Dienstag, 25. Dezember 2012

Das neue Zelt

Das Christkind war da! Und es hat mein Jammern wegen des ständig brechenden Gestänges erhört und mir ein neues Zelt gebracht! Natürlich habe ich es sofort (im Wohnzimmer, denn draußen regnet es) aufgebaut und gründlich inspiziert. Zuerst war ich überrascht, wie groß das Zelt ist: unser Wohnzimmer ist wahrlich nicht klein, aber hier hat es eindeutig seine Grenze erreicht! Eine wesentliche Eigenschaft des geodätischen Zeltes ist die Tatsache, dass es auch ohne einen einzigen Hering steht. Nicht so stramm, wie es könnte, aber es steht und ist ohne Funktions- oder Komforteinbuße zu benutzen (das ist ein nicht unwesentlicher Vorteil, wenn man sein Zelt im Wohnzimmer eines Hauses aufbauen muss, das noch von anderen Menschen bewohnt wird!).


Der Aufbau war natürlich erst einmal ungewohnt, aber nicht wirklich kompliziert. Die Gestängebögen sind - verglichen mit denen meines Tunnels - unglaublich lang und entsprechend aufwendiger ist das Aufrichten der Bögen, nachdem man sie in die Kanäle geschoben hat. Die beiden diagonal über das Zelt laufenden Stangen sind schwarz, die genau mittig liegende golden, was eine Verwechslung ausschließt. Auch sind die Kanäle für die schwarzen Stangen erfreulich kurz, denn ihr unterer Teil wird einfach mit Kunststoffclips am Zelt befestigt. Das erleichtert das Einschieben deutlich.
Am Ende werden die Stangen in Metallösen der Gurtbänder gesteckt, an denen auch die Schlaufen befestigt sind, mit denen die Heringe das Zelt halten. Das halte ich für eine sehr gute Idee, denn ich habe immer wieder Zelte erlebt, bei denen die Schlaufen für die Heringe so klein waren, dass meine riesigen Sandheringen nicht hindurch passten. Oder es war genau dort, wo der Hering in den Boden musste, ein Stein im Untergrund, und man hatte keine Chance, ihn ein paar Zentimeter zu versetzten, um auf weniger Widerstand zu stoßen.

Es gibt noch einen vierten Zipper, der hier nicht zu sehen ist!
Insgesamt fällt auf, mit welcher Unmenge von Details das Zelt aufwartet. Man sieht, dass sich hier detailverliebte Entusiasten ausgetobt haben. An einer Stelle sind sie aber eindeutig über das Ziel hinausgeschossen - oder zumindest haben sie damit meine Vorstellungskraft über Gebühr beansprucht: An zwei der vier Außeneingänge sind vier (in Worten: 4!) Zipper vorhanden. Einer ist schön - zwei sind der pure Luxus, drei vollkommen unverständlich und vier - da fehlt mir einfach die Vorstellung, wofür man so etwas brauchen kann. Aber vielleicht finde ich in Zukunft ja noch einen Anwendungsfall, auf den ich dann nicht mehr verzichten möchte, wer weiß?
Einer der unteren Lüfter
Das Zelt verfügt über insgesamt vier Lüftungsklappen, die auf ihrer gesamten Länge mit Klettband verschlossen werden können. In der Mitte ist ein kleiner Stab angebracht, mit dem der Lüfter offen gehalten werden kann. Er wird am Klettband fixiert. Ich erhoffen mir vor allem von den oberen Lüftern, dass sie der Bildung von Kondenswasser an der Innenseite des Außenzeltes wirkungsvoll entgegen wirken.
Einer der oberen Lüfter



Lüftungsklappe geöffnet
Am Innenzelt ist genau gegenüber den unteren Lüftungsklappen des Außenzeltes eine ebenfalls verschließbare Lüftungsmöglichkeit angebracht. Sie ist mit Reißverschlüssen zu öffnen - und der herunter hängende Teil kann sorgfältig aufgerollt und mit Knebeln fixiert werden. Damit alles fein ordentlich aussieht! So etwas habe ich in meinem alten Zelt vermisst. Wenn da draußen ein kräftiger, kalter Wind herrschte, strich der immer mehr oder weniger ungehindert durchs Zelt hindurch. Das war im Winter nicht unbedingt erwünscht.
Lüftungsklappe aufgerollt



Die Sache mit dem Aufrollen ist bei diesem Zelt ziemlich auf die Spitze getrieben: Wenn man den Reißverschluss eines der äußeren Eingänge öffnet, zieht der Zipper das untere Ende des Zeltstoffes mit nach oben, so dass er überhaupt nicht erst auf die Idee kommen kann, im Dreck rumzuhängen.

Hat man den Eingang dann komplett geöffnet kann man ihn mit wirklich praktischen Knebeln seitlich fixieren, so dass er nicht im Weg ist, oder man aus Versehen drauf tritt - und dadurch das Gestänge zm Brechen bringt!


Vom Innenzelt aus kann man entweder den gesamten Eingang öffnen, oder das Moskitonetz stehen lassen. Damit man erkennen kann, was man tut, sind unterschiedlich farbige Bänder an den Reißverschlüssen angebracht: "Rot" = Moskitonetz, "Gelb" = Komplett öffnen.

Samstag, 22. Dezember 2012

Eiskalter Rückenwind

Ich sitze auf der Heizung in der Küche und sehe aus dem Fenster auf die Straße. Ich warte auf Jörg. Der hat vorhin angerufen, um die Details unserer heutigen Paddeltour mit mir abzusprechen. Seine Stimme hörte sich genau so an, als wenn er auf alles andere Lust hätte, als eine Paddeltour bei Minusgraden und schneidend kaltem Ostwind zu machen. Aber er hat keine Chance abzusagen: Vor ein paar Wochen hatte er wegen des Wetters rumgememmt und dass es doch doof sei, bei so einem Sch...wetter aufs Wasser zu gehen - und dann schien nachher die Sonne und es tat ihm selber leid! Heute bin ich hart geblieben - aber nachdem ich eben draußen war, um mein Boot vorzubereiten, bin ich mir jetzt nicht mehr sicher, ob ich nicht lieber doch hättte weich werden sollen! Marie-Theres sagt eins ums andere Mal: "Bei dem Wetter aufs Wassser?" und schüttelt sich dann immer.

Warum tue ich mir so etwas eigentlich immer wieder an? Ich weiß, dass es kalt ist, dass es anstrengend ist und ungemütlich, dass es nass ist und auch nicht ungefährlich. Aber ich weiß auch, dass ich mich, wenn ich dann draußen auf dem Wasser bin, großartig fühle. Ich empfinde es als ein königliches Privileg, bei solchem Wetter und solchen Bedingungen mit einem Boot auf dem Wasser sein zu können, mich körperlich zu betätigen, an der Natur zu sein - und das Ganze mit einem ebenso kundigen wie liebenswerten Partner zu teilen. Und wenn man dann in diesen so garstigen Bedingungen steckt, stellt sich heraus, dass sie sich gar nicht so garstig anfühlen, wie sich die Phantasie das vorstellt.

