auf Ärö zu bleiben und in den nächsten Tagen die noch ausstehende Umrundung dieser Insel in Angriff zu nehmen. Als Übernachtungsplatz steuern wir den Shelter Skaaret an. Es sind 21 Kilometer bis dahin und wir benötigen ziemlich genau drei Stunden. Das sind zwar gute sieben Stundenkilometer, was für voll beladene Boote eine Super-Geschwindigkeit darstellt, aber wenn man den nicht unerheblichen Rückenwind bedenkt, sind wir fast ein bisschen enttäuscht. Immerhin haben wir die Überfahrt auf eigenem Kiel gemacht. Am Zielort sind bereits diverse andere Gruppen eingetroffen und jede geht ihrer eigenen Geschäftigkeit nach. Eine Gruppe der Salzwasserunion hat lieber die Fähre von Fynshov nach Soeby genommen. Eine gute Entscheidung, wenn man als Fahrtenleiter nicht weiß, wie sicher die Teilnehmer mit derartigen Bedingungen umgehen können.

Es ist fast ein bisschen viel los an diesem Fleckchen Erde, so dass wir für unsere Zelte nur Plätze der Kategorie B finden. Aber der überdachte riesige Tisch bietet genug Platz für alle.

Wie vorhergesagt hat es in der Nacht ergiebig geregnet. Das kommt uns nicht ungelegen, denn es zwingt uns quasi, unsere Morgenverrichtungen so weit in die Länge zu ziehen, dass die Zelte hinreichend Gelegenheit haben, wenigstens überwiegend trocken zu werden. Die SaU-Truppe ist allerdings nicht wesentlich früher als wir auf dem Wasser. Wir wollen heute bis zu den drei Windmühlen fahren, das ist eine ordentliche Strecke, wovon wir fast die Hälfte gegen den heute westlichen Wind kämpfen müssen. Aber der Tag ist lang und wir können beliebig viele Pausen machen.

Bis über die Bucht vor Ärösköbing schiebt der schwache Wind wenigstens ein kleines bisschen. Danach muss man aufpassen, dass man bei dem ganzen flachen Geinsele in dieser Gegend nicht falsch abbiegt. Ohne Karte wäre ich hier in die Bucht von Ommel eingefädelt und hätte laut fluchend den gesamten Weg wieder zurückpaddeln müssen. Das Fahrwasser vor Marstal ist ebenfalls eine navigatorische Herausforderung - allerdings eher für Segler nicht für Paddler. Unsere Pause nach zweieinhalb Stunden machen wir auf Eriks Hale, der schmalen Sandbank südlich von Marstal, auf der die hübschen, kleinen Strandhäuser stehen, im Windschatten eines selben.

Leider hat der Wind mittlerweile etwas aufgefrischt - seine Richtung aber beibehalten. So weht er uns ab jetzt kräftig entgegen. In der Ferne verspricht eine hohe Steilküste Windschatten und wir wollen sie möglichst schnell erreichen. Dieses dringende Wollen führt dazu, dass sich der Gegenwind überhaupt nicht in unserem Geschwindigkeitsdiagramm niederschlägt. Im Gegenteil, erst als wir in den jämmerlich spät einsetzenden Windschutz kommen, geht unsere Geschwindigkeit merklich zurück - Entspannungmodus.

Kaum schrammen wir mit unseren Booten auf den rauen Slip vor unserem Ziel, bricht die Sonne durch! Binnen zehn Minuten ist der Himmel blau und es fühlt sich an wie Sommer!

Die Shelter, die wir für unsere Übernachtung ins Auge gefasst haben, stehen zwar auf einer wunderschönen Wiese, aber leider etwa 100 Meter von der Anlandestelle entfernt. So sind die Ikea-Tüten gefragt und einiges Gelatsche. Dafür sind wir hier alleine! Und das Schild vor den Sheltern sagt, dass man die nicht buchen kann, sondern sie nach dem Mühlenprinzip vergeben wird: wer zuerst kommt, mahlt zuerst!

Nachdem wir alle unsere Sachen herbeigeschafft und einen Teil bereits in einem der beiden Shelter deponiert haben, kommt ein dänischer Vater mit seinem kleinen Sohn im Auto herangerauscht und eröffnet uns, dass er eine der beiden Holzhütten gebucht habe. Wir eröffnen ihm, dass man diese Shelter ausweislich der Aussage auf dem Schild gar nicht buchen kann, wollen ihm und vor allem seinem Sohn die Freude aber nicht verderben. Wir haben ja Zelte dabei - und außerdem hat er ja bereits bezahlt!

Nach einiger Zeit torkeln zwei müde dänische Wandermädels auf uns zu und eine davon überschüttet mich gleich mit ihrem lokalen Idiom. Ich erkläre kurz, dass Dänisch nicht meine Paradedisziplin ist und fortan plappert sie genauso sprudelnd auf englisch. Sie sei heute schon über zwanzig Kilometer gelatscht und vollkommen durch und gehe nun keinen weiteren Schritt mehr - und übrigens haben sie einen der beiden Shelter gebucht! Hier trifft unsere Entgegnung, dass man diese Shelter gar nicht buchen kann, auf mittleres Entsetzen. Die Mädels sehen sich schon unter freiem Himmel übernachten und ihr bereits gezahltes Entgeld umsonst ausgegeben haben. Aber wir trösten auch sie, indem wir zusichern, keinen Anspruch auf die Hütten zu erheben. Sie fotografieren sicherheitshalber noch einmal den Text auf dem Schild, weil sie sich bitter beschweren wollen über diese Inkonsistenz des Buchungssystems. Während wir gemeinsam am Abendbrottisch sitzen, kommen noch zwei dänische Radwanderinnen heran - allerdings nur bis auf 20 Meter. Sie fragen, ob wir mit dem Boot da seien, trauen sich aber nicht dichter heran. Vielleicht liegt das an dem Hund, den die beiden Wanderinnen mithaben, vielleicht aber auch,weil sie vergessen haben, den Shelter zu buchen und sich nun keine Chance mehr ausrechnen. Sie drehen wieder ab und wir werden es nie erfahren.

