Sonntag, 15. August 2021

Rund Broager Land

Jahrelang habe ich immer eine Tour im Bereich der Flensburger Förde für Einsteiger angeboten, die den Namen "Grenzüberschreitendes Paddeln" trug. Und jahrelang habe ich immer gedacht, dass es doch auch einmal reizvoll wäre, dabei über den kleinen Belt in die Dänische Südsee zu fahren. Dieses Jahr habe ich die Tour gleich mit "Dänische Südsee" überschrieben!

Das hat mir auch eine erkleckliche Anzahl von Anmeldungen eingebracht: bis kurz vor dem Termin wollten sechs Interessenten mit mir auf Tour gehen. Damit war genau die Gruppengröße beisammen, die ich mir vorgestellt hatte. Dann kamen aber noch Berhard und Isabelle dazu, und ich dachte mir, acht geht auch noch gerade so. Als sich dann aber noch zwei weitere Kandidaten meldeten, musste ich sie schweren Herzen auf die Warteliste setzen. Ich möchte nicht mit einer Bande von zehn Leuten auf einem der primitiven Übernachtungsplätze in Dänemark auflaufen.

Die legendäre Querung des kleinen Beltes 2013
Aufgrund meiner nun doch schon langjährigen Erfahrung muss ich leider sagen, dass das Wetter im August sich entgegen der Erwartung häufig ungemein garstig gibt. Zumindest wenn ich auf Paddeltour gehe! Eine Woche vorher ist für das avisierte Wochenende am Freitag noch akzeptabler Wind vorhergesagt, aber für Samstag fünf bis sechs Beaufort aus West und für Sonntag dann sechs bis sieben ebenfalls aus West.

Sich gegen sechs bis sieben Beaufort von Osten zurück über den Belt zu kämpfen, ist eine reizvolle Herausforderung. Aber ich werde sie nicht einer Gruppe zumuten, von der ich weiß, dass sie noch nie in solchen Bedingungen gepaddelt ist und vor allem nicht über eine so weite so ausgesetzte Strecke. Aber die Wettervorhersage hat ja noch eine Woche Zeit, sich zu bessern. Jedenfalls kündigte ich den Teilnehmern schon mal vorsorglich an, dass wir bei widriger Witterung nicht in die Dänische Südsee fahren, sondern im Bereich der Flensburger Förde bleiben würden

Ich beobachte die Wettervorhersage jeden Tag aufmerksam. Was sich dabei entwickelt, habe ich noch nie vorher erlebt: eine über eine Woche so komplett unbrauchbare Vorhersage - jeden Tag eine Lage, die die des Vortages komplett auf den Kopf stellt! Zwischenzeitlich ergibt sich sogar die Situation, dass wir bei Querung des Beltes sowohl auf der Hintour wie auch bei der Rücktour Rückenwind haben sollen! 

Am Freitag unserer Abfahrt ist die Vorhersage immer noch so, dass recht strammer Westwind herrschen soll, am Samstag noch mehr und am Sonntag dann richtig viel. Wir fahren erst einmal nach Habernis, meinem klassischen Startort für diese Tour und nehmen uns vor, heute nur bis zum Übernachtungsplatz an der Steilküste auf Broager zu fahren.

Es geht ein durchaus lebhafter Wind aus West - also recht genau quer zu unserer Fahrtrichtung. Natürlich ruft der einen deutlichen Versatz hervor und wenn wir nicht aufmerksam fahren, würde unsere Spur eine deutliche Hundekurve ergeben und damit länger werden als notwendig. Zum Glück ragt ein prägnanter Busch über den Horizont bei den Dybbeler Schanzen, den ich als Haltepunkt anbiete: wenn der immer in Deckung mit der äußersten Spitze von Broager bleibt, fahren wir einen geraden Kurs. Diese Ansage war eigentlich nur als grober Anhaltspunkt gemeint, aber alle folgen ihr mit einer bewundernswerten Präzision, so dass unsere GPS-Spur vorbildlich gerade verläuft und sich in ihr nicht der geringste Anhaltspunkt für Seitenwind finden lässt!

Es ist schon eine Gruppe deutscher Radfahrer auf dem Übernachtungsplatz versammelt. Sie sind aus Husum, haben ihre Autos unweit abgestellt und wollten eigentlich von Platz zu Platz wandern. Aber hier gefällt es ihnen so gut, dass sie nun doch länger bleiben wollen. Kann ich gut verstehen.

Es ist angenehm lau und vor allem trocken, so dass wir problemlos zusammen am Holztisch sitzen und unser Abendbrot zubereiten können. Leider gibt es hier den Treppenbaum nicht mehr und auch keinen Abfalleimer wie früher. Aber es ist immer noch einer meiner Lieblingsplätze - weil er so schön geschützt ist und natürlich und vor allem wegen des Ausblicks. Als es dunkel wird, verkriechen sich die anderen nacheinander in ihre Stoffhütten - ich sitze noch lange am Waldrand und blicke in den Himmel. Es ist Perseiden-Hochzeit. Nach der zehnten Sternschnuppe gehe ich dann auch ins Zelt.