Wir setzen unsere Boote wieder in Bülk ein. Angesichts des unerbittlichen Windes, den wir im Bereich von vier Windstärken erwartet haben, wobei wir allerdings vergessen haben, dass wir uns hier nicht mehr in der  Innenförde befinden, und so beim Anblick der Strander Bucht noch mal eine Windstärke mehr spendieren müssen - im Angesicht also dieses Windes haben wir uns entschlossen, nach Eckernförde durchzufahren und uns dort abholen zu lassen. Ich konnte Birke dafür gewinnen, uns um drei dort abzuholen. Das Einsetzen am Strand ist nicht ganz einfach, obwohl wir unsere Boote schon ganz dicht an die Mole getragen haben, wo die brechenden Wellen am kleinsten sind. Ich bekomme eine gute Ladung Wasser ins Cockpit, bevor ich es schaffe, die Spritzdecke zu schließen. Und ich bin noch gar nicht am Molenkopf vorbei, da bricht mir schon die erste Welle gegen die Brust. Das kann ja heiter werden. Aufgrund unserer längeren Paddelpause und weil man im Winter eh nicht so geschmeidig im Boot sitzt, erfordern die Wellen unsere erhöhte Aufmerksamkeit. Wir umfahren die Buhnen am Leuchtturm in respektvollem Abstand, um ja nicht in die sich dort brechenden Wellen zu geraten.
Der Wind weht den ganzen Tag über konstant aus Ost-Süd-Ost und auf dem Stück bis Krusendorf haben die Wellen den freien Fetch von Fehmarn bis hierher zurückgelegt. Entsprechend hoch türmen sie sich. Wenn Jörg und ich gleichzeitig in unterschiedliche Wellentäler tauchen, sieht man nicht mal mehr die Zipfelmütze des anderen. Die kleinen Wellen haben einen halben, die großen bis einen Meter Höhe. Es ist durchaus Konzentration vonnöten, und es war gut, dass wir niemanden sonst mitgenommen haben, denn es braucht ein gerüttelt Maß an Kaltblütigkeit, hier nicht den Mut zu verlieren.

Es sind Unmengen von Wasservögeln unterwegs, viele Eiderdaunenproduzenten, Spießenten, Schellenten und tausende von diesen schwarzen Dingern, von denen wir nicht recht wissen, was sie sind. "Samtenten" schlägt Jörg vor und wir werden es weiter untersuchen. Teilweise fliegen sie so weit von uns entfernt auf, dass wir unmöglich der Grund dafür sein können. Und wenn - einmal die Woche aufgescheucht zu werden, muss drin sein! Irgendwann schwimmt so ein puscheliger Korken keine zwanzig Meter entfernt von mir im Wasser. Ich weiß genau, dass ich ihn kenne, komme aber so schnell nicht drauf. Ein späterer Blick in meine Kosmos-Vogelwelt entlarvt ihn eindeutig als meinen ersten Tordalk, den ich hier angetroffen habe! Wenn nicht allleine so eine Begegnung schon die Inkaufnahme all der Kälte, der Nässe und der Anstrengung aufwiegt!

Wir fahren teilweise recht weit draußen, denn immer wieder sind Sandbänke vor dem Ufer, über denen sich die Wellen brechen. Wir wollen lieber keine Experimente machen und auf Nummer Sicher gehen. Daher unterlasse ich es auch, Fotos zu machen, auch wenn ich den Aparat wie immer griffbereit an der Schwimmweste befestigt habe. Bei Grönwohld queren wir kurz die Brandungszone, wobei ich Jörg eben noch darauf hinweisen will, dass wir aufpassen müssen, nicht zu kollidieren, aber mitten im Satz hinterlässt meine Bootsspitze schon einen roten Striemen an Jörgs Bug. Zwischen Sandbank und Ufer versuchen wir, eine Pause zu machen, heißen Tee zu trinken und etwas zu essen. Das ist nicht wirklich gemütlich, denn natürlich ist das Wasser auch hier noch "bewegt". Mittlerweile hat auch Schneefall eingesetzt. Mit unseren kalten Fingern schaffen wir es nicht, Jörgs Tupperdose aus der Arretierung hinter seinem Sitz zu fummeln, so dass er mit einem von meinen Riegeln Vorlieb nehmen muss.

Der weitere Weg nach Eck-Town ist klar vorgegeben: Immer gerade aus - nicht ganz 270 Grad. Aber es ist doch noch verdammt weit und um unsere Schätzung für eine Ankunft um drei Uhr einhalten zu können, hätten wir keine Pause machen dürfen. So muss Birke halt eine Viertelstunde warten, bis sie uns am Strand in Empfang nehmen kann. Die Landung ist trotz Brandung relativ harmlos, aber einmal aus unserem wärmenden Cockpit geschmissen, wird uns im pfeifenden Wind schnell kalt. Spätestens beim Entfernen des bei der Landung eingedrungenen Wassers streichen die Gefühlsnerven die Segel, so dass das Einfädeln der Spanngurte für den Dachgepäckträger eine echte Herausforderung wird.
Wir verschwenden keine große Zeit uns umzuziehen, ich setze mich mit Spritzdecke und Weihnachtsmütze hinter das Lenkrad und wir fahren zurück nach Bülk. Die Heizung stellen wir auf 25 Grad!

Sonntag, 16. Dezember 2012

Dritter Advent

Unglaubliche acht Wochen war ich nicht mehr auf dem Wasser! Es gab manches, was mich hinderte, aber an Verlangen war kein Mangel. Heute haben Jörg und ich es endlich geschafft, unsere Boote aus meinem Carport auf sein Autodach zu wuppen und eine Tour zu wagen. Die Prozedur ist noch ungewohnt und bietet einiges Potential für Optimierungen. Uns war es egal wohin, Hauptsache paddeln!

Es ist nicht mehr so bitter kalt wie in den vergangenen Tagen, als ich mir bei minus zwölf Grad auf dem Fahrrad die Finger abgefroren hatte. Heute sind es zwischen vier und fünf Grad - plus! Genauso warm ist auch das Wasser. Der Wind weht den ganzen Tag konstant genau aus Süd mit erträglichen drei Windstärken. Also keine allzu fordernden Bedingungen für etwas aus der Übung gekommene "Best-Agers"!

Als wir unter dem Bülker Leuchtturm losfahren, ist sein großer Bruder, der Kieler Leuchtturm, verschwommen zwar, aber deutlich zu erkennnen. Der Himmel ist nicht jubelnd blau - eher grübelnd grau, aber das ist uns heute egal. Dick eingepackt wenden wir unsere Nasen erst nach Norden und dann nach Westen und sind froh, übers Wasser zu gleiten. Es geht eine leichte Dünung mit uns, die das Vorankommen leicht macht. Außer uns sind im Wesentlichen nur Vögel auf dem Wasser, aber davon Hunderte. Vermutlich in der Mehrzahl Wintergäste, die so "dichten" Publikumsverkehr wie hier nicht gewohnt sind und eine gigantisch große Fluchtdistanz haben. Wir sehen das erste Mal Schwärme von Spießenten, die wir erst nicht erkennen, die sich im Vorbeiflug aber durch ihre charakteristischen Schwanzfedern verraten(*). Sie machen auf dem Wasser einen Heidenlärm, denn sie sind unentwegt und aufgeregt am Kommunizieren.