Zwischen Jörg und mir hat sich im Laufe der Zeit eine traute Harmonie eingestellt, was das Aufstehen am Morgen angeht. Wir kommen eigentlich im Abstand von - wenn überhaupt - wenigen Minuten aus dem Zelt. Das ist heute wie häufig so gegen acht. Um diese Zeit wollten die Mädels schon weg sein - nachdem sie ein Bad in der Ostsee hatten nehmen wollen. Weg ist aber nur der Vater mit dem Sohn. Die sind mitten in der Nacht abgereist - vermutlich hatte der Kleine Heimweh. Die beiden Däninnen sehen derweil recht zerknittert aus, sie haben nicht gut geschlafen und das Bad in der Ostsee ist ausgefallen. Nur wenig vor uns machen sie sich auf den Weg nach Ommel. Für uns soll es heute bis an die Nordspitze von Ärö gehen - "zu den Bäumen"!


Der Himmel ist ziemlich blau und der Wind bläst mäßig aus Südwest. Das ist ziemlich quer zu unserer Fahrtrichtung und hindert damit nicht wirklich. Schiebt aber auch nicht wirklich. Dafür legt sich die Wasseroberfläche aber in gefällige Wellchen, was das Paddeln wieder kurzweilig macht. Die gesamte Südwestküste von Äro ist als Steilküste konzipiert mit steinigen Stränden. Da gibt es wenig samtweiche Anlandemöglichkeiten. Allerdings entdecken wir einen bislang unbekannten Shelter auf halber Strecke. Den würde ich auch gerne mal ausprobieren - vielleicht im nächsten Winter.

Natürlich mussten wir für unsere Pause auch an einem der "harten" Strände anlanden und vor allem an ihrem Ende auch wieder zu Wasser gehen. Das hat mal wieder einige Spuren in unseren Unterschiffen hinterlassen, aber nix kritisches.

Wir hatten kurz diskutiert, ob wir unser Lager direkt an der westlichsten Stelle der Insel am Strand aufschlagen wollen, uns aber dann doch entschieden, wie damals "nur eben kurz um die Ecke zu den Bäumen" zu fahren. Dort finden wir ein wunderbar geschütztes Fleckchen hinter weißen und roten Heckenrosen, wo wir unsere Zelte aufbauen. Wir machen noch einen ausgiebigen Spaziergang über den riesigen Golfplatz, wo ganze zwei Golfer in einem Caddy spazierenfahren. Sie haben zwar keine Golfschläger dabei, dafür aber einen Hund am Caddy angebunden, mit dem sie auf diese Weise Gassi gehen. Den Abend verbringen wir damit, den zahlreichen Vögeln, die das Flach von Skjoldnäs bevölkern, zuzusehen und zu -hören. Ein Kuckuck kuckuckt fleißig durch die Idylle - und lässt sich sogar immer wieder mal sehen. Nicht sehen lässt sich ein Sprosser, der irgendwo im Gebüsch hinter uns wohnt. Er kollert noch bis tief in die Nacht hinein.

Der Sonntag Morgen startet sonnig, das war so ausgemacht. Ebenso ausgemacht war östlicher Wind, aber der ist eher nicht der Rede wert. Wir müssen heute nur noch zurück über den Belt, das ist keine große Sache. Im Gegensatz zu den vergangenen Tagen ist heute der Teufel los auf dem Wasser: alles, was irgendwie schwimmt, ist unterwegs. Natürlich ist heute Bombenwetter, aber es wundert mich schon etwas, dass wir an den anderen Tagen quasi alleine auf dem Wasser waren. Es waren lediglich regelmäßig dänische Seekajakfahrer zu sehen. Immer in großer Ferne, vorzugsweise dort, wo die Uferlinie abknickt. Dort verharren sie ortsfest, bis man ihnen näher kommt. Doch bevor man sie verlässlich erkennen kann, verwandelt sich die Besatzung in einen Kormoran und fliegt davon - und das Boot verwandelt sich in einen großen Stein!

In Mommark wählen wir die Bootsrampe im Hafen als Ausstieg. Könnte Kajak-freundlicher sein. Im Hafen gibt es Seekajaks zum Ausleihen. Für den läppischen Betrag von 100 Euro kann man sich einen ganzen Tag damit vergnügen - noch günstiger ist eine Woche für 500 Euro! Ich überlege, ob ich mein Kajak nicht vielleicht für ein paar Tage verleihen sollte.

Nachdem wir unsere Sachen gepackt und die Boote aufs Autodach gewuppt haben, kommt der Hafenmeister aus dem Restaurant nebenan auf uns zu marschiert. Er ist eben nicht nur Hafenmeister sondern auch der Restaurantbesitzer und überdies sichtlich verärgert. Wir sollen gefälligst für das Slippen bezahlen, was wir unmittelbar einsehen und gerne tun wollen. Was wir allerdings nicht einsehen, ist seine Begründung: Wir haben unseren Bus hier vier Tage stehen lassen und ihn nicht vorher um sein Einverständnis gebeten, deshalb sollen wir nun Slip-Gebühr bezahlen. Wir können nicht nachvollziehen, warum man um Einverständnis bitten soll, wenn man sein Auto auf einem erkennbar öffentlichen Parkplatz lässt. Aber es gibt halt unterschiedlich gestrickte Menschen.

GPS-Daten hier