Am nächsten Morgen checke ich als erstes die Wettervorhersage. Der Wind soll wie gehabt frisch aus West wehen. Und es ist ein einziger klitzekleiner Regentropfen am Nachmittag vorhergesagt. Ich gehe so meinen Verrichtungen nach, während die anderen noch in ihren Zelten mümmeln. Nachdem ich meinen zweiten Tee intus habe, kommt ein Wanderer den Gendarmen-Stig entlang marschiert. Er biegt gleich ab auf mich zu und setzt sich neben mich auf die Bank. Seine erste Frage auf dänisch, ob das unsere Kajaks am Strand sind, kann ich noch beantworten. Aber danach muss ich ihm eröffnen, dass dänisch eher nicht meine Paradedisziplin ist. Er denkt eine Weile nach und schaltet dann auf englisch um. Mir gefällt, dass er sich Zeit lässt. Das scheint er mit großer Sorgfalt zu tun, denn er ist seit fünf Wochen zu Fuß durch Dänemark unterwegs. Er kommt von Skagen und ist bereits auf dem Rückweg. Morgen will er bis Sonderburg gehen und dann von dort mit dem Zug zurück nach Aarhus fahren, wo er wohnt. Er wandert mit absolut kleinem Gepäck, Proviant kauft er sich, wenn er ihn braucht, am Wege und für Wasser klopft er an die nächste Tür. Wir reden eine gute Weile - über vieles, aber vor allem über das einfache Leben. Zum Abschied beantworte ich noch seine Frage, ob es heute Regen geben wird: "Nicht wirklich - höchstens mal ein kurzer, leichter Schauer!". Er wünscht mir zum Abschied alles Gute.

Während des Frühstücks mit den anderen werfe ich die beiden Optionen, die wir haben, auf den Holztisch: Nach Norden in den Alsensund oder nach Westen ins Noor hinter Egernsund. Alsensund hat den Vorteil, dass wir nur in geschützten Gewässern fahren und keinen wesentlichen Gegenwind haben. Auf der anderen Seite kommen wir dann am Sonntag auch nicht in den Genuss des ordentlich vorhergesagten Westwindes, weil der uns dann eben genau von der Seite treffen würde.

Egernsund bedeutet gute zehn Kilometer gegen einen Wind von fünf Beaufort - hat aber den Vorteil, dass wir auf einem wunderbar geschützten Platz übernachten und am Tag drauf mit einem kräftigen Rückenwind nach Hause surfen können. Die Gruppe ist sich überraschend schnell einig, dass die Karte mit der Hasenvariante nicht gezogen wird.

Das Verfrachten der Ausrüstung in die Boote gestaltet sich länglich, weil man ja immer gute hundert Meter latschen muss, bis man vom Zelt über das Steilufer zum Strand gelangt. Außerdem sind wir voll im Urlaubs- und Entspannungsmodus, und es gibt keine drängelnde Tide hier! So zeigt die Uhr bereits High Noon, als wir endlich auf dem Wasser dümpeln.

Durch die Anstrengung beim häufigen An- und Abstieg des Steilufers kommt man hier in der Windabdeckung leicht ins Schwitzen und man ist geneigt, nur leichte Bekleidung anzulegen. Aber ich weise darauf hin, dass sich das mit der Hitze sofort legen wird, wenn wir um die nächste Ecke biegen. Hier haben sich schon mehrfach einzelne Leute "verkleidet", weil sie den lokalen Verhältnissen aufgesessen sind. Beim Leuchtturm Kalkgrund geht schon ein Regenschauer nieder.

Bis zum südlichsten Zipfel von Broager Land genießen wir noch etwas Windschutz. Aber die dort tobenden Kite-Surfer haben sich nicht ohne Grund hier versammelt. Danach geht es mit etwa vier Stundenkilometern stoisch weiter Richtung Westen, zum Ort, wo der Wind herkommt!

Nach eindreiviertel Stunden signalisiert Elli mir, dass sie sich über ein Pause freuen würde. Das kommt mir ganz gelegen, denn erst am westlichen Zipfel der Halbinsel eine Rast einzulegen, hat das Problem, dass man dort schlecht einen geschützen Ort findet, an dem der Wind nicht jede Freude an der Entspannung wegweht. Ich erblicke ein Gehöft, bei dem ein Schuppen dicht am Ufer steht. Vielleicht kann uns der als Windschutz dienen - ich halte straks drauf zu.

Richtig gemütlich ist die Pause nicht, weil die Sonne nicht scheint und der Wind garstig weht. Aber wir können uns mit den vorbereiteten Stullen oder einfachen Nüssen stärken. Als dann recht bald Regen einsetzt, ist die Gemütlichkeit endgültig im Eimer und wir satteln die Boote für den Rest der Etappe. Weil mir etwas kalt geworden ist, muss ich als erstes einen Schnörkel paddeln und wenig später etwas schneller und dann mit einem Schörkel wieder zur Gruppe zurück. Danach bin ich wieder auf Betriebstemperatur.