An der Gefahrentonne vor dem militärischen Sperrgebiet hinter Surendorf machen wir kehrt und paddeln ein Stück zurück, bevor wir im Windschatten unter der Steilküste eine Pause im grüngelben Wasser machen. Hier genießen wir die Wohltaten von Würstchen, Käsestulle und angebranntem Apfelsaft. Danach geht es straks zurück - in geradest möglicher Linie zum Lt. Bülk. Der Wind ist nun etwas gegen uns und die 10 Kilometer, die wir hinaus gefahren sind, sind nicht von allein wieder zurückgespult. Jörg legt ein anspruchsvolles Tempo vor, das ich nicht ganz mithalten kann und auch nicht wirklich will. "Ich wollte, dass es vorbei ist!" sagt er, aber ich glaube, es macht ihm auch Spaß, sich mal wieder etwas anzustrengen. Zwar haben wir vergessen, für unser Auto einen Euro in die Parkuhr zu schmeißen, aber heute gibt's Adventsrabatt und wir finden kein Ticket an der Windschutzscheibe, als wir etwas ungelenk zu unserem Gefährt zurückkehren.

Es ist deutlich diesiger geworden: der Kieler Leuchtturm ist nicht mehr zu sehen und die vorbeifahrenden Frachtschiffe kann man nur noch hören. Aber heute sind wir auch nicht vorrangig wegen des guten Wetters aufs Wasser gegangen!
Ein Anfang ist gemacht: Die erste Tour ohne das geliebte Bootshaus als Basisstation! Es drohen Wiederholungen!


(*) In Wirklichkeit handelt es sich hier um Eisenten. Spießenten kommen auf dem Meer nicht vor.

Dienstag, 2. Oktober 2012

Einheitstour: Bodden bei Gegenwind (4/4)

Für heute steht nichts Aufregendes mehr auf dem Programm. Zurückkommen ist angesagt. Leider liegen zwischen Hier und Da wie bei unserer Herfahrt immer noch knappe dreißig Kilometer und leider kommt auch der Wind aus derselben Richtung wie vor drei Tagen. Das verspricht ein zäher Kampf zu werden. Die Gepäckluken sind mittlerweile spürbar erleichtert durch unseren gesunden Appetit in der Zwischenzeit. Sie wären nahezu leer, wenn wir nur soviel mitgenommen hätten, wie wir auch gebraucht haben. Mit meinem überschüssigen Proviant könnte ich locker noch einmal vier Tage bestreiten.

Beim Abbauen meines Zeltes ist heute der für jede Tour obligate Gestängebruch bei mir fällig. Keine besondere Belastung, keine Gewalt, keine Ungeschicklichkeit - ganz normaler Betrieb und: Knack! Und natürlich ist wieder der Gestängekanal durchstoßen. Ich will ein anderes Zelt!

Wir waren gestern zeitig im Bett und haben wacker bis ungefähr acht Uhr durchgeschlafen, so dass wir satt ausgeruht sind. Pausenplätze sind rar gesät in dieser Gegend, denn der Bodden ist fast durchgängig von einem breiten Schilfgürtel eingesäumt. Da ist eigentlich nur der kleine Hafen mit dem melodischen Namen Kinnbackenhagen und ein paar Kilometer dahinter ein klitzekleiner Sandstrand mit Schutzhütte für Fahrradwanderer. Wir entscheiden uns für eine Unterbrechung an der Schutzhütte. Dort plündern wir noch einmal ein paar Tüten Süßigkeiten und lassen unsere "Trocken"anzüge im Wind trocknen.

Während wir die Sonne genießen, schiebt sich das langsamste Segelschiff der Welt heran. Es hat den Wind genau von hinten, einiges an Segelfläche gesetzt und kommt trotzdem kaum von der Stelle. Keine Ahnung, wie die das machen.

Die restliche Strecke zurück nach Pruchten ist komplett unspektakulär und ereignisarm. Es ist mehr der Trotz, der uns zügig gegen den Wind vorantreibt, als sportlicher Ehrgeiz, besonders schnell sein zu wollen. Wir kommen redlich geschafft im kleinen Hafen des Ortes an, wo die beiden Einheimischen etwas mitleidig auf unsere schmalen Boote schauen, aber sichtlich beeindruckt sind, als sie hören, dass wir bei dem Wind damit in vier Stunden von Barhöft bis hierher gepaddelt sind.

Auf der Rückfahrt kehren wir noch bei Karls Erlebnishof ein. Das ist so eine Art Kleiner-Bauern-Laden nur im Supermarktformat. Peter will dort ein paar Gläser Marmelade erstehen. Bei Rostock biegen wir auf die Autobahn. Nach einer länglichen Weile fällt mir ein Feld mit Solarzellen am Wegesrand auf, die allesamt nach Westen ausgerichtet sind. Ich erwäge kurz, dass sich die Monteure und Betreiber der Anlage eventuell doch nicht geirrt haben könnten und stattdessen unsere Fahrtrichtung vielleicht nicht nach Westen sondern nach Süden weist. "Alles im Lack!", beruhigt mich Peter, um nach einem kurzen Blick in die Straßenkarte etwas die Fassung zu verlieren. Immerhin haben wir deutlich vor Berlin gemerkt, dass wir auf dem Holzweg sind - und das allein an der mangelhaften Ausrichtung einer Solaranlage erkannt! Wenn das nicht eine eindrucksvolle Bestätigung unser überragenden navigatorischen Fähig- und Fertigkeiten ist! Und jede Wette, dass da auf den Hinweisschildern vor dem Autobahnkreuz nur Stettin draufstand - und nicht Lübeck! Vielleicht sollte ich nicht unbedingt wetten - aber mein Ehrenwort geb ich: Da stand nix!!

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Montag, 1. Oktober 2012

Einheitstour: Hiddensee rund (3/4)

Als ich die Brötchen abhole, habe ich die Gelegenheit bei meinem Schwenk über die Toilette ausgiebig Nachrichten zu hören. Das Programm des MDR ist etwas gewöhnungsbedürftig, aber der Wetterbericht für heute kommt ausgesprochen erfreulich daher: Sonnig, Temperaturen bis 17 Grad und nur schwache bis mäßige Winde aus südlicher Richtung. Es soll heute außen um Hiddensee rumgehen. Da ist "südlich" vielleicht nicht optimal, aber der Rest versöhnlich.

