Wir wollen heute zum Wrack der Pallas fahren. Das liegt gute zehn Kilometer vor den Außensänden im freien Wasser und außer Trenk hat es noch keiner von uns besucht. Wir rechnen mit drei Stunden Fahrt und wollen grob bei Niedrigwasser dort sein. Dazu hätten wir um halb sechs aufstehen müssen, aber wir genehmigen uns eine Stunde Aufschub, denn wir sind auf Erholung hier. Zwei Stunden vor Niedrigwasser ist es gerade noch möglich, den Hafen von Hooge zu verlassen, aber man schrammt schon über die Steine am Grunde der Zufahrt. Ist man erst einmal im Fahrwasser, ist der Jappsand auch schnell erreicht. Trenk nutzt diese Gelegenheit, dem Drang des vielen eingefüllten Tees nach Freiheit nachzugeben.
Der Wetterbericht hat Nord- bis Nordostwind versprochen, aber bei der Himmelsrichtung müssen die vergrabenen Dinge im Schlüttsieler Hafen mitgewirkt haben: Was da weht, ist West! Zusammen mit der Strömung müssen wir das in den Vorhaltewinkel für unsere Navigation einbeziehen. Das ist die eigentliche Premiere für mein GPS! Gestern Abend habe ich die Koordinaten der Pallas eingegeben und lasse mir nun anzeigen, in welche Richtung wir fahren müssen, um sie zu erreichen. Total einfach so etwas: Einfach nur dem Pfeil auf der Anzeige folgen! Aber ich will ja auch ein Gefühl dafür entwickeln, wie ich ohne dieses Gerät fahren würde. Daher suche ich angestrengt den Horizont nach einer Erscheinung ab, die man als Wrack werten könnte. Nix zu sehen. Ich weiß, dass wir nach Süden versetzt werden, also wird mein GPS uns etwas nach Norden weisen, damit wir nicht am Ziel vorbeifahren. Ich suche den Horizont also etwas südlich der angewiesenen Richtung ab. Nix zu sehen.
Nach erklecklicher Zeit fragt Jörg mich nach einer Erscheinung in weiter Ferne, die ungefähr 45 Grad südlich unseres Kurses liegt. "Könnte ein Frachter sein.", sage ich. "Und wenn das die Pallas ist?" "Dann gebe ich mein GPS zurück!". Wir fahren weiter in die durch den Pfeil vorgegebene Richtung. Je länger die Zeit fortschreitet, desto mehr muss ich zugeben, dass der Frachter die Pallas sein muss. Die Tatsache, dass die Erscheinung so weit von dem vom GPS vorgeschlagenen Kurs weg liegt, stürzt mich in erhebliche Zweifel. Ich überlege, ob ich mich beim Eintippen der Koordinaten vertan habe, oder ob wir vielleicht ein anderes Wrack genommen haben. Aber keine der Theorien kann mich so überzeugen, dass sich eine innere Gewissheit wohlig breit macht. Es kostet mich einige Disziplin, weiter dem Pfeil zu folgen, intuitiv würde ich viel weiter nach Süden halten. Aber nachdem sich die Peilung über eine halbe Stunde nicht merklich geändert hat, muss ich die Realitäten anerkennen: Wir haben einen mächtigen Strom nach Süden und mein GPS rechnet nicht intuitiv sondern gehorcht unsentimentalen Algorithmen.
Als wir nur noch wenige Kilometer vom Ziel entfernt sind, kann Trenk sich nicht mehr gegen seine Intuition wehren und fährt einen deutlich direkteren Kurs. Obwohl es hier draußen nicht den geringsten Anhaltspunkt für die Strömung gibt, können Jörg und ich bald erkennen, dass unser junger Freund bald Probleme bekommen wird, wenn er unser Ziel nicht verfehlen will.Er selbst merkt es auch irgendwann und muss sich dann mächtig anstrengen, die verlorene Höhe wieder zu gewinnen. Am Wrack angekommen, bin ich beeindruckt, wie geradlinig unsere Spur vom Jappsand bis hierher war: mit rein manueller Navigation wäre ich eine erheblich ungünstigere Kurve gefahren!
Wir legen uns in den Windschatten hinter das Wrack, wo sich ein Kehrwasser bildet und relative Ruhe beschert. Trenk verhilft einer weiteren Portion Tee in die Freiheit, aber wirkliche Gemütlichkeit will nicht aufkommen. Es schwallt und strömt ständig um das Wrack herum und hinter uns macht es unheimliche Geräusche, so dass wir es nach einer kurzen Stärkung bald wieder verlassen.
Um dem Tag einen angemessenen Inhalt zu geben, hatten wir geplant, auf dem Rückweg noch Amrum zu umrunden. Wir fahren erst einmal genau nach Norden, denn damit sollten wir gut an der Insel vorbei kommen. Es wird aber bald offensichtlich, dass wir kaum etwas gut machen gegen Amrum, so dass ich mein mittlerweile ausgeschaltetes GPS wieder bemühe, um die konkrete Abdrift zu ermitteln. Danach müssten wir etwa 330 Grad fahren, würden gegen Strom und Wind nur etwa fünf Stundenkilometer machen und wir hätten keine Zeit mehr für die angedachte Pause auf dem Kniepsand. Wir rufen uns kurz in Erinnerung, dass wir zur Erholung hier sind und belassen den Kurs bei Null Grad, womit wir aber faktisch auf den Leuchtturm von Amrum zusteuern. So können wir dort an den Strand gehen, eine ausgiebige Pause machen und haben eine stressfreie Fahrt zurück nach Hooge.
Auf der Überfahrt von Amrum nach Hooge sichten wir in einiger Entfernung eine recht große Gruppe von Paddlern. Sie sind deutlich vor uns, fahren aber auch deutlich langsamer - oder korrekter Weise sollte ich sagen, wir fahren deutlich schneller. Als wir in den Segelhafen einlaufen, ist fast Hochwasser und wir können bequem an einem schimpfenden Austernfischer vorbei zu unseren Zelten gelangen. Die Gruppe um Thomas Driller, die wir überholt haben, trifft auch bald ein und dann noch mehrere andere Grüppchen, bis schließlich 16 Zelte auf der Wiese stehen. Heute ist der obligate Verzehr des Lammfilets im Friesenpesel als Abendprogramm angesetzt. Nach unserer Rückkehr versammeln sich alle Paddler auf der Deichkrone, um den beeindruckenden Sonnenuntergang zu würdigen.
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