Die brauche ich auch, denn nun straft das Wetter meine Aussage von heute Morgen endgültig Lügen: es schüttet wie aus Kübeln! Ich muntere Lykke neben mir auf, dass es ja zum Glück Süßwasser ist, was da runter kommt, und das spült schließlich das ganze, gräßliche Salz ab! Ich weiß nicht, ob sie das überzeugt, aber sie lächelt zurück! Der Regen ist zwar heftig - der wandernde Däne tut mir echt leid! - aber er dauert nicht übermäßig lange. Direkt danach reißt der Himmel auf, und die Sonne strahlt scheinheilig aus einem blauen Himmel!

Die Einfahrt ins Noor ist aus dieser Richtung kommend erst sehr spät zu sehen, aber irgendwann erreichen wir sie und paddeln in ein absolut ruhig daliegendes Gewässer.

Ich steuere zuerst eine Stelle am Ufer an, von der ich meine, dass es sich um den Zugang zum Zeltplatz handelt, muss aber feststellen, dass der noch 100 Meter weiter nooreinwärts liegt. Der Platz ist in einem super Zustand - der Rasen ist gemäht, es gibt einen nagelneuen Holztisch und einen Abfalleimer! 

Es ist noch etwas früh für das Abendessen und so müssen wir uns die Zeit bis dahin etwas vertreiben. Dazu erkunden wir die nähere Umgebung und versuchen, nach Downtown-Egernsund zu gelangen. Aber das ist uns dann doch etwas zu weit und wir drehen auf halber Strecke um. Unterwegs treffen wir noch einen Tigerschniedel, den Freund aller Schrebergärtner, weil der ja diese ekligen braunen Wegschnecken frisst! Sympatischer kleiner Kerl!

Als es an das Bereiten des Abendbrotes geht, müssen Lykke und Simon feststellen, dass irgendjemand ihre Speiseölflasche nicht korrekt zugedreht hat, so dass sich ihr Inhalt davon gemacht hat. Die gute Nachricht ist, dass der Packsack erstaunlich dicht gehalten hat! Es ist allerdings einiges an Klopapier notwendig, um die Spuren dieser Ölkrise zu beseitigen.

Den ganzen Abend über scheint die Sonne und es ist leidlich lau - auch wenn die Auffassungen darüber möglicherweise auseinandergehen. Ich koche mit einen Tee nach dem anderen Kakao - denn meine Gaskartusche ist so gut wie leer und ich würde sie gerne in den bereits verstohlen danach gierenden Abfallbehälter entsorgen. Aber noch gibt sie sich nicht geschlagen.

Am nächsten Morgen ist mein Zelt das einzige, das von der Sonne beschienen wird. Dementsprechend bin ich der erste, der am Frühstückstisch sitzt und die Gaskartusche abermals testet. Es ist einfach unglaublich, wie lange aus der quasi leeren Blechdose noch brennbares Gas strömt! Elke nimmt als erstes ein Bad im Noor, nachdem sie in der Senkrechten ist. Ich halte das für übertrieben bei den herrschenden Temperaturen! 

Dank der Mülltonne, in der schließlich doch noch meine erfolgreich entleerte Kartusche landet, sind unsere Boote heute spürbar leichter, als wir sie ins Wasser heben. Nach Wettervorhersage soll ja ein ordentlicher Westwind herrschen, aber hier ist davon noch absolut nichts zu spüren. Über glattes Wasser paddeln wir zur Zugbrücke in Egernsund. Dort wartet schon eine Segelyacht namens "Lykke" darauf, dass die Straße hochgeklappt wird, damit sie in die Förde passieren kann. Wir ziehen einfach unsere Köpfe ein wenig ein und fahren unter durch.

Es herrscht heute deutlich mehr Schiffsverkehr in Form von heimkehrenden Segelyachten. Natürlich fahren die alle quer zu unserer Fahrtrichtung, weil sie um die "Schwiegermutter-Tonne" herum müssen und nicht wie wir durch das Flach vor Holnis fahren können. Da die Yachten wegen des guten Windes einigermaßen Tempo drauf haben, ist es nicht leicht einzuschätzen, ob man noch vor ihnen durch kommt oder sie besser passieren lässt. Für manche Querläufer müssen wir nach rechts schwenken und beschleunigen, für manche nach links und verzögern. Entsprechend stellt sich unsere GPS-Spur für diesen Bereich wie eine Schlangenlinie dar.

In Langballigau gehen wir für eine Pause an Land. Das Wetter ist nicht gemacht, um gemütlich in der Sonne zu sitzen und ein Fischbrötchen zu essen. Trotzdem ist es im Ort voll wie auf dem Kuhdamm. Es wird mir ein ewiges Rätsel bleiben, warum die halbe Welt sonntags immer nach Langballigau reist, um hier zu flanieren.

Leider hält der Wind nicht, was die Vorhersage versprochen hat - er weht mit höchstens vier Beaufort! Aber immerhin wie versprochen aus Westen. Bei diesen Bedingungen hätte man durchaus über den Belt fahren können! Nun ja - es ist, wie es ist. Nächstes Mal!

GPS-Daten


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