Auch hier müssen wir wieder etwas unintuitiv fahren, um in das Fahrwasser zu gelangen, dass zwischen Rügen und Hiddensee auf die offene Ostsee führt. Noch ist der südliche Wind mit uns und wir überholen sogar eine mächtige Segelyacht, die nur die Fock gesetzt hat und zur Sicherheit die Maschine mitlaufen lässt. Es sind allerhand Menschen an Bord, aber vermutlich sind nicht so viele Segelkundige dabei.

Im Norden von Hiddensee sind richtige Wellen! Sie sind die Überreste des heftigen Windes von gestern. Zwar kommt heute der Wind von Süden, aber er wird durch den hohen Dornbusch nach Osten herumgebeugt, so dass er uns momentan genau entgegen weht. Trotzdem macht es richtig Spaß, durch die Wellen zu rauschen. Wir fahren in deutlichen Abstand zum Ufer und hier draußen sind die Verhältnisse gleichförmig und berechenbar, nirgendwo muss man damit rechnen, dass ein böser Stein knapp unter der Wasseroberfläche lauert.

Unser Schwenk nach Süden bringt leider keine Besserung, was die Situation mit dem Gegenwind betrifft, denn Süden ist genau das, woher der Wind weht. Aber bis nach Vitte ist es nicht weit, hier wollen wir wieder eine Pause einlegen und die zurückgestellten Erledigungen nachholen. Am Strand fragt uns ein kleiner, vierjähriger Junge, warum wir denn paddeln und dass er auch schon immer mal gerne paddeln wollte. Peters Frage, ob er denn schon das "Seepferdchen" habe, verneint er etwas verlegen, hält aber dagegen, dass er eine Schwimmente hat, und dass er ja noch viel Zeit hat, das Paddeln einmal zu erlernen.

Vitte ist gut strukturiert: an der Hauptstraße gibt es zahlreiche kleine Schilderchen, die den Unkundigen auf allerlei hinweisen. Am ersten Pfosten ist gleich ein Hinweis auf die lokale Sparkasse zu erkennen: 400 Meter nach Süden. Wir können unsere flüssigen Mittel aufbessern und uns auf die Suche nach einer geeigneten Örtlichkeit machen, wo wir etwas leckeres essen können. Im kleinen Gärtchen eines kleinen Häuschens trauen wir uns mit unserem wenig repräsentativen Outfit an einem der Tische Platz zu nehmen. Wir probieren den hausgemachten Sanddornsaft und bestellen Fisch, Peter Lachs und ich Zander. Als ich Peters riesige Portion sehe, bin ich etwas neidisch und hege Zweifel, ob ich nicht die falsche Wahl getroffen habe. Aber der Zander ist auch lecker und - man muss ja nicht so viel essen - zumindest nicht immer!

Der Weg durch Vitte führt uns vorbei an erstaunlich zahlreichen Bruchbuden, die wenig baulichen Zuspruch seit der Wende erhalten haben können. Ich bin erstaunt über die Tatsache, dass Hiddensee nicht das Schicki-Micki-Flair hat, das ich erwartet hätte. Es gibt auch kaum größere Bauten, die so charakteristisch für einen vom Tourismus bevorzugten Ort sind. Eigentlich wirkt Hiddensee nach wie vor ziemlich provinziell und hat sich damit einen sympatischen Charme erhalten. Nur die Sache mit "Keine Zelte auf Hiddensee!" finde ich unpassend!

Unsere ewig nasse Unterwäsche ist in der Zwischenzeit zwar nicht wirklich getrocknet, aber wenigstens etwas abgedünstet, als wir wieder in die Boote steigen. Es sind noch gut über 15 Kilometer bis zu unserem Tagesziel Barhöft und der Wind hat nicht gedreht. Das wird noch ein langer Törn. Das Küstenbild ist auch nicht sehr abwechslungsreich und so ist noch das unterhaltsamste, ob die Segler, die mit uns zwar in die gleiche Richtung fahren, aber kreuzen müssen, in der Summe schneller oder langsamer sind als wir. Während es am Anfang noch besser für die Segler aussieht, sind sie vollkommen chancenlos, als der Wind etwas nachlässt. Kurz vor Beginn der Schutzzone im Süden der Insel landen wir noch einmal für eine Pause an. Wir machen eine kurze Wanderung zur Ostseite und legen uns ein paar Minuten in herrlicher Ruhe und Windstille ins Gras und blicken ins Blaue. Peter macht nach kurzer Zeit wieder schnurrende Geräusche.

Es nützt nichts - wir müssen auch die letzten Kilometer noch bewältigen. Die Insel neben uns wird flacher, der Wind weniger und das Fahrwasser enger. Ich drömele so vor mich hin und fahre mittig zwischen roter und grüner Tonne, als mich von hinten ein dünnes Schallsignal trifft: fünfmal kurz, das heißt soviel wie: gleich droht eine Kollision! Ich drehe mich gemächlich um und erblicke die "Achiever" von EnBW, die die Windkrafträder hier vor der Küste wartet. Sie prescht mit voller Kraft auf uns zu. Okay, dann wechsele ich mal die Fahrwasserseite und lass sie passieren - aber das mit dem fünfmal Kurz finde ich übertrieben. Umdrehen im Trockenanzug ist anstrengend und man vollzieht dieses Manöver nur, wenn es unbedingt sein muss. Also lasse ich den Kahn herankommen, bis sein Brummen und Rauschen unmittelbare Nähe verheißt. Als ich mich umsehe, steht eine gewaltige Wasserwand hinter mir! Beim Bau des Schiffes hat man auf den Bug verzichtet und stattdessen ein zweites Heck an seine Stelle gesetzt. So schiebt dieses Gefährt also eine platte Stahlwand quer durchs Wasser und erzeugt damit eine mindestens zwei Meter hohe "Bug"welle! Zum Glück ist sie in unserem Abstand nicht mehr so steil, dass sie sich oben bricht, so dass wir sie wenigstens etwas zum Surfen benutzen können.

Als wir den "Bock", die zwischen Zingst und Hiddensee gelegene Insel passieren, ist der Wind vollständig eingeschlafen. Wir legen die letzten Kilometer bis zum Hafen von Barhöft zurück und trollern unsere Boote zum Zeltplatz. Dort hat sich schon ein Radwanderer breit gemacht, der aber nicht weiter stört. Diesmal sind wir rechtzeitig eingelaufen, so dass wir den Hafenmeister noch antreffen und eine Eintrittskarte für die Duschräume bekommen. Das ausgiebige Duschen ist ebenso erfrischend wie notwendig.

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Sonntag, 30. September 2012

Einheitstour: Zwischen den Inseln (2/4)

Das Schöne an der Ostsee ist, dass das Wasser immer da ist! Aufstehen ist, wenn man nicht mehr schlafen mag und Losfahren, wenn der innere Drang Bewegung einfordert. Keine Tide, die einen zum Aufstehen vor dem Aufwachen nötigt, keine Sorge, ob noch genug Wasser unterm Kiel bleibt, kein äußerer Druck, das Frühstück beschleunigt einzunehmen. Ostsee ist so richtig zum Erholen. Das wollen wir würdigen! Beim Hafenmeister entrichten wir unseren Obulus und greifen den frischen Wetterbericht ab. West fünf bis sechs, in Böen sieben. Die Außenküste von Hiddensee sollten wir heute lieber meiden.

Entsprechend unserem Vorhaben, dass wir hier zur Erholung sind, lassen wir es mit dem Frühstück und der Vorbereitung sehr gemütlich angehen. Wir unternehmen einen Spaziergang zum nahegelegenen Aussichtsturm, von dem aus man einen fantastischen Rundblick über die Umgebung hat. Man kann Hiddensee wunderschön im Dunst erkennen und auch, dass an seiner Westseite ziemlicher Seegang herrscht. Peter hat sein Tschibo-Fernglas dabei, mit dem man jedes Detail erkennen kann. Vor uns liegt eine Landschaft, die fast ein wenig an das Wattenmeer erinnert mit den vielen Flachs und bei Wind trockenfallenden Stellen. Es ist ein zum Paddeln hervorragend geeignetes Revier.

Wir geben unserer Ausrüstung noch ausgiebig Gelegenheit, in der Herbstsonne zu trocknen und überlegen uns, wie wir die nächsten Tage gestalten könnten. Peters "Jübermann" leistet uns wertvolle Dienste dabei. Und ich genieße es, einmal nicht derjenige zu sein, der sich alles überlegen muss und den jeder fragt, wo es denn nun lang geht. Wir wollen zwischen Hiddensee und Rügen nach Norden fahren und sehen, ob wir nördlich von Schaprode irgendwo ein Plätzchen zum Übernachten finden. "Auf Hiddensee ist jegliches Aufstellen von Zelten verboten!" Ich bin entschieden nicht einverstanden mit dieser so absoluten Absage an alle friedlichen Wasserwanderer! Zum Wohnwagen-Stellplatz nördlich von Schaprode sagt der "Jübermann": "Zelte werden abgewiesen!". Auch nicht ermutigend, aber wer weiß, ob das um diese Jahreszeit in solcher Absolutheit zutrifft. Wir werden sehen.

Unser Ziel liegt eigentlich nordöstlich, aber wir müssen zuerst ein ziemliches Stück nach Südosten fahren, denn ein ausgedehntes Flach versperrt uns den Weg, und ein lauerndes Schnellboot der Wasserschutzpolizei verleiht der doppelt schraffierten Naturschutzzone nachdrücklich Glaubhaftigkeit. Aber natürlich kürzen wir wieder ein klitzekleines bisschen ab und natürlich ziehen wir hier wieder eine rauschende Heckwelle hinter uns her. Die Segler bleiben alle in der hier sehr engen Fahrrinne und sind auch nicht viel schneller als wir, obwohl viele von ihnen den Motor als Hilfe einsetzen. Trotzdem der Wind recht westlich daher kommt, können wir noch einigermaßen auf den Wellen surfen und kommen gut voran.


Wir wollen in Schaprode eine Pause einlegen, schließlich gilt es einiges zu erledigen, was zivilisatorische Infrastruktur voraussetzt: Wir wollen einen Geldautomaten plündern, denn mit unserer Barschaft können wir keinen großen Staat mehr machen. Dann wollen wir die Fährverbindungen in Richtung Zingst auskundschaften. In den nächsten Tagen wird überwiegend westlicher Wind herrschen und wenn wir eine Fähre fänden, die uns in die Nähe unseres Startplatzes bringt, könnten wir entspannter in die Zukunft blicken. Ich erinnere mich noch von meinem Urlaub vor zwanzig Jahren, dass am Ortseingang etwas war, das uns damals sehr gelegen kam. Im Nebel meiner Erinnerungen kann ich aber nicht klar erkennen, ob es sich vielleicht um einen Geldautomaten gehandelt hat. Ein kleiner Ortsrundgang schafft Klarheit: Es handelt sich nur um einen Lebensmittelladen. Ein Geldautomat gibt es nur in Trent - sechs Kilometer Fussmarsch, die mit meinen eine halbe Schuhgröße zu kleinen Neoprenschuhen nicht zu schaffen sind. Aber in Vitte auf Hiddensee gibt es einen - und da wollen wir morgen ja hin. Auch die erhoffte Fährverbindung nach Zingst gibt es hier nicht sondern ebenfalls nur von Vitte aus. Das würde prinzipiell passen, aber leider fährt die Fähre nur dienstags und ist erst im 19 Uhr in Zingst. Wir werden wohl anders zurecht kommen müssen.

Das letzte Stück bis zum Wohnmobil-Stellplatz ist schnell geschafft. Wir landen an einer gemähten Wiese nördlich davon an. Ich mache der Eignerin die fröhliche Mitteilung, dass wir bei ihr übernachten möchten, aber die reagiert etwas unwirsch mit der Feststellung, dass hier ein Stellplatz sei und kein Zeltplatz. Meine naiv ungläubige Frage, wo denn da das Problem sei, entkräftet sie mit der wenig freundlicheren Aussage, dass unsere Zelte eben keine Wohnwagen seien. Mir dämmert ihr Dilemma, dass sie nämlich keine Lizenz hat, unserem Wunsch zu entsprechen und ich baue ihr die goldene Brücke, dass wir eigentlich auf der Wiese nördlich ihres Geländes übernachten möchten. Mit einem "Da kann ich nichts machen." ist die Sache geklärt und wir bestellen noch drei Brötchen für Morgen.


Die Wiese bietet einen traumhaften Blick über den Bodden nach Hiddensee und den Nordteil von Rügen. Die Sonne macht sich auf, hinter dem Horizont zu verschwinden und färbt den Himmel wunderschön rot. Kranich- und Schwäneschwärme wechseln sich ab, um vor dieser Kulisse vorüber zu ziehen.

Als wir unsere Zelte aufbauen, ackert auf der Wiese hinter uns ein Bauer mit seinem Trecker, der emsig den Boden umpflügt. Es ist dunkel und es ist Sonntag und wir fragen uns, warum um alles in der Welt man seinen Acker unbedingt zu so einer Zeit pflügen muss. Die einzige halbwegs befriedigende Erklärung, die wir finden, ist die Tatsache, dass es nicht nur dunkel ist, sondern auch Vollmond herrscht und irgendein heiliger Kalender gebietet, seine Scholle nur bei vollem Mond umzuwerfen - egal ob Sonntag ist oder nicht. Das Rumpeln und Brummeln des Traktors hallt noch durch die Nacht, als wir längst eingeschlafen sind.

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Samstag, 29. September 2012

Einheitstour: Zur Einheit nach Osten! (1/4)

Dieses Jahr scheint das Jahr des spontanen Peters zu sein! Hatten wir nicht schon die Tour zu Pfingsten eigentlich zu dritt geplant und Peter schweren Herzens außen vor gelassen, weil er für unsere hochtrabenden Pläne nicht das Maß an Vorbereitung leisten konnte, das notwendig gewesen wäre? Und hatte nicht Peter sich spontan und auf die letzten Tage entschlossen, mich als einziger zu begleiten, nachdem die beiden anderen durch Schiksal und böse Mächte aus dem Rennen geworfen wurden? Ja und ja und hatte er. Und die Dinge ähneln sich, denn auch für die zweite große Unternehmung, für die wir fast ein Jahr im Voraus den Termin festgenagelt hatten, könnte die Überschrift lauten "Manchmal kommt es anders...". Und auch diesmal entschließt sich Peter kurzfristig, mich bei einer Tour um Samsö herum zu begleiten. Ich bin froh, dass er zugesagt hat, denn neues Land zu entdecken, ist zu zweit viel schöner als alleine.

Ich bin aber auch etwas in Sorge, dass ich ihn überredet habe, denn die Tage vor dem Termin ist das Wetter alles andere als geeignet, in einem den Wunsch und das Verlangen zu wecken, vier Tage lang mit Zelt und Schlafsack am nasskalten Busen der Natur zu verbringen. Auch die Vorhersage lässt nichts Gutes ahnen und als ich am Freitag von der Arbeit nach Hause fahre, ist mir eigentlich klar, dass Skagerak und Samsö bei dem vorhergesagten Wind und den herrschenden Luft- und Wassertemperaturen keine wirklich ernstgemeinte Ansage sein kann. Nur will ich meinen so lange gehegten Plan, eine ausgedehnte Paddeltour zu machen, nicht abhaken, und da mir keine geeignete Alternative einfällt, halte ich vorerst weiter am Unhaltbaren fest. Aber die Seekarten, die ich auf dem letzten Drücker von Jens bekommen habe, knicke ich erst einmal noch nicht.

Ich bin so beschäftigt, meine Siebensachen zusammenzupacken, dass ich auch gar keine Zeit habe, über Alternativen nachzudenken, als Peter mich anruft, um das Absehbare und Erwartete auszusprechen: "Samsö is nich!" Aber Peter wäre nicht Peter, wenn er es bei einem Abblasen belassen würde. Auch er muss raus und will die eingeplante und freigekämpfte Zeit nutzen. Und er hat einen Vorschlag: Zischland, Fingst und Rügen - oder so. Da war ich vor zwanzig Jahren das letzte Mal - mit einer schwangeren Frau, die mit ihrem dicken Bauch gerade eben noch durch die Luke unseres Faltbootes passte. Das war ganz nett und ich hätte Lust, mir das Gebiet mal wieder anzusehen. Wir fantasieren etwas von Sauna und Standquartier und besiegeln, dass alles bleibt, wie abgesprochen: Viertel nach zehn am Bootshaus, Sachen packen und drei Stunden Autofahrt - nur die Richtung würde leicht anders sein: Osten statt Norden!

In Segeberg leisten wir uns eine verpasste Autobahnausfahrt - keine große Sache. Ich erwähne das hier nur, weil es wirklich ungewöhnlich ist für uns beide. Wir sind darauf gedrillt, in navigatorischen Belangen äußerste Aufmerksamkeit walten zu lassen, immer anderthalb Augen darauf gerichtet zu haben, wo wir gerade sind und welchen Kurs wir als nächstes steuern müssen. Wäre das nicht so, könnten wir unmöglich so anspruchsvolle Touren unternehmen.

Im Auto werden alle verfügbaren Karten studiert, Einsetzstellen erwogen, Übernachtungsplätze ins Auge gefasst und Tourverläufe diskutiert. Peter kennt sich bereits gut aus hier und hat viele Ideen. Ich bin eher interessiert und zu jeder Schandtat bereit als eine große Hilfe, eigene Vorschläge zu machen. So entsteht der Plan, von Zingst aus den Bahrter Binnenbodden zu bepaddeln und dann eventuell in einem kleinen Häfchen gegenüber von Rügen zu übernachten. Aus Zingst wird später Pruchten, denn das liegt günstiger und dafür müssen wir nicht ganz so weit fahren.

Wir haben uns für Trockenanzüge entschieden, denn schließlich ist Herbst und Wasser und Luft sind nicht mehr wirklich mollig. Wir rechnen mit durchwachsenem Wetter und wollen gewappnet sein. Zwar müssen wir für vier Tage Proviant und Ausrüstung in unsere Boote zwängen, aber das bereitet keinem von uns übermäßige Mühen, denn unsere Kajaks haben nicht die knappen Maße, bei denen Askese keine Frage der Einstellung sondern eine schlichte Notwendigkeit wäre. Peter hat sich nach der ernüchternden Erfahrung auf Amrum sogar große Räder für seinen Bootswagen besorgt - er will sich nicht noch einmal von mir abhängen lassen beim Schleppen über Sand!

Wir sind kaum auf dem Wasser, da fliegen schon die ersten Kraniche über uns hinweg. Das Wasser heißt hier "Strom" und ist die großzügige Mündung eines kleinen Flüsschens. Es weht ein spürbarer Wind aus Westen, der uns vorantreibt. Als wir in den "richtigen" Bodden laufen, lernen wir gleich eine seiner wesentlichen Eigenschaften kennen: Bodden sind flach! So flach, dass man sogar mit einem Kajak auflaufen kann. Aber zum Glück sind die flachen Stellen hier allesamt mit Schwänen markiert, so dass man sie schon von weitem erkennen kann. Allerdings muss man doch den einen oder anderen Umweg fahren, was man manchmal erst einsieht, nachdem man eine Weile lang eine gehörige Heckwelle hinter sich hergezogen hat, die die ganze Energie verbraucht, die in tiefem Wasser in Geschwindigkeit umgesetzt worden wäre.

Anfangs ziehe ich noch zweimal meinen Südwester auf, muss ihn aber jeweils nach fünf Minuten wieder verstauen, weil es weder regnet noch kalt genug ist, dass sein Einsatz gerechtfertigt wäre. Je weiter der Abend gedeiht, desto mehr reißt der Himmel auf. Eine ungewöhnliche Milde macht sich breit in Licht und Luft und entfaltet Wirkung im Gemüt. Aus dem Horizont quellen stoßweise unerschöpfliche Mengen Kraniche hervor, die direkt und niedrig und trötend über uns hinweg segeln. Die sinkende Sonne lässt ihre grauen Körper in warmem Rosa leuchten. Wir sind sprachlos über diese fast unwirklich anmutende Szene: Allein auf weiter Flur - oder besser: auf flachem Bodden - treiben wir von einem freundlichen Wind geschoben unter weißen Wolken über grünes Wasser, am Himmel eilen die Kraniche ihren Schlafplätzen zu, Gänseschwärme huschen an uns vorbei, im Wald neben uns geht ein Hirsch spazieren. Am Ufer sind von Zeit zu Zeit Beobachtungshütten zu sehen, in denen Vogelfreunde sich ihre Hintern plattsitzen, um eventuell und kurzzeitig mal einen Blick durch ihre meterlangen Teleskope auf einen Kranich werfen zu können - und wir werden von diesen scheuen Tieren fast umgeflogen! Ich liebe das Paddeln!


Um viertel vor sieben ist die Sonne endgültig hinter dem Horizont versunken und es wird rapide dunkler. Zum Glück sind wir nicht mehr weit von unserem Etappenziel entfernt, aber als wir das schmale Fahrwasser vor dem Hafen überqueren wollen, müssen wir noch einmal anhalten, um einen mit Höchstgeschwindigkeit heranrauschenden Motorboot die Vorfahrt zu lassen. So schnell fahrende Objekte sind wir von der Förde einfach nicht gewohnt. Der Hafenmeister von Barhöft macht um 19:00 s.t. Feierabend - als Akademiker sind wir leider erst um 19:00 c.t. eingetroffen. Geschenkt. Dann melden wir uns eben morgen an - und pinkeln so lange in den Wald. Wir ziehen uns bald in unsere Nylon-Hütten zurück, denn wir sind einigermaßen müde - von der Tour und vom Leben davor. Peter gibt bald schnurrende Geräusche von sich, ich zelebriere noch die obligaten Tour-Tortellinis und kuschele mich dann auch in meine Daunen.

Alle Fotos der Tour...


Sonntag, 19. August 2012

Nordsee für Neulinge 2012 - oder: Timing ist alles!

Seit zwei Jahren biete ich im Verein eine Nordseetour an, bei der ich versuche, noch nicht so versierten und erfahrenen Paddlern die Schönheit und die Geheimnisse dieses Paddelrevieres nahe zu bringen. Im letzten Jahr wurde auf Grund der Tidenverhältnisse leider nur eine Zwei-Tage-Tour daraus. Aber dieses Jahr habe ich alles daran gesetzt, dass wir bereits am Freitag losfahren, um auch den Samstag voll nutzen zu können.

Bei der Vorbesprechung habe ich den Ablauf des Freitags kurz skizziert. Ich habe versucht, auf einen möglichst zeitigen Start zu drängen, damit wir früh in Schlüttsiel starten können und noch vor Einbruch der Dunkelheit auf Hooge ankämen. Hochwasser in Schlüttsiel wäre um 14:41 Uhr, Niedrigwasser auf Hooge um 20:59 Uhr, Sonnenuntergang um 20:52 Uhr. Meine Rechnung war, dass wir uns um 15 Uhr am Klub treffen, um 16 Uhr losfahren, um 17:45 in Schlüttsiel ankommen, um 18:45 dort lospaddeln und um 21:15 auf Hooge eintreffen. Das war ziemlich auf Kante genäht, aber ich habe es nicht deutlich gemacht und den anderen war es nicht bewusst. Die Wettervorhersage war ausgesprochen günstig - wenn man Flaute, Sonnenschein und hohe Temperaturen als Vorteil betrachtet.

Für den Freitag bestand also kein Schlupf, innerhalb dessen man hätte rangieren können. Einmal losgetreten würde der Plan abspulen und sich eine Aktion an die nächste reihen, bis man die Zelte auf Hooge errichtet. Man muss keine Entscheidung fällen, nur hinmachen.

Für den Samstag habe ich drei Möglichkeiten vorgeschlagen, was man unternehmen könnte: Zur Pallas fahren, nach Amrum paddeln oder den Norderoogsand umrunden. Auf meine Frage, was wir denn machen sollten, kam der Vorschlag: "Wir stimmen ab!". Okay, da war wohl noch nicht das volle Bewusstsein für die maßgeblichen Begleitumstände und Entscheidungskriterien entwickelt. Als Entscheidungshilfen habe ich die Gezeitenkurven und den Strömungsatlas angeboten. Um die Sache nicht zu kompliziert zu machen, war meine erste Frage, wann wir frühestens los fahren können und wann wir es spätestens müssen. Hier setzte die erste Ernüchterung ein: Der Zeitpunkt für das Losfahren bedeutete auf jeden Fall ein Aufstehen vor dem Aufwachen! Die Frage, wann wir uns spätestens auf dem Rückweg befinden müssen, war etwas schwieriger zu klären, denn der Umgang mit dem Strömungsatlas war keinem so richtig geläufig. Da sind die Zeiten alle auf Hochwasser Helgoland bezogen und das muss erst übersetzt werden in richtige Uhrzeiten. Zusätzlich lieferte ich noch weitere Aspekte, die es zwar zu berücksichtigen gilt, die man aber ohne Erfahrung noch nicht auf der Rechnung hat: Da ist die Ausgesetztheit der Tour zur Pallas, die für einen Neuling eine nicht unerhebliche Herausforderung darstellt, das Problem, dass man bei der Umrundung des Norderoogsandes auch noch Hooge umrunden muss und der nicht zu unterschätzende Querstrom im Rütergatt, mit dem man sich bei der Rückfahrt von Amrum auseinandersetzen muss. Meine Absicht, die ich mit der Vorbesprechung verfolgte, hat jedenfalls Erfolg gehabt: Die Erkenntnis, dass man bei einer Nordseetour nicht erst mal ausschlafen, gemütlich frühstücken und sich dann überlegen kann, wohin man fährt, sickerte langsam in das Bewusstsein der Teilnehmer.

Das Fertigmachen an der Bootshalle, die Fahrt nach Schlüttsiel sowie das Packen dort verliefen ausgesprochen konzentriert, zielgerichtet und zügig. So konnten wir unsere Boote bereits vor 18 Uhr einsetzen - genau so rechtzeitig, dass wir bequem an der gerade aus dem Wasser aufgetauchten Betonkante einsteigen konnten. Eine andere Gruppe von Paddlern aus Hamburg, von denen bereits einige Teilnehmer am Packen waren, als wir ankamen, benötigte etwas länger und hatte es vermutlich nicht mehr so bequem wie wir.

Die Überfahrt nach Hooge war gemütlich und unspektakulär. Ich las von Zeit zu Zeit die Geschwindigkeit von meinem GPS ab - zum Erstaunen der meisten näherten wir uns unserem Bestimmungsort mit fast ständig mehr als 10 Stundenkilometern. An einer roten Fahrwassertonne nahe Hooge ließ ich die Gruppe anhalten und gab die Aufgabe, die gegenüberliegende grüne Tonne an der stromauf liegenden Seite zu passieren. Dadurch, dass man die Insel hinter der Tonne sah, konnte man gut sehen, ob man seitlich versetzt wurde und den korrekten Vorhaltewinkel für die Seilfähre sehr einfach bestimmen. Durch diese kleine Einlage entstand ein viel besseres Gefühl dafür, mit welcher Macht die Süderaue hier strömt, als wenn wir immer nur genau in Richtung des Tidenstromes gefahren wären.

Durch unser gutes Vorankommen erreichten wir den Leitdamm vor dem Hooger Segelhafen bereits vor halb neun. Das war absolut die letzte Möglichkeit, die Steine des Dammes noch direkt aus dem Boot heraus zu erreichen. So konnten wir wenigstens einigermaßen vom Schlick verschont Boote und Ausrüstung auf den Zeltplatz schaffen. Die Hamburger Truppe ist ca. eine halbe Stunde später eingetroffen. Drei von ihnen sind noch direkt ausgestiegen, hüfttief im Schlick versunken, hingefallen und sahen aus, wie direkt aus einem Moorbad gezogen. Die übrigen Teilnehmer haben es vorgezogen, fünf Meter von der rettenden aber unerreichbaren Insel in ihren Booten sitzend auf das Steigen des Wassers zu warten, um dann in ziemlicher Dunkelheit auf den glitschigen Steinen mit den schweren Booten zu balancieren. Übrigens ist Sven beim Tragen der Boote mit seinem Fuß abgerutscht, in ein Loch getreten und hat sich das Gelenk arg gequetscht. Zum Glück hat ihn das nicht beim Paddeln behindert, nur beim Gehen hatte er noch mehrere Tage lang Schmerzen.

Meine Ansage für Sonnabend war es, um 7 Uhr in den Boote zu sitzen - und um fünf Minuten vor sieben sitzen alle abfahrbereit in ihren Booten! Es ist etwa dreieinhalb Stunden nach Hochwassser und das Einsteigen ist noch einigermaßen gut möglich. Letztlich habe ich selbst entschieden, dass wir heute die einfachste der drei Möglichkeiten wahrnehmen: Wir fahren zum Kniepsand nach Amrum. An der Nordspitze des Jappsandes kann man schön das unterschiedliche Aussehen der Wasseroberfläche bei unterschiedlich tiefem Wasser studieren. Ich gehe hier kurz an Land, denn stehend hat man einen deutlich besseren Überblick über die Verhältnisse hier. Tatsächlich tritt bald genau n der Stelle, für die ich es vorausgsagt habe, eine Sandbank zu Tage.
Unser Ziel ist bereits klar zu erkennen und es scheint ein Klacks zu sein, es auch zu erreichen. Der Strom ist zu einem guten Teil mit uns, er versetzt uns nur etwas nach Südwesten. Zu meiner Überraschung halten die vorne fahrenden Paddler aber weiter vor als es für unseren Kurs notwendig wäre - ein für den Normalpaddler völlig unübliches Verhalten. Es liegt mit großer Wahrscheinlichkeit daran, dass alle mehr oder minder auf "Amrum" zuhalten - während wir eigentlich um die Südspitze des Kniepsandes herum müssen, die zwar viel weiter südlich liegt, im Gegensatz zu "Amrum" aber kaum zu sehen ist.

Der Kniepsand ist unsere Basis für eine lange und entspannte Pause. Interessiert beobachten wir eine kleine Gruppe Nudisten, die nach einem Bad in der Nordsee ausdauernd Yoga-Übungen macht. Wir sind beeindruckt von dem gewaltigen Sonnenschirm, den Reinhard aus seinem Boot zaubert und der hier majestätisch seinen Schatten wirft. Ich habe mein Tarp dabei und obwohl die Sonne nicht wirklich derart brezelt, dass es nötig wäre, baue ich es auf. Wenn ich es schon mitnehme, will ich es wenigstens auch einmal einsetzen. Leider steigt das Wasser während unserer Pause doch so hoch, dass unsere Boote fortgespült werden würden, und so  müssen wir sie grummelnd ein Stück weiter den Strand hoch schleppen.

Etwa um 12 Uhr treten wir den Rückweg an. Ich habe mir vorgenommen, genau mit Hochwasser auf Hooge einzulaufen und das ist gegen 15 Uhr. Natürlich haben wir dadurch einen ordentlichen Strom im Rütergatt quer zu unserer Fahrtrichtung. Eine gute Gelegenheit, das Bewusstsein dafür zu schärfen und den Umgang damit zu üben. Als wir eine grün-rote Fahrwassertonne passieren, liegt eine gute Meile entfernt links eine rote Tonne fast genau querab von uns in der Gegend. Etwas weiter südlich davon, aber immer noch mehr als 45 Grad gegen unsere Vorausrichtung liegt die dazugehörige grüne Tonne. Wir sind nicht besonders schnell und der Strom versetzt uns mit beträchtlicher Geschwindigkeit, so dass ich sogar etwas Sorge habe, ob wir die Süderaue überhaupt wie geplant erreichen. Als ich die Devise ausgebe, dass wir die links momentan noch querab liegende rote Tonne links liegen lassen müssen - und wenn wir es schaffen auch noch die dazuhörige grüne, sehe ich, dass niemand sich vorstellen kann, dass wir das eventuell nicht schaffen könnten. Schließlich zeigt unsere Vorausrichtung ja deutlich an beiden Tonne vorbei. Wir fahren eine Zeitlang mit unvermindertem Tempo in immer die gleiche Richtung, bis ich die Aufmerksamkeit der Gruppe auf die vorhin passierte grün-rote Fahrwassertonne lenke. Sie liegt immer noch genau rechts querab, obwohl wir schon eine erkleckliche Zeit von ihr wegpaddeln. Erst jetzt wird allen bewusst, wie stark die Strömung geht und wie sehr wir versetzt werden. Wir schaffen es gerade, die rote Tonne links liegen zu lassen, bei der grünen haben wir nicht den Hauch einer Chance! Aber mit Erreichen dieses Tonnenpaares ist das meiste geschafft und der Strom drückt nun mehr in die Süderaue hinein.
Um 14 Uhr,also eigentlich etwas zu früh, fahren wir in den Segelhafen von Hooge hinein und steigen direkt aus den Booten auf die Zeltwiese. Hier ist erstmal ein ausgiebiges Bad im mit warmen Wasser randvollen Hafen fällig. Der sehr hohe Anleger direkt neben unseren Zelten eignet sich ideal zum Verbessern der Arschbombentechnik. Der Tag ist noch lang und wir genießen die Sonne und die Wärme - jeder auf seine Weise. Und natürlich ist heute das Salzlamm fällig! Gegen Abend marschieren wir zum Friesenpesel, wo wir die Bedienung mit unserem kaum zu stillenden Appetit beeindrucken: Wir haben noch gar nicht angefangen, da gehen wir schon auf das Angebot ein, Bratkartoffeln nachordern zu können.


Die Rücktour an Sonntag ist insofern spektakulär, als dass extreme Flaute bei tropischen Temperaturen herrscht. Die Boote gleiten auf dem glatten Wasser dahin, wie Jim Knopfs Dampfer über das Zellophanmeer in der Augsburger Puppenkiste. Irgendwann ist Birke so heiß, dass sie sich vor Gröde entschließt, mitten in der Nordsee schwimmen zu gehen. Das bringt eine willkommene Abkühlung. Genau um zwei Uhr läuft mein Boot über die soeben überflutete Kante der Kaimauer in Schlüttsiel. Eine Tour mit perfektem Timing!

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